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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Wie viel Unsicherheit ist normal? Wie geht ihr mit der Angst vor Fehlern um?



vanilleeis
08.08.2013, 16:18
Hallo,

ich bin Assistenzärztin im ersten Jahr und in einer Praxis angestellt (Fachbereich ist zu speziell, um es hier näher auszuführen). Aktuell sind zwei Dinge echt mies gelaufen, einmal eine total durchgeknallte Pat, die mich jetzt wegen offensichtlicher Lügen verklagt, zum anderen habe ich einen Fehler gemacht, den ich im Nachhinein echt bereue, aber der einfach auch auf mangelnde Erfahrung und fehlendem Ansprechpartner zurückzuführen ist.
Dadurch bin ich im Moment noch unsicher, als ich es eh schon bin und bin phasenweise echt fertig und grüble und grüble. Es geht sogar so weit, dass ich nachts oft wachliege und ich hab das GEfühl, einfach nicht mehr zu können.

Wie geht ihr damit um, mit der Angst, wirkliche Fehler zu machen? Schließlich haben wir jeden Tag mit Menschen zu tun? Bin ich vlt einfach nicht dafür geschaffen? Bin ich zu weich? Oder habe ich einfach die falsche STelle? Meinem Chef traue ich mittlerweile nicht mehr, ich denke, er wird der erste sein, der einen im Regen stehen lässt, wenn es mal hart auf hart kommt.

ICh wäre für eure Gedanken hierzu sehr dankbar, da ich wirklich im Moment nicht mehr weiter weiss.

Vanilleeis

anignu
08.08.2013, 19:43
Meinem Chef traue ich mittlerweile nicht mehr, ich denke, er wird der erste sein, der einen im Regen stehen lässt, wenn es mal hart auf hart kommt.

Darin sehe ich das größte Problem.

Von keiner Ahnung und wenig Erfahrung haben wir alle genug. Fehler haben wir auch alle gemacht, verklagt wurden zum Glück nur die Wenigsten.

Obwohl ich auch schon extremst maligne Patienten hatte. Der letzte war der totale Wahnsinn. Bundeswehrler a.D. mit viel Zeit und ein ganz großer Depp. Er hat die ganze Station für seinen Schriftverkehr mit den Rechtsanwälten eingespannt den er wegen diverser anderer Gerichtsverfahren gegen Ärzte hat (Schwestern sollten Zeug hin und her faxen, Ärzte sollten ihm Bescheinigungen für sonstwas alles ausstellen usw.). Und dabei misstraute er den Ärzten extremst. Denn es hatten sich sowieso alle gegen ihn verschworen und es stecken alle unter einer Decke. Er hatte mehrfache Infektausbrüche nach Fixateur externe mit anschließender Osteomyelitis ("Stellen Sie sich vor, ich hatte viermal Sepsis, und Sepsis ist ja lebensgefährlich... die wollten mich umbringen") und dann verschwören sich ja noch alle ("Der Richter und der beklagte Arzt stecken auch unter einer Decke: der Richter hat dann einen anderen Orthopäden als Gutachter benannt. Und der hat dem natürlich ein entlastendes Gutachten geschrieben. Ist ja auch ein Orthopäde. Dabei hatte ich ja mehrfach eine Sepsis. Und das ist ja eine Blutvergiftung. Und mit Blut kennen die sich ja gar nicht aus. Da hätte ja ein Gefäßchirurg (!) das Gutachten schreiben müssen.").

Was ich sagen wollte: gegen maligne Patienten hilft nur extrem vorsichtig zu sein und eine gute Rechtschutzversicherung zu haben. Gegen Fehler hilft vor allem: draus lernen, das nächste Mal vorsichtiger zu sein usw.
Aber wenn der Chef nicht mehr hinter einem steht, dann hat man ein Problem. Den braucht man für Problemfälle, zur Unterstützung, zum Lernen usw. Ich würd an aller erster Stelle mit dem Chef drüber reden.

Ansonsten, mei, was soll ich sagen: es gibt die unterschiedlichsten Typen von Assistenzärzten. Da sind diejenigen die von der Uni kommen und einem die Welt erklären und aber einfach null Ahnung haben. Die machen dann heroische Aktionen und man kann nur hoffen dass kein Patient ernsthaft zu schaden kommt bis sie gelernt haben vorsichtiger zu sein. Und dann gibts die Übervorsichtigen. Die nach dem hundertsten Mal Clexane anordnen immer noch die Checkliste mit jeder einzelnen Kontraindikation durchgehen und die Dosieung mit dem Oberarzt diskutieren wollen. Nach einer gewissen Zeit werden dann die heroischen Typen vorsichtiger und die vorsichtigen Typen trauen sich mehr zu. Lass dir einfach Zeit.
Und immer dran denken: die Patienten halten meist um einiges mehr aus als man glaubt.

John Silver
08.08.2013, 21:20
Fehler passieren. Es gibt nur einen Arzt, der nie einen Patienten schädigen oder umbringen wird, das ist der Facharzt für Anatomie. Nur eine Sache ist wirklich wichtig, und zwar der Umgang mit den Fehlern. Wenn Fehler offen und ohne Schuldzuweisungen diskutiert werden, und man daraus Konsequenzen ableitet, die solche Fehler künftig verhindern, gibt es nichts zu meckern. Wenn die Konsequenz aus einem Fehler aber lautet, dass derjenige, der den Fehler begangen hat, als Sündenbock präsentiert und publikumswirksam geschlachtet wird, um die Wogen zu glätten, dann ist ein schlimmer Verein am Werk. Dann sollte die Konsequenz lauten, diesem Verein so schnell wie möglich den Rücken zu kehren.

Ist der belogenen Patientin denn ein Schaden entstanden?

par
09.08.2013, 06:48
Was ich sagen wollte: gegen maligne Patienten hilft nur extrem vorsichtig zu sein und eine gute Rechtschutzversicherung zu haben.Hmm... und ich dachte, eine Rechtschutzversicherung (im Gegensatz zur Haftpflicht) sei erstmal zweitrangig, weil das ja zivilrechtliche Fälle im Berufsbereich sind ...?!

FirebirdUSA
09.08.2013, 08:49
Hmm... und ich dachte, eine Rechtschutzversicherung (im Gegensatz zur Haftpflicht) sei erstmal zweitrangig, weil das ja zivilrechtliche Fälle im Berufsbereich sind ...?!

Ist auch so, du brauchst eine gute Berufshaftpflichtversicherung.

vanilleeis
09.08.2013, 13:24
Danke für Eure Antworten. Nach einer erneut schlaflosen Nacht bin ich gedanklich auch soweit, dass ich den Umgang mit Fehlern bei uns für das Hauptproblem halte. Es findet keine direkte Kommunikation statt, sondern es ist die Regel, dass über denjenigen, der gerade nicht da ist, in Abwesenheit gesprochen wird.
Ich habe den Chef gestern offen gebeten, mit mir zu sprechen, falls ich einen Fehler mache, so dass ich auch daraus lernen kann, darauf reagierte er wieder nur damit mit aufzuzählen, was alles hätte passieren können.
Ich werde wohl dort meinen Hut ziehen... wenn es nur alles etwas einfacher wäre, eine passende Stelle mit kleinem Kind und unter der Woche alleinerziehen zu finden...

-Waterfish-
10.08.2013, 09:28
("Der Richter und der beklagte Arzt stecken auch unter einer Decke


Psychiatriekonsil :-))

Peter_1
13.08.2013, 15:09
Fehler macht jeder Arzt irgendwann in seiner Karriere, wir sind ja auch nur Menschen, nicht wahr :)
Es gibt zwar manche Ärzte die so ausgeprägte Verdrängungsmechanismen besitzen, dass sie denken sie wären fehlerlos, aber das sind definitiv diejenigen die am meisten Unheil anrichten. Auch Klagen und gerichtliche Auseinandersetzungen werden wohl leider immer häufiger werden, mit fraglichen Auswirkungen (ich denke der Anteil an patientenschädigender Defensivmedizin wird steigen und ebenso die Kosten im Gesundheitswesen, geschweige denn der Auswirkungen auf eine offene Fehlerkultur, unterm Strich ist bei steigender Klagewut meiner Ansicht nach damit insgesamt eher eine größere Patientengefährdung zu erwarten).
Der Knackpunkt bei Dir ist der fehlende Rückhalt/ das fehlende Gespräch mit/durch Deinen Chef. Vielleicht hat auch eine schlechte oder fehlende Supervision zum Fehler beigetragen. An Deiner Stelle würde ich die Stelle wechseln.
Zum Umgang mit Patienten bei denen Fehler passiert sind: offen ansprechen, entschuldigen ist nicht gleichbedeutend mit der Anerkennung von finanzieller Entschädigung, eine gute Broschüre dazu: www.dgu-online.de/ fileadmin/ published_content/ 5.Qualitaet_und_Sicherheit/ PDF/ Reden_ist_Gold_final.pdf