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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : RTW / NEF: Nachforderung zu bewusstloser Person



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Sebastian1
21.07.2012, 21:26
Hallo zusammen,

hier von mir auch noch mal ein Fall, der ziemlich alltäglich ist, sich aber vielleicht trotzdem ganz gut als Trainingsbeispiel eignet, wenn er sich so entwickelt, wie ich mir das vorstelle ;-) Wird aber sicher nichts längeres ;-)

Aalso, ihr seid Notarzt in einer mittelgroßen Stadt. Ihr wollt gerade eure Kaffeetasse nachfüllen, als der Melder sich bemerkbar macht. Ihr lest auf dem Display das Stichwort "bewusstlose Person", und kaum ins Auto eingestiegen versorgt Euch die Leitstelle mit weiteren Informationen: Ein RTW sei bereits vor Ort und habe Euch direkt nach Eintreffen nachgefordert, es handele sich vermutlich um ein diabetisches Koma bei einer älteren Patientin, diese sei nicht ansprechbar.
Nach wenigen Minuten Fahrt erreicht Ihr das Wohnhaus der Patientin: ein innenstädtisches, verwinkelt gebautes Haus mit 7 Etagen, einem wirklich engen Treppenhaus und einem winzigen Fahrstuhl. Ihr stellt fest, dass die Patientin in der 6. Etage wohnt, und denkt euch noch so, dass im Falle des Falles jeglicher liegend durchzuführende Transport extrem schwierig werden dürfte und selbst für den Transportstuhl nicht ausreichend Platz in dem winzigen Fahrstuhl sein würde.

Als ihr die Wohnung betretet, seht ihr eine alte Dame in Seitenlage und mit geschlossenen Augen auf dem Boden liegen. Die RTW-Besatzung steht und kniet drumherum und es sind noch der Ehemann und ein weiterer Herr, den ihr erstmal nicht zuordnen könnt, anwesend. Da Eure Anfahrt sehr kurz war, hat die RTW-Besatzung auch noch nicht viel mehr geschafft, als die SpO2 dranzubasteln (90% unter 2l O2) und einen BZ zu machen (aktuell: 450 mg/dl).

Und nu? ;-)

JJ*
21.07.2012, 22:59
Ganz klassisch ABC: Sind die Atemwege frei, wie ist die Atmung (Tiefe und Frequenz) und was sagt der Kreislauf? Können wir einen peripheren Puls tasten und falls ja, wie ist der so? Reagiert sie in irgendeiner Form auf unsere Anwesenheit und einen eventuell zu setzenden Schmerzreiz?

Parallel können wir schon mal versuchen rauszufinden, was überhaupt passiert ist und wie es zu dieser Situation gekommen ist. Seit wann liegt sie da, wer hat sie gefunden, was ist vorher passiert und gerne auch schon Vorerkrankungen & Dauermedikation.

Und dann schauen wir mal weiter.

Sebastian1
22.07.2012, 12:21
Naja, die 90% mit 2l sprechen durchaus für freie Atemwege ;) Die Atmung ist allenfalls minimal vertieft. Ein peripherer Puls ist mit Euren Handschuhen nicht sicher zu tasten, zentral allerdings tastet ihr einen flachen, schnellen Puls. Sie reagiert auf deutliche, laute Ansprache mit gleichzeitigem Anfassen, einen Schmerzreiz braucht es dazu noch gar nicht mal. Sie scheint erstmal soweit leidlich orientiert, aber dämmert immer wieder weg, sobald ihr sie nicht mehr direkt ansprecht.

Die beiden anderen anwesenden Herren sind der ebenfalls fast 90jährige Ehemann, der mit der Situation sichtlich überfordert ist, aber orientiert berichtet, dass seine Frau auf der Toilette gewesen sei und er sie gestützt habe, sie dann aber nicht mehr habe halten können und sie auf den Boden gerutscht sei.
Der andere ist der Pflegedienst, der zufällig gerade auf seiner Runde dazu gekommen ist, quasis parallel mit dem RTW eingetroffen. Dieser weiss zu berichten, dass die Frau trotz ihres hohen Alters noch sehr mobil gewesen sei und auch orientiert, in der letzten WOche aber zunehmend apathischer und schwächlicher geworden sei, so dass man ihr auch nachdrüpcklich zum Gang in die Klinik oder zumindest zum Hausarzt geraten habe; dies habe sie aber mehrfach abgelehnt.

WackenDoc
22.07.2012, 12:29
Was ist denn an Vorerkrankungen und Vormedikation bekannt?
War sie in letzter Zeit akut krank? Medikamentenänderung? Irgendwas besonderes bevor sie angefangen hat einzutrüben?
Und parallel: US/Knöchelödeme? Auskultation von Herz, Lunge?

par
22.07.2012, 12:52
hat sie sich den Kopf gestoßen, als sie auf den Boden gerutscht ist? Siehen wir evtl. etwas?
und: riecht man einen Azetongeruch (als Hinweis auf eine diabetische Ketoazidose auch, wenn typisch für DM Typ I und eher unwahrscheinlich bei nur leicht vertiefter Atmung(?))? Eine der DDs die sich im Hinterkopf stellen könnten: Evlt. Vorliegen einer unentdeckten zerebralen Erkr. (wegen der zunehmenden Apathie auch wenn sie älter ist) mit reaktiver Hyperglykämie (natürlich liegen uns noch keine Infos zu Vorerkrankungen vor)

JJ*
22.07.2012, 14:17
Den Fragen von WackenDoc und par würde ich mich anschließen, wir sollten außerdem mal den Blutdruck messen, ein EKG wäre auch schön damit wir wissen was mit "schnell" bei flachem und schnellem Puls gemeint ist. Wie ist der Hautturgor und das Trinkvehalten?

Brutus
22.07.2012, 15:58
Zusätzlich zu den schon gestellten Fragen: wie sehen die Pupillen aus? Kreuzgriff? Wie ist sie denn zu Boden gegangen? Plötzlich keine Kraft mehr in den Beinen? Hemiparese? Fieber in den letzten Tagen? Nimmt sie Antikoagulantien?

Sebastian1
22.07.2012, 18:02
An Vorerkrankungen wird ausser einem "Alterszucker" lediglich "etwas Altersschwäche" genannt. Arztbriefew gibt's nicht, in der Mappe des Pflegedienstes findet sich zwar ein Medikamentenplan, aber keine Diagnoseliste. Die Nachfragen insbesondere in Hinblick auf zerebrale oder kardiovaskuläre Vorerkrankungen werden verneint, und so findet sich in der Medikamentenliste auch lediglich ein Antihypertensivum sowie ein Actraphane-only-Insulinschema, andere Medikamente seien nie eingenommen worden.

Ausser der beschriebenen zunehmenden Apathie und Schwäche in den letzten Tagen sei sie sonst altersentsprechend fit gewesen, kein aktueller Infekt.
In der peripherie keine Knöchelödeme, ganz im Gegenteil, die Patientin hat einen deutlich reduzierten Turgor mit stehenden Hautfalten.

Der Ehemann beschreibt, er habe sie gehalten und das dann irgendwann nicht mehr gekonnt, als sie von der Toilette gerutscht sei. Hart angeschlagen sei sie nirgends, man sieht auch keine PLatzwunde, Beule o.ä., Schmerzen werden von der Patientin selbst verneint.

Typischen Azetongeruch riecht man jetzt nicht, aber wir sind im Hausflur einer Wohnung, in der es leicht abgestanden riecht, völlig ausschliessen kann man's nicht, aber es springt einem auf jeden Fall nicht direkt in die Nase.
Kreuzgriff bekommt die guteste nicht hin, was aber nicht an einer Parese läge, sondern einfach daran, dass sie kaum die Kraft hat, sich zu bewegen, weiterhin dämmert sie weg, sobald sie nicht direkt mit Berührung und lauter Ansprache stimuliert wird. Dann allerdings macht sie sinnhafte angaben und scheint auch ansonsten orientiert.
Die Pupillen sind mittelweit, isokor und prompt lichtreagibel.
Das mittlerweile angeschlossene EKG zeigt euch einen Sinusrhythmus mit einer Frequenz von etwas mehr als 140 bpm, der Druck, den inzwischen jemand gemessen hat, liegt bei palpatorisch 80 mmHg systolisch (ohne Handschuhe lässt sich der Puls auch peripher tasten).

Hellequin
22.07.2012, 19:00
Gut, damit wissen wir erstmal 2 Dinge: Sie hat eine Hyperglykämie und ist exsikkiert (Die 140/min würde ich auch als kompensatorisch bei 80mmHg syst. werten). Das könnte die Beschwerden erklären, muss aber nicht. Da könne ja noch etliche andere Sachen mit reinspielen...Hyponatriämie, Infekt, Hypothyreose, Nierenversagen etc. pp.. Ich würde mal mit Flüssigkeitsgabe i.v. beginnen und die Dame transportfertig machen lassen.

WackenDoc
22.07.2012, 19:49
Ich schließe mich dem Hellequin an: Das Ganze hört sich nach nem hyperosmolaren Koma an (Ok- ganz komatös ist sie noch nicht, aber das ändert ja erstmal nix). Andere naheliegende Ursachen können wir zur Zeit nicht identifizieren.

Flüssigkeit braucht sie so oder so und ist präklinische Therapie der Wahl der Hyperglykämie. Insulin gibbet präklinisch nicht.
Wir werden ja auf dem Transport sehen, wie sie sich unter Flüssigkeitsgabe entwickelt.

Leelaacoo
22.07.2012, 20:17
Für ein hyperosmolares Koma ist mir der BZ nicht hoch genug..aber reaktive Hyperglykämie bei Infekt und Exsikkose ist sicher das Wahrscheinlichste..riechts nach HWI? Auskultation der Lunge und des Herzens? Die Pupillen würden mich interessieren und ob ein Meningismus vorliegt. Und dann wenn möglich im Tragestuhl unter laufender Infusion ab in den RTW und eine internistische Notaufnahme, Neuro wär sicher übertrieben und ITS eher noch zu früh, vielleicht bessert sie sich ja auf der Fahrt unter NaCl...oder passt der Tragestuhl auch nicht durchs Treppenhaus?

LG Lee
LG Lee

Relaxometrie
22.07.2012, 20:30
Die Pupillen würden mich interessieren
Du hasts nur überlesen :-) Seb1 hat das hier geschrieben:


Die Pupillen sind mittelweit, isokor und prompt lichtreagibel.

Sebastian1
22.07.2012, 20:32
Nach HWI riecht's ebenfalls nicht. Es ist halt eine etwas stickige Wohnung, aber ein typischer Geruch, der euch hier weiterhelfen würde, fällt euch nicht auf. Pupillen wie oben geschrieben isokor, mittelweit, prompt lichtreagibel. Meningismus negativ.
Tragestuhl wäre schön, in den Fahrstuhl passt er allerdings nicht. Allerdings liegt die Dame ja auch mit ihrer Frequenz und ihrem Druck immer noch auf dem Fußboden - daher gibt's, wie ihr ja schon geschrieben habt, erstmal schön Flüssigkeit. Die dünnen Venchen lassen mit 20G-Viggo zwar keine allzu rasche Zufuhr zu, aber unter der Flüssigkeitsgabe sinkt die Frequenz noch vor Ort dezent auf 120er, im Verlauf dann auf 110er Werte, wie Euch ein Blick auf das Monitor-EKG verrät. Nachdem ihr die Möglichkeiten des Transports auslotet, entschliesst ihr EUch, die Dame erstmal auf vom Boden zu holen und gegen die Wand gelehnt hinzusetzen (gestützt durch etwas Akrinor, um den Druck mal ein wenig zu halten). Das klappt. Nachdem noch etwas mehr Flüssigkeit reingelaufen ist, hievt ihr sie mit vereinten Kräften (viel ist nicht nötig, da die Patientin keine 50 kg auf die Waage bringt) auf einen normalen Stuhl. Der passt auch in den Fahrstuhl, also wird sie auf dem Stuhl sitzend in den Fahrstuhl verbracht - im EG angekommen erwartet Euch schon die inzwischen vom RTW-Praktikanten inzwischen geholte Transportliege.

In Bezug auf die Vigilanz bleibt die Patientin die ganze Zeit so, wie initial beschrieben, allenfalls dezent wacher erscheint Sie Euch jetzt und öffnet die Augen auch ohne Ansprache. Also ab in den RTW.

Und jetzt? Wollt ihr noch etwas machen oder direkt fahren? Zielauswahl ist schnell geklärt, da die Stadt nur ein Akutkrankenhaus bietet, das ist aber mit allem ausgestattet, was vonnöten ist. GEschätzte Fahrtzeit mit Alarm ca 7 Minuten, ohne ca 15 Minuten.

par
22.07.2012, 20:34
Sind wir denn schon da? :)
Falls ja, brauchen wir ein Labor: Elektrolyte (Na, K), kleines BB, CRP, Harnstoff, Krea, BZ, Quick, aPTT, Laktat, LDH, gamma-GT, TSH (fehlt was, oder sind es zuviele Parameter :-blush) und Urin-Teststreifen (wg. von Leelaacoo angesprochenem HWI)
@ Leelaacoo: die Pupillen sind glaub' ich mittelweit, isokor und prompt lichtreagibel.

ups, war zu langsam :)

Sebastian1
22.07.2012, 20:41
Nö, wir sind nicht da und das mobile Labor ist grade nicht an Bord :-)) Bleibt auch ein rein präklinischer Fall, du bist ja als Notarzt unterwegs, nicht im Krankenhaus ;-)

par
22.07.2012, 20:43
ok :-blush :-blush dann überleg' ich mal weiter (lenkt wunderbar vom HEX-lernen ab :-)))

Coxy-Baby
22.07.2012, 20:43
Hm naja nochmal grobneurologisch drübergeschaut ob jetzt mit der minimal mehr vigilanz was auffällt ansonsten ohne sondersignal ab ins KH.

WackenDoc
22.07.2012, 20:52
Wie sieht die Sättigung aktuell aus? Evtl. könnten wir da noch a klein wenig mehr geben. So 93% wäre mein Ziel.

Ansonsten ab in´s Krankenhaus. Wenn sie unterwegs noch was fitter wird, können wir evtl. nochmal die grobe Kraft prüfen.

Sebastian1
22.07.2012, 21:04
SpO2 bleibt bei den Werten, 90%-93% bei 2l O2/min. Grobneurologisch bleibt die Vigilanzminderung, insgesamt aber mit einer leichten Tendenz zum etwas wacher werden, wie oben beschrieben.
Mir fehlt da aber noch was...

WackenDoc
22.07.2012, 21:06
Temperatur?