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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Neue Strategien in der Tumortherapie



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wjsl
23.01.2012, 21:14
Neben den klassischen Therapieverfahren(OP, Strahlen, Chemo) gibt es mittlerweile ja unübersichtlich viele neue Strategien, insbesondere im Bereich der Immun-und Gentherapie. Allerdings fällt es mir hier schwer, den aktuellen Stand zu bewerten, geschweige denn einen Überblick zu bekommen.

Bei manchen Malignomen, wie dem Glioblastom, kann man ja mittlerweile Toxizitätsgene einbauen, wie die Thymidilatkinase, so dass der so gut wie nie komplett resektable Tumor selektiv durch Ganciclovir zerstört werden kann, beziehungsweise dessen toxische Metabolite: Prinzipiell klingt das einleuchtend; nur warum ist die Prognose dann noch immer so schlecht? Wo liegt der Haken?

Einen ähnlichen Ansatz hat ja das selektive Einbringen von radioaktiven Strahlern, beispielsweise bei der Radioimmuntherapie bei hämatologischen Malignomen über die Bindung an bestimmte CD-Antigene. Das wird aber auch relativ selten durchgeführt, obwohl die Toxizität gering sein soll, wegen der hohen Spezifität. Wo ist da wiederum der Haken?

Dann gibt es wiederum Impfungen, wie die gegen HPV, wobei die nur präventiv zu sehen ist, und von fraglichem Nutzen.

Andererseits könnte man mit Viren auch Antisense-DNA in Tumorzellen einbauen; auch hochselektiv? Oder müsste man Kollateralschäden in Kauf nehmen? Ist schon irgendwo auf der Welt für irgendeine Tumorentität eine Gentherapie zugelassen?

Ich würde mir gern einen guten Überblick verschaffen. Und vielleicht ganz neue Ideen hören, die so noch gar nicht in der Praxis getestet wurden.

Freue mich über jede Antwort!

WackenDoc
23.01.2012, 21:35
Machst du denn nen Neurochirurgietertial im PJ und machst du das an nem Uniklinikum oder nem kleineren Lehrkrankenhaus?

wjsl
23.01.2012, 22:05
Ich hab das PJ schon hinter mir, allerdings nicht an der Uniklinik; aber was hat das mit der Eingangsfrage zu tun?

alex1
23.01.2012, 22:06
Der Haken liegt in der Selektion. Moderne onkologische Therapien sind sehr spezifisch geworden. Sie greifen spezifische Gene, Signalwege am Tumor an oder versuchen tumorspezifische Kaskaden in den Zellen zu unterbinden. Das wirkt auf 99% der Tumorzellen, aber eben nicht auf das 1%. Und dieses 1% Zellen hat dann freie Bahn zu wachsen, ohne mit den anderen 99% um Nahrung zu kämpfen.
Das Problem liegt darin aber, dass dieses 1% dann umso aggressiver ist als die anderen 99% ist und deswegen Tumorzellen nach solchen sehr spezifischen Therapien extrem aggressiv werden.

Diese ganze "tumorspezifische" Behandlung anstatt der "Breitseite-Chemotherapie" ist ja auch nichts Neues. Das gibt's schon seit vielen Jahrzehnten, beispielsweise als Hormontherapie beim Mammakarzinom. Das ist eine super-tumorselektive Behandlung. Man blockiert Hormonrezeptoren von Mammakarzinomzellen und hindert diese am Wachstum. Theoretisch könnte man damit alle Patientinnen mit Brustkrebs heilen. Es klappt jedoch oft nicht, weil es oft eine Subpopulation von Tumozellen gibt, die darauf nicht anspricht und irgendwann ausbricht, als hormonnegatives, therapierefraktäres Mammakarzinom. Bloss sind das auch die Tumorzellen, die nicht die "harmlosen" Knochenmetastasen machen, sondern eher in die Leber und ins Gehirn gehen und die Patientinnen innerhalb eines Jahres umbringen.

Der Tumor ist ein "denkendes Wesen", wenn du willst. Er findet oft einen Weg, solche spezifische Behandlungen zu überwinden.

In der Hämatologie sieht es etwas besser aus, mit den Tyrosinkinaseinhibitoren kann man CML über viele Jahre kontrollieren, bis manchmal irgendeine Zellsubpopulation nicht mehr darauf anspricht. Bloss sind die hämatologischen Neoplasien oft deutlich monoklonaler als solide Tumoren und sprechen deswegen auch besser und länger auf solche spezifische Erkrankungen an.
In der normalen Onkologie bei soliden Tumoren ist es jedoch so, dass nur eine Handvoll von den neuen Substanzen die Heilungschancen von Patientinnen und Patienten verbessern können: Herceptin beim Mammakarzinom, Erbitux in Kombination mit Bestrahlung bei Kopf-Hals-Tumoren, Glivec beim GIST.
Der Rest der neuen Substanzen liefert nur einen Überlebensvorteil im metastasierten Stadium als Überlebenszeitverlängerung (oft gemessen in nur wenigen Monaten) im Vergleich zur Standardtherapie. Sutent, Afinitor, Avastin, Crizotinib, Iressa, Tarceva beispielsweise sind nur als palliative Behandlungen zugelassen, nicht als adjuvante Therapie bei Patienten mit kurativem Ansatz.

WackenDoc
23.01.2012, 22:06
Weil man bei der Arbeit in nem Uniklinikum ja mitbekommen sollte, in wie weit solche neuen Therapien funktionieren oder auch nicht. Und hätte man auch gleich die Kollegen fragen können ,die solche Therapien anwenden.

wjsl
23.01.2012, 22:36
Da wäre man an meiner PJ Klinik auf taube Ohren gestoßen, selbst bei den Oberärzten.

Hab mich prinzipiell ja informiert; was ich mich frage ist: Wo das alles so gut klingt; wo genau ist der Haken? Es wird viel publiziert, viel versprochen, viel gelobt, und trotzdem ist die Prognose noch immer miserabel...

McBeal
24.01.2012, 07:45
Alex1, guter, zusammenfassender Beitrag! :-) Danke!

LG
Ally

Kackbratze
24.01.2012, 08:10
Wo das alles so gut klingt; wo genau ist der Haken? Es wird viel publiziert, viel versprochen, viel gelobt, und trotzdem ist die Prognose noch immer miserabel...

Alex hat es gut auf den Punkt gebracht, les doch sein Posting nochmal durch!

wjsl
24.01.2012, 21:55
Ist aber dann das 1% noch immer derselbe Tumorklon? Oder was unterscheidet diese Zellen von den restlichen 99%, die vernichtet werden? Oder ist jede einzelne Tumorzelle, wenn auch minimal, anders?

Ein anderer Ansatz wäre es, unselektiv Differenzierung zu induzieren; der Mangel daran ist es ja, was Zellen maligne macht. Gibt es so etwas wie "Differenzierungsgene"?

Die effektivste, komplexeste Waffe, die überall ansetzt oder das zumindest könnte ist ja immer noch das menschliche Immunsystem. Warum funktionieren Tumorimpfungen nicht? Man könnte doch Teilvakzine, bestimmte Antigene, individuell herstellen und dann damit "impfen"; das wird auch schon gemacht; aber ist hier auch wieder das 1% ein Problem? Die Tatsache, dass nicht alle Tumorzellen gleich sind?

Noch etwas anderes: Muss man denn überhaupt alle Tumorzellen eliminieren? Könnte man sie nicht einfach in unschädlicher Form persistieren lassen? Bestimmte Erreger sind ja auch "denkende Wesen", durchseuchen fast die komplette Bevölkerung und richten dennoch keinen Schaden an. Warum sollte das ein Tumor nicht können? Auch in dessen Interesse kann es ja nicht sein, dass der "Wirt" stirbt. Oder aber Krebszellen stellen eben doch kein "denkendes Wesen" dar.

Kackbratze
24.01.2012, 22:22
Geh doch in die Forschung oder besorg dir entsprechende Literatur zu dem Thema. Dieses komplexe Thema geht nicht "mal eben so".
Am Besten Du fängst mit "The Cell" als Grundlage der Zellbiologie an und arbeitest Dich dann zur Tumorbiologie weiter.
Am Ende kommt dann auch der Bereich der Tumorbekämpfung, aber wie schon gesagt, erarbeite Dir deine vielen Fragen doch selber. Dann gibts auch keine Mißverständnisse.

wjsl
24.01.2012, 23:14
Mit dem Buch habe ich schon einmal gelernt; aber darum ging es nicht. Wie der Titel des Forums schon sagt, dachte ich, vielleicht ein paar interessierte für fachliche Diskussionen zu finden; konnte ja nicht ahnen, dass das Interesse derart gering ist und man so forsch abgewiesen wird.

Kackbratze
25.01.2012, 06:02
Eine Diskussion bedeutet, dass man sich auf ähnlichem Niveau austauscht.
Du verlangst Antworten auf Fragen, die Du dir selber erarbeiten solltest, bevor eine echte Diskussion entstehen kann.

Rico
25.01.2012, 09:58
Ist aber dann das 1% noch immer derselbe Tumorklon? Oder was unterscheidet diese Zellen von den restlichen 99%, die vernichtet werden? Oder ist jede einzelne Tumorzelle, wenn auch minimal, anders? Sorry, was studierst Du nochmal? Medizin?
Hat man an Eurer Uni nichts darüber erzählt, dass Tumore umso aggressiver sind, desto weniger differenziert sie sind und je undifferenzierter sie sind, desto weniger Zielstrukturen für eine Therapie weisen sie auf.

Ein anderer Ansatz wäre es, unselektiv Differenzierung zu induzieren; der Mangel daran ist es ja, was Zellen maligne macht. Gibt es so etwas wie "Differenzierungsgene"?Hä? Du willst Tumorzellen beibringen wieder eine bestimmte Zielstruktur zu exprimieren, damit Du sie dannach eliminieren kannst? Damit bleibt das Problem ja auch ungelöst, dass Du eben die Zellen bei denen das nicht klappt nicht erreichst.

Die effektivste, komplexeste Waffe, die überall ansetzt oder das zumindest könnte ist ja immer noch das menschliche Immunsystem. Warum funktionieren Tumorimpfungen nicht? Man könnte doch Teilvakzine, bestimmte Antigene, individuell herstellen und dann damit "impfen"; das wird auch schon gemacht; aber ist hier auch wieder das 1% ein Problem? Die Tatsache, dass nicht alle Tumorzellen gleich sind?Genau. Eine Tumorzelle, die so entdifferenziert ist, dass sie praktisch keine spezifischen Strukturen mehr aufweist bietet auch wenigs Ansatz für so eine Therapie.
Sonst wäre Rituximab ja die Heilung der NHLs gewesen, aber leider spielt der blöde Tumor nicht mit und exprimiert irgendwann kein CD20 mehr. :-nix

Noch etwas anderes: Muss man denn überhaupt alle Tumorzellen eliminieren? Könnte man sie nicht einfach in unschädlicher Form persistieren lassen? Bestimmte Erreger sind ja auch "denkende Wesen", durchseuchen fast die komplette Bevölkerung und richten dennoch keinen Schaden an.Willst Du jetzt mit dem Tumor über eine friedliche Koexistenz philisophieren? und was sollen "unschädliche Tumorzellen" sein? Entweder der Tumor ist maligne, dann wächst er invasiv und er metastasiert (je nach Typ mal schneller mal langsamer) oder er tut es nicht. Selbst wenn mal nur wenige niedrigmaligne Zellen persitieren, dann machen die über kurz oder lang auch wieder Probleme (z.B. späte Mamma-Ca-Rezidive) und dann in der Regel eher der aggressiven Art.

Die Tatsache, dass bestimmte Erreger im menschlichen Organismus persistieren können liegt nur daran, dass sie sich soweit angepasst haben, dass sie ihren Wirt nicht umbringen - zumindest nicht bevor er sie weiter überträgt.
Ein maligner Tumor ist eben dazu nicht in der Lage, der teilt sich fröhlich ohne Rücksicht auf Verluste und stirbt schließlich mit dem Organismus

Logo
25.01.2012, 11:36
Hey wjsl,

zieh dir das (http://www.aerzteblatt.de/archiv/115586/Karzinogenese-Sind-Tumoren-eine-neue-Spezies?src=search) mal rein - ein interessanter Gedanke...

Tumorzelle ist nicht gleich Tumorzelle. Da findet quasi "Evolution" auf Fast-Track statt...

Nemesisthe2nd
25.01.2012, 23:45
die differenzierung von tumorzellen gibts ja schon... siehe retinsäure-derivate für akute promyelozyten-leukämie... die leukämie ist durch das fusionsprotein RAR-alpha/PML bedingt. es kommt zu einer differenzierungsblokade, so dass die blaten sich nicht weiter als promyelozyten differenieren können... die gabe von retinsäure hebt diesen differenzierungsblock auf...

nur ist das eben ein sehr spezieller fall. ein solider tumor ist eben sehr heterogen, deshalb laufen viele spezifische therapien ins leere weil eben doch irgendwie mikroevulotion stattfindet und es eben einige tumorzellen gibt die in der lage sind sich dem selektionsdruck durch eine wie auch immer geartete therapie anzupassen.... und genau aus diesem grund wir es auch niemals DAS EINE Krebsmedikament geben...

@logo... warum musste diese theorie eigentlich ausgerechnet von diesem blöden aids-dissidenten duisberg verfasst werden...

Lizard
26.01.2012, 07:58
Hey wjsl,

zieh dir das (http://www.aerzteblatt.de/archiv/115586/Karzinogenese-Sind-Tumoren-eine-neue-Spezies?src=search) mal rein - ein interessanter Gedanke...

Tumorzelle ist nicht gleich Tumorzelle. Da findet quasi "Evolution" auf Fast-Track statt...
Klingt tatsächlich interessant. Da dieser Peter Duesberg aber zu den bekanntesten AIDS -Leugnern gehört bin etwas vorsichtig was die Interpretation seiner Forschung angeht.
Ist es denn tatsächlich so, dass in allen (oder den meisten) Krebsarten eine Aneuploidie vorliegt ?

wjsl
28.01.2012, 20:44
Worauf ich hinauswollte, war die auch in dem Artikel genannte klonale Aneuploidie. Selbst wenn ein Tumor entdifferenziert ist, muss die Population deshalb nicht automatisch homogen sein.

Ob die beschriebene Hypothese richtig ist, sei dahingestellt; auf jeden Fall ist es eine neue Idee; und eine solche wird es wohl brauchen, wenn man die hundert Prozent erreichen will.

Deshalb verstehe ich auch nicht, warum die Idee der "Koexistenz" auf so viel Ablehnung stößt; solange sich verbleibende Tumorzellen nur nicht weiter teilen, oder nur in minimaler Geschwindigkeit, wäre ihre bloße Existenz ja nicht notwendigerweise ein Problem, also auch nicht die Tatsache, dass man nicht alle eliminieren kann.

Im Körper entstehen ja ständig aberrante Zellen; die ALLE vom Immunsystem erkannt und eliminiert werden; es muss also prinzipiell durchaus im Bereich des Möglichen liegen, alles zu erreichen.

WackenDoc
28.01.2012, 20:49
Die Definition von Malignität ist dir aber schon bekannt, oder?

wjsl
28.01.2012, 21:07
Irreversibilität kommt meines Wissens darin nicht vor; wenn eine maligne Transformation möglich ist, warum sollte das eine "benigne Transformation" nicht sein? Eine Art differenzierungsbezogenes Downstaging...was spräche denn dagegen?

Kackbratze
28.01.2012, 21:17
Das das bisher nur in Hollywood klappt und eine entdifferenzierte Zelle ENTDIFFERENZIERT ist.

Welchen Ansatz zu redifferenzierung würdest Du vorschlagen?