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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : schöner sterben mit Chemo



RS-USER-Claudi
02.03.2009, 14:57
diesen Spruch habe ich nun zum zweiten Mal gehört.

Hintergrund: Krebskranker lehnt Chemotherapie ab.
Auf die Begründung des Patienten: "Es ist doch schon so weit fortgeschritten und es wird eh nichts mehr bringen, oder?"

kommt die Antwort vom Doc: "Nein, aber es stirbt sich schöner..."

Ich hoffe sehr, dass das kein blöd/ironischer Spruch ist (unverzeihlich!!) aber eine vernünftige Erklärung, warum in aller Welt eine Chemotherapie zum "schöneren/besseren Sterben" beitragen soll, konnte mir niemand geben.
Also bitte - sagt mir, was ihr denkt!

Rettungszwergin
02.03.2009, 21:11
Hilfloser Spruch zum unpassenden Zeitpunkt. Weil eigentlich braucht man doch eh Forschungsdaten, wenn man so jemandem ne Chemo auf´s Auge drückt.

RS-USER-Bärentöter
03.03.2009, 12:57
der Spruch ist dämlich. Eine palliative Chemotherapie mag den Sinn haben, das beschwerdefreie (!) bzw. -arme Überleben zu verlängern, dem Patienten noch zu erlauben, seine Angelegenheit zu regeln.
An Rettungszwergins Einwand ist sicher etwas dran, da praktisch an allen Onkologien Forschung betrieben wird, und daß da ein Druck aufkommt, den Patienten Therapien zu "verkaufen", ist praktisch systemimmanent.

RS-USER-emergency doc
06.03.2009, 20:46
Ich bin ja jetzt kein Internist oder Onkologe, aber die einzigen Chemopatienten, bei denen ich eine Heilung erlebt habe waren:
Vorher bestrahlt, dann R0-Resektion ohne Resttumornachweis vom Pathologen und dann noch eine "Sicherheits-Chemo" drübergebraten.
Mag sein, daß der gemeine Internist da andere Erfahrungswerte hat...:rolleyes:

Rettungszwergin
06.03.2009, 21:50
Eines sollte man nicht vergessen: Chemo ist nur ein Hilfsmittel, das die Symptome bekämpfen kann. Die Ursache für Krebs ist derzeit leider nicht behandelbar.

Chemo im Endstadium ist auch deshalb kritisch zu bewerten, weil Medikamente nicht immer gleich wirken. Die Daten solcher Pat. haben meiner Meinung nach nur gerunge Aussagekraft. Die ganze Physiolgie ist verändert. Da stellt sich mir die Frage nach der Ethik der Anwendung.

RS-USER-Claudi
07.03.2009, 07:23
Zur erweiterten Info:
1. Patient: Lungen-Ca, 69 Jahre alt, sichtbarer Tumor ca. Pflaumengroß, außer Pleura-Punktion (1500 ml Exsudat) und Rö keine weitere Diagnostik, aufgrund des schlechten Zustands des Patienten keine Op möglich. Festgestellt im Juli - Patient ist - nach Ablehnung der Chemo - verstorben im September des gleichen Jahres ... (erstickt bei vollem Bewusstsein, drum macht sich die Ehefrau jetzt Gedanken, wg. der "schönen" Aussage des Arztes... :rolleyes: )

2. Patient: Leukämie, 80 Jahre alt, liegt z. Zt. im KH in schlechtem Zustand. Mehr hab ich noch nicht rausbekommen, nur dass er mit derselben Begründung eine Chemo machen soll (und in diesem Fall auch machen wird).
Warten wir mal ab und denken wir positiv....

Fallobst
09.03.2009, 11:04
Also wenn der Pat. bei "vollem Bewusstsein" erstickt ist, ist da AFAIK nicht der fehlenden Chemo geschuldet, sondern an einem schlechtem palliativmedizinischem Ansatz..., und bzgl. mit Chemo stirbt es sich schöner.... ich denke manchmal tut es ein wenig Morphin/Fentanyl/Sulfenta etc. in analgetischer Dosis doch bedeutend besser, als den armen onkologischen Patientenauch noch mit den Massen an Zytostatika mit den ganzen bekannten Nebenwirkungen zu quälen.

RS-USER-Claudi
09.03.2009, 15:37
Original geschrieben von Fallobst
Also wenn der Pat. bei "vollem Bewusstsein" erstickt ist, ist da AFAIK nicht der fehlenden Chemo geschuldet, sondern an einem schlechtem palliativmedizinischem Ansatz...,
sehe ich auch so, aber mach das mal einer trauernden Witwe klar, die jetzt wegen so einer Aussage die Gewissensbisse plagen...
Die Frau macht sich sowieso schon nen Kopf, weil sie im Juli den Notarzt gerufen hat. Ihr Mann lag auf der Couch und war nicht erweckbar... eine Stunde vorher hatte er über massiven Schwindel geklagt.
Der Rettungsdienst hat ihn dann eingepackt und ins KH gebracht. Da kam er dann in so weit auf die Beine, dass er drei Wochen später - als Pflegefall - zum Sterben nach Hause konnte.
Nun fragt die Dame sich, ob sie ihn nicht einfach auf der Couch hätte in Ruhe sterben lassen sollen.....
:rolleyes:

Hab ihr hoffentlich klar machen können, dass keiner sagen kann, wie die Geschichte dann ausgegangen wäre - zumal der Befund so noch nicht bekannt war.

Tja. Sie war bei ihm, als er dann ziemlich elend starb und hat dazu noch den tollen Spruch von wegen 'mit Chemo stirbt sich's schöner' im Ohr - und mir gehen langsam die Argumente aus.

RS-USER-Schädelspalter
21.03.2009, 20:58
Bei nicht kurativ behandelbaren Bronchialkarzinomen ist das Ziel einer Chemotherapie i.d.R. eine Besserung der Symptome und eine Velängerung der symptomarmen /-freien Zeit. Eine Verlängerung des Überlebens läßt sich auch oft erreichen, meist (man verzeihe mir die Verallgemeinerung) will man aber vor allem die "gute Zeit" verlängern.
Das ist nicht das Gleiche wie "schöner sterben mit Chemo" :confused:

Wenn der Patient z.B. unter rezidivierenden Pleuraergüssen, einer Lymphangiosis mit resultierender Luftnot und Schmerzen durch Metastasen leidet, kann man unter Umständen diese Symptome durch eine Therapie des Tumors bessern. Ich war auch oft erstaunt, wie gut viele Menschen davon profitieren und wie wenig Nebenwirkungen sie durch die Chemotherapie erleiden.
Für diejenigen, die eine ursächliche Therapie nicht wünschen oder dafür nicht in Frage kommen (oder die Therapie nicht vertragen), sollte man trotzdem ein vernünftiges palliatives Konzept (dann eben ohne palliative Chemotherapie) erstellen.
Man könnte z.B. eine Pleurodese wegen der Pleuraergüsse versuchen, Medikamente (insbesondere Opiate) gegen Schmerzen und Luftnot verabreichen, lokale Tumorkomplikationen bessern (Bestrahlung, Chirurgie,...) und vor allem eine ambulante oder stationäre Versorgung (z.B. Palliativstation, amb. Pflegedienst,...) sicherstellen, damit sich der Patient und seine Angehörigen nicht alleingelassen fühlen.

Übrigens kenne ich einige Menschen (insbesondere mit Tumoren des blutbildenden Systems), die ihren Krebs langfristig losgeworden sind und von denen viele "geheilt" sind (z.B. kein Tumor mehr, aber mehr oder weniger Gefahr eines Rückfalls) - und das durch Chemotherapie (o.K., oft ergänzt durch Strahlentherapie und/oder Transplantation). Von den adjuvanten und neoadjuvanten Therapien will ich gar nicht reden. Lance Armstrong hat sowas vor über einem Jahrzehnt auch mitgemacht (allerdings nicht bei mir ;) ).

Was ich falsch finde, ist eine "palliative Chemotherapie bringt doch eh nix"-Einstellung. Man muß sich aber (wie bei jeder medizinischen Prozedur) darüber klar sein, was man erreichen möchte. Bei einem kurativen Ansatz ist die Abwägung meistens einfach. Bei palliativen Therapien muß man eher abwägen - in jedem Fall sollte (muß) man einem Patienten eine Therapie anbieten, die für ihn in Frage kommt. Die Entscheidung liegt dann beim Patienten, ohne dass jemand Schuldgefühle haben oder sich verletzt fühlen sollte. Ob die Entscheidung des 1. Patienten "richtig" oder "falsch" war (wenn es das überhaupt in diesem Fall gibt), kann vermutlich niemand sagen, oder?

P.S.: da schaue ich nach längerer Pause wieder mal ins Forum und schreibe dann wieder so "schwere Kost" :compy:

Fallobst
21.03.2009, 21:04
Das palliative Chemo nie das richtige Mittel ist, sollte so auch nicht ankommen.

RS-USER-Claudi
23.03.2009, 11:08
Original geschrieben von Schädelspalter

Was ich falsch finde, ist eine "palliative Chemotherapie bringt doch eh nix"-Einstellung. Man muß sich aber (wie bei jeder medizinischen Prozedur) darüber klar sein, was man erreichen möchte.

na ja, klar.
Mich stört es, dass viele Patienten offensichtlich nicht gut über für und wider aufgeklärt werden.
Es hieß in beiden Fällen: "Ja, dann machen wir also Chemo" und die zwei Patienten mussten dann erst mal klar stellen, dass sie das gar nicht wollen.
Übrigens stieß die Entscheidung bei den Docs auf Unverständnis und Missmut.
Beide Patienten hatten bereits das Sterben eingeläutet, sag ich mal.
Der Lungen-Ca- Patient starb wie gesagt ca. 8 Wochen nach der Diagnose und unser Leukämie-Mann verstarb (wie ich am Wochenende hörte) letzte Woche Mittwoch.
Beide wurden in sehr schlechtem Zustand im KH aufgenommen, so dass man fast schon davon ausgehen konnte, dass der Sterbeprozess bereits begonnen hatte.

Edith: @Schädelspalter: Danke, für deine "schwere Kost". Ich freu mich - deine Berichte sind immer sehr aufschlussreich." :knuddel: