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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Akutes Koronarsyndrom, Hypertonie: Ebrantil schädlich?



torrannagga
12.06.2012, 12:05
Hallo zusammen,

Gelegentlich kommt es vor, dass es nach Einsätzen bei uns auf der Wache zu konstruktiven Diskussionen über die Therapie verschiedener Krankheitsbilder kommt.

So geschehen auch letztens, wobei es im konkreten Fall um den Einsatz von Ebrantil bei einem akuten Koronarsyndrom ging.
Zum Fall: Die Nachforderung eines Notarztes erfolgte vom RTW bei pectanginösen Beschwerden und einem initialen RR von 230 mmHg. In der Annahme eines hypertensiven Notfalls als Ursache der AP wurden zunächst zwei Hub Nitro, bei unzureichender Wirkung noch zusätzlich fraktioniert 25mg Ebrantil appliziert.
Bei persistierender Klinik trotz RR ~ 160 mmHg und einem nicht ganz eindeutigen EKG (isolierte, minimalste Hebung in III) aber eigentlich nach wie vor eindeutiger Klinik wurde der Patient mit ASS, Heparin, Clodigrel und Morphin im Rahmen eines ACS auf der kardiologischen Intensivstation aufgenommen.
Sofern ist der Einsatz in meinem Augen absolut korrekt gelaufen.

Auf dem Boden dieses Einsatzes kam es aber später dann zur "Diskussion" über den Einsatz von Ebrantil im Rahmen eines Akuten Koronarsyndroms.
Einig war man sich natürlich darüber, dass Ebrantil in den Leitlinien zum ACS nicht auftaucht und Nitro und Betablocker sicher leitliniengerechter sind.

Nun aber die Fragen:

1. Gibt es einen pharmakokinetischen Grund der Ebrantil im Rahmen eines ACS "verbietet"?
2. Könnte nicht Ebrantil im Bezug auf Nachlastsenkung beim Vorderwandinfarkt Vorteile bringen? (Postuliert: Senken der Restvolumenbelastung linksventrikulär --> Abnahme der LV-Wandspannung --> Verbesserung der Koronardurchblutung?)
3. Profitiert nicht auch der rechtsventrikuläre Infarkt von einer Nachlastsenkung? Eine forcierte Vorlastsenkung bei Rechtsherzbeteiligung wird ja gerne auch mal kritisch gesehen.

Mir ist durchaus klar, dass die Überlegung sehr theoretisch sind und dass man gerade beim hypertensiven Notfall mit AP halt auch mal irgendwo anfangen muss zu therapieren, aber so falsch kann Ebrantil in seiner nachlastsenkenden doch auch wieder nicht sein?!

Grüße und vielen Dank

Evil
12.06.2012, 13:11
1. Nein.
2. Denselben Effekt hast Du strenggenommen bei jedem Antihypertensivum.
3. Sicher.

Letzendlich muß eine ausgeprägte Hypertension auch aus Gründen des erhöhten myokardialen Sauerstoffverbauches gesenkt werden. Idealerweise nimmt man dafür einen Betablocker, zumal der nach Studienlage auch einen gesicherten Benefit bringt. Aber schädlich ist Urapidil erst dann, wenn man die Hypotonie erreicht.

WackenDoc
13.06.2012, 15:29
So hab ich´s auch gelernt: Urapidil ist neben Betablockern Mittel der Wahl für sowas. Musst halt ein bishen vorsichtig mit der Dosierung sein, damit der Blutdruck nicht plötzlich in´s Bodenlose rauscht, aber vom Medikament selber gibt´s da keine Probleme. Und es verträgt sich super mit Betablockern.

Miss
13.06.2012, 16:13
Als Anästhesist benutz ich gern Ebrantil für RR-Senkung allgemein. Im Rahmen des ACS würde ich natürlich einem Betablocker den Vorzug geben, allerdings ja nicht bei bereits bestehender Bradykardie, Linksherzinsuffizienz (oder auch evtl. schon Maximaltherapie mit Betablocker). Nach mehrfacher Nitrogabe und evtl. trotzdem fehlendem oder nicht ausreichendem Effekt bei bestehender Hypertonie oder wenn ich vielleicht sowieso *nur* eine hypertensive Entgleisung (sagt man eigentlich wirklich auch im Internistengespräch *hypertensiver Notfall*? ich finde den Ausdruck ein wenig albern, aber so heißt es ja *neuerdings*) vermute, würde ich vermutlich Ebrantil den Vorzug geben.

dantheg
14.06.2012, 00:40
Wobei 230->160 etwas über das Ziel hinaus geschossen ist. Ziel wäre eine 20%ige Minderung des Blutdruckes. Aber ich habe natürlich den Luxus nicht vor Ort gewesen zu sein, im Nachhinein ist man immer schlauer. Zur eigentlichen Frage: Ebrantil ... warum denn auch nicht!

Evil
14.06.2012, 06:30
20%-Senkung bei einem RR> 200? Wo stammt denn diese Info her?

Der myokardiale Sauerstoffverbrauch bei 160 mmHg systolisch ist eigentlich immer noch zu hoch, daher würd mich die Quelle für diese Leitlinie mal interessieren...

Coxy-Baby
14.06.2012, 07:22
Das kannte ich bis jetzt nur bei Schlaganfallpatienten, dass ma da den Blutdruck initial/präklinisch nicht mehr als 20% senken soll..

Brutus
14.06.2012, 09:33
^^ Und selbst da ist ja mittlerweile ein Wandel zu verspüren. Die meisten Neurologen tolerieren ja RR-Werte weit jenseits der 200er Grenze. Wenn Du mit einem um 20% gesenkten RR dort aufschlägst, dann fangen die auch gerne mal am Meckern an! :-))

Zum ACS: ich finde überhaupt nicht, dass man mit 230->160 übers Ziel hinausschießt. Ziel sind doch Werte deutlich unter 140mmHg sys. Ich habs noch so gelernt: RR hoch -> Nitro 2-3 Hub. Wenn RR immer noch hoch und HF > 60/min Betablocker. Wenn nach 5mg Beloc RR immer noch zu hoch, fraktioniert Ebrantil, wenn man noch länger in die Klinik braucht (meistens nicht, da ich das Beloc wirklich fraktioniert gebe und dabei schon mal die Fahrzeit ins KH draufgeht...). Dort können sich dann die Kardiologen Gedanken über die weitere Einstellung machen.

Zum Abschmieren des Drucks unter Ebrantil: da muss man aber schon eine amtliche Dosis verabreichen. Die meisten Patienten sind von einer viertel Ampulle überhaupt nicht beeindruckt (50mg Urapidil/5ml). Ich fange meist mit 15mg an, und geben die nächsten 10mg zügig nach. Nach den ersten 15mg kommt fast immer eine inadäquate RR-Senkung. Nach der 2. Dosis kommt man dann in den gewünschten Druckbereich. Und selbst wenn der Druck mal etwas niedriger sein sollte... So what! 5 Minuten warten, dann ist der Druck schon wieder oben.

Flemingulus
14.06.2012, 14:36
20%-Senkung bei einem RR> 200? Wo stammt denn diese Info her?

Der myokardiale Sauerstoffverbrauch bei 160 mmHg systolisch ist eigentlich immer noch zu hoch, daher würd mich die Quelle für diese Leitlinie mal interessieren...

In der Tat gibt es zu diesem Punkt Diskussionen in den (älteren aber noch gültigen) Leitlinien ist die Tendenz aber schon etwa so, dass ca. 20 % Senkung (Ausnahmen siehe unten) die Faustregel sind.

Hier mal eine Quelle mit Angabe weiterer Quellen ;-)

Tulman et al. Advances in management of acute hypertension: a concise review.
Discov Med. 2012 May;13(72):375-83. PMID: 22642919

Guidelines by the Joint National Committee on Prevention, Detection, Evaluation, and Treatment of High Blood Pressure for treating hypertensive emergencies include immediate intervention with a goal of reducing SBP by 10 to 15%, but no more than 25% within the first hour. Reduction of the absolute BP to 160/110 mmHg should be done gradually over the following two to six hours (Aggarwal and Khan, 2006; Chobanian et al., 2003; De Gaudio et al., 2009; Flanigan and Vitberg, 2006; Hays and Wilkerson, 2010; Pollack and Varon, 2008; Polly et al., 2011; Smithburger et al., 2010; Varon, 2008). In cases of aortic dissection, the SBP should be reduced to less than 120 mmHg within twenty minutes. In hypertensive emergencies associated with ischemic stroke, BP must be decreased to less than 185/110 before thrombolytic therapy may be administered (De Gaudio et al., 2009; Hays and Wilkerson, 2010; Pollack and Varon, 2008; Polly et al., 2011; Varon, 2008). If BP reduction occurs too quickly, there may be a significant decrease in blood flow to tissues with cell death as a possible outcome (De Gaudio et al., 2009; Polly et al., 2011; Smithburger et al., 2010; Varon, 2008).


References:

Aggarwal M, Khan IA. Hypertensive crisis: hypertensive emergencies and urgencies. Cardiol Clin 24(1):135-146, 2006.

Chobanian AV, Bakris GL, Black HR, Cushman WC, Green LA, Izzo JL, Jr, Jones DW, Materson BJ, Oparil S, Wright JT, Jr, Roccella EJ. Seventh report of the Joint National Committee on Prevention, Detection, Evaluation, and Treatment of High Blood Pressure. Hypertension 42(6):1206-1252, 2003.

De Gaudio AR, Chelazzi C, Villa G, Cavaliere F. Acute severe arterial hypertension: therapeutic options. Curr Drug Targets 10(8):788-798, 2009.

Flanigan JS, Vitberg D. Hypertensive emergency and severe hypertension: what to treat, who to treat, and how to treat. Med Clin North Am 90(3):439-451, 2006.

Hays AJ, Wilkerson TD. Management of hypertensive emergencies: a drug therapy perspective for nurses. AACN Adv Crit Care 21(1):5-14; quiz 16, 2010.

Pollack CV, Varon J. Hypertensive emergencies: acute care evaluation and management. Emergency Medicine Cardiac Research and Education Group International 3:1-9, 2008.

Polly DM, Paciullo CA, Hatfield CJ. Management of hypertensive emergency and urgency. Adv Emerg Nurs J 33(2):127-136, 2011.

Smithburger PL, Kane-Gill SL, Nestor BL, Seybert AL. Recent advances in the treatment of hypertensive emergencies. Crit Care Nurse 30(5):24-30, quiz 31, 2010.

Varon J. Treatment of acute severe hypertension: current and newer agents. Drugs 68(3):283-297, 2008.

Sebastian1
14.06.2012, 15:20
^^ Und selbst da ist ja mittlerweile ein Wandel zu verspüren. Die meisten Neurologen tolerieren ja RR-Werte weit jenseits der 200er Grenze. Wenn Du mit einem um 20% gesenkten RR dort aufschlägst, dann fangen die auch gerne mal am Meckern an! :-))
In meiner Prüfung für die Zusatzbezeichnung wollten die alt Grenze für die Drucksenkung beim Schlaganfallpatienten 220 mmHg hören, mit dem zusätzlichen Verweis, dass in den Ju-Es-Äi teilweise auch noch höhere Werte bis 240 mmHg präklinisch nicht behandelt werden würden.

Gut, beim ACS sieht das dezent anders aus ;-)
Diese 20% trotz deiner Quellen, Flemingel, spiegeln allerdings meine "gefühlte Medizin" nicht richtig wieder, die KHKler, die man dann mit instabiler AP bei hypertensiver Entgleisung präklinisch antrifft spüren (gefühlt) im Schnitt eine Beschwerdebesserung erst bei einer wesentlich deutlicheren Senkung....

Brutus
14.06.2012, 15:39
Ich denke, dass Flemingel und Evil unterschiedliche Krankheitsbilder miteinander vergleichen. Evil bezieht sich auf die, vom TE angefragte, Problematik beim ACS. Flemingel hat die Grenzen für die hypertensive Entgleisung rausgesucht. Da stehen die 20% für eben die hypertensive Entgleisung / Krise. Ansonsten eben die Grenzen für BAA und für eine Lyse beim Apoplex. Nur zum ACS steht da nix.

Und für die hypertensive Krise ist eine Reduktion um 20% ja schon mal ein guter Anfang. Wenn es sonst keine Begleitsymptome gibt, würden die mir auch durchaus reichen. Die definitive Einstellung sollen die mal schön in der Klinik / beim HA anschließend machen...

Evil
14.06.2012, 16:44
Ich denke, dass Flemingel und Evil unterschiedliche Krankheitsbilder miteinander vergleichen. Evil bezieht sich auf die, vom TE angefragte, Problematik beim ACS. Flemingel hat die Grenzen für die hypertensive Entgleisung rausgesucht. Da stehen die 20% für eben die hypertensive Entgleisung / Krise.
Das denke ich auch, allerdings hab ich grad keine Zeit, die Studien einzeln durchzulesen, um zu schauen, ob in einer der angegebenen nicht doch auch das ACS mitbehandelt wurde. Im Review wird es explizit nicht erwähnt.