PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Alarm RTW / NEF: Krampfanfall



Seiten : [1] 2

Sebastian1
25.11.2013, 20:58
Es ist Hochsommer, ihr habt Dienst und gammelt auf der Wache einer mittelgroßen Stadt herum, als gegen 16 Uhr euer Funk losgeht und euch aus der Hitzelethargie reisst. Seit mehreren Wochen sind es schon weit über 30 Grad, und so langsam fragt ihr Euch, ob es auch Badehosen als Einsatzbekleidung gibt.

Auf dem Display lest ihr eine Adresse und das Einsatzstichwort "Krampfanfall".
Ihr springt also in euer Auto und fahrt los. Die Anfahrt dauert ca 8 Minuten, es ist davon auszugehen, dass der RTW von der näher gelegenen Wache ein paar Minuten schneller ist.

Über Funk lässt Euch die Leitstelle wissen, dass die Meldung von einem Passanten kam, auf einer Bank in einer Grünanlage habe ein Mann einen Krampfanfall erlitten. Mehr weiss man nicht.

Nach einigen Minuten Fahrt kommt ihr also an, und tatsächlich: der RTW ist schon da; ein Kollege lädt gerade das Equipment aus, ein anderer ist über den Patienten gebeugt, der zur Seite gekippt auf der Parkbank liegt.

Dann mal los :-)

Absolute Arrhythmie
25.11.2013, 21:01
Juhu, ich will auch mal mitmachen!
Erstmal Patienten angucken!
Atmung? Puls? Vitalzeichen? Allgemeiner erster Eindruck?

Hellequin
25.11.2013, 21:08
Wir weisen die Leitstelle freundlich aber bestimmt darauf hin das "epileptischer Anfall" und nicht "Krampfanfall" heißt.:-))

Danach lassen wir den Patienten verkabeln und verschaffen uns einen Überblick. Patient ansprechbar, ggf. Reaktion auf Schmerzreiz zu erzielen?

Sebastian1
25.11.2013, 21:10
Ihr geht näher ran und seht einen Mann, der wohl Ende Vierzig bis Mitte Fünfzig sein dürfte, aber deutlich vorgealtert ist. Er wirkt ganz klassisch wie das, was man landläufig als "Penner" bezeichnet. Deutlich verwahrlost und deutlich von chronischem Alkoholmissbrauch gezeichnet. Die Augen sind geschlossen, Atmung ist vorhanden, Puls dementsprechend auch.
Bereits auf Entfernung hat er eine deutliche Alkoholfahne.
Der RA, der am Patienten verweilt, sagt euch, dass dieser beim Eintreffen des RTW eine Minute vorher noch gekrampft habe.

Absolute Arrhythmie
25.11.2013, 21:32
Öh okay, vllt trotz Geruch mal den Herrn näher inspizieren. Vitalzeichen? Pupillen? Zugang legen und blutzucker messen.

psycho1899
25.11.2013, 21:33
Ein paar Vitalparameter (RR/Hf/S02, 4-K-EKG) nehmen wir noch mit und kümmern uns bei (hoffentlich) ABC stabil endlich um das Wichtigste: D!!! ;-)

Reagiert der Patient auf Ansprache? Auf Szreiz? Wie sehen die Pupillen aus? Falls schon ein Zugang etabliert ist, hätte ich gerne einen BZ, ansonsten legen, BZ, Infusion ran.

Kann mir der RA noch schildern, wie das "krampfen" aussah? Bilateral symmetrisch? Hat der Patient eingenässt/gekotet? Zungenbiss?

dreamchaser
25.11.2013, 21:45
Hätte gerne zusätzlich noch eine grobe Untersuchung auf Verletzungen, vor allem des Kopfes.

Sebastian1
25.11.2013, 21:49
@Hellquin: Die Leitstelle meint, aus einsatztaktischen Gründen hiesse das bei Ihnen auch weiterhin "Krampfanfall" ;-)

Okay: Die Jungs verkabeln den Patienten, wobei sie sich schwertun, denn trotz der sommerlichen Hitze hat er einen gefütterten Parka an, dem Zustand nach zu urteilen wurde der länger nicht ausgezogen und noch länger nicht gewaschen. Dennoch, irgendwie bekommen sie das hin. Der RA erzählt dir, so genau habe er das auch nicht gesehen, der hat aber schon mit allen Extremitäten gezuckt. Der Passant, der alarmiert habe, hätte gemeint, das sei zwischendurch auch mal weg gewesen und hätte dann wieder angefange. Besagter Passant ist aber inzwischen schon weg.

Vitalparameter: HF 110, SR, im 4-Kanal-EKG am Monitor soweit erstmal nichts auffälliges zu erkennen.
RR 168/87 mmHg. SpO2 91%. Ein Zugang lässt sich mit etwas Mühe am rechten Handrücken etablieren. BZ aus der Viggo: 52 mg/dl.

Der Patient hat eingenässt, gegen eine Mundöffnung wehrt er sich zwar, aber es reicht, um zu sehen, dass auch ein Zungenbiss vorhanden ist. Auf Manipulation und SR reagiert er mit mehr oder weniger gerichteten Abwehrbewegungen. Auf laute Ansprache kommt ein eher unwilliges Murren von ihm, aber mehr auch nicht.

Verletzungen seht ihr, bis auf eine offenbar ältere Blessur an der Oberlippe, so erstmal nicht, auch nicht nach gründlicher Inspektion des Schädels.

dreamchaser
25.11.2013, 21:51
Dann würde ich dem doch mal etwas Glukose spendieren - wird er dann noch wacher?
Und natürlich interessiert mich der aktuelle Neuro-Status.

psycho1899
25.11.2013, 21:59
Haben wir Thiamin auf dem NEF? Wohl eher nicht, oder? Glucosegabe, gerade beim Alki, ohne Thiaminsubstitution kann ja schon mal sehr tricky sein.

GCS ist ja formal 8, aber bitte nicht intubierten, liebe Anästhesisten... der ist postiktal ;-)

Sebastian1
25.11.2013, 23:03
Jetzt kam mir noch ein echter Einsatz dazwischen....in der Früh gehts weiter!

Miss
25.11.2013, 23:03
Gut, daß das jemand erwähnt :-D

Ähm, ja, Glucose substituieren finde ich gut, mal vorsichtig 4-8g i.v. plus ein bißchen Infusion, dann mal gucken, was passiert.
Grober neurologischer Status plus Pupillen würden mich auch interessieren. Evtl. Krampf bei Entzug oder auch andere Ursache.

Gibts weitere Infos im Portemonaie, falls auffindbar?

Brutus
26.11.2013, 03:29
Hat jemand das Krampfgeschehen beobachtet? Oder das, was direkt davor passiert ist? Wie sagte noch der Neurologe beim NA-Kurs: Jeder Besoffene, der ungeklärt auf der Parkbank aufgefunden wird und nicht adäquat reagiert, hat solange ein SHT bis das Gegenteil bewiesen ist. :-nix
Intubieren würde ich ihn übrigens (zur Zeit) auf gar keinen Fall. Schutzreflexe kommen ja, wenn auch wiederwillig... :-)
Also G40% 20ml rein und ab in den RTW. Dort noch einmal einen Rundumcheck und gucken, ob er nach Glucose wacher wird.

Relaxometrie
26.11.2013, 05:48
Evtl. Krampf bei Entzug
Daran habe ich zwar auch erst gedacht. Insbesondere am Monatsende hat diese Klientel manchmal kein Geld mehr, um sich den vor epileptischen Anfällen schützenden Alkohol zu kaufen.
Aber der hier besprochene Patient hat ja eine Alkoholfahne.

Wie sieht es denn hier mit der O2-Gabe aus? Es gibt ja die Theorie, daß O2 während des Anfalls gegeben, diesen noch unterstützt. Aber hier ist der Anfall vorbei und die Sättigung unter 95% (was im Myokardinfarktbeispiel als Grenze für O2-Gabe genannt wurde).

Sebastian1
26.11.2013, 07:08
Ihr gebt 8 g Glucose i.v. und gebt weitere 8g in die laufende Ringerlösung. Daraufhin hebt ihr den Patienten jetzt auf die bereitgestellte Trage, denn so wirklich gut untersucht es sich auf der Bank nicht.
Wie bereits gesagt: ein Passant hat alarmiert und hat den Mann krampfend gesehen, der ist aber weg. Und als die RAs ankamen, haben sie das in den letzten Zügen gesehen, "naja, Doc, was willste wissen? der hat halt am ganzen Körper gezuckt, sah aus wie 'n ganz normaler Krampfanfall. Aber der hat ja auch gleich aufgehört, als wir dann da waren".
Thiamin dürfte es auf keinem NEF der Nation geben, würde ich wetten ;)

Ihr seid im RTW, eine Tür lasst ihr offen, denn der Geruch ist wirklich ekelerregend: Eine Mischung aus Monaten der vernachlässigten Körperpflege, Alkohol, dreckstarrender Kleidung ubnd Fäkalien...und das bei knapp unter 40 Grad im RTW.

Der Patient wird nach der Glukosegabe etwas wacher und gibt lallende, einzelne Worte ohne offensichtlichen Zusammenhang von sich, aber dafür hat er ganz sicher mehr als nur einen Grund. Auf Fragen antwortet er nicht, ob er euch so richtig wahrnimmt, löässt sich auch nicht sagen, er rudert ein wenig mit den Armen und Beinen in der Luft...bewegen tut er also schon mal alles. In die Augen leuchten lassen möchte er sich nicht, die kneift er fest zusammen...soweit ihr das beurteilen könnt bei kurzen Blicken in jeweils ein Auge, sind die Pupillen mittelweit oder leicht geweitet (aber ziehen sich gut zusammen wenn die Augen denn mal aufgehen), eine vollständige neurologische Untersuchung unter diesen Bedingungen fällt euchaber schwer.
SHT? Klar, immer möglich! Aber auch in der zweiten Untersuchung fällt euch keinerlei Verletzung am Körper des Mannes, soweit sichtbar, auf. Insebesondere am Kopf definitiv keine Verletzungen, nicht mal eine Schramme oder Beule.

In Rucksack und Hose des Mannes findet ihr kein Portemonaie, keine Papiere oder ähnliches. Nur eine Flasche billigen Rotwein (voll.)

In der Stadt gibt es zwei Krankenhäuser, die prinzipiell geeignet wären: Eines ist quasi um die Ecke, hat aber keine neurologische Abteilung. Das zweite ist ca 15 Minuten Fahrt entfernt und hat auch eine Neurologie, aber die sind grade abgemeldet da sie mal wieder überlaufen.

O2 wird reflektorisch mit 2l/min drangebastelt, aber wenn ihr Euch den Kerl vor Euch so anguckt, dürften 91% SpO2 eher ein Spitzenwert für ihn sein...

"Und jetzt, Doc? Können wir? Mit Alarm? Oder brauchste noch was?"

*milkakuh*
26.11.2013, 07:20
Können wir mal die Körpertemperatur des Mannes messen? Vielleicht hat er ja auch einen starken Infekt und BZ-Kontrolle bitte. Wie sieht s denn mit der Gabe von Diazepam aus? Oder zumindest schonmal aufziehen, falls er wieder angängt zu krampfen...Wie ist denn die Hautfarbe? Ich würde zusätzlich neben dem Krampfanfall auch noch an eine hepatische Enzephalopathie und/oder akute Pankreatitis denken.

psycho1899
26.11.2013, 07:30
Benzos wären nicht indiziert. Er krampft nicht.

Einladen und losfahren. Differentialdiagnostisch spricht die volle Flasche Wein gegen einen Entzugskrampf, es sei denn, ihm ist der Korkenzieher abgebrochen. Mischintoxikation wäre ja auch möglich, sind aber alles Dinge, die wir präklinisch nicht weiter klären können und auch nicht müssen.

M.E. reicht auch die Klitsche (KH ohne Neurologie per definitionem = Klitsche ;-)). Antikonvulsiv einstellen wird man so einen Patienten wohl auf Grund der Malcompliance eh nicht.

Auf jeden Fall in der Klinik Thiamin substituieren. Vitamin B1 Mangel ist bei einem alkoholabhängigen obdachlosen Patienten durchaus wahrscheinlich und die Gabe von Glucose kann schnell mal einen latenten in einen manifesten Mangel wechseln lassen und eine fette Wernicke-Enzephalopathie induzieren.

EDIT: Klitsche reicht, sofern die ein cCT machen können.... KH ohne Neurologie und cCT = Pferdestall aus neurologischer Sicht ;-)

Miss
26.11.2013, 07:30
Daran habe ich zwar auch erst gedacht. Insbesondere am Monatsende hat diese Klientel manchmal kein Geld mehr, um sich den vor epileptischen Anfällen schützenden Alkohol zu kaufen.
Aber der hier besprochene Patient hat ja eine Alkoholfahne.

Vielleicht hat er trotzdem seinen Soll-Spiegel unterschritten?

Bei Z.n. Krampfanfall gehört er ja trotzdem in eine Klinik mit neurologischer Abteilung und Möglichkeit für ein C-CT.
Auch wenn der normale Patient dieser Sorte sich nach Ausnüchterung schnell wieder selbst entlassen wird. Aber wie Brutus schon sagte, auch hier muss man ein SHT oder auch intrakranielle Blutung im Hinterkopf behalten.

Ich würde sonst erstmal nix mehr wollen. Mediliste o.ä. hatten wir nicht aufgetrieben?

Muriel
26.11.2013, 08:00
Ich mutmaße mal, das bei obiger Beschreibung des Patienten zwar durchaus rein prinzipiell regelmäßige Medikamenteneinnahme sinnvoll sein könnte, die praktische Umsetzung inkl. einer Liste bezweifle ich aber mal :-D

Miss
26.11.2013, 08:30
Meist ist das ja kein Erstereignis. Und wenn sich schon mal jemand was Schlaues gedacht hat, kann man sich dann auch die neurolog. Abteilung sparen ;-)