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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : 2 Wochen alter Säugling mit Trinkschwäche



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Enni
30.06.2012, 10:51
Ein schönes Wochenende zusammen!
Ich habe einen ganz spannenden Fall aus der Pädiatrie am "Ende der Welt". Die geografischen Gegebenheiten spielen bei einigen Entscheidungen eine Rolle: hier ist dauernd ein Fjord im Weg, über den man nur mit dem Schiff kommt. Das ganze fängt in der Praxis des Familien-Hausarztes an (niedergelassene Kinderärzte gibt es auf dem Land nicht). Das Wetter ist typisch norwegisch, Regen, Nebel und ein Wind. Als Allgemeinmediziner habt Ihr durchaus Erfahrung mit Kindern, weil Ihr die "U"-Untersuchungen macht.

Ihr befindet Euch in Norwegen und seid erstmal der Hausarzt des 13 Tage alten Babys. Die Eltern rufen an, weil ihre Tochter nicht mehr so gut trinkt, wie die Tage vorher und sie sich deswegen Sorgen machen. Eure Arzthelferin verabredet einen Termin direkt vor der Mittagspause und schreibt in das Terminsystem als Grund für den Termin: Trinkschwäche.
Als die Familie Euer Sprechzimmer betritt, seht Ihr einen Säugling im MaxiCosy, etwas blass im Gesicht, mehr seht Ihr erstmal nicht, das Kind ist gut eingepackt.

Was fragt Ihr? Was macht Ihr? Was wollt Ihr wissen?

Brutus
30.06.2012, 11:03
Erstmal einen Eindruck vom Kind. Eher still / lethargisch oder aktiv? Hautkolorit?
Dann die Gewichtsentwicklung seit der Geburt. Trinkschwäche? Oder eher schwallartiges Erbrechen NACH dem Trinken?

WalterSobchak
30.06.2012, 11:21
Ist das Kind "krank"?
Dann fragen nach: Fieber (wie lange)? Wie/womit wird das Kind ernährt? Wieviel trinkt das Kind noch? Vigilanzänderung? Berührungsempfindlichkeit?Durchfall/Erbrechen? (Tachy-)Dyspnoe/Husten?
Klinische Untersuchung: Muskeltonus, Hautkolorit, Mikrozirkulation (RekapZeit), Fontanelle, HNO, Abdomen (Peristaltik etc.), meningitische Zeichen kann man in dem Alter getrost vergessen, bzw. Nichtvorhandensein schließt nichts aus...
Dann (soweit es in der Praxis geht) Labor: Minimum: BB, CrP, Urin
bei "krankem" Kind in dem Alter mit CrP und ohne wirklichen klinischen Fokus gehört ne LP dazu.

Oder schieß ich übers Ziel hinaus und das Kind zeigt lediglich Trinkschwäche/Mangelgedeihen ohne krank zu sein?? :-peng

THawk
30.06.2012, 12:12
Dann hätte ich gerne noch Geburtsanamnese (SSW, Gewicht, Anpassung), Aussagen zu Herzfrequenz, HG, Leistenpulse. Wird das Kind gestillt / wird abgepumpt? Ggf. mal ein Stillgewicht machen. Und wie ist die Stuhlfrequenz, -konsistenz, -farbe?

Enni
01.07.2012, 22:22
Ok, wir fragen die Eltern ein bisschen aus. Ist ihr erstes Kind, beide Eltern sind gesund. Die Schwangerschaft war normal. Die Kleine ist 4 Tage vor dem Termin geboren. Die Geburt hat lange gedauert, am Ende wurde es ne VE. Apgar 9-10-10. Gewicht 3850g. Am 3. Lebenstag entlassen. Voll gestillt, seitdem nicht mehr gewogen. Bei der Neugeborenenuntersuchung ist ein Herzgeräusch gehört worden. Im Ultraschall wurde dann ein kleines Loch im Herz gesehen. Kontrolle ist in ca 6 Wochen geplant.
Die Mutter hat das Gefühl, dass das Baby weniger trinkt. Kein Erbrechen. 5-6x/täglich gelbliche, körniger Muttermilchstuhl. Kein Durchfall. Die Eltern haben kein Fieber gemessen. Das Kind wirkt auch nicht besonders warm.
Während der Anamnese schläft das Kind im Autositz. Für ein Neugeborenes ist das Gesicht eher blass (nicht zyanotisch).
Habt Ihr noch Fragen oder sollen wir sie wecken und untersuchen?

Für die weitere Diagnostik: In der Praxis können wir ein CrP und U-Stix machen. Die Klinik ist etwa 2 Stunden entfernt, da könnte man Blut abnehmen lassen für weitere Diagnostik.

WalterSobchak
02.07.2012, 00:20
Schwitzen? Ausscheidung (Urin?) und NA KLAR gucken wir das Kind an!!!! :-top

THawk
02.07.2012, 10:30
Ja, bitte ausziehen. Und Wiegen, messen (Temperatur). Haben wir ein Pulsoxy? Pumpt die Mutter ab oder gibt sie Brust?

Enni
02.07.2012, 21:58
Geschwitzt hat das Kind bisher nicht. Die Windel war heute morgen nass. Baby wird an der Brust gestillt, also ohne abpumpen und ohne anderes Zufüttern.

Ok, dann gucken wir uns das Baby mal an. Gewicht 3800g, Temp 37,5°C, unser Pulsoxy funktioniert leider bei so kleinen nicht... Als erstes fällt auf dass das Kind subcostale und intercostale Einziehungen hat. RF 50/min, P 150/min. Rekap Zeit ca 3 Sek. Kein Enxanthem, keine Petechien. Insgesamt ist das Kind blass. Die Fontanelle ist weich und im Niveau. Irritabel oder berührungsempfindlich ist das Kind nicht. Muskeltonus eher schlapp, aber zwischendurch strampelt die Kleine kräftig. Abdomen ist unauffällig, Leistenpulse beidseits sicher tastbar. Das von den Eltern beschriebene Herzgeräusch hört ihr auch, ein systolisches 2/6 Geräusch im 3/4 ICR links. Über den Lungen hört man vereinzelte RGs. Rachen und Ohren hat der Hausarzt nicht genauer angeguckt, wird aber wohl unauffällig gewesen sein.

Urinbeutel kleben wir gleich, wenn wir das Kind schon mal ausgezogen haben. CrP macht eine der Arzthelferinnen: 8mg/l.

BB und LP können wir in der Praxis nicht machen.

Was wollt Ihr mit dem Kind machen? Krankenhaus? Wenn ja, wie?

Brutus
03.07.2012, 09:28
OK. Das Kind ist nach 13 Tagen wieder / immer noch (?) beim Geburtsgewicht. Wie war denn der Gewichtsverlauf? Was mir nicht gefällt, sind die Einziehungen. Die AF von 50/min finde ich noch nicht sooo dramatisch. Ist das Kind denn zu sehr mit der Atmung beschäftigt, dass es für die Nahrungsaufnahmen schlichtweg keine Zeit / Energie übrig hat? Gibt es bei der Inspektion offensichtliche Engstellen im Atemweg (nasal oder oropharygeal). Stridor in oder expiratorisch?

WalterSobchak
03.07.2012, 16:55
Geringe Tachykardie, beginnende Tachypnoe, Einziehungen, subfebril, schlapp + trinkschwach - hmm... *gefaelltmirnicht*
Riecht irgendwie nach Bronchiolitis... :-?
Ich bin für Klinikeinweisung, dort SpO2-Messung, ggf. RSV-AG-Nachweis aus Nasenspülflüssigkeit (passt das zeitlich?). Vorher schon mal Nasentropfen geben + Inhalation mit Salbutamol (wobei die Wirkung bei Bronchiolitis ja umstritten ist, aber egal...) + i.v. Zugang + 15 mg Decortin i.v. (auch dessen Wirksamkeit ist ja sehr umstritten, aber trotzdem...)
Bei ausgeprägter Tachydyspnoe RTW (wegen dann schon früher verfügbarer SpO2-Messung und ggf. O2-Gabe), wenn unter den genannten Maßnahmen schon ne klinische Besserung eintritt und es wegtechnisch und zeitlich vertretbar ist, evtl. auch mit Privat-PkW ins KH :-)

Enni
03.07.2012, 19:09
Im Krankenhaus hatte das Kind wohl ca 300g abgenommen, die hatte sie bei Aufnahme wieder zugenommen. Mehr weiß ich zum Gewichtsverlauf nicht.
Stridor hat sie nicht, offensichtliche Engstellen in Nase und Mund auch nicht. Nasentropfen geht klar. Inhalation hat der Hausarzt nicht gegeben, an einen Zugang hat er sich auch nicht getraut (im Zweifelsfall hat er auch noch nie einen Zugang bei einem Neugeborenen gelegt). Schlechte Straßenverhältnisse, relativ weite Anfahrt zur Klinik (2 Stunden Fahrt und Fähre) und das schlappe Kind sprechen für den RTW. Dort haben wir auch die Möglichkeit die Sättigung zu messen. 93-94% bei schlechter Signalqualität. Wird auch nach Wechsel des Sensors und des Fingers/Fuß nicht besser. Nach Inhalation mit Adrenalin ändert sich die Sättigung nicht. Mit 4-5l Sauerstoff über die Maske steigt der Sp02 auf 100%. RF jetzt 60/min.
Sollen wir mitfahren, damit ein Arzt dabei ist? Sind immerhin 2 Stunden bis zum Krankenhaus... Die nächste Fähre können wir noch bekommen, wenn die weg ist, müssten wir 30 Minuten warten.

Brutus
03.07.2012, 19:27
Hmm. Also ICH würde keinen Sauerstoff geben. 93-94% ist doch super. Was mich noch interessieren würde: wie ist denn die Sättigung am Fuß gemessen. Und zwar der direkte Vergleich vom linken Arm und irgendeinem Fuß. Wenn da eine deutliche Differenz wäre, spricht das für einen offenen Ductus arteriosus botalli. DANN wäre Sauerstoff wiederum sehr wohl indiziert. Und die Klinik könnte auch dazu passen...
Meiner Erfahrung nach werden die RA einen 2 Wochen alten Säugling nicht alleine transportieren. Und ICH würde ihn auch nicht alleine fahren lassen. Also fix los, damit wir die Fähre noch erreichen. Gerne auch mit Sondersignal, sollte die Fähre sonst weg sein.
Wie siehts denn mit einem Heli aus? Alternativ, wenn sich der Zustand verschlechtert mit nem Seenotrettungsboot der DLRG?

THawk
03.07.2012, 22:37
Hm, von mir gäbe es bei der Symptomatik kein Decortin. Wir machen es bei RSV-Nachweis nie, außerdem fehlt mir die harte Symptomatik dafür.
Brutus, meinst du wirklich linker Arm - ich kenne nur rechten Arm als (sicher) präduktale Sättigung. Aber der Vergleich würde mich auch interessieren. O2 würde ich primär keines geben bei 93-94% (zusätzlich wohl verminderte bei schlechter Signalqualität).
O2 würde dir beim PDA helfen, allerdings dich vor ein massives Problem stellen wenn du doch ein zyanotisches Vitium hast - ach, aber das Kind hatte ja schon ein Echo gehabt, also äußerst unwahrscheinlich.
Transport arztbegleitet und bitte mit der nächst möglichen Fähre :-dafür

WalterSobchak
03.07.2012, 23:05
Hm, von mir gäbe es bei der Symptomatik kein Decortin. Wir machen es bei RSV-Nachweis nie, außerdem fehlt mir die harte Symptomatik dafür.

Hmm. Ja, irgendwie hast du recht. Allerdings haben wir ein Kind mit Dyspnoe, RG auf der Lunge und wahrscheinlich ner Obstruktion der kleinen Atemwege. Du vergibst dir ja nichts mit dem Steroid, im schlimmsten Falle bringts eben nichts, im Idealfall doch ne geringe Besserung. Ich würds machen.

An nen PDA mag ich nicht so wirklich glauben... :-oopss

Brutus
04.07.2012, 05:41
Brutus, meinst du wirklich linker Arm - ich kenne nur rechten Arm als (sicher) präduktale Sättigung. Aber der Vergleich würde mich auch interessieren. O2 würde ich primär keines geben bei 93-94% (zusätzlich wohl verminderte bei schlechter Signalqualität).

:-blush Ähh ja. Das andere links. :-))

FirebirdUSA
04.07.2012, 06:07
Alternativ, wenn sich der Zustand verschlechtert mit nem Seenotrettungsboot der DLRG?
Die hätten nach Norwegen aber eine weite Anfahrt :-winky

Mich würde interessieren, bestand die Trinkschwäche von Geburt an oder ist das in den letzten Tagen erst aufgetreten?

Enni
05.07.2012, 18:39
Mich würde interessieren, bestand die Trinkschwäche von Geburt an oder ist das in den letzten Tagen erst aufgetreten? Erst seit kurzem. Vorher hatte die Mutter das Gefühl, die Kleine würde kräftig saugen.

Decortin hat das Kind nicht bekommen. Machen wir in der Klinik nicht standardmäßig. Es gibt aber manche Allgemeinmediziner, die nahezu jedes Kind mit Steroiden abdecken.

Auf die DLRG hätte ich da nicht gewartet. Auch nicht auf die norwegische Variante des Vereins, da sind wir mit Fähre und RTW schneller. Der Helikopter wurde in Erwägung gezogen, kann aber nicht fliegen wegen Nebel, gefrierendem Regen und schlechter Sicht. Also nehmen wir den RTW und fahren mit. Wir befreien das Kind wieder von der Maske und lassen es mit einer Sättigung von >90% mit der Fähre über den Fjord fahren. Die Sättigung ist übrigens prä- und postduktal gleich. Im Laufe der Fahrt verschlechtert sich der Zustand des Kindes. Sie hat Apnoen und Sättigungsabfälle bis 60%. Auch mit O2 steigt die Sättigung nur auf ca 90%. Keine Verbesserung nach einer weiteren Adrenalin-Inhalation. Wir informieren den diensthabenden Kinderarzt schon mal über die Verschlechterung.

Als Allgemeinmediziner fühlen wir uns erleichtert, als wir mit dem Baby in der Klinik ankommen - wir tauschen die Rollen und machen als Kinderarzt weiter, oder?!

In der Aufnahme gucken wir das Kind noch mal an. Kap Refill ca 5sek. Weiterhin Einziehungen, RF 60-70/min. SpO2 90% mit 100% Sauerstoff über die Maske. Während wir uns an einem iv-Zugang versuchen, bastelt die Schwester den CPAP dran (Mütze und Nasenmaske). Unter CPAP (Peep 5cm H2O, 40% Sauerstoff) steigt die Sättigung auf 93%. Das Baby reagiert kaum auf die erfolglosen Versuche einen iv Zugang zu legen. Letztendlich haben wir einen i.o. Zugang gelegt. Auch dabei hat das Kind nur kurz gewimmert. Über den i.o. Zugang hat sie erstmal NaCl 0,9% 15ml/kg bekommen.

Welche Untersuchungen wollt Ihr? Welche Therapie?

McBeal
05.07.2012, 18:49
Gibt es in Norwegen ein standardmäßiges NG-Stoffwechsel-Screening? Wenn ja, was enthält es? Bitte abfragen!

Ich hätte gern eine BGA und im Labor erstmal: Blutkultur, großes BB diff, CRP, Krea, Hst, Elyte, GOT, GPT, Bili diff, außerdem einen Urin und einen RSV-Test.
Ein Rö Thorax wäre schön und ein Wiederholungs-Echo, außerdem natürlich Monitoring.

Ist das Kind unter CPAP besser?1

Über die Infusion bin ich verwirrt, da käme hier nie NaCl 0,9% dran. Habt Ihr da andere Standards? Ich hätte jetzt PädI drangebastelt.

WalterSobchak
05.07.2012, 20:07
Das NaCl gabs sicher als Bolus bei RekapZeit 5 sek. Würd McBeals Diagnostik noch um ne LP erweitern. Die Frage, die sich stellt: Infektion, Stoffwechselproblem oder funktionelles Problem? Ersteres kriegt man via Labor schnell raus, funktionelle Sachen (Pneu?) durch Rö-Thorax, Stoffwechselproblem auf die Schnelle zu diagnostizieren wird schwieriger (Wenn nicht grad massive Elytverschiebungen oder BZ Anomalitäten vorliegen) :-?

Also: BE, BK, LP, Urin, Rö, Echo (hat das Kind eigentlich ne Zyanose oder so?). CPAP weiter, ggf. Intubationsbereitschaft, natürlich Infusion (Pädiafusin), bei dem schlechten AZ und dem foudroyanten Verlauf würd ich glaub ich primär ne Antibiose geben ohne das Labor abzuwarten. (Cefotaxim/Ampicillin je in Meningitisdosis + Genta)

THawk
05.07.2012, 20:54
NaCl 0,9% ist meines Erachtens leitliniengerecht bei Vd. hypovolämischen / septischen sonstwie Schock. Hätte ich auch so gemacht (könnte ja gut eine late-onset Sepsis sein). Für die Diagnostik wie von Walter vorgeschlagen wäre ich auch.

Da wir uns ob der möglichen Stoffwechsel-Defekte noch im unklaren sind würde mir Pädiafusin (wohl mit 5% Glukose, oder?) nicht ausreichen um eine Katabolie sicher zu verhindern. Also lieber Glukose 10% + 80 mmol NaCl 1 molar pro Liter (bzw. angepasst je nach Astrup, den ich ja rasch in der Hand halte). Und da wir uns schon auf der Neo-ITS befinden würde ich nach der initialen Stabilisierung mal kurz den Schallkopf aufs Köpfchen halten (ehrlich gesagt fallen mir jetzt nicht super viele diesbzgl. DD ein, aber naja, trotzdem :-p ).