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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Hyperglykämie bei Dialysepatient



RS-USER-Katja
25.02.2008, 23:34
Patient kommt zur OP, soll seine Leistenhernie operiert bekommen. Er ist insulinpflichtiger Typ1-Diabetiker nach einer Infektion vor 18 Jahren, Hypertoniker und seit etwa sechs Jahren wegen Nierenversagen dialysepflichtig. Er hat Peritonealdialyse, die läuft zu Hause über Nacht, damit kommt er gut hin. Restharn etwa 1l, erlaubte Trinkmenge zwischen 2 und 3 Litern.
Hat seit gestern abend kein Insulin genommen und ist seit 10 Stunden nüchtern.

Der BZ in der Aufnahme (AccuCheck) kommt mit 480 zurück. Patient gibt an, sein BZ sei immer etwas auf der hohen Seite, aber nicht so hoch. Keine Ketone im Urin (Sticks).

Patient kommt in die PACU (sowas wie der Aufwachraum), bekommt 12 IE Insulin iv und man geht mit dem Chirurgen plauschen, ob das jetzt operiert werden muß. Einigung auf Lokale und milde Sedierung, wenn es denn nun gemacht werden soll.
Also wollen wir wieder nach dem Patienten schauen und ihm das erklären. Zu unserm Erstaunen ist der Patient kaltschweißig und wirkt fahrig... der BZ ist laut Gerät 320.
Egal, jetzt kriegt er Blut abgenommen und ins Labor geschickt und bekommt auf Verdacht 40ml Glucose 20%, worauf es ihm wieder besser wird.

Die Messung aus dem Labor kommt mit einem BZ von 45 zurück.
Woher diese Differenz???

Die Peritonealdialyselösung ist des Rätsels Lösung: Extrarenal (Baxter Healthcare) heißt das Zeug, und es enthält 7,5% Icodextrin. Das Zeug interferiert offenbar mit den meisten dieser kleinen Handgeräte zum Glucosetest und liefert falsch-hohe Werte. Ziemlich falsch-hohe, wie man sieht, um nicht zu sagen gefährlich falsche. Was ich erstaunlich finde, ist daß der Patient das in sechs Jahren offenbar nie gewußt hat (sein Gerät daheim hat das Problem nicht).
Das Icodextrin wird teils absorbiert, es wird im Körper dann zu diversen Oligosacchariden (Maltose, Maltotriose, Maltotetrose...)zerlegt. Diese haben einen meßbaren Konzentrationspeak nach etwa 12 Stunden, verbleiben aber etwa eine Woche meßbar im Körper. Und die Patienten haben jede Nacht plus ggf. tagsüber ihre Peritonealdialsye.

RS-USER-Brummel
26.02.2008, 07:18
Sehr interessant, das hat mir in meiner Ausbildung zum Sani noch keiner gesagt, gibts irgendwo eine Liste welche Geräte da Probleme haben?

lumberjack
26.02.2008, 14:19
Interessant. Ist dies nicht eigentlich ein meldepflichtiger Zwischenfall? Oder hat jemand schon einmal einen entsprechenden Hinweis in der Gebrauchsanleitung gelesen?

krumel
26.02.2008, 16:30
In der Tat sehr interessant.
:eek: :eek:

RS-USER-Katja
26.02.2008, 18:35
Das Problem ist offenbar bekannt - in Dialysekreisen. Außerhalb eher nicht so... wobei es einen Artikel in Anesthesiology von 2005 gibt über eben jene Interferenz zwischen AccuCheck und Peritonealdialyse, die Dialyseflüssigkeit enthält normal meist auch Glucose, so daß es auch akute Interferenzen gibt. Leider vergißt man mal Dinge, die man nur flüchtig gelesen hat...
Es gibt (wie sich dann beim Nachgraben rausstellt) mehrere Artikel zu dem Thema, aber sonst alle in Zeitungen, die ich eher nicht lese (Disse E, Hypoglycemic coma in a diabetic patient on peritoneal dialysis due to interference with icodextrin metabolites with capillary blood glucoses measurement, Diabetes Care 2004 oder auch Mehmet S, Important cause of hypogycaemia in patients with diabetes on pertoneal dialysis, Diabetic Med 2001).
Die Interferenzen sind beschrieben für AccuCheck, ExacTech (MediSense), Advantage (Roche) und Glucotrend (auch Roche). Die Laborklinische Methode mißt nicht die Maltosemetaboliten und hat daher keine Interferenzen, im Gegensatz zu den Handgeräten.

Lesen bildet... :-blush und man lernt nie aus.

RS-USER-Küchenhexe
26.02.2008, 21:50
Original geschrieben von lumberjack
Interessant. Ist dies nicht eigentlich ein meldepflichtiger Zwischenfall? Oder hat jemand schon einmal einen entsprechenden Hinweis in der Gebrauchsanleitung gelesen?

Ja, das Problem ist bekannt und die entsprechenden Warnhinweise finden sich in der Regel in der Gebrauchsanweisung des Gerätes und / oder in der Packungsbeilage der Blutzuckermeßstreifen!

Im Benutzerhandbuch des FreeStyle Freedom Lite z.B. auf Seite drei, orange hinterlegt und mit der fett und kursiv gedruckten, großen Überschrift "Warnung!":

"Peritonealdialyse-Patienten, die Lösungen mit Icodextrin oder intravenöse Immunglobulin-Präparate mit Maltose erhalten, sollten diese Teststreifen nicht verwenden."

Bei den AccuChek-Geräten findet man den entsprechenden Hinweis im Waschzettel der Teststreifen, ebenfalls farbig unterlegt.

Diabetespatienten, bei denen bereits eine Nephropathie (oder ein anderer Dialysegrund) vorliegt, sollten zumindest einige Zeit in den Händen eines diabetologisch erfahrenen Arztes bzw. einer guten Diabetesberaterin verbringen. Dort bekommen sie meist auch ein für sie geeignetes Meßgerät...

Unter anderem deshalb ist es auch im Rettungsdienst sinnvoll, nicht zwanghaft das Meßgerät aus dem Koffer nehmen zu wollen -wenn der Patient selber eins hat, nimmt man am besten das ;) .

Nebenbei: auch andere Faktoren können die Meßergebnisse verfälschen. Neben hohen Hämatokritwerten oder einer Galaktosämie können das z.B. auch sehr hohe Triglyceride oder Infusionen mit Ascorbinsäure (vulgo Vitamin C) sein.

RS-USER-Küchenhexe
26.02.2008, 22:22
Original geschrieben von Katja
Keine Ketone im Urin (Sticks).

Es gibt auch ein BZ-Meßgerät, mit dem man die Ketone im Blut bestimmen kann...:)

RS-USER-Katja
27.02.2008, 00:25
Bestimmt, aber nicht in *diesem* Krankenhaus :D

RS-USER-Küchenhexe
27.02.2008, 12:04
Original geschrieben von Katja
Bestimmt, aber nicht in *diesem* Krankenhaus :D

Hmmm... wenn Du mal in der Gegend sein solltest, sag Bescheid. Ich würde mich vielleicht sogar von meinem Ersatzgerät trennen :) . Schicken würde vermutlich einen Bombenalarm am Flughafen hervorrufen (nein, die sind nicht paranoid, die Amis. Sie wissen ganz sicher, daß jemand hinter ihnen her ist :rolleyes: ).

Aber Du kannst auch versuchen, einem Abbot / MediSense- Vertreter ein Testgerät "Precision Xceed" abzuschwatzen. Wenn die in den Staaten auch ihr Geld mit den Teststreifen statt mit den Geräten verdienen, sollte das nicht schwer sein!

RS-USER-Katja
29.02.2008, 04:25
Danke für das Angebot, aber ich glaube, das wird hier nicht auf große Resonanz stoßen. Wir sind ja keine Diabetesklinik :) (es kann aber sein, daß die Internisten sowas in ihrer Klinik führen) und haben sowohl die Teststreifen (wenn auch nur für Urin) als auch die Möglichkeit, es über's Labor bestimmen zu lassen, wenn es genauer sein soll.
Aber trotzdem nochmal danke!