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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Als Arzt aus dem patientenfernen Bereich im Notfall. Wo liegen die Grenzen?



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bluejam
01.06.2012, 18:24
Tag, bin frisch gebackener Arzt und werde mit 99%iger Wahrscheinlichkeit den FA zum Radiologen anstreben. Nun stellt sich mir die Frage, was man so von einem "Nicht-Praktiker" im Zweifelsfall alles erwarten darf/muss? Meine praktischen Fähigkeiten sind vielleicht durchschnittlich, da ich während meiner Famulaturen und des PJs eigentlich nie sonderlich was machen durfte/konnte oder es sind zu viele Studenten eingeteilt gewesen. Habe mich auch nicht darum geschlagen, da mein Weg in die Radiologie ohnehin schon vorgesehen war.
Was passiert nun, wenn ich zufällig an einem Unfall vorbeimarschiere, die Sanis schon vor Ort sind und ein Pat mit ausgedehntem Hämatothorax oder so da liegt und dringend eine Bülau zur Entlastung braucht? Sowas haben die ja sicher dabei und ich bin Arzt... noch nie praktisch gesehen, aber wir sind ja theoretisch so toll ausgebildet... Pharma rauf und runter gepaukt, aber von Dosierungen keine Ahnung und was man nun in welcher Reihenfolge bei Pat x in Situation y spritzt...?

Kurz: wie viel kann man von einem jungen Arzt bzw. einem, der nun mal wenig mit solcher Art Notfällen zu tun hat (ich schließe da jetzt auch mal z.B. Dermatologen und Augenärzte ein...), verlangen? Oder anders gesagt: ab wann mache ich mich strafbar, wenn ich Hilfe unterlasse? Man könnte natürlich argumentieren, dass der oben genannte Patient ohnehin akut versterben würde/könnte. Wenn dann die Drainage in der Pulmonalis landet (schon gesehen), nunja...

Evil
01.06.2012, 18:33
Man kann von Dir nur das verlangen, was Du kannst, und das bedeutet für einen Arzt sicheres Beherrschen der Basis-Erste-Hilfe-Maßnahmen. Für alles andere gibt es den organisierten Rettungsdienst und Zusatzqualifikationen.

Im Gegenteil ist es grob fahrlässig, wenn Du invasive und riskante Maßnahmen ergreifst, die Du noch nie gemacht hast.

Leelaacoo
01.06.2012, 20:07
Was man erwartet auf der Strasse? Erste Hilfe und "Drücken & Pusten" ...ggf. auch nur Drücken ;-) Das sollte sitzen (siehe aktuelle ERC-Leitlinien)...
Was man von Radiologen erwartet? Sichere Kenntnisse in der Bildbetrachtung und rechtzeitiges Rufen der ITS/Anästhesie oder was auch immer in dem Haus für Notfälle zuständig ist...falls man dann bei der Angio oder im CT doch mal nen Notfall hat...bis dahin...s.o.
Der OA aus der Anästhesie mit Zusatzbezeichnung Notfallmedizin und schief laufenden Erstmaßnahmen dürfte auch vor jedem Richter schlechter dastehen als der Assi der dermatologie im 1. Jahr...aber gefeit ist keiner davor.

LG Lee

GOMER
02.06.2012, 09:41
Als Radiologe sollte man zumindest bei allergischen Reaktionen alle Maßnahmen aus dem FF beherrschen.

netfinder
02.06.2012, 09:53
Man hat schon auch andere Notfälle als Radiologe. Epileptischer Anfall, Kreislaufstillstand uswpp, alles vorhanden...

Sebastian1
02.06.2012, 10:03
Ja, ist nur die Frage, ob man dann gehalten ist, die im Alleingang (sprich: ohne Notfallteam-zuruf) zu beherrschen. Ich denke nicht.

netfinder
02.06.2012, 10:26
Ne, nur Erstmaßnahmen. Lagern, "Drücken", Sauerstoff anschliessen...Allergische Notfälle sollte man allerdings schon behandeln koennen!

Meridion
02.06.2012, 14:25
Wenn ich mal kurz den allgemeinen Verstand dazuschalten dürfte...

15. August, Waldschwimmbad Gauwasserloch, der Herr B. trinkt ne Wespe, ist allergisch, kriegt nen dicken Hals, ächzt, ich renne hin, lassen sie mich durch, ich bin Arzt. 'Was ist passiert?', Herr B.'s Frau berichtet in aller gegebenen Kürze über eine gemeingefährliche Wespe in der offenen Colaflasche, so nach 60-90 Sekunden ändert sich die Lippenfarbe Herrn B.'s von einem samtigen Flieder hin zu einem kräftig-beerigen Brombeerton. Und er hört auf zu schnaufen. Mit der geballten Macht endlosen Fachwissens im Rücken mach ich dann was? Genau. Drücken, und jemandem sagen er soll mal nen Notarzt holen. Weil ich ausser meiner Bermudashorts und nem Halben Cornette Nuß, dass jetzt fröhlich in mein Handtuch diffundiert, goar nix dabei hab.

99,99% aller Notfälle mit medizischem Personal vor Ort laufen so ab. In meiner RettD Zeit waren ständig irgendwelche Ärzte, Schwestern, Arzthelferinnen, Heilpraktiker und Krankenpflegepraktikanten vor Ort, die konnten aber auch nüx machen ausser Drücken und warten.

Notfälle im Dienst sind was anderes, klar, da kann man intervenieren (aber auch da gibts nen internistischen/chirurgischen Dienstarzt den man anrufen kann als Radiologe)... Aber es ging Dir ja um privat, da würd ich mir mal keinen Kopf machen so lang du drücken und pusten kannst; Alles andere ist Kür.

M

Solara
02.06.2012, 14:41
Mir fällt da nur ein Link zu ein ;-):

http://josephinechaos.wordpress.com/2012/05/08/neulich-im-supermarkt/

Relaxometrie
02.06.2012, 15:11
Tag, bin frisch gebackener Arzt und werde mit 99%iger Wahrscheinlichkeit den FA zum Radiologen anstreben. Nun stellt sich mir die Frage, was man so von einem "Nicht-Praktiker" im Zweifelsfall alles erwarten darf/muss?
Als ich die Approbation gerade ein paar Tage in der Tasche hatte, war ich mit meinem Auto in der Waschanlage. Diese blieb auf einmal stehen, als ich mittendrin steckte. Sofort habe ich gedacht "Boah, da ist bestimmt ein medizinischer Notfall. So ein Mist. Was mache ich denn jetzt?" Kurze Zeit später startete die Anlage wieder und ich musste nicht einschreiten.
Trotzdem ist mir dabei auch klar geworden, daß man vor lauter theoretischem Wissen erstmal handlungsunfähig dasteht, wenn es einen Notfall gibt.
Aber in der Realität ist es ja so, wie hier auch schon geschrieben wurde: man hat eh keine Utensilien dabei und kann einerseits nicht viel machen, andererseits aber doch SEHR VIEL:
Sich selbst nicht in Gefahr bringen, die Unfallstelle (z.B. im Straßenverkehr) absichern, professionelle Hilfe holen. In der Zwischenzeit Basis-Erste-Hilfe je nach Lage: Blutungen abdrücken, Beatmen, Thoraxkompressionen, Patienten fragen, was ihm gut tut, andere Passanten zur Mitarbeit auffordern.......

Leelaacoo
02.06.2012, 15:33
Ich hab ja immer meinen Sonic screwdriver dabei ;-) (falls DEN Doc jemand kennt)...
Mal im Ernst...letzte Rea auf dem CT -Tisch, nach Reaalarm waren wir in 1 Minute da...der Radiologe hatte bis dahin ca. 5 x gedrückt und dann abgegeben...ist doch ganz normal so...es erwartet ja auch niemand von mir als Internist eine 3D-Rekonstruktion der hirnzuführenden Gefäße zu basteln...und bis der Radiologe jetzt Supra aufgezogen hat bei ner allergischen Reaktion...da sind wir eh schon mit dem Reawagen da...erkennen sollte man das Problem, aber das sollte ja gehen...keine Panik!

Ach ja, drücken bitte tief und schnell genug...das ist schon die halbe Miete!

LG Lee

Brutus
02.06.2012, 16:02
Naja, aber von einem Radiologen erwarte ich schon, dass er in den eigenen Räumen seine Notfallmedikamente kennt! Und DAS Notfallmedikament bei schweren Kontrastmittelzwischenfällen ist doch eigentlich das Supra!
Zumindest stand das immer so auf den Postern, die in allen Räumen der Radiologie hingen.
Netfinder mag mich da bitte korrigieren.
Insofern kann man ja schon erwarten, dass da entweder Supra aufgezogen irgendwo rumliegt, oder aber zumindest in Reichweite gelagert wird. Dass der Radiologe da heroisch eine Koniotomie oder eine HLW am offenen Thorax macht, erwartet ja keiner!
Und draußen ist es genauso, wie oben schon geschrieben. Ich habe im Auto allenfalls noch einen Einmalambubeutel, wenn man mal unterwegs ist und akut jemand das Atmen eingestellt hat. Weil vor Mund-zu-Mund oder -Nase... da ekel ich mich vor! :-))
Ansonsten kann ich auch nur drücken und warten, oder aber andere Basics aus dem EH-Kurs anwenden. Aber meine Devise ist ja: der RTW ist nach 8 Minuten da. Und da ist alles drauf, was ich brauche, und damit kenne ICH mich dann wieder aus. Selbst wenn das NEF noch länger braucht. Aber es erwartet auch niemand, dass man da mehr macht, als man sich zutraut!
Insofern: wenn man sich nicht sicher ist, was man tun oder nicht tun sollte, wie wäre es denn mal mit einem Auffrischungs-Erste-Hilfe-Kurs? Und wenn man sich dann da sicher ist, es gibt auch Kurse für erweiterte Erste Hilfe für Ärzte / Assistenzpersonal! Meistens organisiert von den Ärztekammern. Wir haben das damals für Praxisinhaber mit ihren Teams organisiert. Und das ist immer gut angenommen worden. Ansonsten bieten ALLE Kliniken / Arbeitgeber Reanimationsfortbildungen an, meistens organisiert von der Anästhesie / Intensivcrew.
Leider ist meine Erfahrung, dass da nie jemand hinkommt, obwohl die, bei uns zumindest, Pflichtveranstaltungen waren!

netfinder
02.06.2012, 18:36
Wenn ich mal kurz den allgemeinen Verstand dazuschalten dürfte...

15. August, Waldschwimmbad Gauwasserloch, der Herr B. trinkt ne Wespe, ist allergisch, kriegt nen dicken Hals, ächzt, ich renne hin, lassen sie mich durch, ich bin Arzt. 'Was ist passiert?', Herr B.'s Frau berichtet in aller gegebenen Kürze über eine gemeingefährliche Wespe in der offenen Colaflasche, so nach 60-90 Sekunden ändert sich die Lippenfarbe Herrn B.'s von einem samtigen Flieder hin zu einem kräftig-beerigen Brombeerton. Und er hört auf zu schnaufen. Mit der geballten Macht endlosen Fachwissens im Rücken mach ich dann was? Genau. Drücken, und jemandem sagen er soll mal nen Notarzt holen. Weil ich ausser meiner Bermudashorts und nem Halben Cornette Nuß, dass jetzt fröhlich in mein Handtuch diffundiert, goar nix dabei hab.

99,99% aller Notfälle mit medizischem Personal vor Ort laufen so ab. In meiner RettD Zeit waren ständig irgendwelche Ärzte, Schwestern, Arzthelferinnen, Heilpraktiker und Krankenpflegepraktikanten vor Ort, die konnten aber auch nüx machen ausser Drücken und warten.

Notfälle im Dienst sind was anderes, klar, da kann man intervenieren (aber auch da gibts nen internistischen/chirurgischen Dienstarzt den man anrufen kann als Radiologe)... Aber es ging Dir ja um privat, da würd ich mir mal keinen Kopf machen so lang du drücken und pusten kannst; Alles andere ist Kür.

M

Ich habs da einfacher, da ich immer mit mind. 1 Epi-Pen rumlaufe...;-)

FirebirdUSA
04.06.2012, 09:29
Naja, aber von einem Radiologen erwarte ich schon, dass er in den eigenen Räumen seine Notfallmedikamente kennt! Und DAS Notfallmedikament bei schweren Kontrastmittelzwischenfällen ist doch eigentlich das Supra!
Zumindest stand das immer so auf den Postern, die in allen Räumen der Radiologie hingen.
Netfinder mag mich da bitte korrigieren.
Insofern kann man ja schon erwarten, dass da entweder Supra aufgezogen irgendwo rumliegt, oder aber zumindest in Reichweite gelagert wird. Dass der Radiologe da heroisch eine Koniotomie oder eine HLW am offenen Thorax macht, erwartet ja keiner!


Supra muss gekühlt gelagert werden und ist deswegen eigentlich nicht verfügbar, zumindestens bei uns. SDH, fenistil und Ranitic + O2 kann ich bieten und natürlich drücken bis Rea-Team da ist. Herzrhythmusstörungen nach Buscopan bis zur Rea hab ich in der Rad auch schon erlebt.

Auf Feld und Flur: Wenn man als nicht den Kopf verliert sondern eine saubere BLS macht bis der RD kommt hat man IMO schon viel für den Pat. getan.

Peter_1
04.06.2012, 12:00
Man kann von Dir nur das verlangen, was Du kannst, und das bedeutet für einen Arzt sicheres Beherrschen der Basis-Erste-Hilfe-Maßnahmen. Für alles andere gibt es den organisierten Rettungsdienst und Zusatzqualifikationen.

Im Gegenteil ist es grob fahrlässig, wenn Du invasive und riskante Maßnahmen ergreifst, die Du noch nie gemacht hast.

Schliesse mich mal an. Basisreanimationsmassnahmen, bzw. "erste Hilfe Basisimassnahmen", nur wenn man wirklich mehr kann und das Equipment/Personal hat, dann geht evtl. auch mehr. Keine Maßnahmen die man noch nie gemacht hat, keine Medikamente mit denen keine Erfahrung vorliegt. Die Therapie eines anaph. Schocks sollte jedem Arzt geläufig sein und dann auch schnell erfolgen. Vor lauter Arztsein nicht vergessen frühzeitig kompetente Hilfe zu rufen, die wenige Zeit die vergeht bis die dann da ist, ist eigentlich sinnvollerweise sowieso nur mit Basismassnahmen zu füllen.

WackenDoc
04.06.2012, 13:59
Supra kann man problemlos ungekühlt lagern.die Haltbarkeit verringert sich nur auf 6 Monate

ehem-user-02-08-2021-1033
04.06.2012, 15:07
Kurz: wie viel kann man von einem jungen Arzt bzw. einem, der nun mal wenig mit solcher Art Notfällen zu tun hat (ich schließe da jetzt auch mal z.B. Dermatologen und Augenärzte ein...), verlangen? Oder anders gesagt: ab wann mache ich mich strafbar, wenn ich Hilfe unterlasse? Man könnte natürlich argumentieren, dass der oben genannte Patient ohnehin akut versterben würde/könnte. Wenn dann die Drainage in der Pulmonalis landet (schon gesehen), nunja...

Andere Frage:
Welche Konsequenzen ziehst du aus der Beantwortung dieser Fragen?
Würdest du deine Berufswahl ändern z.B. kein Pathologe werden, weil du nicht "super" einen Notfall versorgen kannst? ;-)
Das ist doch lächerlich.
Mach einfach was du kannst, erkenne deine Grenzen und hole dir Hilfe dazu, wenn nötig.
Ansonsten wirst du in deiner Freizeit wohl selten mit medizinischer Ausrüstung durch die Gegend laufen...
Der Rest ist einfach ein statistisches Restrisiko.
Hier noch ein Beispiel zu einer Rea durch einen Gynäkologen:
http://bda-hausaerzteverband.de/artikel/recht_251006_lang.pdf

JJ*
04.06.2012, 18:16
Kleine Adrenalin-Ampullen gibts auch von Jenapharm, diese müssen nicht gekühlt werden und sind länger als 6 Monate haltbar.

FirebirdUSA
05.06.2012, 08:32
Kleine Adrenalin-Ampullen gibts auch von Jenapharm, diese müssen nicht gekühlt werden und sind länger als 6 Monate haltbar.

Stimmt, schade das es die über unsere Klinikapo nicht gibt... ich hätte es nämlich eigentlich schon gerne in der Nähe.

loxi
05.06.2012, 08:59
Supra muss gekühlt gelagert werden und ist deswegen eigentlich nicht verfügbar, zumindestens bei uns.
Sowas ist aber ein sehr dünnes Argument, wenns mal hart auf hart kommt...