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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Case Manager und DRG kodierer bestimmen die Therapie



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MD23
10.07.2012, 18:55
Hallo,

Bin im Moment mal wieder etwas genervt und schreibe daher hier im Affekt obwohl ich sonst hauptsächlich mitlese :)

Ich bin dankbar, dass wir Ärzte uns (bei uns) mit Kodierungen und Heimplätzen besonders wenig herumschlagen müssen. Dafür haben wir Case Manager. Toll.
Aber in letzter Zeit häufen sich die Therapieempfehlungen dieser Leute, die wir (nach Angabe unserer Oberen) befolgen sollten. Auf einer operativen Station haben wir bspw. einige (ziemlich alle) Patienten mit Anämie (per definitionem am Hb gemessen). Jedesmal wenn wir jetzt die Patientenakte aufschlagen finden wir kleine Post-Its mit der Empfehlung: "Ferro sanol anordnen". Oder bei Patienten mit (rel. banalen) Infektionen "2. Blutkultur abnehmen, Diagnose im Brief auf Sepsis ändern". Oder bei alten Patienten "Albumin bestimmen! Mangelernährung feststellen". Und das wirklich bei jedem Patienten anhand der Aktenlage ohne dass eine relevante Anämie (und schon gar kein Eisenmangel) oder Mangelernährung etc. vorliegt.
Hintergrund ist natürlich DRG Optimierung.

Ist das in allen Häusern so? Und obwohl ich die medizinische Sinnhaftigkeit bezweifle, kann das o.g. In Einzelfällen ja auch mal stimmen. Mich stört aber, dass "Sekretärinnen" medizinische Anordnungen treffen (indirekt) und zwar mit einer Selbstverständlichkeit die mich einfach nervt (befehlsartig).

Aber ich denke, heute machen Case Manger und Gesundheitsökonomen Medizin und Ärzte sind nur noch Erfüllungsgehilfen die Brief zu tippen haben (ok, ganz so krass noch nicht)...

Evil
10.07.2012, 19:15
Naja, grundsätzlich therapiebestimmend sind solche Dinge jetzt nicht. Es geht aber, wie Du schreibst, genau darum, daß die Klinik gewisse DRGs kodieren kann, und dazu sind gewisse diagnostische Maßnahmen (oder besser: deren Dokumentation) notwendig.
Was glaubst Du, warum vor einigen Jahren nahezu jeder internistische Patient an einer Hypokaliämie litt? ;-)

Natürlich ist das extrem nervig, gehört aber zum alten Hase-und-Igel-Spiel zwischen Klinik und Krankenkassen, wer die DRG-Schlupflöcher am besten ausnutzt (die ja einem ständigen Wechsel unterworfen sind). Solche Strukturen durchziehen ja das gesamte Gesundheitssystem.

Michael72
10.07.2012, 19:35
Obwohl ich eine gewisse Hilflosigkeit in dem Zusammenhang nachvollziehen kann, könnte es Dir vielleicht helfen, zwischen Aktenlage und klinischem Bild zu unterscheiden. Ein Mann mit einem Hb < 13,0 g/dl hat definitionsgemäß eine Anämie (Herold, neuste Auflage). Für die DRG zählt allein das und nicht, ob der Betroffene klinisch unter seiner Anämie leidet. Mangelernährung ist im Alter ein Problem das nicht erst dann anfängt, wenn das klinische Bild danach aussieht und Albumin ist ein zuverlässiger Serummarker, ein Wert unter 35g/l entspricht nunmal per Definition einer Mangelernährung. Auch für Sepsis gibt es klare Kriterien, die wenn sie erfüllt sind, die Diagnose Sepsis ergeben.

Klar, dieses DRG Spiel nervt, aber das ist das derzeitige System. Letztlich muss das KH Geld verdienen, damit es Dir Dein Gehalt zahlen kann.

dreamchaser
10.07.2012, 20:34
Manchmal hilft es, wenn man etwas von diesem DRG-Kram "versteht" und sich nicht gegen die Kodierer/Case Manager stellt. Die werden oft nicht gemocht von den Klinikern und bekommen das entsprechend mitgeteilt - vielleicht kommunizieren sie deshalb mit den Zetteln. Manchmal hilft es, offensiv auf die Leute zuzugehen und eine vernünftige Zusammenarbeit auf die Beine zu stellen - die sind dann oft richtig dankbar, dass jemand auf sie zukommt und mit ihnen zusammenarbeiten will (die machen das ja nicht aus Böswilligkeit, sondern weil es ihr Job ist - man kann aber die Kommunikation verbessern). Mir hat unser Kodierer so ein paar "Tips" gegeben, wie ich Dinge am besten im Brief formulieren kann, damit es einfacher ist, bestimmte Punkte abzurechnen. Hatte wenig Probleme mit den Leuten, die sind eben ab und zu mal auf mich zugekommen mit einer Frage.

MD23
10.07.2012, 20:43
Nein, das ist sicher nicht bös gemeint, ist mir klar. Eigentlich kommen wir auch gut miteinander klar und ich bin, wie Cohn gesagt, froh, dass wir uns nicht um sowas kümmern müssen. Mir sind auch die Zusammenhänge klar. Aber was mich stört ist glaub ich, dass das eben seit einiger Zeit ständig so ist. Und obwohl uns das klar ist kommt sie uns immer zuvor, klebt überall ihre Zettelchen rein und es fühlt sich einfach so an, wenn wir Nachmittags endlich mal auf Station kommen, als müsste sie uns unsere Arbeit ständig erklären. ;)

WackenDoc
10.07.2012, 20:58
Frag die doch mal, ob sie nicht mit auf Visite kommen wollen.
Da können die direkt erklären, was sie warum wollen.
So von wegen:"Also wenn ihr da die und die Untersuchung machen würdet, dann könnten wir die die Nebendiagnose xy besser abrechenen".
FÄnd ich netter als irgendwelche "Auftragszettelchen"

psycho1899
10.07.2012, 21:00
Kein Patient sollte aus DRG-Gründen diagnostische invasive Maßnahmen oder Medikation bekommen, selbst wenn es sich nur um BEs oder Ferrosanol handelt.

Hoppla-Daisy
10.07.2012, 22:06
DAS ist genau der Punkt, der mich Tag für Tag auf Visite ankotzt: Es zählt eigentlich nur noch "wie können wir was wie abrechnen... ah okay, muss also noch nen Tag bleiben... *zum Urinbeutel mit klarem Urin schaut* ... *zum Patienten spricht* ihr Urin ist noch blutig..."

Ich hoffe, es wird klar, was ich damit sagen möchte. Is schon spät, und die Ente ist müde.

MD23
11.07.2012, 05:39
*zum Urinbeutel mit klarem Urin schaut* ... *zum Patienten spricht* ihr Urin ist noch blutig..."

Das können wir auch gut

Espressa
11.07.2012, 06:48
Ist doch überall so, dass man häufig etwas dokumentieren muss, was so nicht immer tatsächlich ist.
Wobei ich das prinzipiell schon verstehe. Wenn wir Patienten aufwendig operieren, denen die notwendige Nachsorge zukommen lassen und dann der MDK Aufenthaltstage und Geld streicht - ist das auch nicht fair.
Es ist ja nicht so dass wir die aus Spass länger behalten, das hat schon seine Richtigkeit, sondern dass vom MDK nur gewisse Kriterien zählen, und die müssen dann aufgezeichnet werden, ob sie da sind oder nicht.

Evil
11.07.2012, 11:19
DAS ist genau der Punkt, der mich Tag für Tag auf Visite ankotzt: Es zählt eigentlich nur noch "wie können wir was wie abrechnen..."
Tja, genau darum geht es mittlerweile im Gesundheitssystem, es wird von Politikern, Krankenkassen und Kliniken zunehmend kommerzialisiert. Aber wenn die Ärzte dann mal auch mitmachen, dann sind sie wieder die Bösen mit dem IGeL-Betrug.

LMD
11.07.2012, 16:32
Neben diesen furchtbaren Abrechnungstücken gibt es aber auch schöne Lücken. habe jetzt eine Komplexbehandlung entdeckt: damit kann man einen Patienten 14 Tage Physio und Ergo (und Psycho für die Abrechnung) zukommen lassen, hat genügend Zeit für die Diagnostik und Therapieoptionen und den Leuten wird ohne Zeitdruck wirklich geholfen. Finde ich echt gut. Natürlich gibt es aber auch die anderen dummen Sachen, aber ich würde nie wegen einer leichten Anämie feroo sanol ansetzen... zumal bei mir in der klinik ein eisenresorptionstest vorher durchgeführt werden muss und natürlich ferritin usw. und da sollen die mir erstmal erklären wie sich die zusatzdiagnostik bei minimal erniedrigtem hb nur für die diagnose rechnet....

Hoppla-Daisy
11.07.2012, 16:56
Und WAS musste ich gestern Morgen noch auf der Visite aufgrund der Anordnung vom OA in der Kurve vermerken? GE-NAU! Ferrosanol.....

:-peng

wjsl
11.07.2012, 17:27
Neben diesen furchtbaren Abrechnungstücken gibt es aber auch schöne Lücken. habe jetzt eine Komplexbehandlung entdeckt: damit kann man einen Patienten 14 Tage Physio und Ergo (und Psycho für die Abrechnung) zukommen lassen, hat genügend Zeit für die Diagnostik und Therapieoptionen und den Leuten wird ohne Zeitdruck wirklich geholfen. Finde ich echt gut.

Kannst du das genauer erklären?

MD23
11.07.2012, 19:11
und da sollen die mir erstmal erklären wie sich die zusatzdiagnostik bei minimal erniedrigtem hb nur für die diagnose rechnet

Diagnostik wird ja garnicht gemacht. Vermutet nach OP ja auch keiner ernsthaft nen Eisenmangel.

PS: hab mich das auch schon gefragt, konnte mir aber keiner schlüssig beantworten: zusatzdiagnose kodiert, DRG Erlös geht hoch. Aber die zusätzlichen Blutkulturen (weil einfach 2 notwendig sind zur Kodierung von Sepsis, egal ob steril oder nicht) oder das durchführen lassen einer Ernährungsberatung kostet doch auch irgendwen Geld. Wird das von der DRG bezahlt? Scheinbar scheint es sich trotzdem noch zu lohnen - so clever sind die ja sicher schon, dass nicht einfach das triggern der nächsten Stufe gesehen wird, sondern die zusatzkosten gegen gerechnet werden?!

Thomas24
11.07.2012, 19:28
Mit welcher Software verschlüsselt ihr denn? Bei uns hat mir damals als kleiner Stationsassi das Programm an Änderungen des Fallwertes angezeigt, wie sich bestimmte Verschlüsselungen ausgewirkt haben. (Berühmtes Beispiel... Hypokaliämie wg. Therapie mit Acetazolamid). Heute macht das alles eine Kodierdame für uns-

tomten
12.07.2012, 08:02
Neben diesen furchtbaren Abrechnungstücken gibt es aber auch schöne Lücken. habe jetzt eine Komplexbehandlung entdeckt: damit kann man einen Patienten 14 Tage Physio und Ergo (und Psycho für die Abrechnung) zukommen lassen, hat genügend Zeit für die Diagnostik und Therapieoptionen und den Leuten wird ohne Zeitdruck wirklich geholfen. Finde ich echt gut.

Na ja, damit es nicht zuviel Spaß macht, gibt es bei dem Komplexbehandlung auch ein paar Fallstrecken: 1 Tag weniger und es gibt gar keine Euro für die KBH. Und bei unseren beiden KBH ist es so, dass es alle 3 Tg ein Teammeeting gemacht werden muss (Arzt, Schwester, PT, ET, Ernaehrungsberatung etc) was auch zu dokumentieren ist auf einem vierseitiges Formular. Und in den Arztbrief müssen dann auch ganz bestimmte Floskeln hineingetan werden, damit der MDK es akzeptiert.

LMD
14.07.2012, 13:03
Na ja, damit es nicht zuviel Spaß macht, gibt es bei dem Komplexbehandlung auch ein paar Fallstrecken: 1 Tag weniger und es gibt gar keine Euro für die KBH. Und bei unseren beiden KBH ist es so, dass es alle 3 Tg ein Teammeeting gemacht werden muss (Arzt, Schwester, PT, ET, Ernaehrungsberatung etc) was auch zu dokumentieren ist auf einem vierseitiges Formular. Und in den Arztbrief müssen dann auch ganz bestimmte Floskeln hineingetan werden, damit der MDK es akzeptiert.

Um gleich auf den Wunsch von wsjl einzugehen: wir machen rheumatologische komplexbehandlungen (kann man bei leuten machen, die aktuell einen schub haben (u.a. sklerodermie, rheumatoide arthritis, pfropf-cp)). Dabei muss eine bestimmte stundenzahl ergo-, physio- und psychotherapie (statt psychotherapie geht auch etwas anderes, aber 3 säulen müssen es sein) dokumentiert werden. die leute können, das ganze aber auch in der gruppe bewältigen oder das kann auch apparativ sein (kaltluft auf die hände). wichtig ist nur, dass die stundenzahl erreicht wird und das ganze minutiös dokumentiert wird. dann gibt es drei abstufungen 7-13 tage, 14-21 tage und 21- .... Der Vorteil ist, dass man für die komplexe behandlung insgesamt mehr geld erhält, als wenn man die normale diagnostik durchzieht und die krankheit klassifiziert. der nachteil ist wie schon gesagt die team-meetings...was bei uns aber sowieso 2 mal pro woche statt findet und wir nicht 4 seiten ausfüllen müssen, sondern unterschriften setzen. nächster nachteil: entweder komplexbehandlung oder reha, beides geht nicht.
die briefe sind nicht so hochkompliziert, da schreiben wir letztendlich nur rein, was wir gemacht haben, verweisen auf die einzelnen bestandteile der komplexbehandlung und gut, kam lange keine anfrage, weil die damit mehrfach in die falle getappt sind (wir dokumentieren diesbzgl. sehr gut). .
für mich der vorteil: habe einen patienten den ich wirklich "fit machen" kann, habe genügend zeit für die diagnostik und denen geht es wirklich besser. und kosteneffizient isses auch noch.

Logo
14.07.2012, 13:48
@ LMD: Schöne Idee! Aber mein Gehirn weigert sich prinzipiell gegen sowas. Ich will Medizin machen und nicht Kodierkönig-Systemlückensucher-Businesscontrollingkasper sein.

Giant0777
14.07.2012, 20:25
@logo: prinzipiell gebe ich dir recht. Aber ich glaube, dass die Ärzte sich in Zukunft mehr mit Abrechnungsmodalitäten und ihren Tücken beschäftigen müssen, damit nicht irgendein Kodierer einem alles vorschreibt, bzw. man sich auch weiterhin gute Therapieoptionen offen hält. Die Frage ist nur, wie bekommt man das neben dem "normalen" Dienstgeschäft hin???