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Froschkönig
25.06.2003, 23:09
Somit erdreiste ich mich jetzt mal, einen Schlußpunkt unter die Sekten-Definition oder die Religionsfreiheitsgeschichte zu setzen und zu Kaddels ursprünglichen Fragen zurückzuführen :


Was glaubt ihr, warum geraten Leute darein......und warum auch Leute, die eigentlich als stark von ihrer Persönlichkeit her zählen?

hobbes
25.06.2003, 23:14
Original geschrieben von Froschkönig
Wenn ich natürlich mein verunfalltes Kind sterben lasse, weil es kein Blut bekommen darf, wirkt das ziemlich barbarisch oder unsinnig auf uns, wobei mir unser Lebensverlängerungswahn bei manchen Patienten auch ziemlich barbarisch vorkommt...und in beiden Fällen lassen wir die Betroffenen nicht selbst entscheiden ! Das nur mal zum nachdenken !

würg! Wir lassen den polytraumatisierten Patienten nur deshalb nicht entscheiden, weil er in seiner momentanen Verfassung (z.B. Bewusstlosigkeit, Bewusstseinstrübung, Schock, Zeitnot) nicht in der Lage ist eine Entscheidung (gemäss informed consent) zu treffen! Daher mutmassen wir (wohl zu Recht), dass jedes Lebewesen erstmal den Drang und den Willen hat weiterzuleben. Danach haben wir uns zu richten.
Würden wir anders rum entscheiden, wäre dieser Entscheid erstens irreversibel, zweitens würde er den wahrhaftigen Patientenwillen wohl nur in einer Minderheit treffen.

Wer jedoch im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte tatsächlich auf eine Behandlung verzichtet, der bekommt auch keine.

Wenn nun ein Zeuge Jehovas aber für sein Kind den Weg des Todes wählt, ist zu berücksichtigen, dass dieser Entscheid weder ein Entscheid des Patienten (des Kindes) noch ein freier Entscheid der Eltern ist (da diese einer Sekte gehörig sind). Wohl ganz zu Recht kann ein solcher Entscheid nicht respektiert werden.

Also, die allermeisten, die nicht-elektiv auf Blutkonserven angewiesen sind, sind NICHT Patienten, bei denen wahnhaft unsinnige Lebensverlängerung betrieben wird.

Zudem wäre mal zu diskutieren, wo tatsächlich solche barbarische Lebensverlängerung stattfindet??? Ein viel gehörtes Schlagwort und ein noch mehr gehörter Vorwurf an die moderne Medizin. Jedoch habe selten einen konkreten Fall präsentiert erhalten dazu.

Froschkönig
25.06.2003, 23:24
Also hobbes...was denn nun ? Sind die Zeugen nun Sekte oder von Dir erwähnte Freikirche ????

Und ich bezog mich gewiß nicht auf den Traumatisierten oder bewußtlosen Patienten...dann wäre Dein überflüssiges "würg" wohl auch angebracht gewesen, ich glaubte jedoch, daß es keiner Erläuterung bedarf, daß ich auf die immerwährende Debatte der Sterbehilfe anspiele.

Du willst konkrete Beispiele ? Geh mal in ein geriatrisches Zentrum, wo die Patienten die Wahl zwischen dauernden unerträglichen Gelenkschmerzen überall haben oder mit Opioiden abgeschossen werden und im Dämmerzustand vor sich hin siechen !
Oder Patienten mit locked-in-Syndrom, die gerade noch durch blinzeln kommunizieren können ! Soll ich weitermachen oder reicht´s für´s erste ?
Damit sind wir nämlich von der Sektenthematik insoweit nicht groß entfernt, als sich unsere Ethik und die Lebenserhaltungsgrundsätze zu großen Stücken auf die bei uns gängige Religion gründen. Den Spartanern wäre das söllig wurst gewesen, obwohl die ein paar mehr Götter hatten als wir !

Bevor jetzt noch ein Mißverständnis wegen der Spartaner aufkommt : Nein, ich rede nicht von irgendwelchem "unwerten Leben" (der Begriff an sich ist schon grauenvoll!!!), ich spreche hier nur von der Entscheidungsfreiheit des Einzelnen.

airmaria
26.06.2003, 00:06
Original geschrieben von Janine

Ich bin zwar weder Theologe noch Soziologe, aber da gibt es ganz bestimmt Definitionen. Zumindest schon mal die Zahl der Anhänger, die Zeit der Entstehung und die historischen Hintergründe. Außerdem finde ich, dass der Begriff "Sekte" immer etwas negativ besetzt ist. Sicherlich nicht ohne Grund.

Selbst wenn es diese Definitionen geben sollte, wer hat sie gemacht?
... und ich sehe immer noch keinen Unterschied!

"Mary" airmaria

hobbes
26.06.2003, 16:24
Vorweg: Zeugen Jehovas sind in meiner Interpretation eine Sekte.


Nun: meine ethische Vorstellung kann nicht auf Religion beruhen, da ich weder religiös aufgewachsen bin, noch je einer Konfession oder einer Glaubensrichtung zugehörig war.
Sie beruht eher auf einer biologistischen Sichtweise der Dinge, und die geht nun mal vom Überlebenstrieb eines jeden Tieres, somit auch des Menschen aus. Da die Abwägung von Überleben oder Sterben nur eine persönliche sein kann, ist immer dann, wenn wir für jemanden anderen entscheiden, der reversible Weg, nämlich das Überleben zu wählen. Dies solange, als sich der Patient nicht im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte befindet.

Die geriatrische Medizin beruht auf dem Prinzip der Schmerzlinderung und der möglichst besten Erhaltung von Activities of daily live. Dies ganz unabhängig von der Lebenserwartung des Patienten. Diese Lebenserwartung könnte nur durch zwei Möglichkeiten auf den sog. natürlichen Verlauf der Dinge zurückgebracht werden. Erstens durch Verweigerung der medizinischen Dienstleistung und zweitens durch aktive Sterbehilfe. Die Verweigerung der Medizin wird jedoch wohl nicht gewünscht, zu sehr steht die Schmerzlinderung und dier Verhinderung eines Siechtums im Vordergrund des humanen Zusammenlebens. Die aktive Sterbehilfe erachte ich nicht als ärztliche Aufgabe, da diese zwangsläufig in einen Zielkonflikt zwischen Lindern/ Helfen und Nichthelfen mündet.

Froschkönig
26.06.2003, 19:54
Original geschrieben von hobbes
Die aktive Sterbehilfe erachte ich nicht als ärztliche Aufgabe, da diese zwangsläufig in einen Zielkonflikt zwischen Lindern/ Helfen und Nichthelfen mündet.

Was als hilfreich empfunden wird, hängt doch wohl eher vom Patienten ab als von meiner Meinung.....abgesehen davon ist das ja nicht mal der Punkt. Meinetwegen sollten das Ärzte nicht tun, aber es darf ja auch sonst keiner.....

Aber wir schweifen schon wieder völlig vom Thema ab.....

hobbes
26.06.2003, 22:11
Original geschrieben von Froschkönig


Was als hilfreich empfunden wird, hängt doch wohl eher vom Patienten ab als von meiner Meinung.....abgesehen davon ist das ja nicht mal der Punkt. Meinetwegen sollten das Ärzte nicht tun, aber es darf ja auch sonst keiner.....

Aber wir schweifen schon wieder völlig vom Thema ab.....

Ja, natürlich hängt dies vom Patienten ab. Aber dies ist gerade die grosse Frage. Wie kommt der Patientenwille bei einem schwer erkrankten geriatrischen Patienten (50% der geriatrischen Patienten haben eine Form von Demenz, die Depressionprävalenz in der Gerontologie ist sehr hoch) mit einer solchen Sicherheit zum Ausdruck, als dass sie zur Tötung ermächtigen? Die Unsicherheit in diesem Bereich und dadurch das Missbrauchspotential ist mit solch schweren Konsequenze verbunden, dass es nicht tragbar ist.
Vergleich: das schlimmste an der Todesstrafe meines Erachtens ist die Möglichkeit der Hinrichtung eines Unschuldigen. Diese Wahrscheinlichkeit ist zwar klein, aber gegeben. Und schon aus diesem Punkt - nebst weiteren ethischen Überlegungen - ist die Todesstrafe (in Europa) keine Option.
Also, die Schwere der Konsequenz welche aus einem allfälligen Fehlverhalten ärztlicherseits resultieren würde, wäre untragbar.

Um den Kreis zu schliessen: diese Diskussion hat keinen Zusammenhang mit Religion, Sekte oder Freikirche und sie hat auch keinen barbarischen Beigeschmack. Allein die Tatsache, dass geriatrische Patienten Schmerzmittel gegen Gelenkschmerzen erhalten und betäubt, tatenlos und wohl auch gelangweilt ihrem Ende entgegensehen, bestätigt nicht das Vorhandensein einer barbarischen Medizin. Vielmehr ist diese Tatsache Ausdruck eines Mangels in der Gesellschaftsstruktur, wo Betagte und pflegeabhängige Alte keinen Platz mehr haben.
Eine Abhilfe kann nur eine kausale sein, diese ist weniger im Medizinischen, als in der Politik und Gesellschaft zu suchen. Aber hier verweise ich auf bereits geschriebene Threads alter Tage.

milz
26.06.2003, 22:55
Wenn ich mich in Euren Disput einmischen darf:


Vergleich: das schlimmste an der Todesstrafe meines Erachtens ist die Möglichkeit der Hinrichtung eines Unschuldigen. Diese Wahrscheinlichkeit ist zwar klein, aber gegeben. Und schon aus diesem Punkt - nebst weiteren ethischen Überlegungen - ist die Todesstrafe (in Europa) keine Option.

Nun hat das mit Sterbehilfe aktiv/passiv nicht's zu tun.
Aber wo Du schon das Thema anschneidest. Die amerikanische Doppelmoral und Überheblichkeit kotzt mich mit jedem Tag mehr an. Irakkrieg ohne UN-Mandat, das Kijoto-Protokoll nicht unterzeichnen (CO2-Reduktion), dann sind die Europäer an hungernden Afrikanern schuld, weil wir keine "genetisch veränderten Nahrungsmittel" wollen u.ä. mehr.
Und bezüglich der Todesstrafe: Auf der einen Seite sich die Christlichkeit auf die Fahnen schreiben, wie es Papst Paule nicht hätte besser machen können, aber noch nicht mal die zehn Gebote (das 5. war's glaub' ich) einhalten.



Die aktive Sterbehilfe erachte ich nicht als ärztliche Aufgabe, da diese zwangsläufig in einen Zielkonflikt zwischen Lindern/ Helfen und Nichthelfen mündet.

Die Frage ist weniger "Helfen oder Nicht-helfen", sondern eher "Wie helfen". So manchem wäre sicher mehr geholfen, wenn man ihm die Maschine abstellen würde. Aber wer will das verantworten, bzw. für den Patienten entscheiden?
Glücklich, wer da eine Patientenverfügung findet.
Die entschärfte Version wäre noch, unheilbar Kranken die Mittel zum Suizid zu besorgen, also Beihife zum Selbstmord zu leisten, aber auch das ist ein heißes Eisen (ethisch und juristisch).
Ich denke man sollte zumindest erst mal dafür sorgen, daß die Palliativmedizin (und Schmerztherapie) überall richtig etabliert wird, denn selbst da gibt' s noch genug zu tun.

hobbes
26.06.2003, 23:09
Also, Maschinen abstellen: irgendwo in Deutschland entscheiden sich Ärzte-Pflege-Teams tagtäglich dafür bei Patient XY die Maschinen abzustellen, bzw. die Therapie nicht mehr weiter fortzuführen. Dies ist passive Sterbehilfe, sie ist erlaubt und wird praktiziert. Dies dann, wenn die Therapie keinen Benefit für den Patienten mehr erwarten lässt und ein Leben unabhängig von Beatmung (oder sonstiger apparativer Lebenshilfe) nicht mehr erreicht werden kann. Patientenverfügungen beeinflussen die Entscheidung insofern, als dass ein solcher Entscheid früher oder später gefällt wird. Aber eben: dies ist bereits Tatsache.

Das Besorgen von Gift ist Hilfe zum Suizid. Ob dies in Deutschland betrieben wird, weiss ich nicht, auf jeden Fall gibt es andere Länder, wo dies legal ist. Allerdings ist dieses Verfahren m.E. fragwürdig, da wie gesagt keine Garantie besteht, dass der Patientenwille korrekt zum Ausdruck gebracht wird, frei gefällt werden kann und nicht einer momentanen Stimmungslage entspricht. Ein Fehlentscheid des Patienten oder eine Misskommunikation hat den unweigerlichen Tod des Patienten zur Folge. Ein solches "Fehlurteil" ist dann tatsächlich mit der Todesstrafe am falschen Subjekt zu vergleichen!

Ob man bei der aktiven Sterbehilfe von Hilfe sprechen soll, ist eine Diskussion für sich. Es gab immer wieder Pfleger und auch Ärzte, die sich als grosse Helfer der Menschheit sahen und ungefragt Dutzende von betagten Patienten aktiv ins Jenseits befördert haben. Diese wurden strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen. Dies m.E. zu recht.
Auf was ich mit dem Zielkonflikt hinauswollte: Aufgabe des Arztes ist es Leiden zu lindern bzw. eine kurative Therapie durchzuführen, sprich zu Heilen (Medicus). Nun die aktive Sterbehilfe kann schwerlich als Heilen bezeichnet werden - sie ist eine ganz gegenteilige Aufgabe, nämlich den Patienten der Heilung zu entziehen und die Krankheit gleichsam mit dem Individuum zu Tode zu bringen. Die Abwehr von Krankheit und Tod einerseits und die Beschleunigung des Sterbeprozesses andererseits ist ein Zielkonflikt, welcher nicht in ein und derselben Arztperson ausgetragen werden soll.

Froschkönig
26.06.2003, 23:14
In einem Punkt hast Du absolut Recht : Die geschichte mit der aktiven Sterbehilfe ist sicher nicht einfach. Wenn aktive Sterbehilfe erlaubt ist, soll man dann potentiell psychisch kranke Selbstmörder noch aufhalten oder sie machen lassen ? Aber die Reglementierung des ganzen ist ein anderes Thema. Mir ging es nur darum, daß der Gedanke respektiert wird. Auch klar ist Dein Einwand, daß viele geriatrische Patienten dement sind und man ihrem Urteil nicht unbedingt trauen kann, aber daß sind alles Facetten bzw. Variationen eines Themas. Ich will das eigentlich auch gar nicht weiter ausbreiten, da wir die Debatte glaub ich ohnehin schon öfter hatten.....

milz
26.06.2003, 23:22
So manchem wäre sicher mehr geholfen, wenn man ihm die Maschine abstellen würde. Aber wer will das verantworten, bzw. für den Patienten entscheiden?

War vielleicht mißverständlich ausgedrückt.
Ich hatte da mehr an Spezialfälle gedacht, wo die Prognose nicht so eindeutig ist (Ewiglangeskoma, 100 jähriger Apalliker oder sowas).
Bei Leuten, die sichtlich im Sterben liegen, wird natürlich keine Maximaltherapie mehr gemacht, macht da auch keinen Sinn.

hobbes
27.06.2003, 00:14
@Froschkönig: Herzliche Gratulation zu Deinen mittlerweilen über 2000 Beiträgen! Du galoppierst uns allen davon!! Das Tolle und Unglaubliche ist ja, dass deine Beiträge trotz der hohen Anzahl nach wie vor ein hohes inhaltliches Gehalt haben. Auf Dich ist bei praktisch jedem Thema Verlass.

Froschkönig
27.06.2003, 06:37
Dann jetzt mal einen mit wenig inhalt :

:-blush