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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : aus dem Leben eines deutschen Anästhesisten in Frankreich



whynot_france
20.03.2013, 11:28
Hallo zusammen,

warum dieses Thema ? eigentlich weil ich meine Arbeit liebe und gerne noch 20 Jahre so weiterarbeiten würde.

nach einigen Jahren Facharztausbildung, Notarzt, Intensiv hat es mich seit einigen Jahren nach Frankreich verschlagen, auch weil meine Frau Französin ist. nach der Arbeit an der "Front" in Deutschland arbeite ich nun in einer Privatklinik in Frankreich. Diese sind in Frankreich weit verbreitet. Das Patientengut ist relativ einfach vom Analphabeten aus dem Maghreb bis zum Dr Lieschen Müller.

Meine Befürchtung dass ich mich langweilen werde nach der Uni hat sich nicht bewahrheitet, denn ich habe weitaus genug zu tun und das momentane Feld ist abwechslungsreich genug. (wir haben mit unseren 4 Anästhesisten einen vier Wochenturnus: 1 Woche Orthopädie 1, eine Woche Orthopädie 2 und Handchirurgie + plastische Chirurgie - es werden sehr viele Regionalanästhesien per Ultraschall gemacht, das lernt sich gut bei der menge : ca 4-5 pro Tag; eine Woche kleine HNO (ab 2 Jahren) und Koloskopien (ca 14 am Tag), dann eine Woche „Dienst“ als Rufdienst und als Säle betreue ich Urologie und Allgemeinchirurgie, so wie heute. Daneben die kleine Überwachungsstation und nach dem OP Programm noch die prä- und postoperative Visite, also genug zu tun. Keine Geburtsheilkunde keine Notfallaufnahme, so dass die Nächte i.d.R ruhig sind, das dienstwochenende ist mit Visite gestaltet und selten mal ein kleiner Eingriff.
Das Klima unter allen Ärzten ist sehr kollegial.

Obwohl ich denke dass ich zu viel arbeite, ist es doch relativ gut mit Familienleben vereinbar, habe 2 Kinder und zum Glück nur 5 Minuten per Fahrrad oder Auto bis zu Klinik.

Bin gespannt auf Eure Fragen oder Einschätzungen !!

habichnicht
20.03.2013, 11:50
Bist Du sicher, dass Dein Beitrag dort nicht besser passen würde: ;-) http://www.medi-learn.de/foren/showthread.php?t=50062

MuluGulu
20.03.2013, 16:06
Wie wäre denn die Stellensituation gewesen, wenn du an eine französische Uniklinik gegangen wärst? Vielleicht sogar in einem der schönen "Städtchen" am Meer? Hast du da auch Infos?

Lakemond
20.03.2013, 16:40
Bin gespannt auf Eure Fragen oder Einschätzungen !!

€€€€?

whynot_france
21.03.2013, 22:09
Hallo MuluGulu,
das öffentliche Gesundheitssystem in Frankreich ist auch nicht unattraktiv, 9 wochen urlaub im Jahr und 2 wochen Fortbildungsurlaub !. Ich kenne es leider nicht, weil sich mir die Möglichkeit geboten hat im privaten selbsständigen Bereich einzusteigen. Vielmehr auch hier in der Grenzregion zu Deutschland, da ich doch relativ "heimatverbunden" bin, klingt vielleicht altmodisch, ist aber so, und meine Kinder sehen so ihre Großeltern regelmässig.
Am Meer zu leben hat natürlich auch was, aber stand für mich nie im Vordergrund.

Ich habe auch etwa 9 Wochen mit allem zusammen Urlaub, vor allem die Sommermonate sind sehr ruhig.

Aber MuluGulu angesichts der Anästhesistennot in Frankreich findet man bestimmt auch ne Uniklinik am Meer.

mach noch einen € dazu pro monat!


€€€€?

also noch einen € dazu


also noch einen € dazu

darauf kommte es mir aber gar nicht so an. Habe gerade den Artikel im Ärzteblatt gelesen :

http://www.aerzteblatt.de/archiv/135640/Arbeitsplatz-Krankenhaus-Was-Aerzte-zufriedener-macht

wenn ich meine Situation damit vergleiche würde ich sagen:

Arbeitszeitengestaltung: als Selbständiger ist die Motivation ohnehin anders. Ich arbeite gerne auch mal ne woche länger, aber dafür ergeben sich die Wochen drauf auch Zeiten wo es deutlich weniger ist. Und mit Respekt auf die anderen kann ich im Prinzip freimachen wenn ich will, es müssen nur genug andere da sein und es sollte schon einigermassen gerecht sein. Da ich schulpflichtige Kinder habe macht es mir nichts aus ausserhalb der Ferienzeiten zu arbeiten. also 5,5/7

Die arbeitsbelastung, da es sehr viel Spass macht ist sie hoch aber gefühlte zufriedenheit dabei auch 5,5/7, vor allem bin ich mein eigener Chef. Das schöne an der Woche Dienst ist die Betreuung der Patienten mit grossen Eingriffen danach auch noch, das heisst ich sehe sie am Abend vorher und dann noch die Tage danach auf unserer kleinen Intensifstation. Z.B. hatten wir ne gastrektomie letzten Freitag 84 jahre, mit ner niereninsuffizienz, lungenemphysem und diabetes der die ganze woche im Delir war und jetzt am ende des Dienstes scheint er es geschafft zu haben. Die Kontinuität die Patienten kontinuierlich vor während und nachher aus einer Hand zu betreuen finde ich echt Klasse. also 5,5/7.

..... fortsetzung folgt

Vereinbarkeit von Beruf und Familie:

durch die Nähe zur Klinik kann ich wenns die Arbeit erlaubt schnell mal heimfahren und mit der Familie zu Mittag essen oder joggen gehen. Morgens frühstücke ich mit meinen Kindern. Abends kann ich manchmal wenn ich Dienst habe sogar schnell mal heimfahren sie ins Bett bringen und anschliessend wieder zurück in die Klinik und den Rest beenden. aber ich würde gerne weniger arbeiten insgesant also 4,5/7.

Fort und weiterbildung:
mache ich relativ viele, zwei kongress pro Jahr, vom Haftpflichtversicherer werden Fortbildungstage mit sehr guten Referenten und sehr Praxisorientierten Themen angeboten. in der Mittagspause gibt es gelegenheit beim gemeinsamen Mittagessen sich mit Kollegen auszutauschen. Kontakt zu Pharmareferenten öffnet auch die ein oder andere weiterbildungsgelegenheit. Hätte insgesamt gerne mehr Zeit mehr medizinische Fachliteratur zu lesen, weil die Umsetzung im täglichen Alltag relativ unkompliziert wäre. also 6/7.

Betriebsklima:
ein wesentlicher Punkt. Als Anästhesist habe ich mehr mitzureden als in Deutschland. Ich bin letzendlich meinem gewissen gegenüber verantwortlich wen ich narkotisiere. Und wenn ich einen Patienten für zu krank einstufe und entscheide ihn nicht zu narkotisieren sondern empfele ihn an einer "höheren" Instanz unter optimalen Bedinungen operieren zu lassen, dann ist das so. Bisher gab es keine einzige Disskussion mit den Chirurgen zu derartigen Entscheidungen. Den gegenseitigen Respekt schätze ich sehr. 6/7 Punkten.

Vorgesetze/Führungsstil
der "Oberste" Klinikdirektor = inhaber hat das Rentenalter bereits weit überschritten, daher ne katastrophe wie es danach weitergeht ist leider etwas ungewiss. aber angesichts der Arbeit, die de facto existiert mache ich mir keine allzugrossen sorgen. also 3/7 Punkte.
Ansonsten gibt es keinen Vorgesetzten und ich entscheide frei alles was die anästhésie angeht prä, intra und postoperativ also 7/7 Punkten.

Gehalt und Verdienst,
entsprechen der erbrachten Leistung, dreimal höher als in einem deutschen öffentlichen Krankenhaus, kurze wechselzeiten, gut strukturiertes OP programm ohnen wesentliche Notfälle.

Gesundheits und Sozialleistungen
müssen teils selbst erbracht werden, risiko der selbständigkeit.

Raum und Arbeitsmittelausstattung
es gibt mit sicherheit modernere Arbeitsgeräte, aber für das was wir brauchen haben wir das notwendige. Notfallintubationswagen mit Bronchoskop. 4,5/7 punkten. TCI pumpen werden bals angeschafft.

Anspruch und Qualität der Patientenversorgung
dadurch dass die Chirurgen selbständig sind und neben ihrer Praxis in der Stadt in unserer klinik operieren können, operieren sie viel und routiniert und das merkt man. Dadurch dass die grossen allgemeinchirurgischen und urologischen eingriffe in der betreuenden Hand eines einzigen diensthabenden Anästhesisten bleiben kennt dieser die ersten postoperativen Tage exact den Verlauf und kann gezielt zum richtigen Zeitpunkt intervenieren. das finde ich sehr sehr gut ! 6/7 Punkten

meine hohe Arbeitsplatzzufriedenheit und Arbeitsplatzattraktivität überrascht mich selbst.
wenn ich mehr Zeit hätte liesse sich auch noch vieles angehen und besser organisieren vielleicht oder noch mehr Fortbildung fürs Pflegepersonal arrangieren. das kommt etwas zu kurz. man kann nicht alles haben und ich meine Familie ist mir auch wichtig.

Nepoprawim
22.03.2013, 09:15
Das hört sich alles prima an! Ich habe mir auch überlegt, mal in Frankreich tätig zu werden, daher wollte ich etwas pragmatischer fragen-wie stehen die Chancen direkt nach dem Studium? Braucht man diesen komischen Concours, um einzusteigen? Und wie sieht es aus mit fertiger Facharztausbildung, da ist wohl der Anschluss leichter, oder? :) Danke für die Antworten!

whynot_france
22.03.2013, 15:48
um facharzt zu werden in Frankreich ist in der Tat der Concours erforderlich, der soweit ich gehört habe nicht einfach ist, die besten 2000 von 8000 kommen dort rein.
Ich habe meinen Facharzt in deutschland gemacht und nach einigen Formalitäten konnte ich mich dann bei der zuständigen ärztekammer in frankreich einschreiben. Französisch konnte ich vorher schon aufgrund eines Jahres mit Erasmus.

gerne weitere Fragen

Biosohn
14.09.2013, 14:45
Hi WhynotFrance!

Ich bin seit einigen Monaten Anästhesiefacharzt und spiele mit den Gedanken für eine gewisse Zeit ins französische Ausland zu gehen - im Moment noch eher als Hirngespinst als als konkrete Planung. Die konkrete Umsetzung ist mir aber nicht ganz klar, vielleicht kannst du mir ja weiterhelfen. Meine Vorerfahrungen mit Frankreich beschränken sich auf ein 4-monatiges PJ-Tertial (in Guadeloupe), ich besitze ein B2-Sprachdiplom Französisch. Sprachlich sollte es also einigermaßen gehen...


- Theoretisch wäre ja ein Remplacement die beste Variante (gut bezahlt und sehr flexibel), da habe ich nur gewisse Bauchschmerzen. Logischerweise und veständlicherweise würde da ja von mir erwartet werden dass ich ab dem 1. Tag voll funktioniere. Ich habe doch einige fachliche (Jungfacharzt, andere Infrastruktur etc.) und sprachliche Bedenken (insbesondere Fach-(Umgangs)sprache).

- Lieber wäre mir also ein 'normales' Angestelltenverhältnis wie in Deutschland zum Eingewöhnen. In den meisten Internetjobportalen findet man aber nur Remplacements. Irgendwelche Empfehlungen wo man sonst noch Stellenanzeigen finden könnte?

- Wie üblich sind denn Initiativbewerbungen überhaupt und wie wäre eine korrekte Bezeichnung für 'Facharztstelle': assistent, practicien contractuel, attaché, clinicien? Ziemlich verwirrend finde ich.

- Gibt es die Möglichkeit sich schonmal pro Forma im Ordre einzuschreiben (also ohne Wohnsitz u/o Arbeitsstelle in F)? Das scheint ja doch ein etwas aufwendigerer Akt zu sein (auch zeitlich) und die Inscription ist ja für alle Arten der Beschäftigung Voraussetzung oder? Als Facharzt sollte es ja erstmal grundsätzlich kein Problem sein...

- Oder sollte ich mich einfach an eine der vielen Agenturen wenden? Da gibt es ja zum Beipsiel auch Nachtwey-International, die werben ja recht häufig im Ärzteblatt... (Werbelink)

Vielen Dank schonmal im Voraus für jeglich Hilfe!

Biosohn
30.09.2013, 08:46
Keiner mehr hier der sich mit Frankreich auskennt? Schade...

Falls sich doch noch jemand findet: wieviel verdient man denn so? Laut einer offiziellen Seite die ich im Internet gefunden habe sind es in der ersten Stufe als Assistant oder Attaché bloß 2xxx netto (+ Dienste) d.h. aber doch deutlicher weniger als in Deutschland.