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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Case Report: Kollaps/Bradykardie



krumel
29.07.2009, 11:42
Nachdem ich den Fall im Rahmen der Differentialdiagnosestellung recht interessant fand poste ich ihn hier mal als Case Report.

Notfallmeldung/Taktische Situation:
"Kollaps im Touristenbus" am frühen Vormittag. Ein RTW wird alarmiert.
Die Anfahrt beträgt ca. 2 Minuten. Die Außentemperatur beträgt trotz der frühen Tageszeit bereits über 30 Grad.

Das Team findet in einem Stadtrundfahrtbus einen ca. 70 Jahre alten englischsprachigen Patienten auf einem der Sitzbänke in Begleitung seiner Ehefrau vor.
Laut Ehefrau ist der Mann vor ca. 5 Minuten synkopiert, war ca. 1 Minuten bewusstlos. Hinweise auf einen Krampfanfall bestehen nicht (kein Zungenbiss, kein Einstuhlen, kein Einnäßen). Der Patient hat eine bek. Parkinson-Erkranung sowie eine Spinalkanalstenose. Ersteres ist mit einem unbekannten Medikament therapiert, letzteres bei Bedarf mit Diclofenac therapiert, der Patient war vor dem Flug nach Deutschland in einem medizinischen Versorgungszentrum, der Checkup verlief ohne Befund.
Heute habe er jedoch seine Medikamente nicht eingenommen.
Der Patient habe heute nur ein kleines Glas Orangensaft getrunken.
Einige Minuten vor dem Kollaps habe der Patient einen Schmerz im Halsbereich verspührt.

Der Patient wirkt blass, präkollaptisch und deutlich zentralisiert.
Vitalparameter jedoch: RR 60/n.M. mmHg, HF peripher von 45 BPM, SpO2 peripher nicht gesichert messbar.

Der Patient wird flach gelagert, ein EKG angelegt.
Im 3 Kanal EKG zeigt sich eine Vorhofflimmern mit unregelmäßiger Überleitung und ca. 20 polytopen VES. Laut Ehefrau sei vor Abreise nach Deutschland (sprich vorgestern) ein kompletter kardiologischer Check durchgeführt worden, das EKG sei hier normal gewesen, der Patient habe wegen des langen Fluges ASS erhalten.
Zeitgleich wird ein NA nachgefordert, ebenso eine Viggo gelegt (20G). (Nachtrag: BZ 162 mg/dl aus der Nadel)
Mittlerweile ist der Patient deutlich verschlechtert, der Druck ist nicht mehr messbar, die Frequenz liegt zentral bei ca. 30 BPM.
Der Patient erhält jetzt 0,5mg Atropin i.V., hieraufhin bessert sich der Zustand schlagartig, der Patient steigt mit der Frequenz auf 80 BPM, der Blutdruck auf 110/60, der Rhythmus springt auf einen regulären Sinusrhythmus zurück, die VES verschwinden vollständig.
Bis zum Eintreffen des Notarztes wird eine weitere Anamnese durchgeführt. Der Halsschmerz ist weiterhin nicht wirklich begründbar, weitere Hinweise auf eine KHK findet man nicht, ebenso keine Hinweise auf eine Anaphylaxie, Dissektion oder ein sonstiges pathologisches Geschehen, der Patient ist jetzt komplett symptomfrei.

Man lässt sich ein drittes Mal den genauen Hergang des Geschehens erklären. Jetzt erst erzählt die Ehefrau, dass sie dem Mann ein Spray gegen Halsschmerzen gegeben habe als er den Schmerz im Hals verspührt habe.
Es handelt sich jedoch um ein pflanzliches Präparat auf Salbeibasis. Jetzt schaltet sich eine Sitznachbarin des Paares ein und teilt mit, dass das Spray aber gelb und nicht grün gewesen sei. Jetzt stellt sich heraus, dass die Ehefrau dem Patienten versehentlich 5 Hub Nitrolingual verabreicht hat.
Dem Notarzt kann der Patient symptomfrei, gehfähig mit den oben genannten Parametern übergeben werden.
Der NAW transportiert den Patienten in die internistische Nothilfe eines maximalversorgendes Krankenhauses transportiert, dass vorher durchgeführte 12K EKG bleibt ohne Befund.

Die Nachfrage in der Nothilfe ergibt, dass bis auf eine milde Exsikose kein weiterer pathologischer Befund gefunden werden konnte, die Chest-Pain Abklärung blieb ohne Befund, der Patient wurde nach 12h Überwachung entlassen.

RS-USER-Defi Brillator
29.07.2009, 20:27
Hab ich vor Jahren mal so ähnlich erlebt:
Bei der Rückfahrt von einer Fernverlegung standen mein Kollege und ich auf nem Autobahnparkplatz zwecks Kreatinin/Harnstoff-Entsorgung und Inhalation exogener Noxen als ein Reisebus hupend auf uns zu fuhr und der Fahrer uns bedeutete, einzusteigen.
Drinnen inmitten einer Horde "Silberrücken" ein ebenfalls silberner Herr präkollaptisch auf seinem Sitz kaltschwitzend und recht blaß um die Nase.
Lösung war: Der arme Mann litt primär nur an handelsüblicher "Reisekrankheit", sekundär aber an einer ordentlichen Dosis Nitro-Kapseln, die seine Frau ihm einverholfen hatte, weil "mein Mann soll die immer nehmen, wenn es ihm schlecht geht!" :rolleyes:

Beachbaer82
30.07.2009, 11:43
Ist das bei euch im Rahmen der Not-/Regelkompetenz freigegeben, einem bradycarden Patienten 0,5mg Atropin zu verabreichen?

Zumindest lässt es sich so lesen, dass es zwischen NA-Alarm und dessen Eintreffen verarbreicht wurde...

krumel
30.07.2009, 14:01
Ist in Rahmen unseres wischiwaschi "des ham ma scho immer so gemacht" System freigegeben, ja.

Knusperriegel
30.07.2009, 14:02
Auch wenn ja jetzt schon alles klar ist:
ich habe die BZ-Messung vermißt.

Differentialdiagnostisch gehört die m.M. nach immer dazu; zumal nach der Angabe des sehr mageren Frühstücks.

krumel
30.07.2009, 14:04
BZ Messung war natürlich da, gehört zum Standardprozess des Nadel-Legens, daher vergessen ihn aufzuführen.

Trage es oben noch nach.

RS-USER-Küchenhexe
30.07.2009, 23:25
Schöner Fallbericht!

Mir ist nur eins nicht ganz klar... auf welchem physiologischem / biochemischen Weg kam es durch die Nitrogabe zu der doch recht ausgeprägten Bradykardie? Ich hätte jetzt quasi instinktiv doch eher eine erhöhte Frequenz erwartet...

RS-USER-emergency doc
01.08.2009, 22:16
Schönes Beispiel... Es erstaunt mich auch immer wieder, wieviele Leute Nitro zu Hause haben, mit der hausärztlichen Anordnung, es immer zu nehmen, wenn es einem "...nicht gut geht...".

Knusperriegel
02.08.2009, 18:08
Schönes Beispiel... Es erstaunt mich auch immer wieder, wieviele Leute Nitro zu Hause haben, mit der hausärztlichen Anordnung, es immer zu nehmen, wenn es einem "...nicht gut geht...".

Die Steigerung sind die AP-Patienten, die das Spray an anderen mit anderen Symptomen/Erkrankungen anwenden, "weil es mir auch immer geholfen hat".

RS-USER-Shalimah
02.08.2009, 19:34
Klasse sind auch die Patienten, die einem dann nicht alle Medikamente nennen, die sie einnehmen.
Hatten vor ein paar Jahren einen Patienten mit akutem Koronarsyndrom im NAW. Medikamentenanamnese nach eigenen Angaben leer. Hat ASS, Liquemin, Morphin i.v. und Nitro s.l. von mir erhalten. Als ich ihn auf der Intensivstation am nächsten Tag extubierte, war einer seiner ersten Sätze: Ach Frau Doktor, ich darf übrigens keine Nitropräparate bekommen. Ich nehme regelmäßig Viagra :eek:
Der Pat wurde üpbrigens auch bradykard und hypoton nach Nitrogabe.

krumel
02.08.2009, 21:54
Nein, mein Held ist der Patient denn ich vor 2 Jahren hatte....
Hat 3 Tage vor seinem 65ten Geburtstag mit den Worten "Da kann ich ja nicht richtig feiern" ALLE Medikamente absetzte.
Am Tag später hatte er abends dann massive ACS Zeichen, rief aber natürlich NICHT den RD.
Der wurde erst von der Lebensgefährtin am nächsten Tag mittags gerufen.
Als wir kamen dann ein soporöser Patient mit einem peripher nicht mehr messbaren Druck, einem Zucker von über 999mg/dl (=> high=> unsere Geräte gehen bis 999mg/dl, später laborchemisch bei ca. 1100mg/dl ), einem Rhythmus der das Wort "absolute Arrhythmie" mal wirklich verdient hatte, gleichzeitig aber die größten Infarktzeichen die ich jemals gesehen hab...
Der Patient ist dann auch prompt beim Umlagern auf die NAW Trage reapflichtig geworden und nach Transport unter Rea (fragt nicht) im Schockraum ist er dann verstorben.

RS-USER-fruehgriller
05.08.2009, 15:37
Mit der Fremdgabe von Nitro bei Thoraxschmerzen hatten wir auch schon unsere Stilblüten zu erleben.

Auf Platz 1 ein ca 25 j. männlicher Pat von großer Statur, der beim aussteigen aus dem Linienbus stoöperte, und sich die Rippen prellte.
Während er noch dalag, gab ihm das sprichwörtliche liebe Ömchen 3-7 Hub Nitro weil "Mein HA sagte, wenn ich Brustschmerzen hab, dann hilft das!!"

Ich hab schon ewig niemand mehr soo Schockig und Naß gesehen!!!!

Zuganglegen nur unter Schocklage und mit kleiner Nadel am Anfang möglich.

noch ein Grund, warum manche Ömchen Waffenscheinpflichtigsein sollten.:rolleyes: