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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Einsatz bei Bodenkampfturnier



RS-USER-Küchenhexe
09.11.2008, 21:29
Hier mal ein vielleicht etwas ungewöhnliches Fallbeispiel...
Nix Großes, aber ich fand's recht interessant.

Situation: Ihr seid als Sanitätsdienst beim jährlichen Bodenkampfturnier eines örtlichen Sportvereins. Unter anderem gibt es Wettkämpfe in den Bereichen "Freestyle" und "Submission Wrestling"; es wird hart, aber fair gekämpft und die Atmosphäre ist insgesamt erfreulich kameradschaftlich.

Plötzlich kommt es zu folgender Situation: die Teilnehmer eines Kampfes liegen unübersichtlich ineinander verstrickt am Boden, beide strengen sich maximal an. Der untere Kämpfer scheint ein Problem zu haben; sein seit einiger Zeit angespannt waagerecht in der Luft gehaltenes Bein beginnt unkontrolliert zu zittern. Der Gegner stutzt kurz darauf (vielleicht 5-10 Sekunden später), stoppt den Kampf und löst sich von seinem Kampfpartner. Der Schiedsrichter ruft nach den Sanis.

Was tut ihr, wonach schaut ihr?

RS-USER-DocMezzoMix
09.11.2008, 22:43
Als erstes schaue ich, ob es sich um ein Konditionsproblem handelt, oder ob tatsächlich ein Notfall vorliegt...
Also welcher von beiden steht, welcher liegt. Der der liegt: Redet? Dann soll er mal loslegen, redet nicht mehr: Algorhythmus ;)

PS: Wieviel Zeit habe ich?

RS-USER-Küchenhexe
10.11.2008, 00:42
Zeit: die, die Du brauchst... aber natürlich wäre es toll, wenn die Matte schnell wieder frei wäre.

Ja, da scheint tatsächlich was zu sein. Der Typ liegt auf dem Rücken und rührt sich nicht.

Edit: sein Trainer versucht, mit ihm zu reden, aber er zeigt keine Reaktion. Die Worte "bewußtlos" und "keine Atmung" werden Dir entgegengerufen.

RS-USER-DocMezzoMix
10.11.2008, 07:34
Naja, dann schau ich doch selbst mal.
Wenn er die Augen zu hat verzichte ich auf verbale Komunikation, mal kurz das Sternum gerubbelt. Parallel dazu den Gegner mal gefragt, was er gemacht hat (abgewürgt?). Kurzer Blick auf den Hals ob alles da ist wo es sein soll und ob irgendwelche Besonderheiten auffallen.
Dann mal schnell Atemcheck.

Falls keine Atmung:
Ambu+Sauerstoff, Stifneck, cool bleiben,Ursache finden

Falls Atmung
Cool bleiben, Sauerstoff, Ursache finden

Mattenarzt? Falls ich das wirklich will, dann ruf ich ihn.

Grundsätzlich also erstmal Standartmässig mit Sauerstoff versorgen, wenn notwendig.
Werte erheben macht keinen Sinn, was erwarte ich den bei jemanden der gerade eine massivste körperliche Anstrengung bewältigt. Wenn überhaupt, Ja - Nein Erhebung.

Am wahrscheinlichsten würde ich jetzt das abgewürgt halten.
Hier wird bei "harmlosen" Sportarten wie Judo die Carotis kurzfristig abgedrückt, Pat. wird wenn er zu langsam mit Abklopfen (aufgeben) war halt kurz bewußtlos. Sobald der Griff gelockert wird, gibt es wieder Blut, Pat. wird wach, alles gut.
Bei anderen Sportarten kann da auch mal die Trachea abgedrückt werden (ob das wirklich effektiver ist?), da muss man halt mal fix schauen ob alles noch funktioniert und das keine strukturellen Schäden aufgetreten sind.

Weiter wahrscheinlich ist eventuell, das der Pat. "Gewicht gemacht" hat, also in kruzer Zeit relativ viel abgenommen hat, hier könnte das Zucken des Beines ein Muskelkrampf gewesen sein. Wenn er sich nicht wieder bzw. unprofessionel aufgefüllt hat könnte hier die Bewußtlosigkeit eine Synkope sein. Glucose und Elektrolyte mit viel viel Flüssigkeit könnten hier wieder Ordnung rein bringen.
Solange keiner sagt, was genau passiert ist, fischt man aber im trüben.

RS-USER-emergency doc
10.11.2008, 12:38
Original geschrieben von DocMezzoMix

Mattenarzt?

Vergnügt Euch erstmal alleine... Ich bin noch draussen im Eingangsbereich, trinke Kaffee und mampfe ahnungslos ein Käsebrötchen...:)

RS-USER-DocMezzoMix
10.11.2008, 13:49
Original geschrieben von DocMezzoMix
Mattenarzt? Falls ich das wirklich will, dann ruf ich ihn.



Will ich Dich? Manchmal will man den ja garnicht dabei haben ;)
Falls du aber dann nachher doch kommen solltest: Salami und den Kaffee 1Stück Zucker mit viel Milch, Danke!

RS-USER-Küchenhexe
10.11.2008, 23:15
Original geschrieben von DocMezzoMix
Mattenarzt? Falls ich das wirklich will, dann ruf ich ihn.


Na dann mal viel Glück...:grins: Was für ein Mattenarzt? Bei Judo-Bundesligakämpfen haben wir auch einen da... aber hier waren zwei Sanitätshelfer angefordert... Weil wir das nicht für wirklich ausreichend hielten (das aber tatsächlich für einen Wettkampf dieser Art als Mindeststandard festgelegt war), haben wir etwas mehr geschickt. Alles andere wäre auch nicht sehr nett unseren SanH's gegenüber gewesen. Unser eigener Arzt war zu diesem Zeitpunkt noch nicht da, da noch im Dienst.

Später haben wir festgestellt, daß doch ein Arzt dabei war, der sich aber aufs Beobachten beschränkt hat, weil er mit unseren Maßnahmen zufrieden war. Geoutet hat er sich, als wir uns laut einen Physiotherapeuten oder Orthopäden für ein kaputtes Knie wünschten...:D

Ansonsten hast Du einen Teil schon gelöst. Aber machen wir mal weiter: Auf dem Weg zum Patienten erste Bestandsaufnahme. Er liegt ungewöhnlich starr, ein leichter Tremor ist gerade noch zu beobachten, verschwindet aber fast sofort, worauf der Patient auch etwas entspannter liegt. Als Du Dich näherst, bemerkst Du wieder einsetzende Atembewegungen.

Fünf oder sechs Leute haben sich um den Patienten versammelt, reden aufgeregt durcheinander und versuchen, eine Reaktion zu bekommen, was mißlingt. Der Schiedsrichter kümmert sich um den ziemlich verstörten Gegner und beruhigt ihn - von da ist gerade keine vernünftige Beschreibung des Geschehens zu erwarten.

Als die Sanis eintreffen (also ziemlich schnell, der Weg vom Sanitätstisch zur Matte beträgt gerade einmal 4 m) beruhigt sich die Lage schlagartig, die Leute machen Platz und das wirre Durcheinanderreden hört auf. Du kniest Dich neben den Patienten, der die Augen zwar offen hat, aber völlig starr und unfokussiert blickt. Den Zahnschutz kannst Du kaum erkennen; er hat Schaum vor dem Mund.

Lautes, scharfes Ansprechen und ein paar sachte Klopfer auf die Wange bringen einen Effekt: er fokussiert und blickt Dich schließlich an. Nach ein, zwei Fehlversuchen spricht er auch mit Dir.

Der reflexartig gefühlte Puls ist kräftig und regelmäßig.

RS-USER-DocMezzoMix
11.11.2008, 18:32
Solange mir keiner was sagt, schau ich halt fragend...
Was ist denn jetzt mit Würgemalen am Hals?

Aktuell tippe ich halt noch auf abgewürgt bzw. evtl. "abgedrückt"... was sagt denn der Patient wenn er redet, und was sagt der Gegner // Schiedsrichter ?

Edit: Zahnschutz natürlich direkt raus

RS-USER-Küchenhexe
11.11.2008, 18:54
Würgemarken: keine. Der Patient versucht, aufzustehen und die Matte zu verlassen, was ihm mit etwas Unterstützung auch gut gelingt; Beißschutz nimmt der Trainer direkt nach dem ersten Sprechversuch raus (was das Resultat des nächsten Versuchs auch deutlich verbesserte :) ).

Beim weiteren Vorgehen haben wir uns aus den von Dir schon genannten Gründen gegen eine großartige Diagnostik entschieden, dafür haben wir dem Patienten ein (metaphorisches) Loch in den Bauch gefragt.

Interessant fand ich, daß der Patient zwar verunsichert war, da ihm "sowas" in seinem ganzen Leben noch nicht passiert war, uns aber dann doch sehr genau beschreiben konnte, was passiert war. Das konnte sein Gegner eher nicht, da immer noch ganz schön angeschlagen...

Er war wohl in einen technich sehr sauberen Würgegriff genommen worden, konnte aber noch ausreichend atmen, weil sein Gegner es mit dem Krafteinsatz nicht übertrieben hat. Allerdings scheint es bei seinen Versuchen, sich zu befreien, einen Punkt gegeben zu haben, an dem beide Carotiden sauber komprimiert wurden. Rauschen in den Ohren, schwindel und Punkte vor den Augen ließen ihn auch kurz überlegen, ob abschlagen nicht doch ein guter Plan wäre, aber er wollte nur noch einen Befreiungsversuch... und dann gingen die Lichter aus.:grins:

Unsere Verdachtsdiagnose: kurze mechanisch bedingte cerebrale Minderdurchblutung mit Bewußtlosigkeit und "kleinem" Krampfanfall. Der Sieg wurde dem Gegner zugesprochen (wohl zu recht ;) ), der nun Ex-Patient entschied sich für eine weitere Teilnahme am Turnier und schnitt auch nicht schlecht ab. Er fühlte sich gut betreut - trotz bzw. gerade wegen des Verzichts auf ein "Riesengetue" im Bereich apparative Diagnostik (RR, BZ...).

Edit: Das ist auch genau die Sache, auf die ich hinaus wollte. Maximaldiagnostik muß einfach nicht immer sein - wenn man gute Gründe für den Verzicht darauf hat! Außerdem wär's ein schönes Fallbeispiel für die Sanitätshelfer etc. hier gewesen... die sich aber nicht gerade vorgedrängelt haben. Vielleicht hätte ich's dazuschrreiben sollen.

RS-USER-DocMezzoMix
11.11.2008, 21:56
Für nen Judoka wäre das nicht einmal ein Fallbeispiel gewesen..sondern Alltag.
Sowas kommt eigentlich alle paar Trainingseinheiten mal vor. Gut, der Krampfanfall nicht unbedingt, aber das man mal wegtritt passiert schon (fühlt sich auch eigentlich ganz cool an, man wir so schwerelos und es kribbelt überall ;) )

Gehört meines Erachtens aber auch zu einem San-Dienst dazu:
Was sind die Gepflogenheiten (Wann darf ich was, was sind die do's was die don'ts, wie lauten die Regeln) Aber auch was kann passieren, was wird passieren, was ist normal, was sind erkrankungen die für den Aussenstehenden furchtbar aussehen aber für "Insider" normal sind (z.B. der Crash bei der Ralley-Betreuung) etc.

Wenn man es kann, macht es auch Sinn dann in solchen Situationen einmal ein wenig vom Lehrbuch abzuweichen.

Neben der med. Versorgung ist man halt auch Dienstleister.
Von daher finde ich es gut, das hier auch SanH sich nicht hinter wilden Blutdruck-Messaktionen oder was auch immer verborgen haben, sondern einfach mal geschaut haben, was der Patient braucht.. nämlich eigentlich nix... Soviel wie nötig-so wenig wie möglich ist gerade bei Sportveranstaltungen oft gefragt und ich hoffe dieses für den nicht Kampfsportler ungewöhnliche Fallbeispiel hilft dem ein oder anderen Neuling bei einer solchen Situation erstmal etwas cooler zu bleiben..

RS-USER-Küchenhexe
11.11.2008, 22:10
Ich fand die Situation auch nicht so ungewöhnlich, aber ich bin ja auch schon lange beim Verein (und ein bißchen über den SanH hinaus...).
Allerdings fand ich es erstaunlich, daß auch die anderen Wettkampfteilnehmer (außer dem Trainer/Arzt) etwas ähnliches wohl noch nicht gesehen haben. Ich denke mal, daß der Anteil "krampfen + Schaum vor dem Mund" doch eher selten ist und für Laien beängstigender wirkt, als man sich das im Rettungsdienst oft vergegenwärtigt...

Was unsere Sanis daraus gelernt haben (nach eigener Aussage): cool bleiben, nachdenken und nicht überreagieren. Nicht alles ist so schlimm, wie man befürchtet und leichte Panik bei den Umstehenden heißt erst mal noch gar nix. Manchmal ist "Nichtstun" eben doch eine gute Option!

RS-USER-Brummel
11.11.2008, 22:15
hätte ja auch mal wieder mitgemacht, aber docmezzomix hatte ja das wichtigste für den Anfang schon geschrieben.

Schönes Beispiel für sieht dramatisch aus, ging aber gut.