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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Assistenzarzt im Dilemma



RS-USER-Anonym
26.07.2009, 22:01
Reanimieren ja oder nein?

Der Patient, schwerst herzkrank, Zustand nach mehreren Herzinfarkten, Zustand nach erfolglosem Versuch Koronararterien zu stenten, Zustand nach mehreren transitorischen ischämischen Attacken, hat bei klarem Bewusstsein vor mir und vor anderen Zeugen gesagt: "Warum lasst Ihr mich nicht einfach gehen? Warum macht Ihr all diese Untersuchungen? Ich möchte dies doch gar nicht! Ich bin alt und habe mein Leben gelebt...".

Bei jedem Patienten wird bei Eintritt auf unserer Abteilung von den Chefs bestimmt, ob er reanimiert wird oder nicht (nach ganz bestimmten Richtlinien). Der obengenannte Patient bekam ein "REA JA". Gefragt wurde er aber nicht!

Als ich Nachtdienst hatte, wurde ich zu ihm gerufen, da er plötzlich eine Halbseitenlähmung aufwies. Kaum war ich im Zimmer, verlor er das Bewusstsein und ging in ein Kammerflimmern über (er war an der Telemetrie angehängt).
Ich war in einem fürchterlichen Dilemma: Was sollte ich tun? Reanimieren ja oder nein?
Auf der einen Seite wusste ich, dass es des Patienten grösster Wunsch war endlich "abtreten" zu können und er nicht erfreut wäre, mit einer Halbseitenlähmung aufzuwachen. Auf der andern Seite bin ich Arzt, habe die Verpflichtung Leben zu retten um jeden Preis und der Patient lief ja immer noch unter "REA JA".
Ich habe mich schliesslich zu einer REA entschlossen. Der Patient hat es zum Glück nicht überlebt.
Ich habe mich aber noch wochenlang schlecht gefühlt, d.h. allein gelassen von den Chefs...

Was hättet Ihr getan? Reanimiert ja oder nein?

AINS
26.07.2009, 22:26
Ich habe ähnliche Situationen schon mehrmals erlebt.
Eine mündliche Patientenverfügung ist ebenso gültig wie eine schriftliche Verfügung. Die Einschätzung des Wunsches eines Patienten zu sterben ist oftmals recht schwer einzuschätzen; statistisch gesehen sind die Absichten in nur 10% der Fällen völlig ernstgemeint.

Lösungsvorschlag meinerseits für einen Assistenzarzt wäre:
a) Patienten nach seinem Willen befragen (Sollen im Fall der Fälle Reanimationsmaßnahmen ergriffen werden?)
b) Oberärzte informieren und nach deren Meinung erkundigen (i.d.R. verfügen diese über ausreichend Erfahrung)
c) Hätte Dein Patient sich ausdrücklich Dir gegenüber GEGEN Reanimationsmaßnahmen entschieden, so hätte ich in diesem Falle die Reanimation unterlassen.

RDPfleger
26.07.2009, 22:36
Solange der mündlichgeäußerte Wunsch des Patienten nirgends schriftlich nachweisbar(!) (am besten mit Pat-Unterschrift) dokumentiert ist würde ich auch anfangen, wenn ich Arzt oder auch anwesende Pflegekraft wäre. Ist zwar blöd wenn man den Willen kannte, aber die Rechtsanwälte der Hinterbliebenen drehen aus sowas gerne mal einen Strick. Leider. :mad: Und es ist ja theoretisch immer noch möglich das der Patient seinen Willen kurzfristig geändert hat. :(

Wenn der Wille von einem vorgesetzem Arzt dokumentiert ist, und dies als nachweislicher Wille des Patienten gilt dann würde ich nicht anfangen. Dies würde aber ein Aufklärungsgespräch mit dem Patienten voraussetzen, deshalb wäre der Eintrag REA NEIN ja vorab zu dokumentieren gewesen und somit ja auch eine entsprechende Info an die "Chefs" vorauszusetzen.

Wie ihr schon merkt, mir geht es hier mehr um die rechtliche Absicherung der eigenen Person und somit der Nachweisbarkeit.

Zum Thema Anwälte:
Ich erinnere mich da nur an eine Geschichte wo die Angehörigen einer Siuzidpatientin (versuchter Suizid) darauf bestanden dass diese zu Hause blieb und für eine kontinuierliche Überwachung bürgten. Als die Patientin dann von einem 11jährigem Mädchen (Familienmitglied) "überwacht" wurde verstarb diese. Daraufhin haben sich die Angehörigen plötzlich entschieden die Notärztin zu verklagen. Ja die Notärztin. die sie selbst zuvor gebeten und gebettelt hatte die Patienten nicht ins Krankenhaus zu verbringen. Diese kann nun froh sein sich noch Ärztin nennen zu dürfen.
So wurde es mir von einem Notarzt erzählt, als es auch um die Diskussion ging Rea ja oder nein wenn kein Entscheidungsbefugter vor Ort ist aber der mutmaßlicher Pat-Wille bekannt ist.

AINS
26.07.2009, 23:36
Solange der mündlichgeäußerte Wunsch des Patienten nirgends schriftlich nachweisbar(!) [...]

In diesem Fall gab es aber anwesende Zeugen, die eine eindeutige Willensäußerung gegen eine Reanimation auf konkrete Nachfrage des Assistenzarztes hätten bestätigen können.
Wiegesagt: Mündliche Verfügungen sind wirksam und mit Zeugenaussagen hat man juristisch nichts zu befürchten.

RDPfleger
27.07.2009, 09:17
In diesem Fall gab es aber anwesende Zeugen, die eine eindeutige Willensäußerung gegen eine Reanimation auf konkrete Nachfrage des Assistenzarztes hätten bestätigen können.
Wiegesagt: Mündliche Verfügungen sind wirksam und mit Zeugenaussagen hat man juristisch nichts zu befürchten.

Wenn man sich sicher ist, dass diese Zeugen dann auch aussagen. OK. Dann hätte ich evtl. auch nicht angefangen. Und bitte Zeugen die aber auch aussagen, wenn ein "Chef" nachfragt warum man trotz "Rea ja"-Dokumentation nicht angefangen hat. Das ist dann eine persönliche Abwegungsssache, die sich hier schlecht beurteilen lässt, da wir die Kollegen nicht kennen und nicht wissen ob sie aussagen würden.



Für die Zukunft würde ich als Arzt eine solche bekanntwerdende Willensäußerung zum Thema nehmen um die Rea-Ja/Rea-Nein Dokumentation beim "einem Chef" (=OA in dem Falle, oder?) anzusprechen und abzuändern. So wird dann dem Wille des Patienten genüge getan und auch evtl. med. Assistenzpersonal geholfen.


Weil solange Rea-ja drin steht, fangen wir Pflegekräfte in meinem derzeitigem (noch) Krankenhaus beispielsweise an, wenn kein Arzt vor Ort ist. Ohne schriftlichen Willen oder schriftliche Doku der Arztanweisung geht hier nichts. In dem Fall müssste dann bei uns entweder
a) von einem Arzt in der Kurve Rea-Nein dokumentiert sein,
oder
b)die Patientenverfügung vorhanden oder auf dem Nachtkästchen sein,
oder
c) der niedergeschriebene Patientenwillen auf dem Nachtkästchen liegen,
damit bei uns Pflegekräfte ohne Arztanwesenheit keine Rea beginnen.

Deswegen habe ich weiter oben auch so auf das schriftliche gepocht um die anderen Berufsgruppen vor solchen Situationen zu schützen. Für die solche eigenverantwortlichen Entscheidungsmöglichkeiten wie die eines Arzt nicht in Frage kommen.

Aber auch die Doku hilft nicht immer: Und trotz der ärztlichen Dokumentation Rea-Nein haben letztes Jahr Pflegekräfte reanimiert, da dies nicht auf der obersten Kurve sondern auf einer älteren, weiter unten abgehefteten Kurve zuletzt vermerkt war.
Eine regelmäßige Erneuerung der Doku auf das neues Blatt wäre das Optimum gewesen. Genauso wie es Aufgabe des Arztes ist, die Diagnosen auf die jeweils aktuelle Kurve zu übertragen und/oder zu aktualisieren, dabei sollte auch dies mit übertragen werden. Und die Pflegekräfte sollten dies bei jeder Übergabe mündlich erwähnen. Aber das ist wieder ein anderes Problem.

Knusperriegel
27.07.2009, 11:21
Der Patient hat es "geschafft", der Threadersteller aber noch nicht und er muß auch noch befürchten, daß sich ein solches Geschehen im Laufe der Berufsausübung wiederholen wird.

Neben den fachlich-organisatotischen Ratschlägen, die hier schon gefallen sind, möchte ich doch eine Einzelsupervision für @Anonym vorschlagen oder ein Einzelgespräch mit dem sicherlich vorhandenen Krankenhaussseelsorger (die sind nämlich nicht nur für Patienten und Angehörige da).

Viele Sachverhalte können mit der eigenen Familie nicht besprochen werden, da hier die Insiderkenntnis fehlt.
Viele Sachverhalte können mit Kollegen und Vorgesetzten nicht besprochen werden, weil hier rechtliche Belange und "Karriere" zu berücksichtigen sind.
Aber es gibt nun einmasl Sachverhalte, die einem anderen Menschen anvertraut bzw. mit diesem besprochen werden müssen - bevor ein solcher Sachverhalt ICD-Maßstäbe bekommt.

RS-USER-emergency doc
27.07.2009, 21:58
Generell kann man auch empfehlen, zukünftig in einer ähnlichen Konstellation die (eigentlich in jedem KH vorhandene) Ethikkommission anzurufen/einzuschalten. Hier kann dann geklärt werden, warum der Patient als "Rea" bzw. "Keine Rea" eingestuft wird. Chefautorität ist ja schön und gut, sollte allerdings im Jahre 2009 nicht als alleiniger Grund für medizinische Fragen herhalten.

AINS
28.07.2009, 02:46
Chefautorität ist ja schön und gut, sollte allerdings im Jahre 2009 nicht als alleiniger Grund für medizinische Fragen herhalten.
Eben. Eines der Ausbildungsziele ist ja schließlich auch, dass meine Ärzte selbständig denken und handeln können. ;)

RS-USER-Katja
02.08.2009, 20:19
Ich bin ja weit ab davon, das US-System in den Himmel zu loben, aber da wurde in unserm KH JEDER Patient befragt, ob er reanimiert werden wolle. Auch der 25jährige zur Appendektomie. Und dann hat man es mal dokumentiert, was der Patient will und nicht was Order Mufti ist...

RS-USER-Küchenhexe
03.08.2009, 00:04
Ich bin ja weit ab davon, das US-System in den Himmel zu loben, aber da wurde in unserm KH JEDER Patient befragt, ob er reanimiert werden wolle. Auch der 25jährige zur Appendektomie. Und dann hat man es mal dokumentiert, was der Patient will und nicht was Order Mufti ist...

Ach, was wäre das schön, wenn man den Patientenwillen hier so respektieren könnte / dürfte / würde! Dann hätte ich ein deutlich besseres Gefühl, was den Wert meiner Patientenverfügung anginge...

Ein oder zwei Mal bin ich einem ähnlichen Dilemma zum Glück knapp entgangen. Danach habe ich mich doch ziemlich intensiv damit befaßt, was ich denn nun getan hätte, wenn ich nicht so ein Glück gehabt hätte.

Besonders krass: meine Mutter hat immer sehr deutlich ausgesprochen, was sie von einer Rea mit möglichen Folgeschäden hielt: Grund für Albträume und absoluter persönlicer Supergau!
Als es dann unerwartet so weit war und sie ihren Wunschtod starb (nur wesentlich zu früh), wurde alles versucht - mein Vater bestand darauf, und die Sanis kannten und mochten sie. Zum Glück hat es nicht geklappt. Wenn ich nicht zufällig weit weg gewesen wäre, wären wir zu zweit gewesen (RS und Doc); und er meint, wir hätten eine Chance gehabt. Nach vermutlich 5 Min. Atemstllstand... :rolleyes:
Hätte ich mich geweigert, Maßnahmen zu ergreifen (was ich wohl nicht fertiggebracht hätte, egoistischerweise!), dann wäre mir das nie verziehen worden. Ich krieg auch so noch ständig zu spüren, daß ich halt dummerweise ( zum Glück!) 200 km weiter am Studieren war...
Meine Mutter als Apallikerin: furchtbare Vorstellung! Sie hat mir schon oft und eindrücklich gesagt, was sie dann von mir erwartet hätte. Aber das wäre ein anderes Dilemma gewesen, über das ich lieber gar nicht nachdenke; es ist ja gottseidank nie so weit gekommen.
Im Endeffekt hätte ich mich wohl an einen Satz gehalten, den sie mir selber Jahre vorher mal gesagt hat: "Wenn Du merkst, daß das keinen Sinn hat, dann denk daran: man kann reanimieren und reanimieren..." Was sich sinngemäß mit einem Ausspruch meines alten LRA deckt: "Wenn bei einem Palliativpatienten im Endstadium trotz bekanntem gegenteiligen Willen die Familie drum herumsteht und verzweifelt erwartet, daß man was tut, dann tut man was. Aber wie intensiv man was tut und wie suffizient man drückt... das muß jeder selber entscheiden."

Knusperriegel
03.08.2009, 08:28
Der Beitrag von @Katja könnte auch zur Folge haben, daß relativ gesunde Personen sich grundsätzliche Gedanken machen und nach Ende der stat. Behandlung einen Organspendeausweis bzw. eine Patientenverfügung haben - einfach, weil sie mit der Nase auf die Thematik gestossen wurden.

RS-USER-emergency doc
03.08.2009, 20:31
"Wenn bei einem Palliativpatienten im Endstadium trotz bekanntem gegenteiligen Willen die Familie drum herumsteht und verzweifelt erwartet, daß man was tut, dann tut man was. Aber wie intensiv man was tut und wie suffizient man drückt... das muß jeder selber entscheiden."


Naja, aber daß sowas eigentlich gar nicht geht, haben wir glaub ich schon mehrfach hier diskutiert...

krumel
04.08.2009, 08:52
Jupp. Ganz oder gar nicht, dazu stehen oder nicht....


@Knusperriegel:
Wobei das Aufkommt das man fragt. In der Klinik (chirurgische Fachklinik) in der ich früher gejobbt habe war es z.B. absolut üblich das bei Aufnahme gefragt wurde und das auch per Unterschrift dokumentiert wurde.
Das sowas eher mäßig rechtssicher ist wie es da gemacht wurde, ist wiederrum ein anderes Thema. :heul:

Knusperriegel
04.08.2009, 10:47
Lobenswert!!!

Bzgl. der Rechtssicherheit wäre für mich persönlich die beste Lösung, wenn jder im Besitz eines Personalausweises im zweijährlichen Abstand verpflichtet würde, eine rechtsverbindliche Erklärung abzugeben und diese Erklärung dann Bestsndteiul des Ausweises ist.

Personen, die von der Ausweispflicht befreit sind (z.B. Menschen mit einem gesetzl. best. Betreuer oder HeimbewohnerInnen), wären hiervon ausgenommen.
Die Wahrscheinlichkeit, daß hier eher Organempfänger als Organspender vertreten sind, ist hoch.