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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : RTW / NEF: Nachforderung zu bewusstloser Person



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Sebastian1
22.07.2012, 20:24
Nö, die ist normal. Ich mach mal nen Status:

Wir haben eine 90jährige Patientin, die wohl vor unserem eintreffen kollaptisch wurde und kurzfristig wohl auch gar nicht oder zumindest deutlich vermindert ansprechbar war. Im Moment ist sie mindervigilant, aber erweckbar und dann soweit orientiert. Wir haben einen BZ gemacht, einen Zugang gelegt, Monitor-EKG angeschlossen, Sauerstoff gegeben, Druck gemessen. Wir haben eine klinische Untersuchung durchgeführt und uns zur Gabe von Flüssigkeit entschieden, den Transport in den Wagen durchgeführt und den Kreislauf mit Akrinor und besagter Flüssigkeit etwas stabiler als zuvor gemacht, wofür die sinkende Frequenz und der steigende Druck (inzwischen bei 110/60 mmHg) sprechen.....

WackenDoc
22.07.2012, 20:25
Ach- wir haben ja noch gar kein 12-Kanal-EKG.

Miss
22.07.2012, 20:33
Nachdem ich mal ein kollaptisches Ömchen bei uns abgegeben habe, das 3. an dem heissen Tag, und das dann einen Infarkt hatte :-blush und ich auf kein 12Kanal-EKG bestanden hatte, werde ich da jetzt glaub ich auch meistens dran denken :-oopss

Aber warum hatte die Dame dann im aktuellen Fall eine Vigilanzminderung schon in den letzten Tagen?

Relaxometrie
22.07.2012, 20:35
Oder meinst Du die BGA als noch fehlend? Aber die macht man präklinisch nicht, oder?

Sebastian1
22.07.2012, 20:36
Bingo! :-top

Also ein 12-Kanal-EKG. Und - hoppla - was ist denn das? Die alte Dame hat im 12-Kanal-EKG einen akuten Vorderwand-STEMI, wie er im Lehrbuch steht! Die weitere Behandlung folgt dann den üblichen Leitlinien und wir fahren unter Voranmeldung mit Alarm in besagtes KH, welches auch eine Coro durchführen kann. Zum Glück haben wir auch Pflegedienst und Ehemann befragt zum Thema Patientenverfügung und Behandlungswunsch. Die Dame bleibt jedoch weiter so stabil, dass sie dazu auch selbst befragt werden kann.


Genau deswegen habe ich diesen Fall gebracht. Ich bin mit dem Stichwort "V.a. diabetisches Koma" zu der Patientin geschickt worden und habe eine sehr alte, exsikkierte Patientin vorgefunden, welche auch einfach mal ganz unspektakulär synkopieren kann. Die kardiovaskuläre Anamnese war leer und selbst die obligatorische Nachfrage nach typischen Beschwerden hat absolut keinen Hinweis ergeben. Und gerade ältere Frauen und Diabetiker haben auch gerne mal eben NICHT die typische Lehrbuchsymptomatik - die Dame hier hatte so gar keine Beschwerden, die uns in diese Richtung hätten denken lassen.

Und während von 100 12-Kanal-EKGs in der Enge des RTW in dieser Situation nix ergeben hätten - dieses hier hat etwas ergeben, was die ganze Geschichte komplett anders hat laufen lassen (Volumen allenfalls vooorsichtig statt gro´zügige Substitution, ggfs ganz andere Zielklinik, wenn das Zielkrankenhaus nicht eh den Fall hätten handlen können, egal, was das EKG sagt). Wäre aber eine peinliche Nummer geworden, wenn man die Dame ohne 12-Kanal-EKG in die Klinik kutschiert hätte und dann dort in der Ambulanz....

Danke für's mitmachen, war wie gesagt nichts spektakuläres, aber für mich persönlich mal wieder eine Mahnung daran, dass man auf gewisse Standardmaßnahmen keinesfalls verzichten darf.



Aber warum hatte die Dame dann im aktuellen Fall eine Vigilanzminderung schon in den letzten Tagen?

Keine Ahnung, sie war abgeschlagener als sonst, so jedenfalls die Aussage des Pflegedienstes. Durchaus ja eine Aussage, die einen auch in eine langsame metabolische Geschichte wie hyperosmlare Geschichten denken lässt, aber wie Leela schon schrieb, dafür war der BZ irgendwie nicht hoch genug. Aber auch ihre wirklich knackige Exsikkose hätte als grund durchaus schon gereicht.


Oder meinst Du die BGA als noch fehlend? Aber die macht man präklinisch nicht, oder?

Nee, habe noch nirgendwo eine Möglichkeit gefunden, die präklinisch auszuwerten. Dafür sind die entsprechenden Geräte a) zu teuer und b) zu wartungsintensiv und c) wirst du in städtischen Regionen da vermutlich keine Aussage draus ziehen, die dir ultimativ weiterhilft, bevor du in der Klinik bist. Nutzt dir auch nix, wenn du bei der Rea weisst, dass das Kalium 8,5 mmol sind und der pH 6,9, das Ergebnis wird dann vermutlich dasselbe sein wie wenn du es nciht bestimmen hättest können ;)

par
22.07.2012, 20:40
Also ich fands klasse :-top Hab' was gelernt, vielen Dank!!! :)

WackenDoc
22.07.2012, 20:42
Kan ja auch sein, dass sie letztendlich 2 Probleme hatte: Exsikkose wegen schlecht eingestelltem BZ und darunter dann den Infarkt bekommen.
Oder umgekehrt: Der Infarkt kann ja auch schon ein paar Tage alt sein und darunter exsikkiert und BZ entgleist.

Miss
22.07.2012, 20:42
Ja, so *unspektakuläre* Fälle, wo man einfach mal schluddrig arbeiten könnte oder so auf den ersten Blick total 'eindeutige' Fälle sind wirklich gut :-top

Relaxometrie
22.07.2012, 20:46
Nee, habe noch nirgendwo eine Möglichkeit gefunden, die präklinisch auszuwerten. Dafür sind die entsprechenden Geräte a) zu teuer und b) zu wartungsintensiv und c) wirst du in städtischen Regionen da vermutlich keine Aussage draus ziehen, die dir ultimativ weiterhilft, bevor du in der Klinik bist. Nutzt dir auch nix, wenn du bei der Rea weisst, dass das Kalium 8,5 mmol sind und der pH 6,9, das Ergebnis wird dann vermutlich dasselbe sein wie wenn du es nciht bestimmen hättest können ;)
Ist logisch, daß man im RTW keine BGA macht. Aber der BGA-Gedanke kam mir, weil 1. Du noch eine fehlende Untersuchung gesucht hattest und ich 2. gedanklich immer noch an der Hyperglykämie kleben geblieben bin :-blush
Danke für den Fall!

Sebastian1
22.07.2012, 20:50
und ich 2. gedanklich immer noch an der Hyperglykämie kleben geblieben bin :-blush

Genau deswegen hab ich's ja geschrieben. Ist ja auch klar, man wird von der Leitstelle mit einem Stichwort und ein paar weiteren Sätzen per Funk auf eine Schiene gesetzt. Aber die können auch nur die Informationen filtern, die ein Anrufer gegeben hat - der in der Regel aufgeregt ist, Laie ist - und mein Respekt an die meisten Leitstellendisponenten, die Entscheidungen und Infos, die ich in den Bezirken bekomme, wo ich fahre, sind in der Regel sehr gut :-top.
Aber da die eben nicht vor Ort sind, kann einen manchmal eben auch etwas völlig anderes erwarten, als die Einsatzmeldung vermuten lässt.

Brutus
22.07.2012, 20:53
Schöner Fall! Mal wieder eine Erinnerung, warum man eben doch seinen Standard durchziehen sollte. Genauso wie mit der BZ-Messung bei dem V.a. Apoplex. Kommt genauso blöd, wenn man in der Neurologie steht und den Apoplex verkaufen will, und der Patient mit nem 35er BZ gestixt wird...

WackenDoc
22.07.2012, 21:00
Das mit dem BZ bete ich regelmäßig im ambulanten Bereich runter: Jeder Patient, der ne Viggo und den RD braucht, bekommt auch nen BZ.

Hellequin
22.07.2012, 21:02
So ähnlich hatte ich es vor einiger Zeit auchmal (wenn auch von der Klinikerseite). Pat. wird vom Rettungsdienst gebracht, nachdem er bewußtlos auf der Strasse aufgefunden wurde. Bei Ankunft des RDs soweit wach, das er ihnen erzählen konnte das er Epileptiker sei. Also ist er ohne weitere Basismassnahmen zu uns verbracht worden. Was er nicht erzählt hat, war das er auch insulinpflichtiger Diabetiker ist. BZ lag dann auch bei sportlichen 20.

WackenDoc
22.07.2012, 21:06
Ui- bei so nem BZ ist aber erstaunlich, dass er von alleine wieder ansprechbar war.

Sebastian1
22.07.2012, 21:09
Auch schön dann hier die Komponente "klugscheissen in der Klinik" vs. "präklinisch stellt sich vieles anders dar":

- als wir das 12-Kanal-EKG geschrieben hatten, war der RA, der das NEF fährt, bereits auf selbigem und hat die Wendung, die sich ergeben hat, gar nicht mehr mitbekommen. Das wiederum hatte ICH dann nicht mitbekommen. Folge war, das ich nix zum Thema "Voranmeldung" gesagt habe (weil es im betreffenden Kreis und mit dem Fahrer normalerweise nicht notwendig ist, weil das ganz selbstverständlich von alleine läuft - die sind echt klasse da :-top), was dann als Effekt hatte, das wir ohne Voranmeldung in der Klinik ankamen. Der Schockraum war dann leider grade besetzt und das Ambulanzpersonal not amused, den hoppladihopp räumen zu müssen. Aber ein paar klärende Worte wirkten da Wunder.

- die übernehmende Internistin kam nochmal verwundert raus und fragte, warum zur Hölle ich denn so viel Flüssigkeit in so kurzer Zeit gegeben hätte (es lief schon die zweite 500er-Ringer)...

Leelaacoo
22.07.2012, 21:11
Wir hatten immer wieder einen Typ 1er, der so motiviert war, seinen BZ so niedrig wie möglich einzustellen, weil ja hoher BZ schlecht sei...mit der Hypoglykämiewahrnehmungsstörung, welche er sich antrainiert hat, hat er auch erst ab ca. 30 mg/dl gemerkt, dass er was essen sollte...was der menschliche Körper so aushält...

LG Lee...vielen Dank für den Fall!!!

Evil
23.07.2012, 08:58
Schöner Fall! Mal wieder eine Erinnerung, warum man eben doch seinen Standard durchziehen sollte. Genauso wie mit der BZ-Messung bei dem V.a. Apoplex. Kommt genauso blöd, wenn man in der Neurologie steht und den Apoplex verkaufen will, und der Patient mit nem 35er BZ gestixt wird...
Stimmt. Hatte gestern einen exsikkierten dementen älteren Herrn mit Synkope, klinisch völlig eindeutig, im EKG dann torsadenartige VES-Salven. Gibt immer wieder Ü-Eier.

par
23.07.2012, 09:07
was mich ein wenig "traurig" stimmt, ist dass sogar häufig in den Büchern explizit auf solche Fälle/Ausnahmen/Ü-Eier hingewiesen wird und man trotzem in dem Moment nicht daran denkt :(. Ich hoffe wirklich, dass ich, wenn ich beginne zu arbeiten, schnell für solche Dinge eine Sensibilität entwickeln werde ... ach, ja ......

Brutus
23.07.2012, 09:11
was mich ein wenig "traurig" stimmt, ist dass sogar häufig in den Büchern explizit auf solche Fälle/Ausnahmen/Ü-Eier hingewiesen wird und man trotzem in dem Moment nicht daran denkt :(. Ich hoffe wirklich, dass ich, wenn ich beginne zu arbeiten, schnell für solche Dinge eine Sensibilität entwickeln werde ... ach, ja ......
Tja, wie ist das mit dem "Faktor Mensch"? DAS ist ja sooo eindeutig, das kann gar nix anderes sein. - OH! War doch nur eine simple Hypoglykämie / doch ein STEMI / etc....
In den meisten Fällen ist es ja dann auch so, aber die Kunst ist eben, die Zebras auch zu erfassen / zumindest dran zu denken.

Miss
24.07.2012, 21:29
Und diese unspezifischen älteren Leute, denen es irgendwie nicht so gut geht, gibt es wirklich zuhauf. Ein bißchen Luftnot oder Brustschmerz hat davon jeder zweiter (v.a. wenn das *abgefragt* wird)...und schon kommt man erstmal mit *ACS oder so* an den Einsatzort -und muß irgendwie rauskriegen, was jetzt gerade das Hauptproblem ist. Hatte in den letzten Tagen eigentlich nur ein einziges Synkope/Orthostase/Exsikkose/akutesAbdomen/Infekt/Insult/evtl.doch Krampfanfall-Wirrwarr -und es kam immer *Luftnot* auf der Depesche :-nix

Und ich nerv immer mit BZ und 12KanalEKG (weil mir besagter Infarkt halt auch schon untergekommen ist)