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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Kein Königreich für ein Pferd



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RS-USER-Katja
07.07.2008, 02:34
Es gibt Arbeit, mit der Alarmmeldung "Unfall mit Pferd, Polizeireitschule"

Beim Eintreffen am Einsatzort finden sich erwartungsgemäß viele Polizisten und Pferde, wobei die Pferde alle angebunden sind bis auf eins, das von vier Leuten gehalten und weggeführt wird und irgendwie komisch geht, aber das soll ja nicht Euer Problem sein. Eher die Ursache Eures Problems.
Am Boden der Reithalle liegt eine Dame in den 40ern und sieht sehr blaß um die Nase aus. Das, so läßt man Euch wissen, seie Eure Patientin...

RS-USER-Brummel
07.07.2008, 06:57
Na dann, wer wurde mit uns alarmiert? Bin ich der ersteintreffende RTW? Wie lange braucht der NA noch?

Ich habe natürlich mal die große Standartausrüstung mitgenommen, Koffer, EKG, O2-Brett, Absaugung, Stifnecks.

Dann ansprache der Verletzten, ist sie ansprechbar? Der Kollege versucht die Polizisten zu verhören, wie es denn passiert ist (Unfallmechanismus, usw.). wenn die Dame nicht ansprechbar ist, vorgehen gemäß Schema, ansonsten erstmal ein orientierender Bodycheck und Vitalparameter bitte.

RS-USER-Katja
07.07.2008, 18:43
Du bist der RTW, das NEF kommt noch.

Patientin ist ansprechbar, aber leicht verlangsamt. Das Pferd habe gescheut, sei erst über sie getrampelt und dann gefallen - mit dem Hintern auf ihren Unterkörper. Da tut ihr auch so ziemlich alles weh, ansonsten die rechte Thoraxseite (dort Tritt abgekriegt) und sonst ist sie sich nicht ganz sicher. Der Hals fühlt sich auch komisch an, sagt sie.

Vitalparameter:
SaO2 ohne Sauerstoff 94%
HR 104
BP 110/84mmHg


Bodycheck:
Keine groben Verletzungen am Kopf, Arme scheinen unverlettzt und sind normal beweglich, Abdomen ist nicht ganz weich, aber auch nicht bretthart (sie hat auch gute Muskeln) .
Becken ist klar instabil.
Beine will sie nicht bewegen, weil es weh tut, dort keine offenen Frakturen zu sehen, Oberschenkel scheinen geschwollen, aber mit Klamotten an schwer zu sagen.
Willst Du sie drehen für die Untersuchung der Wirbelsäule?

mister_m
07.07.2008, 19:01
Drehen würde ich erstmal lassen, in die WS können wir eh nicht reinsehen und wär mir jetzt noch ein bisschen zu riskant. Was versteht sie unter "Hals fühlt sich komisch an"? Auch einen Tritt abbekommen?
Wenn wir das gecheckt haben erstmal Stiff-Neck dran, obligatorisch O2 (ca. 8l). Genauerer Front-Bodycheck (Kopf, Pupillen, Ohren, Mundraum), weg mit der Oberbekleidung und der Hose mit Hilfe einer Schere, danach Lungen auskultieren und Beine genauer unter die Lupe nehmen. Sind neurologische Ausfälle erkennbar (spürt sie's wenn wir ihrer Beine berühren)? Fußpulse vorhanden?
Dann vielleicht mal n Zugang legen, zügig reinlaufen lassen. RR nachmessen, nochmal Bauch tasten.

Dodi112
07.07.2008, 19:07
Würd ich auch so machen. Aufgrund des Bodychecks würd ich erstmal nem potentiellem Polytrauma ausgehen und das auch so behandeln.

Neben großzügiger O2-Gabe Anlage v. 2 großlumigen Zugängen und Infusion von VEL. Stiffneck ist obligat.

Soweit möglich (Zuschauer) Kleidung entfernen für genauere Untersuchung, dann Wärmeerhalt.

Wo befinde ich mich denn ( Großstadt, flaches Land )? Eventuell schonmal RTH Kapazität abchecken lassen wenn kein geeignetes KH in der Nähe.

Thema Wirbelsäule: würd ich abtasten wenn ich sie auf der Schaufeltrage hab und dann auf die Vakuummatratze lege.

Pr0st
07.07.2008, 19:10
Alles ein bisschen unschick...

Der (rechte) Thorax ist außer den Schmwerzen oB? Drehen fände ich in diesem Fall ungut, eher mal rechts und links mit der Hand einmal am Rücken entlang fahren; Pupillenreaktion?

Maßnahmen: Stiffneck, Spineboard/VMatratze, 3-4 große Zugänge (BZ) – aber bitte nicht im Schuss rein, O2 10l, EKG kleben, Wärmeerhalt!!! – dummes Basic, aber gerne vergessen. Auswahl an Zielkrankenhäusern, RTH – Nachalarmierung sinnvoll? Ansonsten fäll das bei mir in die Kategorie Hit and run, also ab in den RTW, dort genauerer Bodycheck mit Hose runter usw., gerne während der Fahrt….

RS-USER-Brummel
07.07.2008, 19:11
Nein, ich gehe jetzt mal davon aus das die was abbekommen hat, is für mich als einfach Sanitäter wahrscheinlich besser, je nachdem wer bei mir RA ist, würde es evtl anders aussehen. Dann würde ich sagen neben vollem Monitoring und ner guten Ringer von meiner RA, gibts jetzt erstmal nen großeinsatz für unseren Robin (die Kleiderschere natürlich ;) ) dabei ist natürlich auch der Stifneck und die Vakuummatraze samt Schaufeltrage. 6-10l O2 über Maske mit Reservoir gibts auch, je nachdem was die Sättigung dann sagt. Wie sieht der Bodycheck an den Rippen aus? Paradoxe Atmung? Abgeschwächte AG? Irgendwas was ich höhren oder sehen kann? Sehe ich beim Entkleiden noch irgendwas? Wie sind die Temperaturen? Nicht dass sie noch Hypotherm wird. Wie lange braucht mein NA und wie lange der nächste RTH? Wie weit das nächste KH der Maximalversorgung? Gibt es neurologische Ausfälle (ausser dem etwas langsam sein)

Meine erste Arbeitsdiagnose wäre somit: Unfall mit Pferd (habe ich das richtig, sie ist nicht gefallen sondern hat geführt?), v.A. Polytrauma mit Wirbelsäulenbeteiligung (primär die HWS/BWS), akutes Abdomen, Becken#, va # der Beine (was ich ja hoffentlich beim Entkleiden näher begutachten kann).

Edit: Prost hat gleichzeitig geschrieben, scoop & run wäre auch eine alternative, aber bei uns (1h mit SoSi in die nächste Uni) muss eh der RTH anfliegen, also je nach Gegebenheit - wie immer ;)

RS-USER-fruehgriller
07.07.2008, 22:05
Ich gehe mit den Kollegen was die Diagnose und die Versorgung angeht soweit konform, nur eines würde ich nicht tun:

Die Hose ausziehen ( die von der Pat natürlich;) )

es sei denn, irgendwo siehts nach ner offenen Fraktur / Verletzung aus. (Blut aus der Kleidung kommend etc)

Grund fürs anlassen??? Kompression. Reiterhosen sind oftmals sehr enganlliegend, und sollte sich im Oberschenkel Blut sammeln (#Becken / OS) kann der Oberschenkel nur begrenzt anschwellen, und durch die Kompresssion wird die Blutung "eingegrenzt" (wie bei der MAST Shock Trouser, nur nicht so extrem)

Ansonsten Scoop and run, soweit es geht mittels RTH.

RS-USER-pille
07.07.2008, 22:12
Original geschrieben von Katja
Da tut ihr auch so ziemlich alles weh, ansonsten die rechte Thoraxseite (dort Tritt abgekriegt) und sonst ist sie sich nicht ganz sicher. Der Hals fühlt sich auch komisch an, sagt sie.

Moin...

mal was aus dem Erfahrungsschatzkino:

Ich hatte mal so'n ähnlichen Fall, das Opfer hat den Huf allerdings ziemlich mittig aufgedrückt bekommen.
Ergebnis war 'ne Zwerchfellähmung, die sich aber erst über die Zeit als insuffiziente Atmung darstellte, die in der Nachfolge zur kontrollierten Beatmung bereits im RTW führte.
Da der N.phrenicus aber auf Höhe der HWS das Rückenmark verläßt, könnte ich mir vorstellen, daß in diesem Zusammenhang das "komische Halsgefühl" als Folge zu finden wäre.

Auf jeden Fall würde ich große Aufmerksamkeit auf eine sich evtl verschlechternde Spontanatmung hin richten...

700kg Pferd, momentan auf einem Huf konzentriert mit menschlicher Unterlage, das liefert auch genügend Material für einen Hämatothorax...

RS-USER-Katja
07.07.2008, 22:15
Das nächste geeignete Krankenhaus ist 10min Fahrzeit entfernt, RTH scheint da ein bißchen dick aufgetragen. NEF sollte gleich da sein (sowie sich ein freiwilliger Doktor findet :D ).

Vitalparameter: Unter 10l geht die SaO2 auf 99% hoch. Der Rest ändert sich nicht wesentlich.

Also erstmal nicht drehen, Stiffneck dran (sie kann "komisch" nicht viel besser beschrieben, sie sagt, es tut nicht wirklich weh, aber fühlt sich anders an als sonst. Keine grob neurologischen Ausfälle der Arme, Beine sind wie gesagt zu schmerzgeplagt für weiter Untersuchung.

Pupillen seitengleich, lichtreagibel.
Mundraum ist unauffällig, kein Dutzend loser Zähne, kein Blut.

Wärmeerhalt (danke für's dran denken, ich mag diese 32C-Polytraumen nicht so gern...) ist bei 34 Grad Außentemperatur glücklicherweise relativ leicht machbar, Klamotten runter bringt die Erkenntnis, daß die Beine soweit beurteilbar nicht grob gebrochen sind. Sie hat einfach stabile Oberschenkel, sagt sie, die sehen immer so aus. Auf dem Becken finden sich noch zwei Hufabdrücke. Fußpulse sind beidseits tastbar.
Aber das Becken ist grotesk instabil, auch ohne daß man drückt - tut auch ziemlich weh.

Der Thorax ist stabil, aber an einer Stelle rechtsdruckempfindlich, nicht ganz sicher, ob die Rippen da intakt sind (wie gesagt, sie hat eine gute Muskelstruktur). Da ist auch ein partieller Hufabdruck.

Okay, drei schöne Zugänge lassen sich problemlos unterbringen.

Wie wollt ihr sie bewegen? Schaufeltrage? Spineboard?

RS-USER-Katja
07.07.2008, 22:18
Sorry, Frühgriller, hat sich überschnitten mit den Posts...

RS-USER-DocMezzoMix
07.07.2008, 22:36
Meine Meinung:

Schade um den Doc der nicht kommt, Spineboard, Vollgas.
Jede weitere Massnahme die ich ausserhalb der Rettung ergreife hilft der Patientin nicht weiter, jede weitere Verdachtsuntersuchung vermutlich auch nicht.
Da es ja auch gute Schockräume geben soll, ist dies der Moment wo ich anrufe: "Schockraum, Anästhesie, Unfallchirurgie, Abdominal u. Thorax Chirurg" eintreffen in 15 Minuten (brauch ja noch 5 Minuten bis sie auf der Trage immobilisiert ist) und Abfahrt.
Wenn das NEF noch nicht da ist, kann es ja nachkommen. ;)

RS-USER-fruehgriller
08.07.2008, 11:50
Gute Idee.

Frage an die Fachfrau:

Was hälst du von der Idee die Hosen NICHT aufzuschneiden???

RS-USER-DocL
08.07.2008, 15:33
Sorry, der Doc war noch um die Ecke (in der Uro-Proktologischen Ambulanz um sich zu erleichtern;) ), iss jetzt aber da un entscheidet sich (während Analgesie vorbereitet wird z.B: Keta/Midazolam und oder ein paar Tropfen Fanta) nochmal kurz auf die Bronchen zu horchen und hört was ...?
Während die Reiterin (nun schmerzarm) auf das Spineboard bzw via Schaufeltrage auf die Vakuummatr. gehoben wird (unter dem Becken der Patientin befindet sich bereits ein Beckenkompressionsgurt bzw. wird mit einer längsgefalteten Decke improvisiert und das Becken nach Lagern komprimiert durch zuschlingen) wird nochmal einer kurzer Bodycheck durchgeführt und die Patientin befragt was für "ein komisches Gefühl" es am Hals ist (--> Schmerzen? Kloßgefühl? Luftnot?, Zeichen für Hautemphysem?).
Haben sich jetzt dich Vitalparameter verändert, nachdem der Sympatikotonus durch suffiziente Schmerztherapie gemindert wurde und jetzt doch etwas Zeit für einen Blutverlust da gewesen ist?
BTW: ein EKG war schon installiert (habe ich vergessen)? Ansonsten kommts jetzt dran --> Auffälligkeiten?
Klinikbett war ja auch schon abgeklärt (ich hoffe, die stehn nicht gerade am Tisch und im Schockraum/OP gibts eine Beckenzwinge zur sofortigen Verfügung, sowie entsprechendes Personal)..und dann gehts jetzt auch schon los in Richtung Klinik, wenn sich jetzt nichts dramatisch verändert hat.

Aber Notfälle sind ja dynamische Ereignisse, ich bin mal gespannt ob sich mein Plan verwirklichen lässt.

GRTX
DocL

RS-USER-Katja
08.07.2008, 17:08
At Griller: Kann funktionieren, wenn die Hose eng genug ist... aber die BEine würde in in jedem Fall aufmachen.
Evtl. ist es aber einfacher, ein Laken o.ä. zur Stabilisierung zu nehmen.

RS-USER-Katja
08.07.2008, 17:14
So, jetzt zum Rest (wenn ich nicht gleich wegmuß)

Lunge: Rechts fraglich abgeschwächtes Atemgeräusch, wobei sie offenbar auch "schonatmet".
EKG nichts AUffälliges außer Sinustachykardie.

Nach Analgesie verabschiedet sich der Druck ein bißchen, so auf 65/ 35mmHg, kommt aber schon ohne (bzw mit etwas Aufdrehen der Infuson) Intervention bei der nächsten minütlichen MEssung auf 85/50 wieder hoch. Die Beckenstabilisierung durch eng gewickeltes Laken knirscht, scheint aber stabil zu sein.
Dafür breitet sich auf dem Laken ein Urinfleck mit Blutbeimischung aus.

Das komische Gefühl kann sie mit Ketanest gar nicht mehr so richtig beschreiben, sie lächelt dafür freundlich...

Noch Wünsche (auch bezüglich der Anmeldung) oder gleich ab in die Klinik?

RS-USER-Brummel
08.07.2008, 17:57
voranmeldung als Politrauma wie oben von mir schon geschrieben, Lampen anlassen, Musik an und dann mit Volldampf Richtung Schokraum, da werden wir ja hoffentlich in bester Emergency Room manier erwartet. Ach ja, falls das NEF während der Umlagerung/Einladen endlich eintrifft, kann der Fahrer ja schonmal das Blut vorfahren. Dann können die ja schonmal richten.

mister_m
08.07.2008, 18:05
ich würd sie zumindest für das Auskultieren nochmal auffordern bissl fester zu atmen. Analgesiert müsste sie ja genug sein. Wenn die Sättigung stabil (>95% bei max. Sauerstoff) bleibt würd ich losfahrn, ansonsten ist die Intubation (kriegt sie im KHS sowieso) und dazu eine Thoraxdrainage zu überlegen.

Anmeldung für Schockraum; Polytrauma mit Beckenfraktur, Thoraxtrauma mit evtl. sich entwickelndem (Spannungs-)Pneumothorax, Abdominaltrauma mit V. a. Blasenruptur, WS-Verletzung nicht auszuschließen; wir brauchen also Anästhesie, die Unfallchirurgie mit Abdominal- u. Thorax-Chirurg

RS-USER-apoplex
08.07.2008, 18:12
; wir brauchen also Anästhesie, die Unfallchirurgie mit Abdominal- u. Thorax-Chirurg [/B]
ich sehe den Thorax-Chirurg nicht so zwingend - für nen simplen Pneu (oder ggfl. noch Hämatothorax reicht der Unfallchirurg aus, hinweis auf deutlich mehr haben wir noch nicht. Wichtiger fänd ich, dass ein Urologe bei der OP dabei ist.

RS-USER-Katja
08.07.2008, 19:26
I'm with you there... :)

Also eilig in die Klinik, dort Übergabe an Team Anae/Unfall- u. Allgemeinchirurgie/Urologie/Neurochirurgie (wenn WS-Verletzungen in dem KH nicht von den Unfallchirurgen gemacht werden).

Die Dame hält sich freundlicherweise auf dem Transport stabil, schmiert im SchockOP nach dem Umlagern aber richtig ab, wird intubiert, bekommt eine Thoraxdraiage rechts, die einen kleinen Hämatopneu entlastet. Kommt auf Volumen/lutgabe und wenig Kreislaufunterstützung schnell wieder hoch, was sicher auch mit ihrem guten Allgemeinzustand zusammenhängt.

Die Diagnostik zeigt ein völlig zerlegtes BEcken mit einer Blasenruptur, eine riesige retroperitoneale Einblutung, ein einseitiger Nierenabriß und zwei stabile Frakturen in der LWS. Das Becken wird gleich mit einem externen Fixateur stabilisiert und sie bleibt so auch für die weitere Versorung der Blasenfraktur stabil.
Nach Transfusion der etwa doppelten Menge ihres Blutvolumens ist sie auf Intensiv gegangen, wach und extubiert. Heute kriegt sie ihre Beckenfraktur von letzter Woche intern versorgt, sie hat keine neurologischen Ausfälle.

Alles in allem hat mich fasziniert, wie lange sie bei einem ersten Hb von 3,2 sich ohne große Druckeinbrüche gehalten hat - das ist wohl das, was unsere Altvorderen mit einer "Roßnatur" umschrieben haben, wenn ich den billigen Witz noch unterbringen darf.
Immer schön dran denken, daß in so ein Becken die fünf Liter Blut, die eigenlich im Kürper zirkulieren sollten, auch so reinpassen.

Ansonsten: Gut gelöst :)