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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Überbringen schlechter Nachrichten



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Redaktion MEDI-LEARN
06.06.2012, 15:05
Neben der direkten medizinischen Arbeit mit Anamnese, Diagnostik und Therapieentscheidung sowie -durchführung gehört zum Arztberuf auch, dass u.U. schlechte Nachrichten dem Patienten oder dessen Angehörigen mitgeteilt werden müssen. Diese Aufgabe gehört sicherlich nicht zu den Lieblingsbeschäftigungen, mit denen junge Ärzte sich auseinandersetzen müssen. Und genau wie alles Andere muss auch das erst einmal erlernt werden. Unten stehender Link führt zu einem Artikel, in dem wir euch Hilfestellung hierfür geben möchten.

Mit zitternder Stimme und feuchten Augen (http://www.medi-learn.de/humanmedizin/assistenzarzt/artikel/Mit-zitternder-Stimme-und-feuchten-Augen-Seite1.php)

Wie wurdet ihr an diese Aufgabe herangeführt? Der berühmte Wurf ins kalte Wasser, Anleitung durch Altassistenten/Oberärzte oder gab es gar Gesprächsführungskurse an eurer Uni? Und wenn ihr Anregungen zu diesem Thema habt, so teilt sie uns gerne mit!

wjsl
06.06.2012, 21:58
Hab eine Zeitlang bei Besuchsdiensten mitgemacht, teilweise auch auf eigene Faust Patienten besucht, durch eigene Erfahrungen gelernt, ansonsten eben Literatur darüber gelesen. Kurse an der Uni gabs dazu so weit ich weiß nicht. Letzten Endes ist das auch was sehr individuelles, so dass ich bezweifle, dass man da sinnvoll das klassische Kurskonzept anwenden könne; jeder macht es anders, und jeder muss es auf seine Weise rüberbringen, sonst wirkt es nicht authentisch.

flatliner
06.06.2012, 22:16
Ich schreibe mal ebenfalls als Studentin. In meiner Bochumer Zeit gab es bereits in der Vorklinik ein Seminar (mit Rollenspielen) zum Thema. Aus diesem Seminar habe ich im Gegensatz zu den Veranstaltungen zur Med. Psych. sehr viel mitgenommen.

Es wurden gewisse Grundregeln vermittelt (keine Zeitangaben bezüglich Prognose, Aufzeigen realistischer Möglichkeiten der Medizin etc.).

THawk
06.06.2012, 22:20
Wir hatten im Studium einmal die Chance so ein Gespräch zu üben, das konnten aber auch nur ein paar von uns praktisch machen, die anderen saßen daneben (die Dozentin hat den Angehörigen gespielt).

Meine bisherigen Gespräche in der Klinik waren i.d.R. allein, einen OA/FA/Alt-AA hatte ich nicht mit dabei. Häufig waren es Situationen, in denen kein anderer greifbar war, sonst wären die Gespräche teilweise nicht von mir geführt worden (Erstgespräch bei neu diagnostizierter ALL wo kein Onkologe mehr im Haus war, Gespräch mit Oma nachdem das Neugeborene mit Kopf auf Boden gefallen war nachdem die Mutter es im Einschlafen hat runterrutschen lassen). Zunehmend haben die Oberen halt gemerkt, dass ich Gespräche führen kann und lassen einen dann mehr selber machen.

Mir hat geholfen, dass ich mich im Studium durch eine freiwillige Arbeit schon viel mit Gesprächsführung und Kommunikation auseinandergesetzt hatte und im Rahmen dessen bereits teilweise schwierige Gespräche geführt hatte.

Wie ihr schon schreibt - für mich ist es sehr wichtig ehrlich zu bleiben und nicht um den heißen Brei herumzureden. Und die Angehörigen kommen lassen, die Gesprächsrichtung sollten sie zu einem Teil selber bestimmen können.

Chaoskätzchen
06.06.2012, 23:10
Auch wir hatten einen "Breaking bad news"-Kurs zu Studienzeiten, der jedoch auch nur zwei Paaren die Möglichkeit geben konnte, das wirklich zu "proben". Auch konnte man nochmals im Rahmen der "Ethik in der Medizin" unter verschiedenen Pflichtkursen einen Gesprächskurs wählen.

Freiwillig konnte man jedoch - unabhängig vom vorgegebenen Stundenplan - einen wöchentlichen Kurs zum Thema Gesprächsführung besuchen.. dort hatte man dann die Möglichkeit zu sprechen.. zu sprechen.. zu sprechen.. und häufig waren dies erstaunlich "schwierige Gespräche", weil man auch die Zeit hatte, sich vom Patienten mal unter die Oberfläche führen zu lassen.. und nicht selten waren es onkologische Patienten und plötzlich sah man sich mit Aengsten.. Tränen.. Wut.. Verzweiflung.. usw. konfrontiert..

In meiner ersten Klinik war man aus ärztlicher Sicht jedoch ziemlich auf sich selbst gestellt. Es sassen neben den Eltern jedoch noch andere Berufsgruppen am Tisch, sodass man zum Schluss noch ein bisschen Feedback einsammeln konnte. Die "Gesprächsleitung" jedoch hatte man selbst.. und man war doch sehr auf das eigene Gespür angewiesen..

Mein jetziger Arbeitgeber hat einen Wochenendkurs zum Thema ärztliche Gesprächsführung zur Pflicht während er Weiterbildungszeit erklärt.

Doch so sehr man auch "übt" (und dazu zähle ich auch die positiven Gespräche oder das Erklären eine "Wald-und-Wiesen-Erkrankung" mit höchstwahrscheinlicher Restitutio innerhalb weniger Tage, die den Patienten / dessen Eltern trotzdem beunruhigt..) .. jede Situation ist anders.. jeder Mensch ist anders.. Es gibt meiner Meinung nach keine "Standardformulierung" und auch kein "Standardvorgehen", mit dem man das Gespräch dann optimal geführt hat.

Die - auch meiner Meinung nach - wichtigsten Punkte sind schon gesagt.. ehrlich und authentisch bleiben.. und das zu jedem Zeitpunkt des Behandlungsprozesses... und sich auf die Reaktionen von Patient und / oder Angehörigen einlassen wollen.. und können..

Evil
07.06.2012, 10:05
In den meisten Kliniken wird man da relativ allein gelassen. Und Literatur zu lesen oder nach Kochrezepten zu arbeiten bringt rein gar nix, denn das Problem ist ja, daß man den unterschiedlichsten Menschen und Persönlichkeitstypen teils niederschmetternde Nachrichten bringen muß.
Das "wie" erfordert eine Menge Einfühlungsvermögen, um die Neuigkeiten so schonend wie möglich beizubringen, ohne um den heißen Brei herumzureden, und das muß man halt individuell anpassen.

Ich hab mich einige Male erfahrenen Kollegen oder OÄ bei solchen Gesprächen angeschlossen, das kam mir während meiner Onko-Zeit dann sehr zugute.
Und wenn ich als Notarzt zu sehr alten Menschen gerufen werde, muß ich ja auch neben der eigentlichen Therapie abklären, welche Maßnahmen sinnvoll und erwünscht sind oder ob eine Verfügung vorliegt; das sollte man auch mit etwas Fingerspitzengefühl tun.

dreamchaser
07.06.2012, 11:02
Ich hatte auch das Glück, dass ich mehrfach bei Gesprächen, die durch sehr versierte Oberärzte geführt wurden, dabeisein konnte. Bei uns wurden solche Gespräche (auch Mitteilung einer Erstdiagnose) durch die Oberärzte gemacht.
Mit der Zeit habe ich viele solcher Gespräche geführt, gerade auf der Intensivstation waren das täglich mehrere Gespräche. Hier ging es teilweise auch um Therapielimitierung. Mit der Zeit ging es etwas besser, aber jedes Gespräch läuft anders, da gibt es keine Rezepte, man muss sich auf den Patienten, die Situation und die Angehörigen einlassen - und trotz aller Übung gibt es immer wieder Situationen, aus denen man unzufrieden rausgeht.

WackenDoc
07.06.2012, 14:06
Bei mir war es auch das kalte Wasser.Ich hätte mir da allerdings schon mehr Coaching durch erfahrene Kollegen oder OÄ gewünscht.Und sei es,dass man erstmal bei deren Gesprächen mit drin sitzt und danach die wichtigsten Aspekte erklärt bekommt.
Ich denke das brint mehr als irgendwelche Kurse.
Wovon ich gar nichts halte sind Rollenspiele.Am besten noch gefilmt. Ich finde das schon in der Balintgruppe ziemlich ätzend.Man selber und der Gegenüber agieren doch anders als real.

wjsl
07.06.2012, 23:40
Wenn man viel in die Onko geht, hat man schon die Möglichkeit zu lernen sich auf schwierige Gesprächssituationen und verschiedene Persönlichkeiten dabei einzustellen. Mit etwas Glück gerät man sogar an "Lehrer", die das sehr gut machen. (Denke da vor allem an einen OA, der mich sehr beeindruckt hat in der Hinsicht). Man kann noch mitgehen, sich anbieten, ohne den enormen Stationsstress nebenbei noch zu haben; das ist später sicher schwieriger.

Brutus
08.06.2012, 15:01
^^ Bei uns war die Onkologie DIE Abteilung, die sich um SOLCHE Gespräche grundsätzlich gedrückt hat! Das wurde dann lieber an die dummen Palliativonkels abgegeben. Da kam es dann durchaus vor, dass Freitagsnachmittags dann jemand zum Sterben zu uns gelegt wurde, wobei dem Patienten und den Angehörigen vorher gesagt wird, dass bei uns dann alles gut wird! :-kotz!
Also Vorsicht mit solchen Pauschalaussagen! Gute Mentoren gibt es in JEDER Abteilung. Und SCHLECHTE Vollhonks ebenfalls!

Bei uns war es so gelöst, dass man Anfangs auf der Intesivstation bei den Gesprächen des OA mit dabei war, und mit der Zeit dann selbst diese Gespräche übernommen hat, wobei der OA dann mit dabei saß. Hinterher wurde dann noch besprochen, was man besser nicht sagen sollte, was gut war, oder was man hätte anders sagen sollen.
Von daher waren wir für die Dienste eigentlich ganz gut vorbereitet.
Rollenspiele? Ich habe sie gehasst! Sie zeigen überhaupt nicht die Realität und haben uns gar nichts gebracht!
Das Wichtigste ist doch, erst mal zu bemerken, wie der Gegenüber überhaupt "gestrickt" ist. Manche Angehörigen brechen bei dem Wort "Tod" sofort zusammen, bei anderen muss man deutlich drastisch werden, damit sie überhaupt merken, was da gerade passiert!
DAS alles trifft aber nicht nur für das Überbringen von Todesnachrichten zu, fängt doch eigentlich schon bei den noch lebenden Patienten an! Gestern Nacht erst gehabt: Alte Dame, etwas etepetete (schriebt man das so?), mit einem satten STEMI, die sich mehr über das vollgekotzte Nachthemd und die fehlende Nackenrolle auf der Trage aufregte, und alle sachten Hinweise auf ihre Erkrankung ignorierte. Erst als ich dann mal etwas lauter wurde und ihr sagte, dass die Nackenrolle und das Nachthemd JETZT nicht ihr Problem sind und sie jetzt erstmal zusehen muss, dass sie ihren HERZINFARKT überleben muss, wurde sie etwas einsichtiger! Wir haben uns dabei zuerst von der Pflegekraft inspirieren lassen, die sie sehr umhätschelt hat, weil sie ja soooo sensibel sei. Aber DAS hat so überhaupt nix gebracht. Die Pflegekraft war dann auch etwas irritiert, ob unseres doch "sehr direkten" Umgangstons... :-nix

wjsl
08.06.2012, 15:15
Ich glaube man darf die Onkologen auch nicht zu sehr pauschalisieren; dort soll es tatsächlich Leute geben, die sich auch für die Palliativmedizin berufen fühlen. Und solche, die nicht nur Hochdosischemos planen.
Was im Studium hilfreich ist, um überhaupt ein Gefühl dafür zu bekommen, wie Menschen in Ausnahmesituationen "ticken", sind wie gesagt diese Besuchsdienste; Hospitzarbeit ist ohne längere Vorausbildung ja nicht möglich. Aber auch ein etwas anderer Bereich, die Patienten dort kennen ihre Diagnose meist schon länger als die in Akutkliniken.

Brutus
08.06.2012, 16:18
Ich glaube man darf die Onkologen auch nicht zu sehr pauschalisieren;
^^ Warum tust Du es dann??? Du tust gerade so, als wenn man nur in der Onkologie die Möglichkeit hätte, mit dem Tod und dem Umgang damit umzugehen! Wie ich schon sagte: in JEDER Abteilung gibt es gute Mentoren und genauso gibt es in jeder Abteilung Vollpfosten!
Und ich halte Hospize ehrlich gesagt nicht für geeignet, zu erleben, wie Menschen in Ausnahmesituationen reagieren! Wie Du schon richtig gesagt hast, die Menschen dort kennen in der Regel ihre Diagnosen und wissen, wohin die Reise geht! Allerdings heißt auch das nicht, dass man die Diagnosen schon lange kennen muss. In unserem Nachbarhospiz waren WIR es meist, die die "Bewohner" dorthin zugewiesen haben. Und da kannte man die Diagnose eben auch zum Teil erst seit dem Aufenthalt! In der Mehrzahl der Menschen trifft es aber schon zu, dass sie wissen, was sie haben.
Aber genau da liegt doch der Punkt! Sie wissen es und haben in der Regel schon viel Zeit mit sich und den Angehörigen verbracht und über die Zukunft (?) geredet! Da wirst Du zwar auch Verzweifelung, Nichtwahrhabenwollen und andere Reaktionen "erleben". Aber das Gesicht der Partner / Kinder / Eltern auf die Nachricht, dass der Angehörige aus völliger Gesundheit den heutigen Tag nicht mehr überleben wird, oder gerade verstorben ist, DAS wirst Du dort eben nicht erfahren! Und DAS sind die Situationen, die man eben nicht vorher ÜBEN kann! Weder in Rollenspielen, noch mit Supervision!
Ich werde NIE vergessen, wie 4 Operateure und 2 Anästhesisten mit Tränen in den Augen in der Prämedikation standen nachdem ein 5j. Kind im OP verstorben war und der Vater unsere Prämedikation zerlegte, während die Mutter mit dem Kind im Arm auf dem Bett weinte! Und genau DAS kannst Du niemals vorher "üben"...

McBeal
08.06.2012, 17:36
Ich habe noch nicht oft schlechte Nachrichten überbringen müssen. Wenn, dann habe ich es als positiv erlebt, wenn ein und dieselbe Person mit allen, die es erfahren müssen, spricht, also nicht verschiedene Informationen weitergegeben werden und jemand es allen mit den gleichen Worten erklärt (in der Pädiatrie kommt es, gerade wenn es schon Geschwister gibt, vor, dass die Eltern nur einzeln zum Gespräch kommen können, in solchen Situationen bleibe ich dann gern mal länger, um es auch dem Papa erklären zu können). Außerdem habe ich es bisher auch für die Angehörigen als hilfreich empfunden, wenn man etwas zum Angucken und zeigen hatte. Laborbefunde gehen auch manchmal, aber anhand von MRT- oder auch einfach Sonobefunden zu erklären, was anders sein müsste, ist oft einfacher, als wenn man nur mit Worten spricht. Gut finde ich, wenn in schwierigen Situationen entweder der Arzt, der "dabei" war, also die Rea, OP o.ä. mitgemacht hat oder jemand, der die Familie möglicherweise schon kennt, das Gespräch führt. Das ist sogar vielen Angehörigen lieber als CA oder OA.

LG
Ally

Mondschein
08.06.2012, 17:45
@ Brutus: Nun ja, bzgl. deiner Aussage, dass es vorgekommen sein soll, dass Leute erst auf der Pall.station wirklich aufgeklärt wurden. Man muss da vorsichtig sein. Ich kenn auch die Situationen, in denen du denkst, du bist der erste, ders jetzt mal ausgesprochen hat. Trotzdem hören Patienten / Angehörige erstaunlich oft weg. Und manchmal ist man einfach nur der erste, bei dem sies kapieren. Und nach unzähligen solcher Gespräche würde ich sogar so weit gehen, zu sagen, dass es nicht immer von der Gesprächstechnik abhängt. Bis Patienten und Angehörige etwas wirklich verstehen und verarbeiten, dauert es manchmal ewig und es ist erstaunlich, wie viel man verdrängen kann und wie sehr man sich auf Nebensächlichkeiten konzentrieren kann, auch wenn die Fakten eindeutig ausgesprochen wurden! Ich bin daher vorsichtig geworden, den vorbehandelnden Kollegen zu unterstellen, sie hätten die Diagnose nicht kommuniziert. Meistens haben sie es schon, nur der Patient hats nicht verstanden oder sich auf irgendeinen Nebensatz im Sinne von es-gibt-eine-Restchance versteift...

Aber grad dein Beispiel mit der alten Dame ist sehr typisch, je mehr solche "ich will bitte sofort ein anderes Kissen/ einen heißen Kaffee / ein schöneres Zimmer etc."-Mechanismen kommen, desto besser klappt die Verdrängung. Dann muss man wirklich Klartext reden. Die meisten dankens einem hinterher, auch wenn sie erstmal überrumpelt sind...

Zum Lernen: Mitgehen mit erfahrenen Kollegen hilft, man kann sich immer mal noch den ein oder anderen Gesprächstrick oder eine Redewendung abschauen. Und: Platz für Schweigen ist gut. Dann kommen nämlich auch irgendwann die richtigen Fragen...

dreamchaser
08.06.2012, 20:40
Das demonstrieren von Bildern, wie oben gesagt, hilft wenn möglich auch sehr gut. Wenn man den Angehörigen des Patienten mit ARDS ein normales Röntgenbild und dann das Bild des Angehörigen zeigte, dann verstehen die sehr gut, wo die Unterschiede sind und warum es dem Angehörigen schlecht geht. Genauso ist das normale Bild vs. das Bild mit Tumor möglich zu zeigen, sofern der Unterschied deutlich ist.
Bei uns wurde mit Angehörigen auf der Intensivstation immer erstmal in einem Vorraum gesprochen, insbesondere bei beatmeten Patienten. Dann bin ich mit ihnen zum Patienten gegangen und habe ihnen die Geräte erklärt und wofür wir was machen, und natürlich ermuntert den Angehörigen zu berühren. Wenn man die Angehörigen von Beginn an einbezieht, dann ist es im Verlauf dann oft auch einfacher, kritische Gespräche zu führen (wobei ich mich auf der ITS immer sehr zurückgehalten habe mit positiven Äußerungen).

WackenDoc
08.06.2012, 21:58
@wjsl:Um was für einen Besuchsdienst handelt es sie dabei?Und ic hoffe mal,dass bei euch nicht ein Besuchsdienst schlechte Nachrichten überträgt.

wjsl
08.06.2012, 22:23
Nein nein, die Patienten kannten ihre Diagnose natürlich schon; es ging vielmehr darum Leuten Unterstützung zu bieten, die damit etwas allein gelassen wurden (keine Angehörigen, oder keine zuverlässigen). Am eindrucksvollsten war ein Patient mit systemischer Mastozytose; kann mich noch genau daran erinnern, wie verbittert er anfangs war; oder manche, die ihre Diagnose leugneten obwohl man sie ihnen schon mehrfach überbrach hatte; sie sprachen davon dass es schon wieder werden würde, wenn man alles macht; so als hätten sie eine Erkältung. Klar hat man damit normal nichts zu tun, ich meinte ja nur dass es gut ist um ein Gefühl für den Umgang mit den Leuten zu bekommen. Wobei es natürlich immer trotzdem Überraschungen gibt, auf die man nie eingestellt sein kann. Sich in andere hineinversetzen zu können ist und bleibt das schwierigste überhaupt.

Was mich noch interessieren würde(an die Erfahrenen hier): Nennt ihr Zahlen? Prinzipiell scheint mir das heute absolut out, andererseits wollen einige Patienten das dann eben doch wissen, und erfahren es ja letzten Endes sowieso. Außerdem ist es sonst sehr schwierig, den Schweregrad und die Prognose quantitativ anschaulich darzustellen. Und wenn jemand noch Dinge zu erledigen hat, dann spielt es eben schon eine Rolle ob er statistisch gesehen eher um die drei Jahre oder doch nur drei Monate zu leben hätte...denke im PJ an eine Ärztin zurück, die nur davon laberte dass "sie erledigen sollten was sie zu erledigen haben, aber das würde ich ja jedem empfehlen"; obwohl der total durchmetastasiert war...aber wenigstens hat man keine Zahlen genannt, weil das ja "keinen Sinn macht und die Leute nur verängstigt".

Was ist eure Sicht dazu?

wjsl
08.06.2012, 22:26
^^ Warum tust Du es dann???
Du hast übrigens pauschalisiert, und ich relativiert. Nicht mehr und nicht weniger. (Schade dass es hier immer gleich persönlich wird und off topic geht)

Mondschein
08.06.2012, 22:51
Also ich versuche eher, Zahlen zu vermeiden.
Aber ich hab auch schon Zahlen genannt, dann immer damit versehen, dass es sich um rein statistische Durchschnittswerte handelt. Und nur bei Patienten, die damit umgehen konnten. Wenn ich einen intelligenten Menschen vor mir sitzen habe, der mich löchert, ich der Meinung bin, dass er seine Diagnose kapiert hat und einigermaßen damit umgehen kann (also keinesfalls beim Erstgespräch!!), dann nenn ich im Einzelfall mal Zahlen. Denn bevor er sie googelt und dann aus dem Fenster springt, nenn ich sie ihm lieber selbst und erklär, dass es reine Durchschnittsangaben sind und er da sowohl drüber als auch drunter liegen kann und vielleicht sogar, warum ich in seinem Fall die Prognose besser oder schlechter einschätze... Denn viele Leute (hab ich im privaten Bereich oft erlebt) können zwar schnell und leicht rausfinden, wieviel % die 5JÜR ist, aber was das genau heißt, wissen die wenigsten.

Ich finde schon, dass Leute ein Recht darauf haben, zu wissen, wie man die Lage in etwa einzuschätzen hat. Wenn sie es wissen wollen und danach fragen. Aber natürlich darf der Satz "Sie haben noch genau x Wochen zu leben" so nie fallen, ich versuche, es anders zu formulieren, nie persönlich, sondern eher allgemein ("Menschen mit einem ähnlichen Stadium wie Sie ..."). Und vorneweg sag ich immer, dass man den individuellen Verlauf eh nie voraussagen kann.
Aber das sind die schwierigen Gespräche, wenn der Patient versucht, einen auf eine Aussage festzunageln, die man gerne etwas vage gestalten möchte.

Brutus
09.06.2012, 12:18
Was mich noch interessieren würde(an die Erfahrenen hier): Nennt ihr Zahlen? Prinzipiell scheint mir das heute absolut out, andererseits wollen einige Patienten das dann eben doch wissen, und erfahren es ja letzten Endes sowieso. Außerdem ist es sonst sehr schwierig, den Schweregrad und die Prognose quantitativ anschaulich darzustellen. Und wenn jemand noch Dinge zu erledigen hat, dann spielt es eben schon eine Rolle ob er statistisch gesehen eher um die drei Jahre oder doch nur drei Monate zu leben hätte...denke im PJ an eine Ärztin zurück, die nur davon laberte dass "sie erledigen sollten was sie zu erledigen haben, aber das würde ich ja jedem empfehlen"; obwohl der total durchmetastasiert war...aber wenigstens hat man keine Zahlen genannt, weil das ja "keinen Sinn macht und die Leute nur verängstigt".
Was ist eure Sicht dazu?

Ganz klar keine Zahlen! Was bringt es dem Patienten mit dem Ösophaguskarzinom, dass er weiß, dass die meisten Patienten mit dieser Erkrankung innerhalb eines halben Jahres versterben? Ich habe Patienten mit Ösophaguskarzinome gesehen, die inoperabel und mit grottenschlechtem AZ trotzdem noch mehrere Jahre überlebt haben (über Qualität reden wir jetzt mal nicht), und solche, die eigentlich völlig unauffällig waren und ein paar Tage später tot waren. Die Diagnose müssen die Patienten wissen, und gerade bei jungen Patienten auch frühzeitig, eben weil man noch Dinge erledigen muss. Aber wer will denn dem Patienten sagen, dass er noch 1 Woche / Monat / Jahr hat? Gott? <- der wohl noch am Ehesten!
Ansonsten kommen eben hinterher von Angehörigen oder auch Patienten Sätze wie: Naja, ich habe noch eine Woche! Das war vor 2 Jahren! WIR haben den Patienten meistens gesagt, dass es nicht vorhersehbar ist, und dass sie alles tun sollen, was sie wollen und können. Und das WICHTIGSTE!: Wenn es ihnen plötzlich schlechter gehen sollte, dass sie JEDERZEIT zu uns kommen könnten und ohne Umweg über irgendwelche Ambulanzen direkt auf der Palliativstation aufgenommen werden können! Damit haben die Patienten IMMER einen Ausweg B! Und das ist eigentlich das Wichtigste für die meisten Patienten und Angehörigen. Denn die Frage: "Was ist denn, wenn es zu Hause plötzlich nicht mehr geht?" ist häufig das größte Problem / Angst, wenn man die Patienten noch einmal wieder nach Hause schicken kann!