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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Streitfall "akute Erkrankung"



Praia-do-Forte
27.12.2011, 13:13
Hallo an alle Mitleser,
ich bin hier in einen Streitfall mit einer Versicherung hineingeraten (bin nicht der Patient!), bei dem es um die Fragestellung geht ab wann man von einer akuten unvorhersehbaren Erkrankung sprechen kann.
Würde gerne mal eure Meinung hören.
Es geht um jemanden der als ausländischer Student eine Incoming-Versicherung hat. Diese Versicherung bezahlt:
"die Kosten für notwendige ärztliche Hilfe bei Krankheiten und Unfallverletzungen, die im vereinbarten Geltungsbereich während des versicherten Zeitraumes akut eintreten".
Der Versicherte ist hier schwer erkrankt, wusste von seiner chronischen vorbestehenden Erkrankung nichts, wird jetzt seit ein paar Wochen (intensiv-)stationär behandelt und die Versicherung will NICHTS bezahlen. Er hatte schon länger mit -sagen wir zusammengefasst- B-Symptomatiken zu tun, hat sich aber vor dieser akuten Verschlechterung nie untersuchen lassen.

Wenn jemand z.B. einreist mit immer wiederkehrenden Kopfschmerzen, hier dann erstmals eine Lähmung entwickelt und es stellt sich ein Hirn-TU heraus, ist das dann keine akute Erkrankung mehr?

Wenn jemand mit bekanntem Asthma einreist und hier eine Exazerbation erleidet, ist das dann eine akute Erkrankung ? (so schon mal gesehen, ist damals erstattet worden!)

Wenn jemand einreist mit einer Hautveränderung und es stellt sich später heraus es ist eine Leishmaniose, ist das auch keine akute Erkrankung?

Feuerblick
27.12.2011, 16:15
Genau das Problem hat einer meiner Patienten mit seiner Reiserücktrittsversicherung, die nicht einsehen will, dass ein Glaukom nicht per se einen von einer Reise abhält, ein akut eine Woche vorher exazerbiertes und nicht medikamentös behandelbares jedoch schon. Die Nummer geht jetzt vor Gericht.
Nach meinem Rechtsempfinden ist das von dir geschilderte aber sehr wohl eine akute Erkrankung, die ja auch akut sogar intensivmedizinisch behandelt werden musste. Man kann nicht von Laien erwarten, dass sie anhand unspezifischer Symptome erkennen, dass eine schwerwiegende Erkrankung vorliegt und zum Arzt rennen... Keine Ahnung, ob es da Grundsatzurteile gibt...

Ex-PJ
27.12.2011, 17:09
Hallo:
"Wenn jemand mit bekanntem Asthma einreist und hier eine Exazerbation erleidet, ist das dann eine akute Erkrankung ?"
--> formal gilt so etwas eher als Exazerbation bzw. Verschlechterung einer vorbestehenden (chronischen) Erkrankung.
Wobei hier dann oft der Streit resultiert, ob die Verschlechterung bzw. Exazerbation ggf. vorauszusehen war.

Rico
27.12.2011, 21:04
Da muss man trennen:

1. Erstdiagnose einer akuten Erkrankung.
2. Erstdiagnose einer akuten Erkrankung, die durch eine bestehende chronische Erkrankung begünstigt wird.
3. Erstdiagnose einer chronischen Erkrankung ggf. mit akuter Syptomatik ohne vorherige Symptome.
4. Erstdiagnose einer chronischen Erkrankung mit zuvor bereits bestehenden, aber nicht entsprechend gedeuteten Symptomen.
5. Akute Exacerbation einer bekannten Erkrankung.

Im ersten Fall (z.B. akute Appendizitis) greift die Versicherung.
Im 2. Fall (z.B. Pneumonie bei struktureller Lungenerkrankung) wird die Versicherung nur dann zahlen, wenn man die Grunderkrankung angegeben hat. Denn die Versicherung wird da einen Zusammenhang herstellen à la: "Ohne die COPD hätte der bestimmt keine Pneumonie gekriegt und hätten wir von der COPD gewusst, dann hätten wir eine risikoadaptierte (i.e. höhere) Prämie verlangt oder gleich garnicht versichert.
Im dritten Fall (z.B. Erstmanifestation arterieller Hypertonus mit hypertensiver Entgleisung und Epistaxis) sollte die Versicherung einspringen, da ein evt. vorbestehender Hypertonus dem Versicherungsnehmer ja unbekannt war. Pech für die Versicherung, die wird aber sicherlich mal alte Unterlagen vom Hausarzt anfordern und Wehe da war einmal ein höherer Wert dabei.
Im vierten Fall (z.B. Hirntumor bei vorbestehendem Kopfschmerz) kommt es wieder drauf an, was der Versicherungsnehmer angegeben hat. War er deshalb schon in ärztlicher Behandlung (auch wenn ohne oder mit harmloser Diagnose) und hat das nicht angegeben, dann wird die Versicherung sich querstellen, wenn man es angegeben hat wird sie Zahlen müssen.
Im letzten Fall hängt es auch daran, was man angegeben hat. Hat man die bekannte chronische Erkrankung verschwiegen dann kann man's vergessen, hat man es angegeben und die Versicherung hat einen trotzdem versichert, dann ist es deren Pech - was aber jeweils nicht heißt, dass sie trotzdem nicht noch Wege suchen werden, trotzdem nix zu zahlen.

Praia-do-Forte
28.12.2011, 06:10
Danke für eure Antworten!
Und wenn nun, Rico, bei der Antragsstellung schlicht und einfach keine Vordiagnosen/ Symptome abgefragt werden?
Schau Dir z.B. mal ein ADAC-Antragsformular an für Incomings.

Letztendlich schließen wir hier alle nun mittlerweile daraus dass man keine Reisen unternehmen sollte wenn man jemals IRGENDWELCHE Symptome oder Auffälligkeiten hatte, da man sonst auf immens hohen Kosten sitzen bleibt. Wozu gibt es da eine Versicherung?

Die Asthma-Exacerbation hätte meiner Meinung nach damals die Versicherung nicht übernehmen unbedingt müssen, da bekannt und auch schon sporadisch vorbehandelt.....

Aber es ist natürlich klar, dieses Mal geht es um erheblich mehr Kohle, da muss die Versicherung ja gleich mal prophylaktisch nein sagen.

FirebirdUSA
29.12.2011, 16:28
Es kommt auf den genauen Vertragstext der Versicherung an.

Sind vorher bekannte Erkrankungen ausgeschlossen oder alle zum Antritt der Reise bestehenden Erkrankungen von dennen der Patient evtl. auch nicht weiß.

Normalerweise kenne ich es eigentlich auch so, dass nur nicht zum Zeitpunkte des Reiseantritts bekannte, akute Erkrankungen bezahlt werden. In diesem Fall besteht also eigentlich eine Leistungspflicht. Jedoch wird bei teuren Erkrankungen (und so hört es sich an) gerne erstmal verweigert. Der Klageweg ist lang und viele geben auf, bzw. können es sich irgendwann nicht mehr leisten.

stennadolny
29.12.2011, 17:08
Das sind letztlich wohl gutachterliche Fragen (Rechtsstreit), hiezu bitte in (fach)einschlägigen Werken zur versicherungsmedizinischen Begutachtung nachlesen bzw. eine Literaturrecherche in einschlägigen Zeitschriften vornehmen.

Praia-do-Forte
30.12.2011, 09:53
Das sind letztlich wohl gutachterliche Fragen (Rechtsstreit), hiezu bitte in (fach)einschlägigen Werken zur versicherungsmedizinischen Begutachtung nachlesen bzw. eine Literaturrecherche in einschlägigen Zeitschriften vornehmen.

Das ist mir wohl klar dass man um professionelle Hilfe ggf. nicht herumkommt. Wollte nur eine erste Einschätzung unter Kollegen um auszuschließen dass sich bei mir ein Denkfehler eingeschlichen hat.

Ich habe mittlerweile nach älteren Urteilen gesucht und z.B. einen Fall gefunden in dem jemand eingereist ist, bei dem eine Herzerkrankung bekannt war, der aber im Heimatland nicht behandelt wurde. Der Pat. musste hier in D stationär wegen einer Insuffizienz behandelt werden und konnte sogar unter diesen Vorraussetzungen die Zahlung der Versicherung einklagen.
Im Text stand "Auch bei Kenntnis einer Vorerkrankung besteht für die Behandlung akuter Beschwerden Versicherungsschutz, sofern das Auftreten dieser Beschwerden nicht voraussehbar war."
Und in "meinem" Fall war die Erkrankung nicht mal bekannt.

FirebirdUSA, ich fürchte Deine letzte Vermutung wird wohl so stimmen. Teure Erkrankung = erst einmal verweigern.

Aber abgesehen von dem was ich anfangs zitierte steht nichts wegweisendes zu dem Thema im Vertrag.

WackenDoc
03.01.2012, 00:38
Mal ne blöde Frage: Um was für eine Versicherung handelt es sich dabei und wie lange war der geplante Aufenthalt?
Je nach Zusammenhang kann ja akute Erkrankung auch bedeuten, dass es sich um eine Erkrankung handelt, die zeitnah behandelt werden muss.

Fällt mir nur gerade ein, weil wir z.B. öfter ausländische Soldaten haben, die bei uns Ausbildungen machen. Da übernehmen wir die Kosten für Behandlungen, die eben in diesem Zeitraum durchgeführt werden müssen, damit es nicht zu einem gesundheitlichen Schaden kommt.
Was warten kann, wird dann bis zur Rückkehr in´s Heimatland verschoben.
Also wenn jemand 3 Wochen später nach Hause fliegt, machen wir nicht wirklich die große Hypertonieabklärung, würden aber die Behandlung einer Entgleisung übernehmen, auch wenn die Hypertonie vorbekannt ist.
Bei seit längerem bestehenden Kopfschmerzen wäre die Überlegung, wann die geplante Rückkehr ist und wie lange die Beschwerden schon bestehen. Evtl. würde noch die Diagnostik gemacht, eine aufwändige Therapie nur in Ausnahmefällen.

Praia-do-Forte
03.01.2012, 07:20
Das ganze ist eine Krankenversicherung für ausländische Studenten. Die Versicherungsdauer ist bis mindestens Mitte dieses Jahres.
Ich verstehe was Du meinst, wenn es um eine "einfache" Abklärung von Symptomen geht, die ggf. bei zeitnaher Rückreise auch dort abgeklärt werden können.
In diesem "meinen" Fall ist die Rückreise in weiter Ferne (war sie auch schon vor Erkrankung), und der Patient ist so kurzfristig und schwer erkrankt dass eine Rückreise wohl nur mit Intensiv-Transport möglich gewesen wäre....

Logo
03.01.2012, 12:03
"Gefühlt" muss die Versicherung zahlen, das Für und Wider wurde ja von den Anderen hier schon weiter erläutert...

Weitere Gedanken dazu:
Fall richtig aufblasen: Uni und ggf. Heimuni mit ins Boot holen (akademische Auslandsangelegenheiten, FS, ASTA, Presse [die lieben sowas] whatever), es geht indirekt hier um die Reputation der Alma mater hinsichtlich Auslandsaufenthalten etc. die ne "pifflige" Versicherung meint unterminieren zu müssen. Direkt oder darüber mal mit der Rechtsmedizin Kontakt aufnehmen. Oft haben die auch Medizinrechtler an Bord. In Kiel -bspw.- ist der Chef Jurist und Mediziner. Wenn man via FS, ASTA nett auf so jemanden zu kommt, schreiben die auch mal ne Expertise/Statement. Mit sowas lassen sich Vericherungshansel durchaus mal beeindrucken...

WackenDoc
03.01.2012, 16:48
Ah ok, ich glaub, dann hab ich das verstanden: Also es geht drum, dass die ausländischen Studenten während des Aufenthaltes in Deutschland krankenversichert sind. Und das über einen speziellen Anbieter.
Ich kann mir vorstellen, dass es eben darum geht, dass sich die Studenten nicht in Deutschland komplett gesundheitlich durchchecken und sanieren, sondern eine Behandlung in akuten Fällen abgedeckt ist. (Lass mich raten, es handelt sich um Studenten aus Ländern mit einem nicht so hohen medizinischen Standard wie bei uns?)

In wie weit Vorerkrankungen relevant sind, müsste ja in den Vertragsunterlagen nachzulesen sein.

Ansonsten sehe ich das auch so wie Logo- gefühlt müssen die zalhen. Die Behandlung ist ja offenbar kurzfristig und akut notwendig geworden.
Reputation finde ich auch ein gutes Stichwort (deswegen sind wir bei den von mir beschriebenen Gästen ja auch recht kulant)

Zu den anderen beiden von dir beschriebenen Fällen:
- auch die plötzlich aufgetretene Lähmung, die sich als Hirntumor entpuppt wäre für mich nen Versicherungsfall (es sei denn, Fragen nach Beschwerden wären unwahr beantwortet worden)- was anderes evtl. eine Abklärung der Kopfschmerzen, die sich dann als Tumor entpuppen, der aber nicht dringlich operativ behandelt werden muss.
- Bei der Frage der Leishmaniose fehlt mir das Fachwissen- aber die Behandlung ist sicher nicht so dringlich, wie bei den anderen von dir beschriebenen Fällen. Hier wäre ja auch Zeit für eine Anfrage bei der Versicherung und bei negativem Bescheid eine Rückkehr in´s Heimatland und Behandlung dort. Ggf. sogar in den Semesterferien.

Ex-PJ
07.01.2012, 12:00
Zur bisherigen Diskussion mal zusätzlich anmeerke, daß es ja auch nicht ganz unerheblich ist, wo das Versicherungsunternehmen seinen Sitz hat bzw. der Gerichtsstand ist (z.B. Rio, New York usw.). Denn nicht nur andere Länder = andere Sitten, auch = andere Versicherungs- bzw. Rechtsbedingungen!

Praia-do-Forte
18.12.2012, 12:59
Hallo nochmal,
mir fiel heut mein alter Thread ein und ich hab gesehen dass ich keine Rückmeldung mehr gegeben habe,
das lass ich nicht gern stehen.
Also nach einigem Hin und Her, das ich jedoch im Detail nicht mitbekommen habe, hat die Versicherung dann bezahlt.
Der Bekannte war aufgrund der Komplexität der Erkrankung in eine Uniklinik verlegt worden und dort hat man sich sehr für ihn eingesetzt (ärztlicher- und verwaltungsseits) sodass man letztendlich gar nicht in Richtung Gericht ziehen musste.
(Es war ihm damals von der Versicherung zeitweilen unterstellt worden extra für die Behandlung eingereist zu sein, was sich jedoch nach einigen Telefonaten ins Heimatland als falsche Verdächtigung herausstellte)

Somit ist der finanzielle Teil dann gut ausgegangen.

Schwer krank ist er weiterhin.... (daher war das Thema heut wieder aktuell)

Vielen Dank nochmal für Eure Meinungen!

WackenDoc
18.12.2012, 14:03
Sowas ist immer tragisch, wenn vor allem junge Leute schwer erkranken. Aber wenn die Kosten übernommen werden und er fachmännisch versorgt werden kann, besteht zumindest eine Sorge weniger.

Besteht denn wenigstens Hoffnung auf Heilung oder ist die Behandlung palliativ?

Praia-do-Forte
18.12.2012, 15:12
Also ohne zu sehr ins Detail gehen zu wollen,
ich denke, wenn ich Dir verrate dass es eine progrediente Krankheit ist, zu der sich immer wieder mehr und mehr
Erkrankungen "dazu gesellen", wirst Du wissen was ich meine...
Und bei ihm war die Entdeckung eben auch spät, und es lagen schon Ko-Erkrankungen vor, so dass auch mit den modernen Medis der Verlauf nicht mehr viel aufzuhalten ist.

WackenDoc
18.12.2012, 20:27
Ah ok. Das ist natürlich wirklich tragisch.