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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Schwindelerregend - Routineeinsatz im Milieu?



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lupina81
17.08.2012, 18:18
Schönen guten Abend euch allen! Nachdem ich nun schon lange Zeit hier mitlese, differerentialdiagnostiziere und gespannt auf die Auflösungen warte, möchte ich auch einige Fälle vorstellen. Kurz vielleicht zu meiner Person, ich bin als Anästhesistin im 3. Jahr auf einer interdisziplinären ITS tätig, fahre als Notärztin und betreue verschiedene Rettungsstellen als Honorarärztin. Zudem arbeite ich an einem akutmedizinischen Ausbildungszentrum in Berlin. Alle Fälle, die ich hier vorstelle, habe ich selbst erlebt. Umgebungsbedingungen, Launen und Ablauf stimmen, Straßen und Patientennamen nicht. Ich bin gespannt, welche Lösungsansätze ihr findet. Im Nachhinein sehe ich vieles auch klarer .. aber allein auf weiter Flur .. DAS macht doch aber die Tätigkeit im Rettungsdienst so spannend, oder? :-)

Nun gehts aber los:

Sonnabend, 14:00Uhr, 20 Grad, die Frisur sitzt. Alarmierung des NEF zum Stichwort "Schwindel" .. naja, also was man sich da so denkt, könnt ihr ja bestimmt aus eigener Erfahrung sagen. Also in gemütlichem Schnellschritt zum Auto und den ganzen Text auf dem Alarmzettel gelesen: 40-jähriger Mann, Bahnhofstr., seit morgens Schwindel. Jetzt sind wir klüger .. der RettAss brummelt was von "der schon wieder" und "C2" und "wir werden eh gleich abbestellt". Werden wir aber nicht. Wir treffen nämlich zuerst ein. So, was nehmt ihr mit? Und vorallem, wo verdammt war das Zeug im NEF nochmal verstaut ;-)

Liebe Grüße

Daniela

Miss
17.08.2012, 21:36
ähm ja, dann nehmen wir doch mal alles Gewöhnliche mit: Arzt und Assi-Rucksäcke, Monitor, Sauerstoff.

Und dann schauen wir mal an, wie die Lage so ist.

(und jetzt muß ich los...)

lupina81
17.08.2012, 22:21
Wir nehmen den Koffer und was zum Schreiben mit .. immerhin. Die Ehefrau wartet an der Tür und bringt uns zu ihrem Mann ins Wohnzimmer. Er sitzt im Sessel und fragt was wir wollen. "Helfen". "Aha, wer hat Sie gerufen?" Jetzt beichtet die Frau, sie habe angerufen, weil ihr Mann seit heute Morgen nach dem Frühstück Schwindel hätte, er sei nichtmal zur Arbeit gegangen. Er verharmlost. Euer RettAss nuschelt "C2!!!, den kennen wir". RTW trifft mit voller Besatzung und Technik ein. Stimmung beim Anblick des "Patienten" auf dem Nullpunkt. "Ihr könnt fahren, wir machen das" Und? NEF wieder frei?

Relaxometrie
18.08.2012, 06:44
NEF noch nicht wieder freimelden.
Erstmal die üblichen Vitalparameter prüfen (RR/Puls/O2-Sättigung/BZ), wenn der Patient das zulässt. Dann eine orientierende neurologische Untersuchung: Kraft/Sensibilität der Extremitäten testen, Pupillen seitengleich/lichtreagibel/Größe. Nystagmus? Orientiernde Überprüfung der Hirnnerven.
Kann der Patient laufen? Hatte er diesen Schwindel schonmal? Wie beschreibt er seinen Zustand? "Anders" als sonst?
Was weiß der Rettungsassistent zur Vorgeschichte? Wie oft und mit welchen Promillewerten wird der Patient auffällig?

lupina81
18.08.2012, 07:27
Guten Morgen! Patient ist kooperativ und lässt alles mit sich machen. RR 160/95 mmHg, Puls 85 rhythmisch, SpO2 98%, BZ gibt es erst später mit Zugang. Sofern ihr einen legen würdet? Neurostatus: ungerichteter Schwankschwindel, Patient kann ihn nicht beschreiben wirkt aber unsicher, keine Ohrgeräusche, Pupillen in Größe und Motorik unauffällig. Kein Nystagmus. Welche Hirnnerven interessieren Euch? Wie prüfen? Aber immer daran denken, neben euch packen die RA schon alles wieder ein und drängen freundlich auf Abreise :-). Der Patient wurde bislang öfter an den üblichen Lokalitäten in der Stadt aufgegriffen und überwiegend bewusstseinsgetrübt in die nächstgelegene Klinik oder Ausnüchterungszelle verbracht. Noch nie von zu Hause. Er trinkt wohl 3-4 Bier am Tag, aber "nichts Hartes". Letzte Flasche gestern abend. Patient kann sowieso nicht laufen, weil ihm die Beine weh tun. Schwindel hätte er öfter mal, "vom saufen" ruft der RA. Patient wirkt zurückhaltend, scheint ihm unangenehm zu sein. Er geht ja sonst auch immer pünktlich zur Arbeit. Aber heute morgen, das kam auch so plötzlich. Er hätte wohl kurz auch nichts mehr gesehen. Die Ehefrau sagt er sei wie immer. Nur ruhiger. Aber zur rbeit ginge er wohl wirklich immer. Tja .. zum RTW laufen lassen? Noch weitere Werte/Angaben? Zugang?

Miss
18.08.2012, 07:57
Ich kann mir total gut vorstellen, wie die Aufbruchstimmung um Dich herum entsteht und alle schon mit den Hufen scharren :-oopss Und es ist ja nicht so, daß man sich nicht davon verleiten ließe...
Aber der Patient hat was gesagt, was mich aufhorchen läßt: er hätte mal kurzzeitig nichts mehr gesehen?! Auch wenn *Face-Arm-Speech* (das würde ich machen) (noch?) nichts hergibt, sollte man den Herren vielleicht doch zu einem Ausschluß *Infarkt* in die Klinik schicken.

WackenDoc
18.08.2012, 08:00
Jetzt wird's interessant: Das mit der Sehstörung interessiert mich.Wie war das genau? Und um wieviel Uhr genau?Seit wann genau ist der Schwindel(Uhrzeit). Ist nen Hypertonus bekannt? Wie hoch ist der RR sonst,falls bekannt
Wieso macht ihr eigentlich den BZ erst mit dem Zugang? Wenn noch nicht klar is,tdass der Patient einen braucht,hat man schonmal nen wichtigen Baustein.
Was ich noch gerne hätte,sind die Pupille und dabei auch auf Nystagmus achte. Und dann machen wir noch nen FAST.

Wenn die RettAss weiter rumnölen nehm ich die noch beiseite und mach denen klar, dass ich an meiner Approbation hänge und den Patienten erst untersuchen werde, bevor ich ne Entscheidung treffe.

lupina81
18.08.2012, 08:11
Mh .. so sah ich das auch und habe nochmal genau nachgefragt. Also: nach dem Aufstehen gegen 06:00 Uhr schwindelig und kurz schwarz vor den Augen. Kraft war und ist seitengleich. Sprache wirkt verlangsamt und "schwer" artikuliert. Ich kenne den Patienten aber auch nicht und er selbst und die Frau finden "alles normal". "Hatten Sie die Symptome schon mal?" "Nö" Patient dachte sich "kommt vom Blutdruck" damit hätte er schon eine Weile zu tun. Aha. "Nehmen Sie da was ein?" Frau sucht eine Medikamentenliste. Und die ist sehr überraschend .. Ratet mal, was sich da alles findet ...
Achja der mittlerweile gestixte BZ ist 6,5 mmol/l.

Relaxometrie
18.08.2012, 08:11
Welche Hirnnerven interessieren Euch? Wie prüfen?
Die für die Augenbewegung und der N. facialis. Also die Augen mal in alle Richtungen dem Finger des Untersuchers folgen lassen, dann Zähnefletschen (hängender Mundwinkel?) und Stirnrunzeln testen.

Relaxometrie
18.08.2012, 08:16
Frau sucht eine Medikamentenliste. Und die ist sehr überraschend .. Ratet mal, was sich da alles findet ...
Ramipril
Beloc zoc mite
ASS 100
Simvastatin
Pantozol

lupina81
18.08.2012, 08:24
Augen- und sonstige Motorik, Facialis .. alles in Ordnung. Bis auf die Gangunsicherheit, eine eigenanamnestische Sehstörung und möglicherweise Dysarthrie gab es keine neurologischen Auffälligkeiten, die mir aufgefallen sind.
@ Relaxometrie :-). Kein Beloc aber alles andere stimmt. Davon nimmt er aber meist nur das ASS, weil der Arzt meinte, die wäre am wichtigsten. Er hatte auch mal einen "ganz ordentlichen" Blutverdünner. "Warum nehmen Sie das alles?" "Wegen der Gefäße" Mittlerweile hatte ich mich schon mal um einen kompletten internistischen Status bemüht. Der RettAss stellt den Koffer wieder ab. Die Frau möge mal alte Arztbriefe suchen, so sie denn sowas haben. Die bereits vorher zur Kenntnis genommenen Narben an beiden Beinen bekommen nun eine ganz andere Bedeutung. "Nächsten Monat muss ich wieder zur OP" "Ach was?" "Ja, der Arzt meint, vielleicht muss das Bein irgendwann ab, wenn ich nicht mit dem Rauchen aufhöre" .. ich ahne Böses .. Der letzte Arztbrief einer ambulanten angiologischen Untersuchung wird gereicht ..

Relaxometrie
18.08.2012, 08:33
Letzter Brief aus dem Krankenhaus:
"Wir berichten über Herrn Peter Meier, der sich vom 06.07.2012 - 13.07.2012 in unserer stationären Behandlung befand. Schlanker EZ, reduzierter AZ. Z.n. 2x TIA. Z.n. Anlage eines femoro-poplitealen Bypasses linkes Bein. 25 packyears."

Im Brief der ambulanten Angio wird auf einen subtotalen Verschluß des fem-pop-Bypasses hingewiesen. Beginnende Nekrosen der Zehen bei pAVK °4.

WackenDoc
18.08.2012, 08:39
Ich will das mit dem Schwindel und der Sehstörung nochmal genau wissen:War er Beim Aufstehen völlig beschwerdefrei?In welcher Situation genau hat das angefangen?In welcherSituation genau ist die Sehstörung aufgetreten?Ein Auge? Beide? Eine Seite des Blickfeldes?Wie lange hat das angehalten. Jetzt wirklich gar nichts mehr? Nach dem Aufstehen andere Sprache als sonst?
Zugang hätte ich jetzt auch gerne und nen 12-Kanal-EKG.Letzteres ggf auch im RTW.

Miss
18.08.2012, 08:40
@ Relaxometrie :-). Kein Beloc aber alles andere stimmt. Davon nimmt er aber meist nur das ASS, weil der Arzt meinte, die wäre am wichtigsten.
Und wo ist jetzt die Überraschung? :-D Dass er diese Medikamente verordnet bekommen hat oder daß er sie nicht nimmt? Ansonsten doch so das übliche...

Ein Gefäßproblem scheint er definitiv zu haben -und das ist mit Rauchen (?) plus Alkohol wohl auch nicht besser geworden.

lupina81
18.08.2012, 08:44
@ Relaxometrie: Sage mal, warst Du einer der RA? ;-) Angiologischer Befund: Vorstellung bei progredienter Gehstreckenverkürzung und bekannter pAVK bei fortgesetztem Nikotinabusus. Z.n. mehreren gefäßchirurgischen Interventionen (fem.pop. Bypass, Z.n. mehrfacher Thrombektomie + Lyse). Bislang keine Apoplexia vorbeschrieben. Aktuellster Befund: hochgradige Stenose der A. carotis rechts, mittelgradig links. Elektive Aufnahme zur TEA in 14 Tagen. Kontinuierliche Antikoagulation empfohlen. .. Ich erkläre dem Patienten jetzt seine Situation und meine Vermutung. Findet er ganz spannend, möchte aber nicht mit. In 14 Tagen hat er sowieso einen Termin. Falls er da überhaupt von der Arbeit frei bekommt, kann das ja gleich mit "durchgecheckt" werden. Und nun?

lupina81
18.08.2012, 08:49
Patient meinte nur "Licht war kurz aus". Mehr lässt sich bei eingeschränkter "Verbalisierungsfähigkeit" nicht herausbekommen. Aktuell ist alles gut. Sprache laut Patient wie immer. Ich finde es hört sich "schwergängig" an. Als ob er eine Kartoffel im Mund hat. Hat er aber nicht :-) Zugang und 12-Kanal ist schon für´s Auto vorbestellt. Die Freude darüber wird mit tiefen Einatmen zum Ausdruck gebracht ;-)

WackenDoc
18.08.2012, 08:51
Gamz einfach:Ich kläre den Patienten über die Verdschtsdiagnose aus,ebenso über die Erforderlichkeit der sofortigen Behandlung und über die Folgen wenn er sich nich behandeln lässt und wenn er dann immernoch nicht mit will,dann soll er für unterschreiben und wir fahren wieder.

lupina81
18.08.2012, 08:52
Patient will aber trotzdem nicht mit und dann doch lieber zur Arbeit. Sonst verliert er die auch wieder. "Dann bleibt er halt hier, wenn er nicht will" .. oder doch nicht?

Relaxometrie
18.08.2012, 08:59
@ Relaxometrie: Sage mal, warst Du einer der RA? ;-)
Das nicht ;-)
Ich habe halt einfach an die gängigen "Raucher-pAVK-mindestens-20packyears"-Geschichten bei reduzierter Patienten-Compliance gedacht. Ich kam mir schon ganz komisch vor beim Bedienen der Klischees.

lupina81
18.08.2012, 08:59
Ich habe bei solchen Patienten immer ein ungutes Gefühl. Wie würdet ihr ihn vielleicht überzeugen, doch noch mitzukommen? Androhung Polizei? Beschreibung eines schlimmen Todeskampfes, wenn er nicht mitkommt? Müssen wir einen erwachsenen Mann zu seinem "Glück" zwingen? Hat er nicht vielleicht doch 2-3 Promille und kann es bei chronischem Abusus nur gut verbergen?