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psycho1899
12.10.2012, 20:14
Ich versuch mich auch mal an ein Fallbeispiel. Ich fand den Kasus damals recht spannend, muss ihn aber etwas aus dem Gedächtnis rekapitulieren... weiß jetzt nicht mehr jeden Laborwert en detail ;-)

Let's go:

Ihr seid diesmal nicht als NA o.ä. in der kalten dunklen unbehaglichen Außenwelt unterwegs, sondern ihr seid der diensthabende Neurologe im fensterlosen neonlichterhellten ZNA-Bunker eines universitären Hauses. Euch wird via Rettungsdienst eine 64jährige Dame vorgestellt mit starken Nackenschmerzen. Die Dame berichtete, plötzlich am Abend beim TV schauen sehr starke Schmerzen im Nacken verspürt zu haben. Als sie aufstehen wollte, habe sie auch nicht so wirklich gut laufen können und ihr Mann habe den RD alarmiert. Ach ja, privatversichert ist sie auch ;-)

Was wollt ihr wissen/machen?

Miss
12.10.2012, 21:36
Ich rufe den Neurologen zum Konsil :-D
Wenn ich selbst der diensthabende Neurologe bin, dann ruf ich meinen OA -denn sie ist ja PP...

na gut, ich muß wohl selbst ran. (hab doch kaum Ahnung von Neuro :-oopss)

Anamnese? Kennt die Patientin so was? Wie waren oder sind die Schmerzen? Neben diesen und Schwäche in den Beinen weitere Symptome? Wie kommt die Schwäche in den Beinen zustande?

Vorerkrankungen? Medikamente?
Bitte ein Labor. Vitalparameter?

Dann wohl eine neurologische Untersuchung, ich kann ja nur grob orientierend, aber vielleicht bringt mich das ja auch schon weiter. Pupillen?

psycho1899
12.10.2012, 22:47
Dein OA würde Dir einen husten, wenn Du ihn versuchen würdest, wegen eines PP reinzurufen ;-)

Solche Nackenschmerzen habe sie noch nie gehabt. Hätten sehr akut angefangen, täte schweineweh (8-9/10 NAS), reißend-bohrende Qualität. Keine Ausstrahlung. Im rechten Bein habe es gekribbelt und das Gehen sei halt kaum möglich gewesen.

VE: Faktor-V-Leiden-Mutation, Z.n. TVT und LE; sonst nach eigenen Angaben nüscht, Blutdruck sei mal hoch, jo, aber sonst alles okay. Darüber hinaus prima vista Adipositas per magna
Medis: Marcumar

Labor: Routinelabor mit CRP, kl. BB, Krea, Transaminasen und Gerinnung war unspektakulär bis auf einem INR von 3,7
RR ist 160/90 mmHg, Puls 90/min, normotherm.

Neurologisch ist die Patientin wach, orientiert, schmerzgeplagt, keine Sprach- oder Sprechstörung. Kein Meningismus. Hirnnervenstatus: Pupillen mittelweit, lichtreagibel, Okulomotorik, Gesichtsfeld (fingerperimetrisch) und die Hirnnerven V, VII und die kaudalen HN sind unauffällig.
Motorisch kann die Patientin das Bein rechts nur kurz gg. Schwerkraft bewegen. Ihr meint, dass im Armvorhalteversuch ein leichtes Streckdefizit der rechten Hand besteht ohne eind. Absinken. Die Muskeleigenreflexe erscheinen seitengleich, keine Pyramidenbahnzeichen. Oberflächensensibilität ist stgl. Koordination ist paresebedingt rechts eingeschränkt, ohne jedoch am Arm eine darüber hinaus gehende Ataxie zu zeigen. Auf eine Gangprüfung verzichtet ihr.

Ihr notiert: beinbetonte Hemiparese rechts

Wollt Ihr noch was wissen von der Patientin? Diagnostik? Verdachtsdiagnose? Wollt ihr therapeutisch was machen?

Hellequin
13.10.2012, 06:07
Kann sie den Schmerz im Nacken etwas genauer lokalisieren (Seite?) Schwindelsymptomatik? Dysarthrie o.ä.

Zumindestens auf den ersten Blick hört es sich wie was cerebral lokalisiertes an. Ich würde erst mal unter V.a. Schlaganfall mit möglicher Dissektion im Bereich der Halsgefäße arbeiten.

Bildgebung mit Angio wäre jetzt Erstdiagnostik bei mir. MRT oder CCT je nach Verfügbarkeit (an der Uni eher MRT nehme ich an?).

feia
13.10.2012, 07:40
Und was gegen die Schmerzen wäre sicher auch ganz nett. Da bin ich aber ein wenig ahnungslos - ist Dipi ok?

Toast
13.10.2012, 08:48
Vom Neurostatus her lässt die Konstellation einen ja bei unauffälligem Hirnnervenstatus lokalisatorisch eher an die HWS denken....
Ich würde trotzdem mal ein CCT machen - wir sind ja Neurologen ;-)) Aber eine AV-Dissektion bei dem INR-Wert und fehlenden Hirnstammsymptomen (wie war eigentlich die Sensibilität - H.a. was dissoziiertes??) erscheint ja eher unwahrscheinlich...
Falls das CCT oB ist würde ich ein MR-HWS fahren - denke vor allem an ein Epiduralhämatom unter Marcumar - das würde wsowohl die Schmerzen als auch die Parese erklären...

Bin gespannt ;-))

Janny
13.10.2012, 09:48
Gut, dann wildere ich auch mal in fremden Fachgebieten ;-)

Die letzte, die bei uns mit plötzlich einsetzenden Nackenschmerzen wie noch nie landete, hatte eine SAB.
Aber Nacken ist Hals und Hals ist Orthopäde und Orthopäde ist Unfallchirurg, und so war sie dann bei uns.
Mangels sonstiger diagnosticher Möglichkeiten bei uns fällt auch die Entscheidung leicht: CCT

psycho1899
13.10.2012, 10:19
Die Schmerzen sind zentral, irgendwie der gesamte Nacken, aber ohne klare Seitenbetonung. Dysarthrie oder Schwindel hat hat sie nicht. Sensibilitätsstörungen, insbesondere dissozierte gibt sie nicht an. Lediglich ein Kribbeln im gesamten Bein.

Linkscerebrale Ischämie, z.B. ACA-Stromgebiet und V.a. ACI-Dissektion links waren wohl auch der Gedanke des diensthabenden Kollegen, der sie erst mal ins CT schob. Vorher wurden noch schnell ein EKG ergänzt: SR, keine Erregungsaufbau- oder rückbildungsstörungen und grob-internistisch war sie bis auf ihre Adipositas auch unauffällig. Dipi finde ich jetzt keine schlechte Idee, was sie bekommen hat, weiß ich nicht mehr... aber wir stellen uns mal vor, sie bekäme ein wenig Dipi und die Schmerzen bessern sich ;-)

Ihr begleitet sie ins cCT und schaut mit auf den Screen des Radiologen: keine Blutung, insbesondere kein SAB, etwas Marklagerveränderungen, a.e. im Sinne einer leichten bis mäßigen cerebralen Mikroangiopathie, aber auch keine schämie, die sich demarkiert. Onset war so vor 1,5 - 2h. Stört Euch das? Ihr fahrt die Patientin jetzt auf die Stroke Unit, kabelt sie an, alles stabil soweit.

Ihr meldet schon mal ein paar Untersuchungen an, um Eure Verdachtsdiagnose zu bestätigen. MRT HWS? Interesting, nicht komplett abwegig... aber wäre das die erste Diagnostik, die ihr in der aktuellen Konstellation machen würdet?

Bzgl. der Dissektion: eine orale Antikoagulation verhindert mitnichten eine Dissektion. Die Idee, warum einige Patienten mit Dissektion noch antikoaguliert werden (ist ja an sich umstritten und wird in den Leitlinien auch nicht empfohlen) ist zur Verhinderung einer Thrombusbildung nach Gefäßwandverletzung im Rahmen der Dissektion. Und da wir uns von der Symptomatik auch eher im anterioren Stromgebiet tummeln (zumind. vom ersten Verdacht), überraschen einen fehlende Hirnstammsymptomatik nicht unbedingt, oder?

Also was wollt ihr an Diagnostik? Das Schöne ist, ihr werdet jetzt gleich ausgelöst vom Stroke Unit-Tagdienst und könnt endlich pennen gehen... das Blöde für Euch.. im Fallbeispiel übernimmt ihr die Rolle des Stationsartzes der Stroke Unit ab dem nächsten Post ;-) So schnellt kommt Ihr nicht heraus.

Hellequin
13.10.2012, 16:52
NIHSS liegt etwa bei 4 Punkten. Systemische Lyse ist aufgrund des INR von 3,7 kontraindiziert.

Wenn ich das jetzt richtig verstanden habe, habt ihr initial nur ein natives CCT gemacht ohne Angiographie. D.h. primär haben wir 2 Sachen zu klären: 1. den Gefäßstatus und 2. wie groß das mögliche Ischämieareal ist, um das Einblutungsrisiko unter effektiver OAK abschätzen zu können. Prinzipiell haben wir jetzt 2 Möglichkeiten. Entweder klären wir den Gefäßstatus duplexsonographisch und machen ein MRT um die Ischämie und die Größe zu verifizieren (dann tät ja eine Diffusionswichtung ausreichen oder wir machen ein MRT mit Angiographie (schlagen damit 2 Fliegen mit einer Klappe bei etwas längerer Dauer der Bildgebung.

Patella
13.10.2012, 18:30
Ich würd erstmal mit nem Doppler-/Duplex anfangen, danach cMR-Angio wie schon von Hellequin vorgeschlagen.

psycho1899
13.10.2012, 21:39
Jo, ist nur natives cCT in der ZNA gelaufen.

Angemeldet sind: extra- und transkranielle Doppler/Duplexsonographie sowie ein cMRT incl. TOF-Angio und ggfs. fettsuppremierten T1-Sequenzen, sofern sich eine Dissektion nicht bereits im ECCD bestätigen sollte.

Ihr (jetzt Stroke-Arzt) bekommt gerade die Übergabe vom ZNA-Nachtdienst, OA trifft auch auf der Stroke ein. Ihr macht Euch eigentlich auf eine geruhsame Stroke-Visite gefasst, als plötzlich der Monitoralarm losgeht. Die neue Patienten ist ein bisserl bradykard... wird bradykarder... Asystolie!

Ihr rennt ins Zimmer, gefolgt von Euren Kollegen und weiteren Pflegekräften... Pat. ist jedoch bereits wieder wohlauf, HF 60/min. Was war das denn jetzt?

Wollt ihr jetzt was anderes machen? Untersuchungen? Medikation? Möchtet Ihr was von der Patientin wissen? Die Duplex-MTAs sind schon auf dem Weg, um vor Ort die Untersuchung zu machen. Es dauert noch 30 Minuten, bis sie ins MRT könnte.

psycho1899
13.10.2012, 21:41
.....

dreamchaser
13.10.2012, 21:53
Was lag denn für ein Rhythmus vor der Pause vor? Hatte die Patientin einen kompletten AV-Block? Oder einen SA-Block III? Intermittierende Tachyarrhythmie?
Ich würde mir jetzt den Internisten/Kardiologen mal mit dazuholen und ein Echo haben wollen. Evtl. sollte man erwägen, schonmal eine Schleuse für den pasageren Pacer zu leen, um den im Notfall schnell drinzuhaben. Aber natürlich am liebsten (nach Duplex und Echo) erstmal schnell das MRT, sofern die Patientin sich stabil hält.

psycho1899
13.10.2012, 23:13
Zuvor hatte die einen SR. Ich habe mal den Monitorausdruck angefügt.

Unser Stroke-Unit-Hauskardiologe ist informiert. Er möchte die Patientin gerne auf die interdisziplinäre ICU übernehmen, ggfs. dort PM-Anlage. Aber er hätte auch nichts dagegen, wenn wir ihm vorher sagen können, was Sache ist ;-)
TTE dort dann im Verlauf, vorher gibt's das leider nicht.

Möchtet Ihr denn gar nichts von der Patientin wissen?

Derweil ist das Doppler-Team angerollt und macht sich ans Werk...

Moorhühnchen
13.10.2012, 23:35
Einen der für mich am besten in Erinnerung gebliebenen Patienten, der ebenfalls über "reißende Rückenschmerzen", vor allem Abends geklagt hatte, bot im Liquor einen nicht mehr meßbaren Borrelien-Titer.... und Nacken is ja auch irgendwie Rücken :-D, auch wenn's jetzt vielleicht nicht so das wäre, woran ich als erstes denke und es eigentlich bei der Konstellation für unwahrscheinlich halte........
Ich frag also mal nebenbei nach einem erinnerlichen Zeckenbiß. Dauert 3 Sekunden und tut nicht weh. ;-)

psycho1899
14.10.2012, 11:44
"Zeckenbiß? Hatte ich noch nie, Herr Doktor!"

Und nu? ;)

Moorhühnchen
14.10.2012, 12:42
Auch kein Erythema migrans? :-D
Also so 'nen komischen roten Fleck, von dem Sie nicht wußten, wo er herkommt??

Ich glaub, ich sollte mir lieber den Fall nochmal durchlesen... :-oopss

StellaMaris
14.10.2012, 14:25
Ich würde die Patientin vielleicht fragen, ob sie während der Bradykardie-Episode kurz weggetreten oder benommen war, ob sie vielleicht Schwindel hatte oder sonst irgendwas Ungewöhnliches an sich bemerkt hat?

psycho1899
14.10.2012, 14:27
Also ich find den Gedanken an Borreliose jetzt echt nicht blöd... wichtig ist, daran zu denken, und mit nächtlichen, häufig radikulären Schmerzen hast Du auch ein wirklich fast pathognomonisches Merkmal gedankt, was einen aufhorchen lassen sollte. Dann sind periphere Paresen, Hirnnervenausfälle etc in buntester Konstellation gut möglich. Die aktuelle Parese erscheint jedoch sehr zentral verteilt und der perakute Onset spräche schon gegen die Borreliose.

Interessanterweise mein ich mich zu erinnern, dass keiner meiner Patienten, die ich mit einer Neuroborreliose behandelt habe, tatsächlich sich an ein ECM erinnern konnte.

Punktieren können wir die Dame ja zum sicheren Ausschluss nicht (was wir sicherlich getan hätte, wenn die übrige Diagnostik nicht irgendwann den Befund gebracht hätte) solange sie suffizient oral antikoaguliert wird.

Also bevor ich Euch Befund des Dopplers sowie des MRT, welches mittlerweile heißläuft, gebe, möchte kein (Hobby)internist was zum EKG sagen? Und gibt's nicht noch Fragen an die Patientin außer Insektenstiche etc? ;-)

psycho1899
14.10.2012, 14:30
Ich würde die Patientin vielleicht fragen, ob sie während der Bradykardie-Episode kurz weggetreten oder benommen war, ob sie vielleicht Schwindel hatte oder sonst irgendwas Ungewöhnliches an sich bemerkt hat?

Ah, und ich dachte schon, ich wäre der einzige gewesen, den das interessiert hat :-) Ewig lang war die Episode ja net, von daher fand ich das schon spanned, ob die 'symptomatisch' war.

Die Patientin gibt an, dass ihr übel geworden sei, schummrig und auch ein wenig schwarz vor Augen. Auf die Nachfrage, ob sie so etwas schon mal hatte, versichert sie glaubhaft, dass das heute das erste Mal gewesen sei und es ihr auch ziemlich Angst mache.