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RS-USER-emergency doc
25.11.2009, 20:32
Morgens um 6:00 werdet ihr (RTW/NEF) zu "Zucker" alarmiert. Der RTW ist ca. 5 Minuten vor dem NEF da. Im Bett liegt ein ca. 40jähriger Mann, kaltschweißig, blaß, nicht richtig ansprechbar, wehrig und verwirrt. Die Mutter sagt, er sei zuckerkrank, und würde öfter mal zu niedrigen Blutzucker haben.

AAE
25.11.2009, 20:47
So dan "spiele" ich also mein erstes mal im Fall-Bsp
Mich würden RR, Puls, Sättigung, Atmung(irgend welche auffälligkeiten?), Medikamente, Vorerkrankungen interesieren.

AAE
25.11.2009, 20:52
Was meinst du mit "wehrig"
ist mir nicht geläufig

Knusperriegel
25.11.2009, 20:57
So wichtig die von AAE erfragten Parameter auch sein mögen:
die Blutzuckerbestimmung kann paralell zu RR/Puls erhoben werden, gehört ohnehin zum Standardnotfallprogramm und ist angesichts der Aussage der Mutter des Patienten wohl als zuverlässig einzustufen.

red_cap
25.11.2009, 20:58
Hallo!
Selbstverständlich wird alles mitgenommen, d.h. entsprechende Koffer/Rucksäcke (inkl. O2) für Erwachsene, Defi/Monitor, Absaugung.

Der Ersteindruck ist ja bereits geschildert. Irgendetwas was sofort auffällt, Stichwort: Türschwellen-Anamnese? Puls kräftig und regelmässig?
Erfordert der Bewusstseinszustand eine stabile Seitenlage?
Ansonsten erst einmal ABCDE:

Sind die Atemwege frei?
Wie ist die Atemfrequenz (assistierte Beatmung notwendig)? Wie sieht die Belüftung der Lunge aus (auskultieren)? Einflussstörungen? Etc.
Für C schon mal das Pulsoxi dran. Diaphoretisch? Rekapillarisierungszeit?
Bei D: Aufgrund des Verdachts auf eine Entgleisung des BZ kann der eine Kollege schon einmal nen Zugang legen bzw. vorbereiten während der andere bereits den BZ kapillar misst, damit es schneller geht.
Für E warte ich erst einmal auf D.

red_cap
25.11.2009, 21:06
Anschließend dann das restliche Monitoring an den Patienten dran.
Angefangen mit RR, dann EKG.
Sauerstoff gibt's in jedem Fall, erst einmal über die Nasenbrille bei 2-4 l/min.

Zur Anamnese/Fremdanamnese: Ich mag das SAMPLE-Schema.
In diesem Fall würde mich besonders interessieren seit wann der Patient in diesem Zustand ist, welcher Diabetikertyp, letzte Nahrungsaufnahme bzw. ggf. Insulingabe und sonstige Vorerkrankung und Medikationen?
Ist er ein eifriger Diabetiker, sprich, ist er sehr strikt im Umgang mit seiner Krankheit?
Ist sonst was vorgefallen?

Aber vielleicht ist es ja auch was anderes. Wenn wir mal irgendwann mit dem ganzen Programm fertig sind, bin ich auch an der Pupillenreaktion interessiert.

RS-USER-emergency doc
25.11.2009, 21:38
Also, der Patient st wehrig, mit anderen Worten, er wehrt sich mit Wegziehen, aber auch mit ungezielten Tritten, Schlägen etc. gegen Annäherung. Daher sind RR-Messung, Pulsoxymetrie und Sauerstoffgabe nicht möglich. Der BZ aus der Fingerkuppe wird erkämpft, und zeigt: 192mg/dl
Der Patient sieht kreislaufstabil aus (so wie er sich bewegt), laut Mutter hat er gestern abend normal zu abend gegessen, er spritzt Insulin.
Die Wohnung sieht insgesamt sehr ärmlich, dreckig und ungepflegt aus, Hinweise für C2-Abusus finden sich jedoch nicht, die Mutter bestreitet auch regelmässigen C2- oder Drogenkonsum.
Der Notarzt omt.

red_cap
25.11.2009, 22:22
Mmmh.
Der Patient sagt :-p

Aggressivität bei BZ-Entgleisung: Generell ja, aber nicht bei dem Wert.

Besteht eine Gefährdung für die Umstehenden? Falls ja, dann hätte ich gerne eine Runde "Toto & Harry". Hebt die Stimmung. :jump:

Kann die Mutter irgendetwas Weiteres beitragen, z.B. ein mögliches Trauma (nicht das psychologische) oder irgendeine (jetzt aber) psychologische Erkrankung bzw. ein mehr oder weniger kürzlich einschneidendes Erlebnis für den lieben Patienten?
Nochmal: Sonst irgendwelche Vorerkrakungen bzw. Medis bekannt?

Kann man herausfinden worauf der Patient eigentlich aggressiv/wehrig reagiert? Ist es nur unsere Anwesendheit und die Annäherungsversuche?

Im Augenblick richte ich mein Interesse in Richtung eines neurologischen oder psychischen Problems.
Der Notarzt sollte ggf. eine Sedierung in Erwägung ziehen (i.m. oder nasal).

Rettungshasi
25.11.2009, 22:43
So stark kann der Patient doch nicht sein. Zur Not stürzen wir uns - wenn der Doc denn mal kommt - zu viert auf den armen Kerl und halten den Arm fest für einen Zugang, der sehr, sehr gut gesichert wird. Wenn er dann eh schon still liegt, könnten wir auch noch kurz das Pulsoxymeter dran machen, damit wir mal irgendwelche Werte haben, mit denen wir arbeiten können.

Außerdem bitte auch ich die Mutter höflich darum, unsere Fragen gefälligst zu beantworten ; )

RS-USER-Brummel
26.11.2009, 07:15
Sprizt er das Insulin regelmäßig und korrekt? Konnte ich die BZ Messung ordentlich durchführen oder ist da vielleicht noch irgendwo restzucker mit dazu gekommen?

Das mit der Persönlichen Fixation ist gut, aber passt auf wo seine Hände sind, die packen manchmal böse zu (eigene schmerzhafte Erfahrung - war dem Patient danach richtig peinlich ;-) )

Ansonsten würde ich auch versuchen Trauma jeder Art auszuschließen Physisch und psychisch. Ausserdem kann ich ja mal versuchen während die Mutter mit Fragen Bombadiert wird den hobby Psychologen zu spielen und mich einfach mal verständnisvoll Verbal dem Patienten annähern. Vielleicht kommt da ja was bei raus? So im persönlichen Gespräch?

RS-USER-Häuptling weiße Wolke
26.11.2009, 08:30
Also, ich fasse mal für mich kurz zusammen:

Pat. ist bedingt ansprechbar, also vermutlich verwirrt und somnolent? Aber er ist nicht blau, schnauft und so was wie einen Puls kann ich irgendwo tasten?

Wenn Du alle diese Fragen mit ja beantworten kannst, ist er zumindest erstmal ausreichend atem- und kreislaufstabil, dann bin ich schon mal glücklich! :grins:

Also, die Aussagen der Mutter zum Drogenkonsum drücke ich erstmal in den Skat. Würde meiner Mutter auch nicht alles erzählen! Vielleicht kann sich einer der Kollegen mal kurz umschauen, ob er Tabletten, merkwürdiges Pulver, Spritzen o.ä. findet. hat der Pat. irgendwo Einstichstellen? Ansonsten kurz die Mutter fragen nach anderen Noxen wie z.B. Chemikalien mit denen der Pat. heute gearbeitet hat, oder einer Pilzmahlzeit etc. Sollten wir irgendetwas entsprechendes finden, wird es natürlich gesichert und mitgenommen, sollte nicht der Verdacht auf eine Straftat dagegen sprechen!

Somit bleibt eine unklare Bewusstseinstörung und ein darunter dezent fremdaggressiver Patient. Also wäre meine erste Verdachtsdiagnose unklare Intox DD ICB DD cerebrale Ischämie DD Psychokokke. Psychokokke kann ich beim verwirrten Pat. nicht sicher klären, mein mobiles CCT hab ich leider vergessen und das Drogenscreening läuft auch in der Klinik. Also würde ich versuchen, relativ rasch eine ausreichende Stabilität und Ruhe für den Transport zu schaffen. Dafür brauche ich einen Zugang und würde dann eine Prise Midazolam reichen. :grins:

Also stellt sich die Frage: Bekomme ich einen Zugang rein, oder brauche ich dafür zusätzliche Kräfte? Ggf. würde ich das Midazolam auch erstmal i.m. oder über irgendwelche Schleimhäute geben, wenn er denn sehr unruhig ist.

Wenn dann ausreichend Ruhe geschaffen wurde, hätte ich dann doch ganz gerne Vitalparameter. Ach ja, das Midazolam titriere ich solange in den Pat. hinein, bis er ruhig ist und (hoffentlich) noch schnauft (aber wofür gibt es schließlich Anexate :grins:)

So, wenn mein Plan aufgeht, habe ich einen schön ruhigen Patienten mit stabilen Vitalparametern, den ich nur noch auf die Trage schmeissen muss und ab in die Klinik. Aber ich vermute mal, dass irgendwo noch ein kleiner Stolperstein wartet. :D

RS-USER-RichieKay
26.11.2009, 10:23
Wenn wir mal irgendwann mit dem ganzen Programm fertig sind, bin ich auch an der Pupillenreaktion interessiert.

Isokor?

Ich bin für eine weitere BZ-Messung, um eine womöglich fehlerhafte Messung auszuschließen.

Ist ein Meningismus vorhanden? Temperatur? Wie sehen die Mundschleimhäute aus?

Was sagt das EKG?



-> Transport unter Sedierung, O2-Gabe und Monitoring zur nächsten Neurologie/ITS...jedenfalls mit der Möglichkeit eines CCT.


PS: vll kann man auch eine Kohlenstoffmonoxid-Intoxikation vermuten - das vergesse ich sooo häufig bei Fallbeispielen.

Zu viel CO2 macht schläfrig und zu wenig o2 unkooperativ - so war es doch, richtig?

*ER*
26.11.2009, 20:04
Emergency Doc-Fälle sind meist besonders perfide - ich tippe mal, der Patient hat jahrelang Lantus gespritzt und hat jetzt ein Glioblastom :D

red_cap
26.11.2009, 20:24
Gemein.
Würde aber die Symptomatik erklären können.
:grins:

Schwester Rabiata
27.11.2009, 04:20
OT
zu Lantus und Krebsrisiko
http://www.cme.journalonko.de/newsview.php?id=3446

RS-USER-emergency doc
27.11.2009, 09:17
:grins:
Ihr nehmt mal wieder das Schlimmste an von mir...

Also, der Keks geht an Super-Richie...

Vier Mann stürzen sich auf den Patienten, und es wird nach langem Suchen eine Viggo in der Saphena versenkt. Nach einer Ampulle Midazolam ist der Patient zwar ruhiger, aber immer noch nicht ansprechbar. Ein kleiner Rundumblick zeigt mir jetzt einige zerbröselte Dextroenergen-Riegel rechts neben dem Patienten. Meine Frage:"Wo habt ihr den BZ gemesen?" wird mit "Rechter Zeigefinger" beantwortet. Und eine Kontrollmessung aus dem linken Ohrläppchen bringt dann den BZ von 16mg/dl, der dann erfolgreich mit intravenöser Glucosegabe behandelt wird. GCS 15, Patient friedlich, kooperativ und dankbar.

Fazit? Wenn man nicht weiterkommt, ruhig mal wieder an den Anfang zurückgehen, und schon erfolgte Diagnostik ruhig überprüfen...
:jump:

RS-USER-Brummel
27.11.2009, 09:29
Konnte ich die BZ Messung ordentlich durchführen oder ist da vielleicht noch irgendwo restzucker mit dazu gekommen?

Haha! Dachte ich mir doch, dass da das Problem liegen könnte. Wenn der so zappelt wäre ich auch froh wenn ich irgendwie Blut bekomme.

So wie letztes Jahr auf dem NAW, Pat mit ähnlich niedrigem Zucker, der musste auch erstmal mit mir, RA und Sohn fixiert werden. Die Ehefrau war total entsetzt, aber nicht über uns sondern über die Kräfte die ihr Mann entwickelte. Die Notärztin durfte dann selbst den BZ Messen und den Zugang fertig machen, loslassen ging einfach nicht.
Zum Glück war das der letzte Einsatz der Nachtschicht, bin dann erstmal duschen Gegangen, weil die Anfänglichen bemühungen nur den Arm ruhig zu bekommen etwas anstrengend waren.

Danke für das schöne Beispiel!

RS-USER-skyrock
28.11.2009, 12:08
Generell sollte jeder Patient mit Hypoglykämie-Symptomen etwas Glukose bekommen, auch wenn das BZ-Gerät etwas anderes sagt.

Ich hatte neulich eine Patientin, die mit einem BZ von 120mg/dl (verifiziert inkl. Labor) deutliche Hypo-Symptome hatte (unruhig, schwitzend, nestelnd). Nach etwas G20 gings ihr mit einem BZ von 180 wieder blendend :) HbA1c war 16, sie war wohl an etwas höhere BZ-Werte gewöhnt....

Rettungshasi
28.11.2009, 12:54
Das würde ich nicht so unkritisch sehen und jedem mit vergleichbarer Symptomatik "mal auf Verdacht" ein bisschen Glucose substituieren.
Liegt ein cerebrales Geschehen vor, was ich bekanntermaßen präklinisch nicht einwandfrei ausschließen kann und was sich ähnlich darstellen kann, könnte ich das Outcome dadurch negativ beeinflussen.
Das mag bei einigen Patienten durchaus helfen - da will ich dir gar nicht widersprechen - aber für mich überwiegen da die Risiken den Nutzen.

Pr0st
28.11.2009, 13:20
Liegt ein cerebrales Geschehen vor, was ich bekanntermaßen präklinisch nicht einwandfrei ausschließen kann und was sich ähnlich darstellen kann, könnte ich das Outcome dadurch negativ beeinflussen.

... das da wäre? Bei einem kurzzeitigen Anstieg auf Werte wie 180 mg/dl, die ich nach einem saftigen Frühstück eher als hochnormal denn als pathologisch beschreiben würde, entgeht mir da irgendwie die Problematik....




Edit:

http://www.springerlink.com/content/flw5300kvpp0j6mx/

http://www.diss.fu-berlin.de/diss/receive/FUDISS_thesis_000000010893;jsessionid=CAC305057134 F3F308BF2CB136F2C107

So, ein kleines Internetstorming erbrachte oberes.... ich gehe mal dreist davon aus, die Herrschaften von hyperosmolaren Hyperglykämien ausgehen bzw. diese als wirklich gefährlich zu verbuchen sind.... (man schiebt ja den Zugang auch nicht in die carotis interna)