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cicely
24.02.2012, 17:49
Ich mache zur Zeit Famulatur in der Neurologie und wir haben heute die (Verdachts-)Diagnose des Jahres gestellt, nämlich eine (vermutlich primäre!?) ZNS-Tuberkulose. Wir haben ein Ganzkörper-CT, da wir eigentlich nach einem Tumor gesucht hatten und nirgendwo waren verdächtige Herde zu finden...

Der Liquorbefund ist exakt lehrbuchgemäß, man hat im Liquor sogar die ominösen schleierartigen Spinngewebsgerinnsel schwimmen sehen. Das bisher unerklärliche klinische Bild passt auch... der Patient liegt seit Monaten im Krankenhaus (ursprünglich GBS), wurde in letzter Zeit subakut schlechter, fluktuierendes Fieber um 38°, letzte Woche war er teilweise kaum erweckbar/ansprechbar, fast schon akinetisch-mutistisch, hat nicht gegessen, nicht getrunken (wir waren von einer schweren Depression ausgegangen), Gewichtsverlust... aber sonst eigentlich keine neurologische Symptomatik, auch keine Kopfschmerzen und kein Meningismus. Legte insgesamt eher eine maligne Erkrankung plus Depression nahe. Und jetzt kam eben der Liquorbefund.

Am Montag soll ein KM-MRT gemacht werden, und sonst kann man diagnostisch ja nicht viel tun als auf die Kultur warten, oder? Die PCR ist laut Auskunft der MiBi nur zu 50% sensitiv...

Und die Therapie wirklich sofort beginnen, ohne auf die Diagnosesicherung zu warten? Das war der Ratschlag der Infektiologie, die wir angerufen haben. Aber obwohl alles so gut zusammenpasst, ist es ja doch eine extrem seltene und damit unwahrscheinliche Diagnose. Die auch nicht gestellt worden wäre, wenn man ihn jetzt nicht punktiert hätte, weil er "zufällig" in einer neurologischen Klinik liegt. Und die Tb-Viererkombi ist ja nebenwirkungstechnisch nicht ganz ohne.

Und was mir doch ein wenig Sorgen macht: Ich habe die LP durchgeführt. Ganz normal mit sterilen Handschuhen, sonst ohne sonderliche Schutzmaßnahmen, und wir haben naiverweise auch die Röhrchen ohne Schutzmaßnahmen durch die Gegend getragen, weil unser Verdacht ja ein ganz anderer war, nämlich eine Meningeosis... wir hatten von dem Liquor primär nichtmal was in die MiBi geschickt, sondern nur in die Patho.

Was meint ihr, sollte man Angst haben? Wenn ja, was tun?

Keenacat
24.02.2012, 18:01
Die Infektion erfolgt normalerweise ja über Tröpfchen/Aerosol. Ich würde sagen, dass eine Ansteckung äußerst unwahrscheinlich ist.

Ansonsten gilt doch, was immer gilt: Empirische Antibiose solange Erreger unbekannt. Und bei hier bestehendem V.a. Tbc eben mit Vierfachkombi einsteigen, ihr habt ja sogar schon Rücksprache mit den Infektiologen gehalten. Falls die Kultur negativ zurückkommt, könnt ihr die immer noch absetzen.
Nur weil etwas "selten" ist, heißt es ja nicht, dass das nicht doch jemand haben kann. Grade Tbc ist bei entsprechender Anamnese nun auch nicht grade ein Exot - in dem Fall muss man halt z.B. mal über nen HIV-Test nachdenken.

cicely
24.02.2012, 18:25
So ganz überzeugt waren die Infektiologen nicht mit dem Therapiebeginn - die hielten eine primäre bzw. ausschließliche ZNS-Infektion schon für einen Exoten. Aber die Viererkombi wird jetzt angesetzt.
Dem Patienten geht es zur Zeit übrigens gut. Deutlich besser als letzte Woche. Ist sogar gut gelaunt und zum Scherzen aufgelegt.

Stimmt, HIV-Test muss man machen... Wenn der negativ ist, würde monatelanger KH-Aufenthalt und lange Bettlägrigkeit infolge des GBS als Erklärung aber auch ausreichen, oder? Aber würde das nicht eher eine Reaktivierung einer bereits vorhandenen Tb verlangen? (Er hat eig. keine typische Anamnese und das CT war wie gesagt frei.) Wo bekommt man im Krankenhaus Mykobakterien her?

Evil
24.02.2012, 18:25
Und die Therapie wirklich sofort beginnen, ohne auf die Diagnosesicherung zu warten? Das war der Ratschlag der Infektiologie, die wir angerufen haben. Aber obwohl alles so gut zusammenpasst, ist es ja doch eine extrem seltene und damit unwahrscheinliche Diagnose. Die auch nicht gestellt worden wäre, wenn man ihn jetzt nicht punktiert hätte, weil er "zufällig" in einer neurologischen Klinik liegt. Und die Tb-Viererkombi ist ja nebenwirkungstechnisch nicht ganz ohne.
Warum fragt Ihr denn die Infektiologen, wenn Ihr nicht auf sie hört? Selbst wenn es nur ein Verdacht ist, solltet Ihr sofort mit der Therapie beginnen, denn Abwarten kann mehr Schaden anrichten als etwaige UAW.

Edit: ach so, die Infektiologen waren sich gar nicht so sicher, hab das erst nachher gelesen.

milz
24.02.2012, 18:42
Wir hatten auch schon so einen Fall, war aber ein Kind und hatte eine Lungentuberkulose mit primärer Generalisierung (tuberkulöse Meningitis). Leider verstorben.

cicely
24.02.2012, 18:43
Da haben unsere Posts sich überschnitten... aber du hast recht, die Therapie wurde ja jetzt begonnen. Obwohl irgendwie ein flauer Beigeschmack bleibt.

Aber fällt euch denn eine Differentialdiagnose für einen solchen Liquorbefund ein?
Was könnte man da übersehen haben?

Edit: Röntgen-Thorax gibt es nicht, aber das CT-Thorax sagt "keine verdächtigen Rundherde". Basal ein bisschen Fibrose.
IFNγ gibt es noch nicht.

WackenDoc
24.02.2012, 18:46
Habt ihr denn irgendwelche von den "üblichen" TBC-Tests versucht? MMT,Quantiferon,TB-Spot?

cicely
25.02.2012, 00:30
Leider noch nicht passiert, nein, irgendwie kam der Anbruch des Wochenendes dazwischen. Ist ebenfalls für Montag geplant.

Für Montag ist auch ein MRT angemeldet. Im CT war ein undefinierbarer Rundherd in der Pons sichtbar, der ein Tuberkulom sein könnte (liegt allerdings nicht sehr oberflächlich - passt das trotzdem?)

dantheg
25.02.2012, 07:32
Wie war denn der Liquorbefund genau (also Zellzahl mit Diff, Eiweiß, Glucose)? Und welche Risikofaktoren für TB bestehen? Eine primäre Neuro-TB im Krankenhaus erworben oder wie genau ist der Verdacht? So was wäre äußerst undenkbar.

Ich schicke immer ein Liquorröhrchen zur Kultur (allerdings nur bei Verdacht für eine TB Kultur) ... aber komisch wenn der Patient anscheinend monatelang im Krankenhaus ist und erst jetzt eine LP bekommt?

Aber klar, wenn der Verdacht da ist dann empirisch behandeln bis die Kulturen zurückkommen.

THawk
25.02.2012, 07:34
Ich denke, dass ich auch eher direkt begonnen hätte mit der Therapie. Von der Reihenfolge finde ich es überraschend, dass ihr bei einem unklaren CT-Rundherd im Pons-Bereich nicht erst ein MRT macht sondern gleich die Lumbalpunktion anschließt. Ihr habt zwar zum Glück Zellen in die Patho geschickt, aber wir hätten das schon erst mit MRT abgeklärt, denke ich (ich bekomme allerdings auch sehr rasch MRTs).

cicely
25.02.2012, 13:34
Der Patient ist in erster Linie zur Reha da und ist dabei, sich von seinem schweren GBS zu erholen. Im Rahmen dessen wurde er damals natürlich punktiert, diesen Befund hab ich jetzt nicht im Kopf, passte aber komplett aufs GBS, da waren noch keine Anzeichen für das jetzige Problem zu sehen (vor etwa einem halben Jahr).
Seit etwa vier Wochen besteht nun diese AZ-Verschlechterung, die abgeklärt werden sollte.

Wie war denn der Liquorbefund genau (also Zellzahl mit Diff, Eiweiß, Glucose)? Und welche Risikofaktoren für TB bestehen? Eine primäre Neuro-TB im Krankenhaus erworben oder wie genau ist der Verdacht? So was wäre äußerst undenkbar.
460 Zellen
50% Lymphos / 49% Granulos / 1% Mono
Glucose im Serum 130, im Liquor 39
Eiweiß knapp 3000
Lactat weiß ich nicht auswendig, aber deutlich erhöht.
Und dem Patienten geht es klinisch momentan gut...

Was genau der Verdacht ist, ist die große Frage... Ich habe nochmal nachgelesen und wenn ich es richtig verstanden habe, gibt es durchaus latente TB-Infektionen, bei denen man nirgendwo einen Primärkomplex sieht. Ist das so korrekt? Dann wäre meine Theorie am ehesten, dass sich ein solche während des langen KH-Aufenthaltes reaktiviert bzw. im ZNS manifestiert hat? Aber die Anamnese gibt eben nicht wirklich Risikofaktoren dafür her.

Zum Ganzkörper-CT mit KM hatte der Radiologe geschrieben, eine knapp 2cm große RF in der Niere sei am ehesten eine eingeblutete Zyste; paraaortal ein paar fraglich vergrößerte Lymphknoten (?!); in der Lunge basal ein wenig Fibrose, aber keine Rundherde; und eben die schlecht beurteilbare Läsion in der Pons.


Vielen Dank übrigens für eure Gedanken dazu! :)

THawk
25.02.2012, 13:45
Was sagt denn das Sono zu der RF in der Niere? Das gab's doch wahrscheinlich vor dem Ganzkörper-CT, oder?

Macht man Ganzkörper-CT eigentlich wirklich in der Erwachsenen-Medizin jenseits des Schockraums? Ich kenne bei unseren Kindern nur das Ganzkörper-MRT.

cicely
25.02.2012, 13:58
Das Sono sagte, da ist eine RF in der Niere, die man im CT abklären sollte. Deshalb wurde in einem Aufwasch ein CT-Abdomen plus Thorax plus cCT gemacht (mit der Frage nach Metastasen, aufgrund der B-Symptomatik wurde in erster Linie ein Ca vermutet).

Rico
25.02.2012, 14:14
Macht man Ganzkörper-CT eigentlich wirklich in der Erwachsenen-Medizin jenseits des Schockraums? Ich kenne bei unseren Kindern nur das Ganzkörper-MRT.Ja, macht man, aber jenseits des Schockraums hört es in der Regel am Oberschenkel auf, sprich wenn der Internist vom GK-CT redet, dann meint er Hals-Thorax-Abdomen-Becken (+ ggf. CCT). Wird regelhaft z.B. als Staginguntersuchung gemacht oder auch bei Aortendissektionen...

THawk
25.02.2012, 14:26
Ah, okay; CT Thorax/Abdomen/Becken kenne ich noch aus meinem PJ. Bei uns würde nur eben eine nicht näher einzuordnende sonographische Raumforderung mittels MRT abgeklärt. Für ein CT würde ich bei der Indikation von unserer Kinderradiologin gehängt :-)

FataMorgana
25.02.2012, 15:28
Könntest Du zum Liquorbefund bitte noch etwas mehr schreiben? Gibt es ein Reiberschema? Wenn ja, wie hoch ist der Albuminquotient? Liegt eine intrathekale IgA-Synthese vor?

Bei Laborbefunden ist es übrigens immer sinnvoll, die Einheit und ggf. auch den Referenzbereich mit anzugeben.

dantheg
25.02.2012, 16:26
Aber fällt euch denn eine Differentialdiagnose für einen solchen Liquorbefund ein?
Was könnte man da übersehen haben?

So einiges. Denn primär erstellt man keine Differentialdiagnosen für einen Befund sondern für den Patienten. Klar, der Liquorbefund passt zum TB (wobei 3000 als Eiweiß ja doch recht hoch ist, da würden Einheiten helfen), aber genauso könnte es sich um Sarkoidose, Pilzmeningitis, Virusmeningitis oder Karzinomatose handlen. Auch andere opportunistische Infekte können einen solchen Befund verursachen. Daher meine Frage nach den Risikofaktoren für TB ... hatte der Patient mal TB, wo kommt er her, Reiseanamnese, HIV Status, Knast, Obdachlos, Drogen, Sexualpraktiken, Aufenthalte in Kriegsgebieten ... die Antworten auf diese Fragen beeinflussen deine Pre-test Wahrscheinlichkeit und sind vor allem bei Diagnosen wie TB wo es keine schnellen Tests gibt bzw wo die Therapie nicht nebenwirkungsfrei ist von entscheidender Bedeutung...

cicely
25.02.2012, 17:06
Keine intrathekale IgA- oder IgG-Synthese; mehr Befunde lagen gestern noch nicht vor.
(Mir ist natürlich bewusst, dass man ohne Einheit nicht viel mit den Werten anfangen kann, ich weiß sie aber leider nicht auswendig, tut mir leid. :-blush)

Natürlich erstellt man DDs für einen Patienten und nicht für einen Befund und man behandelt auch Patienten und nicht den Befund, deshalb ja der flaue Beigeschmack... die Anamnese passt nämlich wie gesagt nicht wirklich.

Kann eine virale oder eine Pilz-Meningitis klinisch auch dermaßen blande verlaufen? (Und ein Zellbild mit 50% Lymphozyten und 50% Granulozyten verursachen?) Er hat keinerlei Kopfschmerzen und keinerlei Meningismus... er sagte sogar, es tue ihm eher gut, das Kinn auf die Brust zu nehmen. :confused:

Karzinomatose wurde von der Patho ausgeschlossen.

Sarkoidose ist ein guter Hinweis!
Wobei auch hier wieder... keine andere Organmanifestation? (Da kann man ja auch nichts einfach Erreichbares auf Verdacht biopsieren.) Aber vielleicht erklärt das die paraaortalen Lymphknoten, die im CT auffällig waren, und die basale Lungenfibrose? Aber in dieser Konstellation auch nicht gerade typisch, oder?
Aber mal ACE, CD4/CD8-Quotient & Calcium (noch etwas?) bestimmen kann sicher nicht schaden...

FataMorgana
25.02.2012, 19:54
Keine intrathekale IgA- oder IgG-Synthese; mehr Befunde lagen gestern noch nicht vor.

Wenn das bereits bekannt ist, muss es auch einen Albuminquotienten geben.


Natürlich erstellt man DDs für einen Patienten und nicht für einen Befund und man behandelt auch Patienten und nicht den Befund, deshalb ja der flaue Beigeschmack... die Anamnese passt nämlich wie gesagt nicht wirklich.

Wie sieht es denn mit einer B-Symptomatik aus - z. B. Nachtschweiß hattest Du noch nicht erwähnt?


Kann eine virale oder eine Pilz-Meningitis klinisch auch dermaßen blande verlaufen? (Und ein Zellbild mit 50% Lymphozyten und 50% Granulozyten verursachen?)

Beides wäre m. E. ungewöhnlich. Eine "Hauben-Meningitis", die man bei Viren und Pilzen erwarten würde, geht schon üblicherweise mit Kopfschmerzen, Fieber und Meningismus einher. Das gemischte Zellbild passt ebenfalls nicht zu Viren (hier wäre eine klare Dominanz der mononukleären Zellen zu erwarten, außer wenn man sehr früh im Krankheitsverlauf punktiert). Für mich (und ich habe einige Erfahrung mit Liquorbefunden) ist das gemischte Zellbild schon immer ein Hinweis auf TB, es kommt aber auch bei diversen anderen ZNS-Infektionen vor (z. B. eben Pilzinfektionen, Listeriose, Neurolues, Hirnabszess etc.).


Sarkoidose ist ein guter Hinweis!

Ich halte das bei diesem Liquorbefund für unwahrscheinlich. Die Zellzahl, das Eiweiß und das Laktat sind viel zu hoch, die Glukose zu niedrig. Diese Konstellation passt eigentlich nur zu Infektion oder Tumor.


Wobei auch hier wieder... keine andere Organmanifestation? (Da kann man ja auch nichts einfach Erreichbares auf Verdacht biopsieren.) Aber vielleicht erklärt das die paraaortalen Lymphknoten, die im CT auffällig waren, und die basale Lungenfibrose? Aber in dieser Konstellation auch nicht gerade typisch, oder?
Aber mal ACE, CD4/CD8-Quotient & Calcium (noch etwas?) bestimmen kann sicher nicht schaden...

Es gibt leider keinen guten Labortest für die Sarkoidose. Der CD4-/CD8-Quotient ist noch das beste, sollte aber im vorliegenden Fall aus Liquor oder BAL bestimmt werden - nochmal punktieren? Bronchoskopieren?? Zusätzlich könnte man noch Neopterin und den löslichen IL-2-Rezeptor bestimmen. Außerdem BSG, CRP, Diff.-BB. Aber das habt Ihr wahrscheinlich ohnehin schon.

cicely
28.02.2012, 16:25
Also, unser Patient wird nun definitiv mit der TB-Viererkombi behandelt und wir hoffen auf eine positive Kultur (wenn sie negativ ausfällt, ist das blöd, dann wissen wir wieder nicht...)

Ende der Woche soll er nochmal punktiert werden, ob sich schon etwas verbessert hat (das wäre dann 7 Tage nach Therapiebeginn). Wenn ja, liegen wir offenbar nicht daneben. Das CRP ist immerhin schon von 190 auf 95 gesunken.

Die Suche nach DDs liegt deshalb momentan auf Eis - die TB wird inzwischen für die wahrscheinlichste Diagnose gehalten bis uns die LP ggf. eines Besseren belehrt. (Wo er die plötzlich herhaben soll, ist allerdings nach wie vor ein Rätsel.)

Das MRT ist heute leider etwas unbefriedigend gelaufen - es wurde kein KM gegeben, weil der Patient einen Crea-Anstieg hatte, vermutlich unter Aciclovir, das er vor der Zelldifferenzierung zweimal bekommen hatte. Ärgerlich. Befund gibt es auch noch keinen.