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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Reanimation in der Klinik, wann?



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anignu
10.04.2013, 15:07
Hallo,

nach dem letzten Nachtdienst beschäftigt mich die Frage nach dem Beginn einer Reanimation...

Folgende Szenarien sind einfach:
- Junger gesunder Patient, Herzstillstand
- alter, schwerst kranker Mensch, Patientenverfügung dass keine Rea
- alter, schwerst kranker Mensch, in Teamabsprache mit CA, OA, und Assis besprochen dass keine Rea

Und dann?
- alter, schwerst kranker Mensch, Schwester piepst einen an: Patient vor einer Viertelstunde verstorben, und sagt weiter "ich wollte sie nur informieren"...

Reanimiert ihr Leute mit lichtstarren weiten entrundeten Pupillen die durchverkrebst sind und auch ohne Krebs ausreichend Erkrankungen für Tod haben?
Ist das Leichenschänderei zur Beruhigung des eigenen Gewissens "ich hab ja zumindest was getan" oder ist es sogar anders rum, dass man juristisch belangt werden kann wenn man nicht anfängt?

Stellt ihr dann schon Totenscheine aus auch wenn ihr noch keine sicheren Todeszeichen habt? Oder wartet ihr die vorgeschriebene Zeit (also bis Totenflecken/Totenstarre da ist)?

patricia2013
10.04.2013, 15:17
Ist es nicht eine verrückte Maßnahme einen Menschen erneut sterben zu lassen.

Lava
10.04.2013, 15:20
Die Frage hab ich mir auch schon oft gestellt... wann reanimiere ich noch, wann nicht? Im Reanimationskurs meinte der Leiter, dass es eigentlich nur Sinn macht, wenn man quasi SIEHT, wie jemand gerade zusammenklappt. Da denke ich mir, dass ich wahrscheinlich nicht mehr anfangen würde, wenn die Schwester jemanden zufällig beim Rundgang findet, der tot ist...

Bisher habe ich immer eine erste Leichenschau gemacht (mal Puls fühlen, ahören) und dann zwei Stunden später die zweite inklusive Ausfüllen des L-Scheins. War auch schonmal später als 2 Stunden nach Auffinden, wenn irgendwas dazwischen kam. Patienten markieren oder Chefvisite z.B. :-))

Solara
10.04.2013, 15:28
Da denke ich mir, dass ich wahrscheinlich nicht mehr anfangen würde, wenn die Schwester jemanden zufällig beim Rundgang findet, der tot ist...



Da stellt sich mir die Frage, ob der nicht gerade erst reanimationspflichtig geworden sein könnte. Schwierige Frage!
Was hast du denn gemacht?

Lava
10.04.2013, 15:36
Wie gesagt, diese Situation hatte ich noch nie. Bisher war ich immer nur dabei, wenn eine Schwester oder ich selber gesehen haben, dass jemand gerade reanimationspflichtig wird.

Solara
10.04.2013, 15:41
Ich schon, allerdings in Anwesenheit eines OA, der das Vorgehen bzw nicht-Vorgehen entschieden hat.

anignu
10.04.2013, 15:58
Ich hab alleine eine Entscheidung getroffen bzw. treffen müssen/dürfen... und überlege seither ob sie richtig war.

Eines weiß ich inzwischen sicher. Ich fordere für meinen nächsten Nachtdienst eine Todesliste ein, so wie es sie in meiner alten Klinik gab. Das war eine Liste auf der die Leute standen die nicht reanimiert wurden, bei allen anderen wurde automatisch der Herzalarm ausgelöst. Ich mein ich bin selbst schuld, hab naiverweise nicht mehr jedes Mal wehement auf Übergaben gepocht.
Es ist sooooo anstrengend wenn man fachfremde Patienten der anderen Stationen für die man nachts auch zuständig ist ein wenig durchsprechen will und der Übergebende steht nach jedem einzelnen Patienten auf und will endlich gehen (ja, so Leute gibts). Und dann zwanzig mal zu intervenieren und zu sagen: und bei dem, und bei dem, könnten wir bitte die Patienten zuende besprechen... wahnsinn. Gut ist für Normalstation vielleicht auch übertrieben, aber anscheinend doch wieder nicht.

Vielleicht reagiere ich auch ein wenig über. Vor drei Wochen ist ein Patient erwartet und "durch Teamabsprache und von Patient" genehmigt verstorben, das war meine erste Todesfeststellung allein und meine erste Leichenschau und ich mochte den Patienten wirklich gern. Anfang der Woche ist ein Patient verstorben den ich letzte Woche operiert hab. Nicht wegen meiner OP, ganz und gar nicht, aber man beschäftigt sich dann halt mehr mit den Patienten. Und dann eben dieser Nachtdienst...

tas183
10.04.2013, 16:00
- alter, schwerst kranker Mensch, Schwester piepst einen an: Patient vor einer Viertelstunde verstorben, und sagt weiter "ich wollte sie nur informieren"...


Selbst wenn man in dieser Situation wieder einen Puls bekommen sollte, dann tut man dem Patient damit bestimmt nichts gutes. Ein appallisches Syndrom ist für alle Beteiligten nichts schönes.

Solara
10.04.2013, 16:07
War die Schwester denn beim Sterben mit dabei oder woher weiß sie, dass das genau 15min waren?
Wenn sie dabei war, warum hat sie dich denn nicht früher informiert?

Maja85
10.04.2013, 16:10
Einen Totenschein darf man ja erst nach Feststellung der sicheren Todeszeichen ausfüllen, deswegen immer mit der zweiten Leichenschau warten, bis diese da sind. Hab auch schon mal ne zweite Leichenschau nochmal ne Stunde nach hinen gelegt, weil beim ersten Versuch mir Leichenstarre und Flecken noch nicht ausgeprägt genug waren.

Wer nicht reanimiert werden soll - medizinisch indiziert und/oder mit Angehörigen + Patient besprochen, bekommt nen dicken Stempel auf den Stocker. Alles andere muss eigentlich reanimiert werden, es sei denn, es bestehen sichere Todeszeichen. Pupillen sind ja schnell lichtstarr. Klar macht das manchmal keinen Sinn, und wenn einer eiskalt ist und alt und krank und ich kenne den Patienten, würde ich wohl auch von absehen (--> medizinisch nicht indiziert). Kennst du die Patienten aber nicht und es ist nicht klar --> reanimieren. Denn damit machst du erstmal nichts falsch und es kann keinen Ärger geben.

anignu
10.04.2013, 17:02
War die Schwester denn beim Sterben mit dabei oder woher weiß sie, dass das genau 15min waren?
Wenn sie dabei war, warum hat sie dich denn nicht früher informiert?

Sie war nicht dabei. 15 min sind 10 min "Patient hat aufgehört zu schreien" und 5 min "hm, soll ich den Arzt nun rufen oder nicht". Und nein, im Mund hatte er nix drin und sich auch nicht auf die Zunge gebissen.

Solara
10.04.2013, 17:06
Hmm, dann könnten es auch weniger Minuten gewesen sein.
Ich hätte wohl angefangen, Unterstützung angefordert und nachgeforscht, was denn der mutmaßliche Patientenwille gewesen sein könnte - und dann weiter entschieden.

EKT
10.04.2013, 17:38
Hab auch schon mal ne zweite Leichenschau nochmal ne Stunde nach hinen gelegt, weil beim ersten Versuch mir Leichenstarre und Flecken noch nicht ausgeprägt genug waren.

Warum das denn? Hast du gedacht, vielleicht wacht der doch noch mal auf?

Leelaacoo
10.04.2013, 17:48
Die Wahrscheinlichkeit, diesen von dir beschriebenen Pat. erfolgreich zu reanimieren, nachdem schon die Pflege offensichtlich nicht den "Pat. stirbt gerade, Rea-Alarm"- Mechanismus gestartet hat (was wohl auch Gründe haben wird, er sah wohl schon "sehr tot" aus)...die geht ja gegen 0,01%...von neurologisch einwandfreiem Überleben brauchen wir ja gar nicht erst zu sprechen...ich finde diese Entscheidungen schwierig, würde persönlich aber aktuell nach all den Reanimationen nicht damit beginnen. Und den Tod kann man ja durchaus schon VOR der Leichenstarre feststellen...sonst würde man ja alle bis zum Eintreten von Livores reanimieren müssen. es muss natürlich dann noch eine 2te Leichenschau stattfinden.
Ich verstehe, wenn man sich nicht sicher ist und erst mal startet...aber diese furchtbare Angst von vielen, sofort im Knast zu landen, weil man nicht mehr auf der Leiche rumgedrückt hat...das ist schade, das macht die Leute immer so unsicher...keiner wird einen verknacken, weil man einen seit > 15 Minuten toten Patienten nicht gedrückt hat...zumal einen so Kranken (man dokumentiere: Keine Aussicht auf Erfolg einer Reanimation). Ich sags ja immer wieder gern: eine Reanimation ist eine Maßnahme, welche indiziert sein muss. Bei einem schwerst kranken, ggf. präfinalen Pat. ist sie gelegentlich sogar mal kontraindiziert, egal, was Angehörige sich wünschen...ich hätte auch gern ein Einhorn und einen Regenbogen...aber so isses halt.
Man würde doch auch schwere OPs auch indizieren, oder? Und wenn man keinen Aussicht auf Besserung/Erhaltung eines erträglichen Zustandes hätte...dann wäre es kontraindiziert, den Pat. damit zu belasten. Primum nihil nocere. Auch die Rea kann enorm viel Schaden anrichten...
Bei dem jungen pat. ohne erkennbaren Grund hätte zuerst einmal die schwester sicher den Reaknopf gedrückt, dann hätte man erst mal angefangen...aber so...mach dir keinen Kopf. So ist Medizin, man muss Entscheidungen treffen und manche sind unumkehrbar, das kann man nicht immer auf OÄs abtrufen. Dafpr hat man studiert und ist approbiert...und man muss ggf. auch mit fehlentscheidungen leben. Wenn man GRANICHTS mehr entscheidet, dann braucht man auch kein Arzt sein...aber irgendwie werden alle jungen Kollegen schon von Beginn an wenig unterstützt in eigener Entscheidungsfindung (die am Anfang natürlich noch nicht so gegeben ist...aber woher solls denn später kommen? Wen fragt dann der frische OA, wenn er vorher immer den OA gefragt hat?)

LG Lee

Maja85
10.04.2013, 17:59
Warum das denn? Hast du gedacht, vielleicht wacht der doch noch mal auf?

Nein, aber es war nachts und ich hatte keinen Druck das Bett zu belegen und manche ärztliche Aufgaben kann man ja auch mal mit Sorgfalt erledigen.

Ansonsten versuchen wir das Thema regelmäßig bei alten + kranken Patienten anzusprechen, bevor die Situation auftritt. Das erspart dem Dienst eben diese Gedanken und wird von uns relativ konsequent umgesetzt, ebenso wird mit OÄ med. DNRs abgesprochen, wenn Pat alt/schlecht/präfinal/maligner Hirninfarkt. Deswegen kam ich bislang nur einmal in die Situation zu reanimieren, als die Patientim vor meinen Augen reanimationspflichtig wurde. In der Neuro lohnt sich die Rea ansonsten ja selten, aufgrund der entsprechenden Grunderkrankungen.
Das war ja nur der Ratschlag an die Kollegen, die im Nachtdienst zum ersten Mal in der Situation sind.

Solara
10.04.2013, 18:08
So ist Medizin, man muss Entscheidungen treffen und manche sind unumkehrbar, das kann man nicht immer auf OÄs abtrufen. Dafpr hat man studiert und ist approbiert...und man muss ggf. auch mit fehlentscheidungen leben. Wenn man GRANICHTS mehr entscheidet, dann braucht man auch kein Arzt sein...aber irgendwie werden alle jungen Kollegen schon von Beginn an wenig unterstützt in eigener Entscheidungsfindung (die am Anfang natürlich noch nicht so gegeben ist...aber woher solls denn später kommen? Wen fragt dann der frische OA, wenn er vorher immer den OA gefragt hat?)


Hmm, wenn man nun aber wenig Erfahrung hat und nicht sicher weiß, wie lange der da schon so rumliegt - ggfs eben auch erst sehr kurz. Dann fange ich an & fordere Kollegen, das Rea-Team an, und prüfe dann, wenn eine Hand über ist, was der überhaupt an VE hat etc. Die Nachtschwester kennt ja meist die mehr als 30 Patienten nicht so wirklich gut. Aufhören kann man immer noch.
Auf der eigenen Station ist sowas übrigens abgeklärt, da dürfen die Patienten mit entsprechendem Wunsch nach DNR auch ganz in Ruhe sterben.

Peter_1
10.04.2013, 18:10
Ich sags ja immer wieder gern: eine Reanimation ist eine Maßnahme, welche indiziert sein muss. Bei einem schwerst kranken, ggf. präfinalen Pat. ist sie gelegentlich sogar mal kontraindiziert, egal, was Angehörige sich wünschen...ich hätte auch gern ein Einhorn und einen Regenbogen...aber so isses halt.
Man würde doch auch schwere OPs auch indizieren, oder? Und wenn man keinen Aussicht auf Besserung/Erhaltung eines erträglichen Zustandes hätte...dann wäre es kontraindiziert, den Pat. damit zu belasten. Primum nihil nocere. Auch die Rea kann enorm viel Schaden anrichten...
So ist Medizin, man muss Entscheidungen treffen und manche sind unumkehrbar, das kann man nicht immer auf OÄs abtrufen. Dafpr hat man studiert und ist approbiert...und man muss ggf. auch mit fehlentscheidungen leben. Wenn man GRANICHTS mehr entscheidet, dann braucht man auch kein Arzt sein...aber irgendwie werden alle jungen Kollegen schon von Beginn an wenig unterstützt in eigener Entscheidungsfindung (die am Anfang natürlich noch nicht so gegeben ist...aber woher solls denn später kommen? Wen fragt dann der frische OA, wenn er vorher immer den OA gefragt hat?)
LG Lee
:-top
Dem ist nichts hinzuzufügen. Wenn hier irgendwie Handlungsbedarf gegeben gewesen wäre, dann hätte doch normalerweise auch die Schwester anders reagiert.

Solara
10.04.2013, 18:12
:-top
Dem ist nichts hinzuzufügen. Wenn hier irgendwie Handlungsbedarf gegeben gewesen wäre, dann hätte doch normalerweise auch die Schwester anders reagiert.
Das ist nun wieder die Frage, warum hat denn die Schwester denn eigentlich so reagiert, wie sie reagiert hat?

EKT
10.04.2013, 18:13
und manche ärztliche Aufgaben kann man ja auch mal mit Sorgfalt erledigen.

...wenn man schon bei lebenden dafür keine Zeit hat, dann wenigstens bei den Leichen...:-))

Hatte mal einen seltsamen Oberarzt im Diensthintergrund, der meine Entscheidung zum Nichts-intensivmedizinisches-mehr-tun bei einem finalen Tumorleiden eines alten Mannes hintergangen hat. Die herbeigerufene Notärztin hat nur die Augen verdreht, den Pat. aber mit in die Somatik genommen, wo er wenige Stunden später verstorben ist. Dieses Vorgehen des OA (aus irrationaler Angst heraus) hat bei der Pflege und den Angehörigen, mit denen das vorher sorgfältig abgesprochen war, große Empörung ausgelöst. Also: OÄ sind nicht automatisch qua ihrer Funktion die weisen Entscheider.

Maja85
10.04.2013, 18:14
:-top
Dem ist nichts hinzuzufügen. Wenn hier irgendwie Handlungsbedarf gegeben gewesen wäre, dann hätte doch normalerweise auch die Schwester anders reagiert.

In einer optimalen Krankenhauswelt vielleicht schon. In der Realität :-peng. Weiß nicht.
Ich sag ja nur, wenn ich Patient + Situation + Patientenwunsch + Angehörige nachts um zwei nicht kenne, dann muss man erstmal reagieren. Wenn ich erstmal 10 Minuten Recherche betreibe, muss man sicherlich nicht mehr anfangen.
Wenn ich tagsüber die Patienten kenne, ist das ganz was anderes.