PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Fragen WB Allgemeinmedizin



Hepar
19.07.2013, 17:04
Hallo,

ich spiele mit dem Gedanken als WB-Assistent in die Allgemeinmedizin zu wechseln. In den nächsten Wochen werde ich mich in einigen Praxen vorstellen.

Könnt ihr mir sagen, worauf ich beim Vorstellungsgespräch achten sollte? Eigener Raum? Mögliche Zusatzbezeichnungen? Atmosphäre? Gehalt? Urlaubstage? Diagnostik (Lufu, LZ-RR/EKG, usw.)?

Und wie läuft die WB in der Praxis überhaupt ab? Läuft man zunächst nur mit? Hat man von Anfang an eigene Patienten? Und wie viel Zeit bleibt in einer Hausarztpraxis überhaupt, einen WB Assistenten auszubilden? Bespricht man die Patienten (zumindest einige)?
Wenn ich an mein Blockpraktikum Allgemeinmedizin und meine Hausarztfamulatur zurückdenke, ging es dort oft recht stressig zu. Das Wartezimmer war voll mit Patienten, fürs Erklären blieb eigentlich kaum Zeit. Wie soll man dort überhaupt ausgebildet werden?
Wie läuft es ab, wenn man als WB Assistent Fragen hat? Im KH rufe ich einen Kollegen oder meinen OA an bzw. dazu, in der Praxis hat ja der Hausarzt auch Patienten, der kann ja nicht einfach aus seinem Behandlungszimmer rauslaufen.
Und wie läuft es ab, wenn man Hausbesuche macht? Bekommt man dafür extra Geld, wenn man mit seinem eigenen PKW hinfährt? Oder sind die Hausbesuche mit dem Gehalt abgeglichen?
Und noch eine Frage: auf der Homepage der JADe (junge Allgemeinmediziner Deutschland) habe ich gelesen, dass die Förderung von KV/KK nach Ende der Weiterbildung wegfällt. Was heißt das genau? Dass man nach Ende der 24 Monate WB-Zeit in der Praxis kein Gehalt mehr bekommt? Was ist, wenn man z.B. 30 Monate in einer Praxis als WB-Assistent arbeitet? Die wenigsten WB-Assistenten machen doch wirklich nach genau 24 Monaten ihre FA-Prüfung..

Würde mich über Erfahrungsberichte und Tipps freuen!

Danke!

Harvey
20.07.2013, 09:28
Wie schon im anderen Thread angesprochen, die obig von dir gestellten Fragen sind u.a. das worauf man achten kann. Zusätzlich fällt mir noch ein, zu gucken wieviel herumgeigelt wird, Stimmung und Chemie der Leute dort.
Eben einfach hospitieren.

Bezahlung der Hausbesuche ist Verhandlungssache - es gibt auch niedergelassene, die bekommen von der nahen Tankstelle Tankgutscheine...

Als Arzt in Weiterbildung ist das Leben in einer Hausarztpraxis nicht so wie als Famulant oder Student - da du ja schon weiter fortgeschritten bist und deine Fragen oder dein Anliegen doch zielgerichteter ist und du länger dableibst - mehrere Monate bis zu zwei Jahren oder eben viele Jahre als ggf. Praxisnachfolger, dem Allgemeinarzt also mehr daran liegt, dich gut und umfassend einzuarbeiten, weil er ja auch ganz verantwortlich ist.

Du hast eine sehr schönen Wert als Arzt in Weiterbildung. Nun ist die Zeit natürlich knapp, aber natürlich kann man den anderen mal aus seinem Behandlungszimmer rausziehene - sei es zwischen zwei Patienten, sei es, weil das andere Zimmer direkt danebenliegt, sei es, weil der Arzt gerade von dem aktuellen Patienten vollgelabert wird und er das Gespräch eh beenden wollte - sprichtwort, oh muss weiter - "Notfall". Zudem der Arzt in Weiterbildung dann ja nicht selten um Hilfe bei interessanteren, schwierigen Dingen um Unterstützung bittet. Oftmals kann man aber auch vieles durch ein - zwei Fragen zwischen Tür und Angel klären.

Zu deiner Frage der Förderung kann ich nicht viel sagen, lieber KV fragen ist sicher auch von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich.

Hepar
21.07.2013, 07:10
Danke für die Antwort. Gibt es noch andere WB-Assistenten im Forum, die mir ihre Erfahrungen bezüglich der Weiterbildung/Einarbeitung schildern können?

Und kann mir jemand beispielhaft seine Arbeitszeiten darstellen?

Hepar
30.07.2013, 19:07
Noch mal eine Frage: wie viele Patienten sehr ihr so pro Stunde?? Ich habe mir jetzt verschiedene Praxen angeschaut und in einer hieß es, dass man am Anfang 20min pro Patient bekommt, dann im Verlauf 15min pro Patient. Ich finde das irgendwie extrem viel - das sind ja nur 4 Patienten pro Stunde..

Was meint ihr?

Harvey
30.07.2013, 22:06
Ist es jetzt so gemeint, dass die 15 Minuten viel sein sollen oder die 4 Patienten pro Stunde?
Natürlich kann man auch gerne mehr Patienten pro Stunde betreuen. Wenn alle nur zur Impfauffrischung kämen oder gezielt "abgehorcht" werden wollen, weil sie erkältet sind - sicher möglich.
Nun ist Allgemeinmedizin jedoch sehr viel sprechende Medizin, die psychosomatische Komponente enorm - mir erschließen sich (u.a. seit dem Kurs Psychosomatische Grundversorgung) ganze "Unentdeckte Länder" bei den Patienten und der Ursache ihrer Symptome. Bei den 15 Minuten ist zu berücksichtigen, dass man erstmal die Patienten als Arzt in Weiterbildung kennen lernen muss, drumherum fragen muss - da die Praxisdokumentation nicht selten im Kopf des Praxisinhabers gespeichert ist ("der Doktor kennt mich schon seit 20 Jahren - der weiß das"), Anamnese, körperliche Untersuchung brauchen etwas Zeit - im krankenhaus kann man viele Diagnosen dank "Begrüßungslabor und - Nebenbei-CT" schon man vom Tisch fegen - bis man dann das erste Mal überhaupt mit dem Patienten selbst spricht. Zu guter letzt sollte man den ganzen Kram auch noch dokumentieren.
Ach und ganz nebenbei soll man ja noch eine der wichtigsten Dinge überhaupt: Vertrauen aufbauen...

Hepar
31.07.2013, 15:12
Na wenn man so sieht, was Hausärzte pro Stunde so an Patienten durchschleusen, finde ich 4 Patienten pro Stunde wenig. Aber vielleicht ist das für einen WB-Assistenten ok.. Wie viele Patienten hast du denn pro Stunde, Harvey?

Harvey
31.07.2013, 19:31
Natürlich schafft der Hausarzt/Chef mehr - dank Erfahrung und weil er die Leute gut kennt. Bin oft überrascht, was mein Chef mir alles über die Patienten erzählt, die ich betreue und mit ihm bespreche, wer da Berge von Schnee gekokst hat, wie häufig bei jemandem schon die Bauchschmerzen durchuntersucht wurden oder der nette Mann mit der Leberzirrhose mit C2-Abusus, dessen Mutter vor zig Jahren von einem Einbrecher erdrosselt wurde. Viele entscheidende Dinge, die Patienten betreffen, als ich noch gar nicht auf der Welt war und das Computersystem diese Diagnosen nicht erfasst.
Manchmal komme ich mir vor, als hätte ich angefangen eine Seifenoper zu gucken, die schon seit Jahren läuft und muss erstmal die ganzen Beziehungsgeflechte verstehen.
Als Arzt in Weiterbildung sollte man die Zeit, in der man auch Zeit hat - weil es ja gut von Krankenkassen und KV gefördert wird - nutzen, um mal in Ruhe Patienten zu betreuen - muss man echt mühsam lernen. Großer Gewinn wie schon erwähnt ist der Grundkurs Psychosomatik - wäre für jeden Arzt ein Gewinn, wie z.B. der Kurs Notfallmedizin. Beides Gold wert.
Patientenzahl pro Stunde ist echt unterschiedlich - Montagsmorgens natürlich mehr - aber wie gesagt 5 Minuten Impfberatung ist was anderes als der junge Familienvater mit Suizidgedanken. Und ist immer wieder unterschiedlich: Sommerzeit mit Ferien - viele Patienten kommen dann mit spezielleren Problemen zu dir, womit sie sonst gleich zum Facharzt, der aber im Urlaub ist gegangen wären, ist wieder etwas anderes als die Winterzeit - viele Erkältungen und Horchen und nach Hause schicken.

Als Arzt in Weiterbildung sollst du ja was lernen und gründliche Arbeit machen und wenn du gern viele Patienten sehen willst, dann nur zu - nur muss man sich Vertrauen und Patientenstamm erstmal erarbeiten, weil viele Patienten erstmal zum altbekannten Hausarzt gehen - sehen sie aber, du hast mehr Zeit und Interesse kann sich das ändern.
So scheint es mir - ist aber sicherlich nur eine Blickweise auf die Weiterbildung Allgemeinmedizin, wäre auch sehr interessiert, wie es von anderen Forenmitgliedern gesehen wird...

Muriel
31.07.2013, 22:20
Das mit der Seifenoper ist ein cooler Vergleich :-top

Hepar
11.08.2013, 13:24
Noch mal ein paar Fragen an die Assistenten in der Allgemeinmedizin: ich habe mittlerweile in mehreren Praxen hospitiert, bin aber durchweg erstaunt über das fachliche Niveau. Ich habe eigentlich in allen Praxen medikamentöse Therapien gesehen, die ich für nicht mehr zeitgemäß halte (z.B. Umstellung von Marcumar auf ASS bei Vorhofflimmern oder Theophyllininfusionen bei COPDlern). Warum ist es so schwierig, eine Hausarztpraxis zu finden, die auf dem neuesten Stand ist?

In einer Praxis hat der Arzt bei muskulösen Schmerzen den Patienten Lidocain in das Schmerzareal gespritzt. Er meinte, die Muskulatur würde sich dadurch entspannen und der Patient schmerzfreier werden (Neuraltherapie). Ich habe sowas noch nie zuvor gesehen. Kennt jemand von euch sowas aus der Praxis? Was haltet ihr davon?

Danke für Antworten!

Healix
11.08.2013, 15:28
Theophyllin bei COPD geht doch noch, das war wenigstens mal indiziert. Nachdem ich in der ZNA Zuweisungen gesehen habe, die Theophyllin wegen akuter Bronchitis i.v. bekommen habe, gruselt es mich ein wenig ;)
Ich finde es gibt Tendenzen zu besseren Allgemeinarztpraxen in der Nähe von Universitätstädten mit Lehrstühlen für Allgemeinmedizin, da die meistens eine größere Anzahl an Lehrpraxen für Praktika und Blockpraktika benötigen, und diese müssen dann auch gewisse Ansprüche erfüllen.

Evil
11.08.2013, 17:02
Noch mal ein paar Fragen an die Assistenten in der Allgemeinmedizin: ich habe mittlerweile in mehreren Praxen hospitiert, bin aber durchweg erstaunt über das fachliche Niveau. Ich habe eigentlich in allen Praxen medikamentöse Therapien gesehen, die ich für nicht mehr zeitgemäß halte (z.B. Umstellung von Marcumar auf ASS bei Vorhofflimmern oder Theophyllininfusionen bei COPDlern). Warum ist es so schwierig, eine Hausarztpraxis zu finden, die auf dem neuesten Stand ist?
Hast Du Dich mit den Therapieprinzipien und den Leitlinien wirklich genau auseinandergesetzt? Theophyllin ist sicherlich nicht das Mittel der Wahl, aber wenn Betamimetika, Anticholinergika, Antibiotika und Steroide in der Exazerbation nicht ausreichen und der Patient noch nicht hospitalpflichtig ist, setze auch ich es bei ausgebrannten COPDisten ein. Was genau hast Du daran auszusetzen?


In einer Praxis hat der Arzt bei muskulösen Schmerzen den Patienten Lidocain in das Schmerzareal gespritzt. Er meinte, die Muskulatur würde sich dadurch entspannen und der Patient schmerzfreier werden (Neuraltherapie). Ich habe sowas noch nie zuvor gesehen. Kennt jemand von euch sowas aus der Praxis? Was haltet ihr davon?
Lokalanästhetika wirken wie der Name schon sagt lokal analgetisch und können tatsächlich durch Schmerzreduktion muskuläre Blockaden lösen helfen; wenn der Schmerz nachläßt, entspannt sich der Muskel etwas, so richtig viel bringt das meiner Erfahrung nach aber oft nicht. Besser wirken Lokalanästhetika bei ISG-Gelenksinfiltrationen und akuten Sehnenreizungen (Rotatorenmanschette oder auch nichtinfektiösen Bursitiden). Zudem haben sie ein deutlich geringeres Infektionsrisiko aufgrund ihrer chemischen Eigenschaften als Steroidinjektionen oder obsolete Diclo-i.m.-Gaben.
Neuraltherapie ist allerdings wieder etwas anderes.

Harvey
11.08.2013, 19:54
Wenn ein Patient aus dem Krankenhaus entlassen wird und sich in der Hausarztpraxis vorstellt, wird erst einmal das Essen beklagt, über alles mögliche geklagt – Krankheit und Medikamente muss ich meist selbst aktiv ansprechen. Dann kommt die wichtigste Frage des Patienten: „Muss ich denn all das nehmen, was die mir da aufgeschrieben haben?“

Leider ist die schöne Schulmedizin im Krankenhaus mit ihrem fachlichen Niveau und auf dem neuesten Stand – wie du es schreibst Hepar – manchmal weit weg von einer großen Gruppe von Patienten. Was nützen all die bunten Pillen, wenn sie doch im heimischen Papierkorb landen.

Viele Vorgehensweisen und Therapien in der Allgemeinmedizin dienen oft erstmal, um das Vertrauen des Patienten zu gewinnen und einen bestmöglichen Kompromiss zu erreichen.

Das kann bedeuten, dass man den Patienten bei funktionellen Rückenschmerz mit Lokalanästhetika quaddelt, weil er eben gern eine Spritze möchte und auch nicht mit vernünftigen Argumenten zu beratschlagen ist – zumindest erspart man ihm dadurch die furchtbaren Diclo-i.m.-Spritzen durch andere Ärzte. Die Hauptidee ist dabei das richtige Untersuchen, Triggerpunkte aufsuchen o.a. Und am allerwichtigsten dabei mit dem Patienten übers Leben reden – so nebenbei, um die psychosomatische Komponente, die weiteren Ursachen der Rückenschmerzen herauszukitzeln. Mit der Zeit greift dann die Gesprächstherapie und das Quaddeln kann wegfallen. Hast du die Spritze von vornherein abgelehnt, geht der Patient zu einem anderen Allgemeinarzt oder Orthopäden.

Ambulant betreue ich Patienten, die ich eigentlich wegen Symptomatik und Laborwerte sofort ins Krankenhaus einweisen würde – wollen sie aber nicht und bestimmte Medikamente auch nicht – und erstaunlicherweise geht das teilweise auch gut.

Auf der anderen Seite, wenn du das Vertrauen der Leute gewonnen hast, werden sie eher der von dir vorgeschlagenen – leitliniengerechten - Therapie folgen. Nur blöd, dass die nicht immer unumstritten ist, je nachdem welche Fachgesellschaft man fragt.

Peter_1
13.08.2013, 14:19
Bei der Antikoagulation hat der Hausarzt eben manchmal andere Vorstellungen wie die Klinik, bedingt dadurch, dass er/sie das Umfeld und die Compliance sowie Begleitrisiken (Alkohol, Sturzgefahr etc.) besser kennt. Medizin ist zudem nicht gleichbedeutend mit dem stumpfen Abarbeiten von Leitlinien, Leitlinien sind zwar das Fundament, aber wir betreuen multimorbide Patienten, deren "individuelle Eigenheiten" und soziales Umfeld wir mit beachten müssen, sonst kann es auch mal ganz schief laufen, trotz formaler Leitlinientreue. Spätestens ab drei vorhandenen chronischen Krankheiten und ab einem gewissen Lebensalter sind Leitlinien sowieso nur bedingt hilfreich, da wir sonst leitliniengerecht manchmal einer Multimedikation Vorschub leisten würden, die mehr schadet als nützt (oder Therapien verantworten für die es ab einem gewissen Alter kein Benefit mehr gibt).
Siehe dazu: https://www.youtube.com/watch?v=Ij8bPX8IINg :-D
Statt schlechte Therapie zu unterstellen wäre es sinnvoll nach den Gründen zu fragen warum sich der betreffende Arzt für oder gegen eine bestimmte Therapie entscheiden hat.

Zum Thema Theophyllin: die i.v. Gabe bei akuter Exazerbation ist explizit immer noch leitliniengerecht (wenn auch umstritten).

Thema Rückenschmerz und Quaddeln/Infiltrieren: Manche Patienten bestehen auf Spritzen um ihre Rückenschmerzen behandelt zu bekommen, oft kennt der HA seine Pappenheimer, rez. Gespräche dazu sind bei Manchen zwecklos (kannst Du ja mal probieren :)), das Quaddeln ist dann die minimalinvasivste Methode um diesen Patienten zu helfen. Gerade ältere Patienten sind durch jahrzehntelange "Spritzen" bei Orthopäden und Hausärzten regelrecht getriggert auf ihre Spritze, die bekommt man mit dem besten Zureden davon nicht weg.

Zuletzt: natürlich gibt es Hausärzte die einfach schlechte Medizin machen (und es gibt auch genug Kliniken die schlechte nicht leitliniengerechte/patientengerechte Therapieempfehlungen geben). Meine erste Reaktion als Assi war immer: Nachfragen, nachfragen, nachfragen!, sowohl im KH als auch in der Praxis, manchmal stellte sich dann wundersamerweise heraus: der Oberarzt/der Hausarzt haben sich nachvollziehbare Gedanken gemacht und mein Horizont als Assi reichte nicht weit genug als bis zum letzten Fachartikel den ich gelesen habe (aber eben nicht zur Situation des Patienten). Manchmal konnten mich Begründungen nicht überzeugen (oder es gab keine), dann habe ich selber recherchiert.