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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Ich zieh mal dann den Stecker...



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dgy999
03.07.2013, 16:16
Hallo Leute,

Ich weiß nicht so genau in welches Forum dieses Thema gehört deswegen poste ich es hier.

Wir haben das Fach Geschichte und ethik,. In dem Fach haben wir darüber diskutiert ob Patienten, die es wünschen , auch ihre durch Patientenverfügung zugesprochene passive Sterbehilfe bekommen.

In der Diskussion kam heraus, dass ein Arzt in einem Fall meinte, dass er dieser Bitte , die Maschine abzustellen nicht nachkommen kann. Ich für meinen teil könnte das auch nicht. Jedoch war der Satz eines Kommilitonen dazu, dass jemand der nicht in der Lage sei dies zu tun nicht geeignet Arzt zu sein oder zu werden.

Wie seht ihr das?

Lg

konstantin
03.07.2013, 16:23
Der Satz des Kommilitonen ist natürlich Bullshit.

Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass jeder das machen muss, was er vor sich selbst und dem Patienten verantworten kann. Für viele ist es eben nicht nur eine rechtliche, sondern auch moralische Grauzone. Auf keinen Fall sollte man Entscheidungen treffen oder Dinge tun, mit denen man am Ende selbst nicht umgehen kann.

Bin in der Sache aber auch naiv und blauäugig.

THawk
03.07.2013, 16:38
So etwas ist ja keine Entscheidung, die du alleine triffst, sondern im Team und man dabei zu einem Konsens kommt.

Ich finde jedoch, dass ein Arzt im Dienste und Willen des Patienten handeln muss und seine eigene Einstellung an dieser Stelle auch hinterfragen und ggf. hinter den Willen des Patienten zurückstellen sollte. Wenn man das gar nicht kann, sollte man eben ein Arbeitsgebiet wählen in dem man diese Maßnahme nicht durchführen muss.

Trifft für mich z.B. auf bestimmte Interruptiones zu. Hätte ich ethische Probleme mit meiner Weltsicht, muss ich aber eben auch nicht machen.

Sticks
03.07.2013, 22:02
Vll kann er ihn aber auch nicht ziehen ohne sich strafbar zu machen.

Und was irgend so ein Medizinstudent mal eben daher redet sollte kein Anhaltspunkt sein.

Mondschein
03.07.2013, 22:36
"Den Stecker ziehen" stellt man sich ein bisschen komisch vor, wenn man noch nie dabei war, wenn jemand, der vorher an allen möglichen Maschinen hing, sterben darf. Ist zugegebenermaßen auch komisch, wenn man danebensteht (wobei ich es trotzdem manchmal bewusst mache, falls jemand keine Angehörigen hat o.ä., finde es irgendwie schöner, wenn dann doch jemand im Zimmer ist, ich finde, keiner sollte einfach so alleine sterben und als einzige Begleitmusik dann den Asystoliealarm - der ja meist trotzdem kurz angeht - hören...)

Aber in der Realität hängt man erst mal einen Morphinperfusor an, dreht dann langsam die kreislaufunterstützenden Medikamente runter (also bei uns zumindest), stellt - wenn Maschinen laufen - die Atemfrequenz langsamer und den Sauerstoff eventuell auf 21% und hört mit der Dialyse auf. Und dann kuckt man, dass der Patient schläft/ ruhig daliegt/ keine Schmerzen zu haben scheint und wartet. Das kann dann ein bisschen dauern, manchmal auch mehrere Tage. Manchmal geht es auch ruckzuck. So machen wir es z.B. auf der Intensivstation, wenn man nach anfänglicher Maximaltherapie zu dem Schluss kommt, dass man keine Chance mehr hat, den Patienten mit einer anständigen Lebensqualität durchzubringen. Da läuft das dann eher als Prozess ab, erst macht man alles, was man kann, dann merkt man, es fruchtet nicht, spricht mit den Angehörigen, dass das alles kritisch ist, man wenig Chancen sieht und wenn sich nichts verbessert, lässt man die Therapie ganz allmählich auslaufen... Meist kann das dann auch das gesamte Team mittragen, weil alle den Verlauf und die Geschichte miterlebt haben und wissen, dass es keine sinnvollen Therapieoptionen mehr gibt.

Dass man jemanden extubiert, ist bei uns selten, das machen wir eher bei wachen Patienten, die aber ansonsten keine Therapie mehr möchten. Da gilt dann, entweder sie schaffen es doch noch ein bisschen ohne Beatmungsgerät und können vielleicht noch ein paar Tage mit ihren Angehörigen verbringen oder sie schaffen es offensichtlich und zeitnah nicht, selbst ausreichend zu atmen, dann bekommen sie was zur Linderung der Dyspnoe (also meist auch Morphin) und dürfen - im Idealfall im Kreis der Familie - einschlafen.
Beispiele hierfür: Daheim plötzlich akute Dyspnoe und resp. Insuffizienz, kommt vom Notarzt intubiert auf Intensiv. Da läuft dann erst mal Diagnostik und man findet irgendwas, dass keine sinnvolle Prognose am Respirator hat (z.B. ein vorher unbekannter großer Lungentumor, eine höhergradige COPD o.ä.). Wenn dann die Angehörigen auch noch berichten, dass der Patient eher restriktiv eingestellt war gegenüber lebensverlängerten Maßnahmen und sie es eigentlich eh blöd finden, dass er auf die Intensivstation eingeliefert wurde, kann man einen Extubationsversuch ohne Reintubation versuchen und oben genannten Weg gehen.

Was ihr noch beachten solltet bei der Diskussion in eurem Ethikseminar, ist die Formulierung der Standardpatientenverfügung "Sollte ich mich in einem unabwendbaren Sterbeprozess befinden" und ähnliche Sätze. Medizin ist nicht schwarz-weiß, wenn ein Patient allein und schnappend in der Fußgängerzone liegt, weiß man meistens nicht, ob der sich in einem unabwendbaren Sterbeprozess/ einer malignen Erkrankung im Endstadium befindet oder ob er ne Lungenembolie hat und nach erfolgreicher Lyse am nächsten Tag schon wieder rumhüpft (mal überspitzt formuliert). Also macht man (sprich der Notarzt/ der Aufnahmearzt in den ersten Stunden/ Tagen...) erst mal alles, wenn man keine weiteren Infos hat. Dann findet man Vorbefunde, macht Diagnostik und weiß immer mehr über die Krankheiten des Patienten. Erst dann kann man die Prognose abschätzen und auch dann manchmal erst durch den Verlauf, manchmal therapiert man an und schaut sich an, obs ein Therapieansprechen gibt oder es eher so wirkt, als ob man keinen kurativen Ansatz mehr anbieten kann. Und erst in diesem Prozess kann man irgendwann - möglichst auch unter Einbeziehung des Patientenwillens, sofern er eben bekannt ist oder geäußert wurde - auch Entscheidungen über Therapieabbrüche etc. treffen.

War jetzt etwas ausführlicher und mit ein paar Beispielen, hoffe, das hilft euch ein bisschen. Ich finde, es ist total wichtig, dass das in Ethikseminaren gelehrt und besprochen wird, aber man stellt sichs im Studium (war bei mir zumindest so) manchmal etwas zu einfach und schwarz-weiß vor, manchmal ist es nicht so einfach und manchmal ist es einfach ein schleichender, aber logisch-konsequent ablaufender Prozess.
Grenzfälle und Fälle, mit denen man irgendwie unglücklich ist (seis starrsinnige Angehörige, die alles tun wollen, seis Patienten, die eine echte Chance hätten, aber die Therapien komplett ablehen) gibts immer.

Viele Grüße!!

dgy999
04.07.2013, 08:14
Wow vielen dank Mondschein!!!!

Du hast mir sehr mit seiner Ausführung geholfen.

Gruß

Peter_1
04.07.2013, 09:21
Danke Mondschein.
Wollte auch nochmal beipflichten: Stecker werden keine gezogen, bzw. Maschinen einfach ausgeschaltet und solche Dinge sind auch keine einsamen Entscheidungen eines einzelnen Arztes.

Kyutrexx
17.07.2013, 18:30
Jedoch war der Satz eines Kommilitonen dazu, dass jemand der nicht in der Lage sei dies zu tun nicht geeignet Arzt zu sein oder zu werden.
Ich könnte mir vorstellen, dass der Mensch das etwas anders gemeint hat ...

So wie ich das verstehe meinte er womöglich, dass WENN die Entscheidung getroffen wurde, man auch diese auch ausführen können muss und dass, wer nicht dazu in der Lage ist, sie auszuführen, womöglich ungeeignet ist.

PRIND
18.07.2013, 07:24
So wie du diesen Satz verstanden hast, habe ich ihn auch verstanden und dennoch ist so eine Aussage undifferenzierter Schwachsinn.

Wenn ich feststelle, dass ich aufgrund meines Berufsverständnisses, meiner Moral, oder was auch immer, die Entscheidung einen Patienten in so einer Situation sterben zu lassen nicht mittragen möchte, sollte ich eben einen Fachberech wählen, in dem ich vermutlich nicht in so eine Situation komme. Man ist nur deswegen noch lange nicht ungeeignet Arzt zu werden...

Klar, man muss in jedem Fachbereich den Patientenwillen respektieren und als quasi "oberstes Gebot" ansehen. Das gilt für die Entscheidung ob man reanimieren soll, oder nicht und ob man lebensverlängernde Maßnahmen durchführen soll, oder nicht. Aber auch dafür ob ich in einer Notsituation bestimmten religiösen Gruppen eine Bluttransfusion, die ihr Leben retten würde, vorenthalte, weil diese Person so eine Maßnahme ablehnt, oder sie ihnen doch gebe.

Die Antwort ist an sich eindeutig, zumindest juristisch. Allerdings kann ich mir kaum vorstellen, dass es auch nur einen Arzt gibt, der in dieser Situation den Tod des Patienten problemlos akzeptieren würde, weil es ja dem Patientenwunsch entspricht. Wenn da jetzt einer analog zu dem Thema des Threads behauptet: "Wer das nicht kann, sollte kein Arzt sein/werden" hat sich einfach selber nicht genug Gedanken gemacht.

Ich bin "glücklicherweise" noch kein Arzt und möglicherweise finde ich in den kommenden Semestern für mich einen akzeptablen Weg, oder aber ich wähle am Ende ein Fachgebiet aus indem ich vermutlich nicht in diese Situation komme. Ich bin aber ganz ehrlich: Ich hab damit ein Problem und wüsste nicht, ob ich so eine Entscheidung mittragen kann. V.a. in dem letztgenannten Beispiel kollidiert der Patientenwunsch einfach zu sehr mit meinem Verständnis des Arztberufes.

Wenn aber dann genau dieses Thema in der Frühbesprechung eines operativen Faches aufkommt und man merkt wie selbst der Chefarzt, seine Oberärzte und Assistenzärzte dieses Thema sehr verhalten diskutieren, stellt man fest, dass man die Antwort auf die Frage "Was würdest du tun" wohl erst dann bekommt, wenn man in der SItuation ist und sich entscheidet.

Kyutrexx
18.07.2013, 07:54
Interessante Schilderung deinerseits.

So ganz als Unsinn kann ich die Aussage des Studenten jedoch nicht abtun.

Ganz pragmatisch betrachtet MUSS ich in der Patientenversorgung in der Lage sein nicht nur anzuordnen, sondern auch auszuführen.
Auch und gerade in den schwierigen Situationen. Dass das an einem nicht vorbeizieht, ist klar.


Mir persönlich kommt die Aussage jedoch auch etwa so rüber dass ich mir denke: der Student hat das in einem schönen, gut gewärmten Raum während eines Seminars gesagt und war vermutlich noch nicht in der Situation.
Vermutlich wird er selbst sogar in der Situation mehr zu hadern haben, als die Leute die an diesem Tag um ihn herum saßen.


Trotzdem bleibt im Kern die Sache, dass man in der Lage sein muss getroffene Entscheidungen umzusetzen.

Kann man es nicht und macht es ständig gegen seine Überzeugungen oder ist ständig tage- oder vielleicht eine Woche lang im Geist damit befasst, grübelt und schläft kaum mehr, wird die Belastung womöglich irgendwann so groß, dass man vielleicht sogar die Fachrichtung wechselt.


Man müsste die Aussage also umformulieren: wer solche Entscheidungen nicht umsetzen kann und es auch im Laufe seiner praktischen Tätigkeit nicht (mehr) lernt, wird vermutlich irgendwann auf Grund dessen so stark die Freude am Beruf einbüßen, dass er oder sie nicht mehr damit zurechtkommt.


Ich denke die Fähigkeit damit umzugehen setzt sich aus einer gewissen Prädisposition und der Arbeitsumgebung zusammen.
Habe schon Schwestern und auch Ärzte erlebt, die über das Thema Tod und Krankheit nicht mal im Ansatz sprechen wollten und andere, die da einen vernünftigen Mittelweg gefunden haben.

Ich selbst habe jahrelang als juristischer Sachbearbeiter gearbeitet. Meine eigenen Ansichten widersprachen oft dem, was der Mandant wollte und so hab ich mich irgendwann dran gewöhnt, dass man es schlicht hinnehmen will, wenn jemand auch entgegen jeder Vernunft handeln will - und man selbst dann einfach nur noch der Ausführende ist.

Vor allem habe ich eins gelernt: die Menschen handeln in Notlagen oft entgegen jeder offensichtlichen Logik, weil es für sie irgendwelche Gründe gibt, die sich einem Außenstehenden nicht erschließen. Oft wollen sie diese Gründe aber nicht offenlegen und das muss man einfach hinnehmen.
Für manchen ist sowas dann extrem unbefriedigend.

Daher ist sicher ein möglicher Schluss, dass man sich frühzeitig die Fähigkeit aneignen muss, die Entscheidungen die andere treffen hinzunehmen, v.a. dann, wenn sie einem völlig sinnfrei erscheinen.


Außerdem muss man sich klarmachen, dass in solchen Situationen das rationale Denken - und die daraus resultierende rationalistische Ethik - als Außenstehender in aller Regel überhaupt nicht der irrationalen, emotionalen und von Angst (und manchmal auch Scham) bestimmten Gedankenwelt des Betroffenen (und möglicherweise seiner Angehörigen) entspricht.

Herzkasperl
18.07.2013, 08:44
Wenn ich feststelle, dass ich aufgrund meines Berufsverständnisses, meiner Moral, oder was auch immer, die Entscheidung einen Patienten in so einer Situation sterben zu lassen nicht mittragen möchte, sollte ich eben einen Fachberech wählen, in dem ich vermutlich nicht in so eine Situation komme. Man ist nur deswegen noch lange nicht ungeeignet Arzt zu werden...

(...)

Die Antwort ist an sich eindeutig, zumindest juristisch.

Richtig, alles was keine aktive Sterbehilfe ist, unterliegt in letzter Instanz der Entscheidung des Patienten. Leider gibt es immer noch vereinzelt Ärzte, die da ein zu paternalistisches Verständnis an den Tag legen oder einfach nicht die Nerven und die Kraft haben, das auch würdig umzusetzen (siehe positives Beispiel von Mondschein oben), was der Patient möchte.

PRIND
18.07.2013, 09:43
Generell zu dem Thema gibt es ja eine sehr gute Reportage "Sie bringen den Tod - Sterbehelfer in Deutschland". Ich denke, in z.B. solchen Situationen wie dort geschildert, kann wirklich jeder mitfühlen und die Entscheidungen sicherlich auch nachvollziehen.

Auch das was Mondschein geschildert hat, ist voll in Ordnung, diese Arbeit ist gut und wichtig.

Nur heißt das alles noch lange nicht, das z.B. ich als (späterer) Arzt diese Aufgaben übernehmen möchte. Entscheidungen zu treffen und durchsetzen zu können ist ohne Frage die Aufgabe eines Arztes. Aber es gibt auch Aufgabenbereiche des Arztes die z.B. für mich einfach kompatibler mit meinem Berufsverständnis sind, als jetzt z.B. Sterbehilfe etc.

Kleiner Einschub bevor man mich missversteht: Die in der Reportage geschilderte Arbeit möchte ich auf gar keinen Fall mit der klinischen Tätigkeit vergleichen, die Mondschein geschildert hat. Das sind nochmal zwei verschiedene Paar Schuhe.

Es ist ja auch einfach nochmal ein Unterschied, ob ein Patient eine infauste Prognose hat und man die intensivmedizinische Therapie einstellt -eine Sache die in so einem Fall v.a. mit vorliegendem Patientenwunsch sinnvoll sein kann-, oder ob man einen z.B. jungen Zeugen Jehovas verbluten lässt, weil er die EK´s ablehnt, aber ansonsten kerngesund ist.

Man muss sich halt fragen ob man diese Entscheidung akzeptieren kann, oder nicht. Wenn man für sich feststellt, dass man das nicht kann, ist man sicherlich ungeeignet z.B. in der Intensivmedizin zu arbeiten. Aber eine undifferenzierte Aussage über die generelle Befähigung als Arzt tätig zu sein zu treffen, halte ich immer noch für Schwachsinn :). Auch den Vorwurf des paternalistischen Verständnisses, oder der unzureichenden Kraft/Nerven, finde ich hier sehr unangebracht.

Am Ende des Tages muss man zufrieden nach Hause gehen können. Wenn man das mit solchen Aufgaben - die sicherlich nicht zur täglichen Routine gehören und die man nicht alleine bewältgen muss - nicht kann, ist das meiner Meinung nach in Ordnung und sollte nicht verurteilt werden. Als Radiologe oder Nuklearmediziner kann man auch ganz gut ohne diese Fähigkeiten auskommen :).

EDIT: SORRY Mondschein :D. Omg wie konnte ich mich nur so verlesen ...?

Brutus
18.07.2013, 11:38
Zuerst mal kurz Offtopic, weil einfach zu GEIL:

Auch das was Mondschwein geschildert hat, ist voll in Ordnung, diese Arbeit ist gut und wichtig.
[...]
die Mondschwein geschildert hat.
Enschuldigung, aber ich musste doch gerade lächeln. :D

BTT: Wieso sollte jemand ein schlechter Arzt sein, oder nicht geeignet für eine bestimmt Fachrichtung, wenn er eine solche Entscheidung nicht treffen kann? Wir haben Therapieeinstellungen immer im kompletten Team beschlossen. OA, AA und ITS-Pflege. Und wenn einer nicht sicher war, dann haben wir halt nochmal geguckt, ob man irgendwas verbessern kann, oder haben den ganzen Sachverhalt nochmal aufgedröselt. Und wenn jetzt jemand dabei war, der aus was für Gründen auch immer, nicht "den Stecker ziehen" konnte / wollte, dann musste er das auch nicht. :-nix
Wir haben i.d.R. die Therapie (Katecholamine / Antibiose / etc) auslaufen lassen, oder die bestehende Beatmung auf 21% FiO2 reduziert, den Peep auf 5 (quasi als Tubuskompensation) und wenn Eigenatmung vorhanden, auf CPAP/ASB gestellt. Eine Therapieerweiterung wurde nicht gemacht, wenn möglich aber schon zurückgenommen. Eine Beatmungskiste ausgestellt haben wir nicht...

Zu den Patientenverfügungen: ich finde, die ganzen Diskussionen sind i.d.R. nicht wirklich Zielführend... Wenn ein Patient eine PV hat, und er im Rahmen eines VU gefunden wird, was dann? In DEM Moment wird doch sicher JEDER erstmal alles tun, um den Patienten zu versorgen. Wenn die Angehörigen dann im KH den ITS-Patienten sehen, werden sicher nicht wenige sagen: "DAS hätte er so nicht gewollt!" ABER: Hätte er das nicht? Wenn ein präfinaler Patient im Angesicht seines Tumorleidens eine PV erstellt, dann weiß ich, dass er sich entschieden hat, wie er sein Leben zu Ende bringen will.
Aber ein ansich gesunder Mensch, der als Vorsorge eine PV erstellt hat, KANN der denn überhaupt wirklich verstehen, in welcher Situation das und das zu unterlassen bleiben soll oder nicht? Schwierige Situation, finde ich!
Mein ehemaliger ITS-OA sagte damals, er habe sich eine eigene PV gebaut, an der er immer wieder rumschraubt. Die ist mittlerweile mehr als 10 Seiten lang... Wenn man sich aber ansieht, mit was für allgemeinen Verfügungen (aus dem Internet / Krankenkasse) die Patienten rumlaufen... Da kann man ALLES rausinterpretieren...
:-meinung

epeline
18.07.2013, 11:41
zu dem vu-opfer noch:
in den meisten pv steht ja auch drin, dass man nichts mehr machen soll WENN der tod sowieso unausweichlich ist und keine heilungschance besteht. das zu beurteilen traut sich doch sicher keiner, nur weil einer nen unfall hatte.

Brutus
18.07.2013, 12:19
zu dem vu-opfer noch:
in den meisten pv steht ja auch drin, dass man nichts mehr machen soll WENN der tod sowieso unausweichlich ist und keine heilungschance besteht. das zu beurteilen traut sich doch sicher keiner, nur weil einer nen unfall hatte.
Das ist zwar richtig, aber was sehen die Angehörigen NACH dem VU auf der ITS? Der ist an Schläuche angeschlossen, die Ernährung läuft durch eine MS, jede Menge Maschinen... DAS hat er doch gar nicht gewollt!
Dass das nur eine temporäre Situation ist, muss man erstmal explizit erklären! Denn die Angehörigen sehen ja erstmal nur, dass das alles genau das ist, was in der PV ausgeschlossen war...

Muriel
18.07.2013, 12:27
Dazu passend eine Frage an die ITS- und RD-Erfahrenen unter Euch:
Ist es denn wirklich so, dass Angehörige eher die "Das hat er nicht gewollt"-Schiene einschlagen auch in Situationen wie die von Brutus geschilderten mit dem VU, in denen davon auszugehen ist, dass dies ein temporärer Zustand ist. Oder (und das hätte ich jetzt gedacht) doch eher so, dass viele Angehörige, die über eine PV und all das "Das will ich so nicht" gut informiert sind, und das auch in wirklich terminalen Situationen (durchmetastatsiere Cas etc.), die dann doch auf einmal mit "Tun Sie alles!" anfangen? Sebastian schilderte vor kurzem mal wieder eine solche Situation, die er als NA erlebt hatte. Selbst für uns aber gerade als Laie ist es ja nun doch mal eine grundverschiedene Situation, ob man sich fernab (zumindest nicht ganz akut auch bei vielleicht entsprechender Vorerkrankung) der Situation mit sich und den Angehörigen Gedanken um Szenarien macht oder ob man dann plötzlich wirklich drinsteckt. Da geht so einigen ja dann doch die Düse angesichts einer konkreten so weit reichenden Entscheidung.

Brutus
18.07.2013, 13:33
In der Akutsituation sind die Angehörigen erstmal total überfordert. Da ist die Frage nach einer Patientenverfügung schon wie die Aufforderung doch bitte mal die 7. Wurzel des Integrals von Cosinus 90° zu rechnen. :-)
Merkt man ja, wenn man alleine mal versucht, die Medikamentenliste von Angehörigen zu bekommen...
Nur, wenn man dann erstmal in den sicheren Gefilden der ITS ist, und man mit ein bißchen Abstand sieht, wie da ein Verwandter liegt, da kommen schon solche Aussagen, dass er sowas nicht gewollt hätte. Vor allem, wenn es dann ein längerer Verlauf wird. Und wie soll ein Angehöriger Laie denn verstehen, ob oder ob nicht eine terminale Situation vorliegt?
Wie gesagt, alles sehr schwierig...

PRIND
18.07.2013, 13:53
Off Topic: Sorry Mondschein ... das war echt kein Freud´scher Versprecher. Hab mich voll verlesen ... bei all den Kaplan Meier Kurven, die unsere Profs in die Vorlesungen einbauen seh ich schon überall irgendwelche Linien und Zacken :).

Zum Thema: Also große "RD-Erfahrungen" kann ich jetzt hier nicht schildern, dafür habe ich dann doch zu kurz als Rettungssani während meines Zivis gearbeitet, aber eine Situation, die mein Bild zum Thema sehr geprägt hat, kann ich dann vielleicht doch kurz schildern:

Junges Mädchen (17 J.) hatte mit ihrem Roller einen VU mit offener Tibifraktur und diffusen Schmerzen im Abdomen usw. Auf jeden Fall Blutverlust durch Fraktur und bei akutem Abdomen nach stumpfen Bauchtrauma bestand ja auch die Möglichkeit einer intraabdominellen Blutung. Die Eltern waren mit am Unfallort. Schon während der Erstversorgung machten sie den NA darauf aufmerksam, dass ihre Tochter den Zeugen Jehovas angehört, u.a. eine Bluttransfusion also strikt ablehnt. Darauf versicherte sich der NA bei der Patienten, ob das auch ihr Wunsch ist, extra nicht in Gegenwart der Eltern. Die Patienten bestätigte zwar diesen Wunsch, allerdings merklich beeinflusst von den Eltern und scheinbar ohne da zu 100% hinter zu stehen. Wer will mit 17 Jahren auch schon sterben?

Hatte mich am nächsten Tag im KH, in das wir die Patientin eingeliefert hatten, erkundigt wie es ihr geht. Sie hatte die OP ohne das die "Notwendigkeit einer EK-Gabe" bestand gut überstanden sagte man mir. Wie auch immer die OP gelaufen ist, ob nun Plasmaexpander usw. ausgereicht haben, oder nicht? Die Patientin lebt.

Klar das sind Extremfälle und nicht Routine, aber worauf es mir ankommt ist, ob in so einer Situation der Patientenwunsch aus freiem Willen heraus getroffen worden ist, oder nicht?

Ansonsten kann ich keine großen Erfahrungen beisteuern, aber wie gesagt, dass hat mein Bild vom "freien Patientenwunsch" damals mit 19/20 Jahren schon irgendwie sehr geprägt. Natürlich muss man den Wunsch eines Patienten respektieren, aber wie Brutus schon geschrieben hat, ist der Wunsch sehr interpretierbar und sicherlich auch häufig von Ängsten, Fehlinformationen, oder wie im oben geschilderten Fall von anderen Menschen beeinflusst worden.

Bin gespannt, welche Erfahrungen ander User im RD, oder auf ITS gemacht haben.

Herzkasperl
18.07.2013, 16:40
Ich hab diese Diskussion quasi daheim - Anwalt vs. FA Innere in der Notaufnahme....

Dass Willenserklärungen interpretierbar sind, ist klar - sie müssen interpretiert werden. Dass "alles" herauslesbar ist, ist keine Begründung dafür, dass keine Interpretation im wohlverstandenen Patientenwillen vorgenommen wird und eröffnet auch nicht die Möglichkeit, das zu interpretieren, was der Interpretierende gerne hätte.

In der Notaufnahme braucht es eigentlich hauptsächlich Nervenstärke - z.B. wenn der Arzt mitten im Vollgas-Modus auf einmal mit einer Verfügung konfrontiert wird, die z.B. die Behandlung nach Herzstillstand verbietet. Und mit Team-Entscheidung, OA hin und her ist es dann um 2.30h auch nicht so... Oder die Ärzte schreien sich an. Alles schon erlebt. Wenn Angehörige da sind oder am Telefon erreichbar sind und eine einigermaßen klare Meinung haben (was bei Kindern von Personen <Jg.~1940 durchaus häufiger vorkommt), ist man doch eher froh. Denn dann kann man die Verfügung besser interpretieren und ist auch zusätzlich abgesichert in der Entscheidung. Dass die Angehörigen da alle immer vollkommen überfordert sind, ist nicht meine Erfahrung. Vielleicht mehr in der Chirurgie.

Kinder von Zeugen Jehovas sind ein klassisches und äußerst unangenehmes Thema.... Da kann man dann schon mal in Grenzsituationen geraten. Soll es auch schon gegeben haben: die OTA, die angeblich nichts von dem Willen der Eltern weiß, hängt die Flasche hin und alle anderen haben es nicht bemerkt. War aber Chirurgie, auf der Inneren landen die Kinder (wie das obige Beispiel) eher nicht.

THawk
18.07.2013, 16:47
Kinder von Zeugen Jehovas sind ein klassisches und äußerst unangenehmes Thema.... Da kann man dann schon mal in Grenzsituationen geraten. Soll es auch schon gegeben haben: die OTA, die angeblich nichts von dem Willen der Eltern weiß, hängt die Flasche hin und alle anderen haben es nicht bemerkt. War aber Chirurgie, auf der Inneren landen die Kinder (wie das obige Beispiel) eher nicht.

Ich wollte hierzu eigentlich nichts schreiben, aber das was du schilderst ist sicherlich kein Beispiel für verantwortungsvolles Handeln. Sofern es jetzt nichts akut chirurgisches ist, muss man Zeit in die Gespräche mit den Eltern (und den von den Zeugen Jehovas bestellten "Vermittlungspersonen") investieren und kann bei Kindern (nicht Jugendlichen) auch über das entsprechende Gericht gehen und den Eltern für die Zeit der Transfusion das medizinische Sorgerecht entziehen. In vielen Fällen ist das eine Umgehung der strengen Regeln, mit der die Eltern durchaus leben können.