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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : NEF-Alarm: Nachforderung vom RTW zur Schmerztherapie



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Brutus
08.10.2012, 13:26
Mahlzeit!

Hier schnell ein kurzes Fallbeispiel, nicht so sehr weil es so spektakulär wäre, sondern weil es im Alltag jederzeit vorkommen kann und doch ein ziemliches Potential für Unsicherheiten gibt...

Also: wir sitzen vor irgendeiner schlechten TV-Doku nachmittags irgendwo im östlichen Ruhrgebiet. Es dämmert schon und eigentlich war der Nachmittag bislang schön ruhig. Kurz bevor mal das lang ersehnte Urteil von Richter Hold endlich hören könnte bimmelt der Melder:

Nachforderung RTW - zur Schmerztherapie. Grundschule am Ort - Turnhalle...

Die Anfahrt ist unspektakulär. Der RTW ist ja vor Ort. In der Turnhalle hat der örtliche Turn- und Sportverein seine Übungsstunde für die Kinder im Grundschulalter.
Ein RA steht am RTW und holt gerade die Trage aus dem Auto, als ihr ankommt.
Er empfangt Euch mit den Worten: "Sowas habe ich noch nie gesehen! Der Junge hat eine Treppe im Unterarm!"

Und nun? Schon nervös??? :-))

WackenDoc
08.10.2012, 16:27
Wenn der RA nervös ist, dann lässt das meist nix Gutes hoffen.

Dann kann er doch sicher schonmal mehr erzählen. Und an sonsten :Schau mer mal, was überhaupt los ist.

schlafmilch
08.10.2012, 18:43
Naja, Treppe im Unterarm klingt interessant - ich würde jetzt mal keine "normale" Fraktur erwarten.
Und da wir unter dem Stichwort "Schmerztherapie" dazugeholt wurden, denke ich, dass der Junge wohl auch ein wenig Analgesie braucht.

Aber der Reihe nach: Wo ist der Verletzte, angucken und dann weiter sehen.

Brutus
08.10.2012, 19:41
Der RA ist ziemlich aufgeregt. Nicht, weil es dem Patienten so schlecht geht, vielmehr hat er halt so eine Verletzung noch "nie" gesehen.
Aber der Reihe nach. Der Patient ist 6 Jahre alt, seit einem halben Jahr in der Schule. Er ist seit langem in dem Turnverein und hat wohl heute mit einem Freund an der Sprossenwand geklettert und sei dann heruntergefallen. Und wieder kommt der RA mit dem "der hat eine Treppe im UA". :-)

Gut, gehen wir mal in die Sporthalle und suchen den kleinen Patienten. Ich muss zugeben, dass ich mir unter "Treppe" nix vorstellen konnte und dachte, der Junge sei auf ein Treppengeländer gestürzt und habe eine Durchspießungsverletzung von irgendeinem Treppenanteil. Ich habe uns schon den Rüstzug nachfordern gesehen zum Abflexen von irgendwelchen Metallteilen. :D

In der Sanibude liegt der Junge auf der Trage und man sieht erst mal nix (von der Tür aus). Immerhin ist der Junge soweit stabil, unterhält sich, zwar weinerlich, aber aufgeräumt mit dem anderen RA und der Übungsleiterin. Beim Näherkommen sehen wir den Monitor: HF 130/min, RR 130/70, SR, SO2 99%.
Noch näher dran sehen wir, dass der rechte Arm irgendwie "unschön" aussieht. Und dann erkennen wir auch die "Treppe". Beim Sturz muss er wohl in die Sprossenwand "eingefädelt" haben und hat sich den UA 2* frakturiert. Erster Bruch im proximalen Drittel des UA, im rechten Winkel nach lateral, zweiter Bruch im distalen Drittel, ebenfalls im rechten Winkel nach kaudal. Somit hat der Arm wirklich das Aussehen einer Treppenstufe... :-)

Und nun? Wie gehts weiter?

p.s.: kann heute immer ein wenig dauern. Irgendwie ist heute der Wurm drin, erst ne lange erfolglose REA und dann noch ein Suizid in der Schlinge... Hoffentlich wird die Nacht.......

Feuerblick
08.10.2012, 20:06
Haaach, das riecht nach Sam-Splint-Schienung :-))

mainzer
08.10.2012, 20:12
ankommen, gut zureden (steht bei unserm elektronischen narkoseprotokoll...find ich super), vorstellen; hergang erfragen, eltern????
kein a, b, c, d-problem
allergien, medikamente, letzte mahlzeit...sonstige verletzungen?? körpergewicht?

(grad vom sport heimgekommen und das mal schnell reintipp)
@dusche

Miss
08.10.2012, 20:12
Das tut ja bestimmt ein bißchen weh. So ne Kurzanamnese wäre ja ganz schön. Was wissen denn die Lehrer über ihn? Sind die Eltern telefonisch erreichbar? Zum kurzen Check von Vorerkrankungen und Allergien.
Irgendwann braucht er aber auf jeden Fall was gegen die Schmerzen, spätestens für die Entfernung der Sprossenwand und die Reposition, daher wäre ich für einen Zugang (hat er noch nicht, oder?)

Brutus
08.10.2012, 20:30
ankommen, gut zureden (steht bei unserm elektronischen narkoseprotokoll...find ich super), vorstellen; hergang erfragen, eltern????
kein a, b, c, d-problem
allergien, medikamente, letzte mahlzeit...sonstige verletzungen?? körpergewicht?
Ja, so machen wir es. Der Kleine hat für die Schwere der Verletzung erstaunlich wenig Schmerzen. Man hat fast das Gefühl, dass er mehr wegen der Deformität Angst hat, als dass er wirklich Schmerzen verspürt. Wie schon gesagt, er ist die Sprossenleiter runtergefallen und hat unten eingefädelt. Ist dann alleine da weg zur Leiterin bevor er richtig realisiert hat, dass der Arm durch ist... Allergien sind keine bekannt. Medikamente nimmt er nicht ein. Letzte Mahlzeit... ja... immer wieder Zwischendurch zum Naschen von Gummibärchen und vor dem Turnen eine halbe Bratzwurst mit Pommes. Also mitnichten nüchtern. Körpergewicht weiß er nicht, wir schätzen mal so auf 20kg +/-. DIe Eltern sind auf dem Weg.


Das tut ja bestimmt ein bißchen weh. So ne Kurzanamnese wäre ja ganz schön. Was wissen denn die Lehrer über ihn? Sind die Eltern telefonisch erreichbar? Zum kurzen Check von Vorerkrankungen und Allergien.
Irgendwann braucht er aber auf jeden Fall was gegen die Schmerzen, spätestens für die Entfernung der Sprossenwand und die Reposition, daher wäre ich für einen Zugang (hat er noch nicht, oder?)
Zugang hat er (noch) nicht. Aber auf dem linken Handrücken leuchten wunderschöne Venen. Er macht auch hier einfach nur super mit und so ist schnell eine blaue Viggo platziert. Außer der UA re. hat er keine weiteren Verletzungen. Mittlerweile sind auch die Eltern eingetroffen. Sie bestätigen die 20kg. Keine Vorerkrankungen oder Allergien...
Bei der Untersuchung der betroffenen Extremität fällt auf, dass er angibt, die Finger fühlen sich etwas pelzig an. Bewegen kann er aber die Finger alle.
Ich denke, dass wir uns einig sind, dass der Arm so nicht bleiben kann...
Was soll er denn kriegen, damit wir ein wenig reponieren können.

Miss
08.10.2012, 20:33
Ketanest und Dormicum :-love

Brutus
08.10.2012, 20:40
Könnte man machen. Wobei ich ja ein Fan von "richtiger" Schmerztherapie bin. :-)
ALternativen? / Dosierungen?

Sebastian1
08.10.2012, 20:50
Zur Reposition würde ich zur initialen Analgesie Fentanyl verwenden. Zur Analgesie bin ich bei Kindern ein Fan von Dipidolor (0,1 mg/kg KG) und Novalgin (10-15 mg/kg KG). Diese Kombi sollte reichen, um den Kleinen schmerzarm der Klinik zuzuführen. Aber esketamin/Dormicum geht natürlich auch super.

Miss
08.10.2012, 20:52
Könnte man machen. Wobei ich ja ein Fan von "richtiger" Schmerztherapie bin. :-)
ALternativen? / Dosierungen?
na gut, Fenta :-)
ich würde 0,1mg (kleine Ampulle) auf 10ml aufziehen lassen...und dann erstmal 2ml geben -> 0,02mg (0,01mg/10kg KG)

Ketanest: 0,2mg/ kgKG -> 4mg plus Dormicum 0,1mg/kg KG -> 2mg (fraktioniert auch von beidem mehr)

Ich persönlich misch auch gern alle drei, find Fenta nämlich auch prima, manchmal reicht das aber nicht, dann mach ich lieber mit nem Hauch K/D weiter bis zur Glückseligkeit des Patienten ohne Atemdepression.
Bei kleinen Jungen habe ich überhaupt keine Erfahrung :-nix

Miss
08.10.2012, 20:55
Wir haben nur Fenta oder Sufenta als Opioid aufm Auto. Ansonsten find ich Piritramid auch super, nur Novalgin wird erstmal nicht reichen, aber darf er nach initialer Analgesie auch gern noch haben :-)
(Opioid plus MCP)

Brutus
08.10.2012, 21:09
Zur Reposition würde ich zur initialen Analgesie Fentanyl verwenden. Zur Analgesie bin ich bei Kindern ein Fan von Dipidolor (0,1 mg/kg KG) und Novalgin (10-15 mg/kg KG). Diese Kombi sollte reichen, um den Kleinen schmerzarm der Klinik zuzuführen. Aber esketamin/Dormicum geht natürlich auch super.
Ja, so habe ich es auch gemacht. Fenta zur Reposition und dann erst mal abwarten, ob er danach überhaupt noch was braucht...


na gut, Fenta :-)
ich würde 0,1mg (kleine Ampulle) auf 10ml aufziehen lassen...und dann erstmal 2ml geben -> 0,02mg (0,01mg/10kg KG)
Ketanest: 0,2mg/ kgKG -> 4mg plus Dormicum 0,1mg/kg KG -> 2mg (fraktioniert auch von beidem mehr)
Ich persönlich misch auch gern alle drei, find Fenta nämlich auch prima, manchmal reicht das aber nicht, dann mach ich lieber mit nem Hauch K/D weiter bis zur Glückseligkeit des Patienten ohne Atemdepression.
Bei kleinen Jungen habe ich überhaupt keine Erfahrung :-nix
Es gibt nur die großen Ampullen Fentanyl. Deine Mischung wollte man mir auch anbieten. Ist von daher nicht schlecht, weil man eben nicht mehr lange überlegen muss. Pro 10kg 1ml. Ich habs letztendlich pur gegeben, kenn es allerdings auch aus dem Kinder-OP so. Die RA hatten dieses Lineal und wollten eben nach Schema verdünnen. :-)
Also 0,025mg Fentanyl sind drin und nun unterhalten wir uns ein wenig. SO2 bleibt stabil bei 99%.

Und weiter? Was sollen wir machen und wie sollen wir schienen?

WackenDoc
09.10.2012, 08:32
Wie sieht´s denn mit DMS aus?
Wenn das jetzt i.O. wäre, sollen wir dann überhaupt reponieren?

Aber ich denke, dass das genau die Kernfrage des Threads ist.

Miss
09.10.2012, 08:50
Bei der Untersuchung der betroffenen Extremität fällt auf, dass er angibt, die Finger fühlen sich etwas pelzig an. Bewegen kann er aber die Finger alle.
Ich denke, dass wir uns einig sind, dass der Arm so nicht bleiben kann...
Was soll er denn kriegen, damit wir ein wenig reponieren können.
Das ist ja eigentlich Grund genug für zumindest grobe Wiederherstellung der Achse.

WackenDoc
09.10.2012, 08:56
Ah ok- das hatte ich überlesen.
Dann sollten wir unter vorsichtigem Zug reponieren. So wie Miss schrieb- grob achsengerecht.

Schienen würde ich mit SamSplint und 2 Dreiecktüchern.

Brutus
09.10.2012, 09:42
OK. Wir geben dem Fentanyl ein paar Minuten und erklären dem Jungen in der Zwischenzeit, dass es gleich einmal kurz weh tun wird, aber danach die Schmerzen wirklich besser werden und das Gefühl auch normaler wird.
Nachdem er angibt, dass die Schmerzen schon besser sind und sich außerdem der Kopf dreht, fassen wir mit der einen Hand den Ellenbogen und ziehen mit der Anderen vorsichtig den Unterarm wieder in die richtige Position. Man merkt deutlich die Krepitationen und wie letztendlich 2 mal der Knochen in die richtige Position rutscht. Der vorbereitete Sam-Splint wird mittels einer Bandage angelegt und der Arm so fixiert. Bei nochmaliger Untersuchung gibt der Junge an, dass das Gefühl fast wieder so ist wie auf der Gegenseite. Motorik ist ebenfalls normal. Durchblutung ??? - Puls tasten ist nicht wegen Bandage, aber die Finger sind rosig und die Rekapilarisierung funktioniert einwandfrei. Außerdem seien die Schmerzen annähernd verschwunden.

So - das wäre schon mal erfolgreich bewältigt. Aber wo fahren wir denn hin? Vor Ort sind 2 Krankenhäuser, eins als regionales Traumazentrum. Ein Maximalversorger ist ca. 15km entfernt, allerdings ohne Padiatrie / Kinderchirurgie. Die nächste Klinik mit diesen beiden Abteilungen ist ca. 25-30km entfernt, allerdings nur über die Stadtautobahn im Feierabendverkehr erreichbar...

Miss
09.10.2012, 10:06
Bei 6 Jahren unbedingt in ein Haus mit Kinderchirurgie. Wachstumsfugen etc. -und Erwachsenentraumatologen bzw. deren ZNA würde das im Nicht-Notfall mit höchster Wahrscheinlichkeit auch ablehnen.

Relaxometrie
09.10.2012, 10:16
Die Wachstumsfugen waren auch mein Gedanke, als ich mich für ein Haus mit Kinderchirurgie entschieden hatte. Andererseits braucht man aufgrund des vorbildlichen Verhaltens des Patienten natürlich nicht unbedingt eine Kinderchirurgie.

Da ich es nicht weiß, frage ich: wieviel Kenntnisse bzgl. der Wachstumsfugen und dem Handling von Frakturen im Kindesalter haben Erwachsenen-Unfallchirurgen (in einem regionalen Traumazentrum)? Sind das Basics, die die ebenfalls beherrschen (beherrschen sollten), oder sind eben dafür ja gerade die Kinderchirurgen da? Ich vermute eher letzteres. Obwohl es unter den Erwachsenen UChs wohl auch den ein oder anderen erfahrenen Operateur gibt, der mit Wachstumsfugen-nahen # umzugehen weiß.