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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Medizin ist Show



Rugger
05.08.2003, 21:27
Habe heute einen interessanten Artikel in der Süddeutschen gelesen und wollte ihn euch nicht vorenthalten:

Medizin ist Show

Auch die moderne Heilkunde wirkt nicht zuletzt dank ihrer Rituale – mitunter auch fatal



Abends, kurz vorm Dunkelwerden. Im Halbkreis sitzend, warten die Patienten gebannt auf ihren Heiler. Als er den Raum betritt, steigt die Spannung ins kaum Erträgliche an. Mit seinem bunten Gewand und seiner Krone verbreitet der Schamane eine geheimnisvolle Aura. In einem exakt festgelegten Ritus bereitet er ein Rauchwerk aus allerlei Zweigen, Flechten und Moosen, durch dessen Qualm er fünf Minuten später in Trance fällt. Einen Patienten nach dem anderen behandelt er nun. Dabei beginnt er, unverständliches Zeug zu murmeln, zu schreien, sogar zu kreischen. Nur ein Bauernjunge, der als Vermittler dient, kann den Kranken diese Heilanweisungen übersetzen.


Morgens, 7 Uhr 10. Auf Tischen liegend, warten die Patienten aufgeregt auf ihre OP-Termine. Während sie in die Narkose sinken, bereitet sich der Chirurg auf seinen großen Auftritt vor. Mit seinem grünen Kittel und seiner weißen Haube verbreitet er eine geheimnisvolle Aura. In einem exakt festgelegten Ritus wäscht er sich die Hände, lässt sich den Kittel zuschnüren und die Handschuhe anziehen. Dann behandelt er einen Patienten nach dem anderen. Als die Kranken aus der Narkose erwacht sind, beginnt er, unverständliches Zeug zu reden. Nur mit Hilfe eines Lexikons können die Patienten die Heilanweisungen verstehen.


Es gibt Antibiotika, die Bakterien töten. Es gibt Nägel, die Knochen zusammenhalten, und es gibt Hormone, die die Arbeit schwacher Schilddrüsen übernehmen. Antibiotika, Nägel und Hormone erfüllen bei jedem ihre Aufgabe. Sie wirken recht unabhängig von Ort und Zeit – und auch unabhängig davon, ob ein Arzt Hoffnung macht oder Ehrfurcht verbreitet. Mit Hokuspokus haben sie nichts zu tun.


Ein Großteil jeder Medizin aber ist Show .....

Den kompletten Artikel, der hier aus copyrightrechtlichen Gründen nicht "abgedruckt" werden darf, findet Ihr unter
http://www.sueddeutsche.de/sz/wissenschaft/red-artikel3005/

Froschkönig
05.08.2003, 21:34
Bleibt noch zu sagen, daß all dies interpretationen des ärztlichen Alltags sind, wie sie meist von aussenstehenden wahrgenommen und gedeutet werden. Es mag ein Körnchen wahrheit in vielem davon stecken, jedoch ist es für mich unterm Strich das bemühen des Verstehen des Unverstehbaren.

milz
06.08.2003, 00:11
Interessanter Artikel, da ist was Wahres dran.

harlekyn
06.08.2003, 00:44
Original geschrieben von Rugger
[I]
...Schein-Operationen, bei denen nur die Haut aufgeritzt und wieder zugenäht wird...


Im Ernst??? :-((



Also ich finde das großartig. Gerade in einer Zeit wo sich immer mehr Leute über das Unpersöhnliches beschwerer zeigt sich, das ein Arzt, der noch richtig mit seinen Patienten redet auch bessere Chancen hat zu heilen! Denn ein Arzt, der mit mir viel redet und sich mit mir beschäftigt, dem traue ich ja automatisch mehr. Und dem fällt es natürlich leichter mir Placebos an "zudrehen"!
Wenn amn allerdings sieht was für Kosten für die ganzen Placebos auflaufen... :-?

airmaria
06.08.2003, 06:42
Original geschrieben von harlekyn


Im Ernst??? :-((



Jo, den Artikel habe ich neulich gelesen, ging um Versorgung des Kniegelenkes bei Osteoarthritis:

Methode 1: Arthroskopie mit Knorpelglättung und sorgfältigem Debridement

Methode 2: Arthroskopie und ausgedehnte Spülung mit mind. 10l

Methode 3: komplette Arthroskopische Vorbereitung, dann aber nur kleine Hautschnitte, Operateur klappert den Rest der Zeit nur mit den Instrumenten rum...

Das Ganze war als Blindstudie angelegt: die Patienten wußten nicht, welche Methode angewendet wurde; der Operateur wußte nicht, welche Methode er bei dem Patienten anwendet, bis er im OP nach kompletter Vorbereitung ein Los gezogen hat.

Ergebnis: in den Nachuntersuchen unter Zuhilfnahme 4 verschiedener Befindlichkeitsevaluationsscores gaben die Patienten eine leichte Verbesserung Ihrer Schmerzsituation durch die Behandlung an, wobei die Methoden statistisch nicht voneinander differierten.

Nein, das ist keine Uraltstudie, sie wurde erst 2002 in einem einschlägigen Journal (ich kann das bei Gelegenheit noch mal genau raussuchen) veröffentlicht, die Durchführung erfolgte in den USA an einer Miltäreinrichtung ;-) .


"Mary" airmaria

Pascal
06.08.2003, 09:15
Das ja mal krass. Hab den restlichen Artikel jetzt nicht gelesen, aber scheint ja im Großen und Ganzen das wiederzugeben was man ja mitlerweile kappiert haben sollte. Medizin funktioniert langfristig nur mit dem Patienten und sein Wille spielt eine entscheidende Rolle.

harlekyn
06.08.2003, 09:32
Alos ich finde die Vorstellung irgendwie merkwürdig. Einen OP ansetzten und doch nix machen....oder seine Patienten anlügen...auch wenn es sicherlich manchmal mehr hilft als einfach nur zu sagen: Sie haben nix....
Ich denk wenn ein Patient vertrauen zu seinem Arzt hat dann helefn ihm Placebos die er ihm verschreibt! Aber wenn ihm der Patient SEHR vertraut, dann hilft ihm bestimmt auch die Wahrheit....(Ausnahmen gibt es immer wieder)....

Lisa
06.08.2003, 09:49
Original geschrieben von Rugger
Denn ein Arzt, der bei seinen Patienten keinen günstigen Placebo-Effekt auslöst, sollte lieber Pathologe werden.Idealismus hin oder her, aber diese Aussage ist ja nun ab von jeder Realität.
Was sollen wir mit einem Gesundheitsystem mit dem Verhältnis Pathologen zu sonst. Fachärzten = 20 zu 1?!

milz
06.08.2003, 12:19
Alos ich finde die Vorstellung irgendwie merkwürdig. Einen OP ansetzten und doch nix machen....oder seine Patienten anlügen...auch wenn es sicherlich manchmal mehr hilft als einfach nur zu sagen: Sie haben nix....

Placebo-OPs halte ich für Quatsch, wegen der Kosten, den OP-Risiken (Infektionen) und dem Aufwand. Diese OPs wurden allerdings nur zu Studienzwecken durchgeführt, wenn ich das richtig verstanden habe.
(Da würde man man besser gleich eine Hypnosetherapie verschreiben (auf Privatrezept?). Manche Zahnärzte betäuben damit sogar ihre Patienten!)

Wo es Therapien gibt, die nachweislich anschlagen, sollte man den Patienten natürlich keine Placebos andrehen!
Wirksame Therapien zeichnen sich (zumindest bei Medis) gerade dadurch aus, daß sie in Doppelblindstudien mehr als Placeboeffekt zu bieten haben.
Eine Chemo wird man wohl nicht durch Traubenzucker ersetzen können, bzw. man sollte wenn schon denn schon beide Effekte (den pharmakologischen und den psychologischen) nutzen.

Geht auch glaub ich mehr darum, etwas Fingerspitzengefühl zu zeigen. Man sollte Patienten grundsätzlich (gibt natürlich Ausnahmefälle) ihre (in fausten) Diagnosen nicht vorenthalten. Meist merken die am Verhalten von Ärzten und Pflegepersonal sowieso, das irgendwas nicht stimmt und Ungewissheit kann u.U. schlimmer sein als die Wahrheit!
Aber Zuhören, vermitteln, daß immer eine kleine Hoffnung besteht (Ja, ich weiß wie selten Spontanheilungen sind!), die Angst vor Schmerzen nehmen, Angehörige einbeziehen usw. kann man durchaus.

mfg