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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Koronarangiografie und Demenz



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Fr.Pelz
03.03.2013, 12:20
Hi, ich stelle mal die komische Frage in den Raum, da (zugegeben rasches) Googeln nichts gebracht hat:
Ist Demenz eine Kontraindikation für einen Herzkatheter?

Ganz konkret hab ich heute morgen eine Patientin vom Diensthabenden übergeben bekommen, die wegen Cholezystitis auf der Chirurgie gelandet ist, nebenbei alt, multimorbide und stark dement ist. Ich sollte nach Ansicht des DH das schon in der Notaufnahme erhöhte Troponin im Blick behalten, meine Frage war, ob das denn eine Konsequenz hätte,- natürlich- war seine Antwort. Ich hab also aktuell Troponin bestimmt (steigend, aber nicht astronomisch), EKG geschrieben (für meine Augen AV I° aber kein STEMI) etc und dann mit dem diensthabenden Internisten geredet, an der Stelle als ich die Demenz erwähnte war für ihn alles klar- Demente werden nicht mehr ins Herzkatheterlabor gefahren.

Gibt es da etwas Offizielles zu? In den Leitlinien Myokardrevaskularisation 2012 findet sich das Wort Demenz nicht.

Relaxometrie
03.03.2013, 12:37
Man kann daraus jetzt eine (nicht unwichtige) Grundsatzdiskussion machen. Aber ich denke, daß Du aktuell im Dienst bist und dahingehend Unterstützung bei der Entscheidungsfindung haben möchtest?
Ich würde die Sache direkt auf höhere Ebene übertragen, sprich: Deinen diensthabenden Oberarzt einschalten, der dann evtl. seinen internistischen Kollegen einschaltet. Vorher noch prüfen, ob es einen gesetzlichen Betreuer, eine Vorsorgevollmacht, eine Patientenverfügung gibt, um daraus dann schonmal die Wünsche und Ansichten der Patientin, bzw. deren Betreuer herauszulesen.

Fr.Pelz
03.03.2013, 13:14
Hi, ich finde die Grundsatzdiskussion auch wichtig. Im PJ hab ich z.B gelernt, dass demente Patienten keine PEG mehr bekommen.

Aber momentan wäre ich eher an aktuellen Standards, Leitlinien oder Empfehlungen interessiert. Der Internist, mit dem ich telefoniert hab, war ein erfahrener FA. Ich hab unser Gespräch dokumentiert, auch seine Empfehlungen zur Antikoagulation umgesetzt, ich denke im Moment wird nichts anbrennen, klinisch war die Patientin ja auch stabil*, nur so prinzipiell würde ich halt gern wissen, ob ich mir die Nachfrage hätte sparen können, weil es quasi "common sense" ist (und das auch an den DH rückmelden wollen würde). Und ob in Zukunft die Reaktionskette: Trop.Erhöhung->weitere Diagnostik bis zur Koro durch den Faktor Demenz unterbrochen wird. (Wenn akuter Brustschmerz vorliegt, ist es vermutlich ja nochmal was ganz anderes)

*der Internist meinte zudem, dass die Trop.-Erhöhung wahrscheinlich von einer hypertonen Krise käme, die sie gestern hatte

Muriel
03.03.2013, 13:51
Da eine Trop-Erhöhung und deren Ursachen nicht direkt Dein Fachgebiet betreffen und damit ja ein prinzipiell letaler Ausgang verbunden sein könnte, würde ich mir an Deiner Stelle nicht anmaßen (nicht negativ gemeint), aufgrund des Demenzfaktors in einem solchen Falle keine weiteren Schritte, sprich fachkundigere Hilfe einzuholen, einzuleiten. Da stündest Du im Zweifelsfall ziemlich blöd dar.

Evil
03.03.2013, 14:28
Da eine Trop-Erhöhung und deren Ursachen nicht direkt Dein Fachgebiet betreffen und damit ja ein prinzipiell letaler Ausgang verbunden sein könnte, würde ich mir an Deiner Stelle nicht anmaßen (nicht negativ gemeint), aufgrund des Demenzfaktors in einem solchen Falle keine weiteren Schritte, sprich fachkundigere Hilfe einzuholen, einzuleiten. Da stündest Du im Zweifelsfall ziemlich blöd dar.
Hat sie ja, indem sie den zuständigen fachkundigen Kollegen konsiliarisch zu Rate gezogen hat, was schriftlich dokumentiert ist. Und wenn sie sich an dessen Empfehlung hält, ist sie eigentlich aus dem Schneider.

Was die Sache an sich angeht, so muß man die Konsequenzen eines invasiven Eingriffes in diesem Fall berücksichtigen:
-alte, hochgradig demente, multimorbide Patientin mit aktuell florider Entzündung mit fraglicher Myokardischämie.
Wenn die jetzt kathetert wird und eine Intervention stattfindet, wird 1. in dieser Situation die Niere kontrastmittelbedingt einer starken Belastung ausgesetzt, die, nicht ganz unwahrscheinlich, in einer Dialysepflicht endet. Sie dann aber nicht zu dialysieren wäre inkonsequent, also wird dann eine hochbetagte und demente Patientin auch noch dialysiert.
Zweite Konsequenz der Intervention: duale Plättchenhemmung für mindestens 1 Monat, selbst bei Verwendung eines BMS. Bei akuter, möglicherweise operationspflichtiger Cholezystitis irgendwie ungünstig, zumal mit Sicherheit noch eine hohe Sturzgefahr hinzukommt.
Und schließlich die Prognose an sich: wie stehen die Chancen in dieser Gesamtsituation, daß die Patientin selbst mit Maximaltherapie überhaupt überlebt, und hat sie was davon?

Grundsätzlich halte ich eine Demenz nicht für eine Kontraindikation gegen eine Koronarintervention, wie es ja auch keine Kontraindikation gegen sonstige invasive Eingriffe per se ist. In diesem Fall, jedenfalls so wie die Situation geschildert ist, würde ich jedoch davon abraten.
Das heißt nicht, daß überhaupt nicht gemacht wird, aber wahrscheinlich werden die Maßnahmen auf eine Antikoagulation mit MNH, Anti-Xa-Inhibitoren oder PTT-gesteuert mit Heparin beschränkt, oder?

Muriel
03.03.2013, 14:37
Evil, ich bezog mich auf ihre Frage, ggf. generell für die Zukunft bei Konstellation Trop hoch und Demenz keine Konsequenzen mehr zu ziehen.

Fr.Pelz
03.03.2013, 15:43
Das heißt nicht, daß überhaupt nicht gemacht wird, aber wahrscheinlich werden die Maßnahmen auf eine Antikoagulation mit MNH, Anti-Xa-Inhibitoren oder PTT-gesteuert mit Heparin beschränkt, oder?

Ja, er hat zu ASS und gewichtsadaptiert 1x Clexane/d geraten.
Außerdem werd ich, auch wenn er das nicht erwähnt hat, nochmal ein internistisches Konsil im Verlauf anmelden, ob bei der Dame die Komorbiditäten irgendwie zu optimieren sind. Außerdem muss ich mit den Angehörigen sprechen, ob die eine Maximaltherapie wollen.
Aber wenn ich so eure, Evil und Muriel, Antworten lese, werd ichs Zukunft immer so machen und mich mit wenigstens nem Anruf absichern, auch wenn ich immer wieder zu hören bekomme, dass Demente nicht kathetert werden.

Healix
03.03.2013, 16:36
Das "Problem" auch bei uns in der ZNA ist, dass das high-sensitive-Troponin einfach deutlich häufiger (minimal) positiv ist als das vorher nicht-hochsensible. Und gerade bei den betagten / dementen Patienten ist dann das Troponin bei kardial dekompensierten / tachykardem VHF / massiver hypertensiver Entgleisung dann eben doch im Bereich von null komma null null x. Ist dann eigentlich immer eine Einzelfallentscheidung, allgemeingültig kann man da wohl nichts definieren.

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03.03.2013, 17:43
Troponin ist, wie ja schon geschrieben wurde, schnell mal erhöht. Die Frage in dieser Konstellation ist doch viel eher: Welche Dynamik liegt in Troponin, CK/-MB und EKG vor (Verlaufsbeobachtung!)...

Fr.Pelz
03.03.2013, 21:00
Troponin ist, wie ja schon geschrieben wurde, schnell mal erhöht. Die Frage in dieser Konstellation ist doch viel eher: Welche Dynamik liegt in Troponin, CK/-MB und EKG vor (Verlaufsbeobachtung!)...

Aber jetzt war ja schon ein Anstieg beobachtet worden... bei welcher Dynamik reagiert man denn da? plötzlicher astronomischer Anstieg? Und wenn die Antwort wieder heißt: kein Herzkatheter? Ist dann nochmal eine Höherdosierung der AK die Konsequenz?
Mein OA ist (zugegeben bei nicht-internistischen Fragestellungen) recht restriktiv bei der ganzen "Kontrolliererei" wenn sie keine Konsequenzen hat.
(Ich persönlich kann ja besser schlafen, wenn "die Werte" gut sind, aber das ist sicher auch mangelnder Erfahrung geschuldet.)

Mondschein
03.03.2013, 23:22
Erst mal würdest du ja trotzdem zwischen STEMI und NSTEMI unterscheiden. In deinem Fall liegt formal (!) ein NSTEMI vor, der ja per se schon mal nicht sofort kathetert werden muss. Ein echter NSTEMI sollte innerhalb 24-48 h kathetert werden, wenn nichts dagegen spricht.
Wenn mal den Eindruck hat, dass das Trop eher Begleiterscheinung ist (daher eben eher "formal" NSTEMI), und ein florider Infekt da ist, warten wir auch meist ab, wenns kardial vertretbar ist. In Infekte zu kathetern ist nicht so toll.
Ein Echo ist hilfreich zur Beurteilung der Relevanz. Ob man dann semielektiv mal kathetert, muss man sich halt überlegen in Abwägung der Risiken. Hat Evil ja sehr schön ausgeführt.
Demenz per se ist aber keine Kontraindikation für irgendwas. Weder für HKU noch für ne PEG. Sondern das sind alles Einzelfallentscheidungen in Abhängigkeit der Gesamtprognose, der Ausprägung der Demenz, der Gesamtsituation (Patientenwille, Angehörigenwille, das muss man dann klären). Ich finde, dass das auch nix ist, was man im ersten Jahr selbst entscheiden sollte, sowas muss man besprechen und die Limitierung der Maßnahmen ja auch irgendwie dokumentieren und so. Und ein ehrliches Angehörigengespräch im Sinne von "eigentlich müsste man, aber wir glauben nicht, dass wir ihm/ ihr damit jetzt was Gutes tun würden, was ist denn ihr Eindruck?" führen. Ausnahmen gibts immer, aber 99% der Angehörigen kriegt man dann auch ohne große Diskussion auf eine Wellenlänge.
Dafür sollte man sich m.E. aber vor allem am Anfang Rückendeckung von oben holen!
War auf jeden Fall gut, ein Konsil zu machen und - je nach Gesamtprognose - kann ein Rekonsil zur Verbesserung des Restes (RR, kardiale Medikation) auch nichts schaden.

dreamchaser
04.03.2013, 11:27
Die Demenz steht tatsächlich nicht in den Leitlinien als Kontraindikation für eine Koronarangiographie. Im konkreten Fall wäre es spannend zu wissen, welche Laborwerte so vorlagen. Das high-sensitive Troponin kommt oft auch erhöht vor bei Niereninsuffizienz und schweren Infekten. Es kommt dann natürlich auf die Dynamik an, d.h. ob der Troponinwert innerhalb von 4-6 Std. um mehr als 200% ansteigt - das wäre ein siginifikanter Anstieg im Sinne eines NSTEMI, der dann auch so behandelt gehört (also duale Plättchenhemmung und nicht nur ASS und eben Heparin in therapeutischer Dosierung o.ä.). Die Basistherapie kann man zunächst jedem Patienten anbieten, solange keine starke Blutungsgefahr besteht und man hier abwägen müsste. Ach ja: konsequenterweise gehören die Patienten dann aber auch an eine Monitorüberwachung.
Dann kann man weitersehen, inwiefern man eine Koronarangiographie durchführen sollte, abhängig vom EKG und von den Beschwerden des Patienten. Wenn die Patientin nie thorakale Beschwerden hatte und das EKG nicht akut auffällig war - wer hat dann das Troponin bestimmt???? Man wird im Verlauf dann sehen (wie oben beschrieben hat man bei einem NSTEMI mit einem niedrigen GRACE-Score doch 72 h Zeit mit der Coro, sollte der GRACE-Score über 140 liegen, sollte man bei hohem Risiko in diesem Falle dann eine frühere Untersuchung erwägen), ob man die Patientin überhaupt kathetern kann ohne hohes Risiko - Nierenwerte? kann die Patientin ruhig liegen? Ein Echo kann natürlich zur Entscheidungsfindung beitragen und sollte auf jeden Fall erfolgen. Und wenn sie so dement ist, wie beschrieben, sollte das mit dem Betreuer kommuniziert werden. Sollte man sich gegen eine Koronarangiographie entscheiden, dann wird man zumindest die konservative Therapie (duale Plättchenhemmung, ggf. Hinzunahme von Nitraten) durchführen.
Wenn die Patientin tatsächlich einen NSTEMI hat, aber nicht interveniert wurde (also keinen Stent) kann man prinzipiell die duale Thrombozytenhemmung pausieren, jedoch halte ich es nicht für sinnvoll nach einem akuten Herzinfarkt eine Operation durchzuführen- der Anästhesist wird da nicht begeistert sein.
Der Internist ist aus der Nummer also definitiv nicht raus, den würde ich immer wieder anrufen - und er soll ein schriftliches Statement (Konsil) aufschreiben, sonst sagt er hinterher vielleicht, er habe die Dinge nie so gesagt, wie du notiert hast....

Evil
04.03.2013, 12:20
Wenn die Patientin tatsächlich einen NSTEMI hat, aber nicht interveniert wurde (also keinen Stent) kann man prinzipiell die duale Thrombozytenhemmung pausieren, jedoch halte ich es nicht für sinnvoll nach einem akuten Herzinfarkt eine Operation durchzuführen- der Anästhesist wird da nicht begeistert sein.
Andererseits aber auch nicht besser, wenn die Patientin in der fulminanten Sepsis oder Peritonitis nach Gallenblasenperforation verstirbt. Klassische no-win-Situation.

dreamchaser
04.03.2013, 16:18
Das stimmt natürlich, ich war da eher gerade bei der recht unkomplizierten Cholezystitis, welche man gerne cholezystektomieren würde (was ja sofort oder im Intervall ginge). Dabei würde man nach Infarkt eben dann doch lieber warten (sofern natürlich keine Sepsis vorliegt).

Fr.Pelz
04.03.2013, 17:47
Das Troponin wurde in der ZNA eben bei nicht gut anamnestizierbaren OB-Schmerzen bestimmt, war aber nicht das hs-Troponin gewesen.

Ach es ist weiter schwierig, gestern war das Crea noch bei 100, heute ist sie klinisch besser, kaum noch Schmerzen, hat aber astronomische Entzündungswerte und: ein Crea von 200 und Null Diurese von morgens bis mittags. Ich hätte sie gern auf die IMC gelegt, aber der Chefarzt war dagegen und will ihr nur Lasix geben, das hat dann auch tatsächlich zu 100ml Auscheidung geführt bis zu meinem Feierabend, Nieren haben wir geschallt, keine Stauung und alles nephroschädliche abgesetzt, aber das ist doch alles mist... bzw auch zu internistisch für mein begrenztes Chirurgenhirn.

Naja, aber das sollte keine Falldiskussion werden, eure Antworten sind auf jeden Fall sehr lehrreich. Echo werd ich anmelden (wenn sie nicht internistisch übernommen wird) und mir mal den Grace-Score angucken

dreamchaser
04.03.2013, 17:53
Bei einem akuten Nierenversagen kann das Troponin auch mal erhöht sein....wenn es im Verlauf nicht signifikant angestiegen ist, dann wird es eher das sein. Da kommt es eben umso mehr um den Verlauf nach 4-6 Stunden an.

Evil
04.03.2013, 18:01
Irgendwas sagt mir, daß die Patientin Euch die Entscheidung abnehmen und sich in Kürze verabschieden wird, egal was Ihr tut...

Fr.Pelz
04.03.2013, 18:16
Ja von den Werten her ist es desaströs, aber wie gesagt, klinisch gehts ihr besser, sogar die Demenz wirkte heut weniger ausgeprägt. Ein wenig konnte man sich sogar mit ihr unterhalten. Wenn man ihr auf den Bauch drückt, findet sie das nicht weiter schlimm und der Chef meint, sicher berechtigt, das muss in der Behandlung der führende Faktor sein.
Sicherer wäre es trotzdem gewesen, wenn wir sie auf die IMC hätten legen dürfen, aber daran sieht man mal wieder, dass der Chef schon ganz schon weit weg ist vom Stationsalltag :-/

Kackbratze
04.03.2013, 18:29
Bauch und Hirn besser?
Ruft mal schnell die Angehörigen an, dass die noch ein paar Worte mit der Dame wechseln können...nur so meine bisherige Erfahrung...aber die kann sich ja irren, da das hier eine Internetgeschichte ist und ich die Patientin nicht persönlich begutachten durfte.

Muriel
04.03.2013, 18:30
Gleiches habe ich auch gerade gedacht, Bratze.