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Matti20
13.02.2013, 10:19
Hallo!
Ich lese hier schon länger mit und habe mich jetzt dazu entschlossen, auch einmal ein Fallbeispiel zu posten. Kurz zu mir: Ich bin 20 Jahre alt und studiere "leider" BWL. Eigentlich wollte ich Medizin studieren, aber mein Vater möchte unbedingt, dass ich in seiner Firma "einsteige". Ob das die richtige Entscheidung war, wird sich zeigen. Ich bin ehrenamtlich beim Rettungsdienst tätig, habe jedoch natürlich nicht das gleiche Wissen wie die meisten von euch hier, möchte mich aber weiterbilden. Also entschuldigt bitte manche Formulierungen :-)).

Zum Fallbeispiel:
Einsatz RTW um 23:00 Uhr: Frau mit starken Bauchschmerzen.

Beim Eintreffen öffnet eine Freundin der Patientin die Tür und berichtet, dass sie heimlich den Notruf gewählt hat, da ihre Freundin unter keinen Umständen zum Arzt gehen will.
Ihr geht in die Wohnung, im Wohnzimmer befindet sich die Patientin (mit angezogenen Beinen) auf dem Sofa. Bei eurem Anblick bricht sie in Tränen aus und sagt, dass ihr wieder gehen sollt. Auf Grund des Bauchumfangs geht ihr von einer Schwangerschaft aus. Alles reden hilft vorerst nicht, es ist ihr anzusehen, dass sie Schmerzen hat, sie sagt jedoch, dass alles in Ordnung ist und schimpft mit ihrer Freundin weil sie uns gerufen hat... Was macht ihr?

//stefan
14.02.2013, 14:05
Wäre (nicht nur in diesem Fall) super wenn man jetzt ne weibliche Kollegin an seiner Seite hätte... :-)

Ich würde ganz klar erstmal nur einem das Reden überlassen, d.h. der zweite Kollege hält sich bei offenkundlich nicht lebensgefährlicher Situation (dem ist doch so, oder) erstmal zurück.

Gibts Hinweise, was vorliegen könnte (wirlich schwanger?). Wie lange bestehen die Beschwerden schon (wenn schon länger --> durchaus Verweis auf vertrauten Gynäkologen/Hausarzt berechtigt.

Kurzum: Kriegen wir einen verbalen Zugang zur Patientin oder zur Freundin?

Sollte die Patienten partout keine Hilfe haben wollen und kann dies auch glaubhaft in Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte vermitteln, lassen wir uns das quittieren und fahren wieder...

Miss
14.02.2013, 14:48
Ist nur der RTW vor Ort, richtig?

Ob nun Mann oder Frau, ich würde auf jeden Fall mal versuchen, einen Zugang zur Patientin zu bekommen. Erklären, daß sich ihre Freundin unheimliche Sorgen macht und erstmal nach Beschwerden fragen (nach dem Motto, wenn wir schon mal hier sind: was ist denn los? vielleicht können wir ja doch was für sie tun?)-und ob wirklich schwanger? (wenn das beantwortet und zweiteres bejaht wird, würde ich nach SSW, Mutterpass, bisherigen Verlauf fragen, sonstige Erkrk., Medikamente, Allergien)

Brutus
15.02.2013, 17:27
^^ Das Problem ist ja in solchen Situationen meist, dass die betroffene Frau eine vermeintliche Schwangerschaft leugnet. Wäre nicht die erste Schwangere, die in 9 Monaten keinen Gynäkologen gesehen hätte, weil ja nicht sein kann, was nicht sein darf!
Insofern behutsam erklären, dass man sich mal den Bauch ansehen möchte, weil sie ja solche Schmerzen hat. Dann Schmerzlokalisation, Häufigkeit (Wehen?), evtl. Kindsbewegungen? Und dann versuchen, dass sie zur Abklärung der Bauchschmerzen doch besser mit in die Klinik fahren sollte...

Matti20
15.02.2013, 19:36
Es ist keine Frau dabei. Nur der RTW ist vor Ort. Eine Nachfrage bei der Freundin ergibt, dass tatsächlich eine Schwangerschaft besteht. Die Patientin verweigert nach wie vor die Behandlung, gibt euch aber ihren Mutterpass. Laut Mutterpass ist sie in der 29. Schwangerschaftswoche. Welche Werte interessieren euch?

lottisworld
15.02.2013, 20:13
Das ist eine eigenartige Situation....Das wichtigste in diesem Fall scheint mir, einen Zugang zur Patientin zu finden. Da sie einen Mutterpass besitzt, wird sie sich ja in irgendeiner Weise bereits mit ihrer Schwangerschaft befasst haben.
Ganz nützlich wäre zu wissen, wann die letzte Vorsorge war und ob es da was Besonderes gab. Wachstumsretardierung, Fruchtwasseranomalien, war der Fetus vital etc. Weiterhin Infektionen, Medikamenteneinnahme etc.
Schmerzanmnese mache, nach Begleiterscheinungen fragen.

Matti20
15.02.2013, 20:31
Die letzte Vorsorgeuntersuchung war sechs Tage zuvor. Die Patientin erzählt euch immerhin, dass die Schwangerschaft bislang komplikationslos verlaufen sei. Sie sagt euch, dass sie Angst vor ihr unbekannten Ärzten hat und dass die Bauchschmerzen, die sie nicht konkretisieren möchte, von selbst verschwinden werden. Im Mutterpass findet ihr keine Hinweise auf eine Wachstumsretardierung. Der letzte Blutdruckwert im Mutterpass: 140/90.

Rhiannon
15.02.2013, 20:49
Auch wenn ich keine Ahnung vom Rettungsdienst oder irgendwas hab: mir würde ein HELLP-Syndrom im Kopf rumspuken (mit den Bauchschmerzen von der Leberkapselspannung) und ich würd versuchen die Frau irgendwie zum Mitfahren zu bewegen.

lottisworld
16.02.2013, 00:27
Wie sind denn die Bauchschmerzen? Lokalisation, Schmerzcharakter? Ist der Bauch hart? Ich möchte gerne den Blutdruck wissen und das Hautcolorit- ist sie kaltschweißig? Wann waren die letzten Kindsbewegungen, Fruchtwasserabgang, Blutungen, Fieber?
Wer ist ihre Frauenärztin, hat se ne Hebamme, oder ne Geburtsklinik wo sie angemeldet ist?

Sl0rt
16.02.2013, 06:41
Nachdem man die Patientin einigermaßen beruhigt hat, einen psychischen Zugang etabliert hat (G14 :D) und die Vitalparameter gecheckt hat sehen wir uns mal den Bauch an.. Und vielleicht auch mal nach dem Vater fragen.. wo ist der eigentlich? Könnte Gewalt im Spiel gewesen sein?

Matti20
16.02.2013, 14:02
Nur die Freundin beantwortet Fragen. Sie erzählt euch, dass die Patientin zwei Wochen zuvor von dem Kindsvater verlassen wurde. Nach langem guten Zureden dürft ihr Blutdruck messen. 180/135. Starke Ödeme sind vorhanden. Ihr erklärt ihr, dass der Blutdruck zu hoch ist, sie will davon nichts wissen und sagt, dass sie wegen euch so nervös ist. Bauchschmerzen hat sie angeblich keine mehr. Ihrer Freundin fällt noch ein, dass sich die Patientin über Augenflimmern beklagte. Den Bauch dürft ihr nicht anschauen und ins KH will sie auch nicht. Kindsbewegungen sind lt. Patientin normal, kein Fruchtwasserabgang, kein Fieber. Und jetzt? NA nachfordern?

Miss
16.02.2013, 14:50
Uih.
Das hört sich definitiv nach NA-Indikation an. Vielleicht kann man via Leitstelle eine Notärztin anfordern? Solche eine Situation hatte ich persönlich noch nicht, aber manchmal kann ich als kleine, zierlichere Person besser nen Zugang zu ängstlichen Leuten finden. Ich wirk einfach ungefährlicher als die kräftigen Kerle.

Das hört sich bei der Patientin nach zumindest Präeklampsie (Ödeme, Hypertonus) an, Flimmern vor den Augen könnte auf Eklampsie hinweisen (drohender Krampfanfall). HELLP kann man vor Ort jedenfalls nicht ausschließen (evtl. wie schon gesagt Bauchschmerz durch Leberkapselschmerz). Es besteht in beiden Fällen auf jeden Fall Gefahr für Mutter UND Kind, sie müssen in eine Geburtshilfe mit Intensivüberwachungsmöglichkeit. Das müssen wir ihr jetzt sanft aber eindringlich vermitteln :-oopss

Da sie ja angst vor ihr unbekannten Ärzten hat, vielleicht ist sie in einer Klinik schon bekannt?

lottisworld
16.02.2013, 14:54
Ich erkläre ihr, wie ernst die Situation ist, und das sowohl ihr Leben als auch das ihres ungeborenen Kndes in Gefahr ist und dass ich deshalb jetzt den Notarzt nachalarmiere. Sie benötigt dringend einen großlumigen Venenzugang. In Anbetracht ihrer mangelnden Kooperativität versuche ich die Situation zu deeskalieren, indem ich beruhigend auf de Patientin einwirke und ihr freundlich aber bestimmt klarmache, dass sie jetzt dringend Hilfe benötigt.

Brutus
16.02.2013, 14:56
@ Miss: Unterschreib!
Aber was man nicht vergessen sollte, beim langsamen Einschießen auf HELLP/Eklampsie... Vor 2 Wochen Trennung vom Freund, Angst vor fremden Ärzten (!), angeblich alles super... Was, wenn sie wegen der Trennung versucht hat, entweder einen Suizidversuch hinzulegen oder aber eine Abtreibung? Während einer versucht, weiter auf die Patientin einzuwirken, kann der Andere die Leitstelle zwecks NA kontaktieren und danach mal unauffällig mit der Freundin in die Mülleimer, ins Bad, in die Küche, etc. gucken und mal sehen, was man da so findet...

Matti20
17.02.2013, 13:04
Gute Idee@brutus! Aber keinerlei Hinweise auf einen Suizidversuch vorhanden. Notarzt wurde nachgefordert, eine Notärztin bekommen wir nicht. Beim Eintreffen NA bleibt sie unkooperativ, sie zeigt ihm jedoch nach langem hin und her, dass sie Oberbauchschmerzen auf der rechten Seite hat. Alles gute Zureden hilft nicht, sie will nicht mit und sagt, dass ihr alles egal ist. Wir kommen nicht weiter, NA möchte einen Zugang legen, was auch abgelehnt wird. Die Patientin wird zunehmend hysterischer und wir haben nicht den Eindruck, dass sie sich ihrer Lage bewusst ist.

WackenDoc
17.02.2013, 13:11
Da ist nu der Notarzt gefragt: Alle raus aus dem Raum, fragen, ob die Freundin dabei bleiben soll.
Versuchen die Patientin erstmal wieder runter zu kriegen und
ihr nochmal verklickern, was die Verdachtsdiagnose ist und welche Folgen das haben kann/wird. Lösungsmöglichkeiten mit ihr zusammen finden.
Spricht ja viel dafür, dass sie mit der Situation und der Trennung des Lebensgefährten überfordert ist.

Brutus
17.02.2013, 13:19
Naja, abhängig davon, wie jetzt das subjektive Empfinden der Retter ist, gibt es ja mehrere Möglichkeiten:
1. Man versucht weiter, sie zu überzeugen, dass sie mit ins KH kommen muss, um ein HELLP/Eklampsie auszuschließen.
2. Die Freundin versucht noch einmal, sie zu überreden.
3. Gibt es ein Telefon, mit dem man MAMA anrufen kann? -> Soll ja manchmal auch helfen. :-)

Ansonsten, wenn das alles nix fruchtet:
4. Autoritär erklären, dass es jetzt nicht mehr nur um SIE geht, sondern auch um das ungeborene Kind!

Wenn auch das nix bringt:
5. Ordnungsamt informieren, nicht vergessen, die POL mitzubestellen...

Entweder lässt sie sich JETZT ein, weil es sonst nur NOCH peinlicher für sie wird, oder es geht eben über eine ordnungsamtliche Verfügung...

Aber ganz ehrlich... so weit habe ich es bisher exakt EINMAL kommen lassen, und das war ein manisch-depressiver Patient, der erst UNS und danach die POL verprügeln wollte. Da ging es nach O-Amt ganz schnell. :-nix

Evil
17.02.2013, 18:08
Kann das Ordnungsamt denn eine Zwangseinweisung vornehmen, wenn kein Hinweis auf eine psychiatrische Erkrankung oder Intoxikation mit wasauchimmer vorliegt? Ich dachte, daß die dann auch machtlos sind (solang die Patientin bei Bewußtsein ist).

WackenDoc
17.02.2013, 18:20
Matti hat ja geschrieben, dass ihr alles egal ist und sie sich der Gefährdung wohl nicht bewusst ist.
Das ist ja keine Entscheidung aus freiem Willen.

Für mich würde das reichen.

Als psychiatrische Erkrankung kannste ne akute Belastungsreaktion etc. annehmen. (In Rheinland-Pfalz gab es als dritte Indikation immer noch "Verkennung der Realität")

Brutus
17.02.2013, 18:54
Und sie ist ja auch nicht "alleine" unterwegs... Damit wäre ja zumindest die Eigen- und Fremdgefährdung im Spiel.
Zumindest kann man das O-Amt ja mal anrufen. Wenn man denen am Telefon schildert, wie es ist, und die sich für nicht zuständig erklären, dann kann man immer noch die Transportverweigerung unterschreiben lassen. Die Frage ist halt, ob man auf die Schnelle einen Richter am Betreuungsgericht erreichen kann, der das Ganze halt wasserdicht machen könnte... :-nix

Aber manchmal hilft ja alleine schon die "Androhung" der Zwangseinweisung ggf. mit POL-Unterstützung.