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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Z.n. RPG-Angriff. Was tun? Bzw. was nicht tun?



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WackenDoc
02.01.2014, 17:42
Ich hab ein Beispiel aus dem Einsatz für euch. Die meisten von euch werden sich wahscheinlich über solche Szenarien noch keine Gedanken gemacht haben und die Ursache der Verletzungen ist in Deutschland eher noch bei Arbeitsunfällen zu finden, aber ansonsten exotisch.
Das macht aber nichts, das Beispiel ist mit normalem notfallmedizinischem Wissen und ein paar Überlegungen zu lösen.
Die Hauptherausforderung ist, zu entscheiden, welche Maßnahmen getroffen werden müssen und welche nicht.

Also ihr seid der Standort-BAT in Afghanistan. Eine eurer Aufgaben ist, Patienten vom Hubschrauberlandeplatz zum Rettungszentrum zu bringen. Der Hubschrauberlandeplatz befindet sich innerhalb des Feldlagers und ist also gesichert. Euer Team besteht aus euch als Notarzt, einem Rettungsassistenten und einem Rettungssanitäter (=Fahrer eures Fahrzeugs). Des weiteren habt ihr einen Rettungstrupp mit einem größeren Fahrzeug mit 2 Rettungsassistenten. Träger sind genug vorhanden.

Es ist also ein schöner Tag, 40° im Schatten, ihr geht eurem Tagesdienst nach als euch euer Rettungsassistent anfunkt: Ab zum Heli-Pad, Kat-A-Patient, Afghane. Hubschrauber landet in 15min.
Also fahrt ihr mit eurem Trupp dort hin und bekommt dort die Information: Z.n. RPG-Angriff (das ist eine Panzerfaust), Kat-A-Patient, Afghane mit Amputationsverletzung.
Wenig später bekommt ihr vom FlightMedic (das ist ein Paramedic, vergleichbar mit einem RettAss, der auf dem Hubschrauber mitfliegt und den Patienten erstversorgt hat) noch über Funk folgende Infos:
Amputationsverletzung re US, stark blutende Weichteilverletzung re Arm, weitere Weichteilverletzungen ohne wesentliche Blutungen, Sättigung unter Raumluft 97%, Puls 120, Amputation wurde mit Tourniquet versorgt, Schmerztherapie mittels Fenta-Lolli.
Die gleiche Info bekommt ihr quasi bei der Übergabe als der Patient gelandet ist.

Der Patient liegt jetzt neben eurem Fahrzeug auf einer Trage und gehört jetzt euch- was macht ihr?

MissGarfield83
02.01.2014, 17:52
'Kurze Frage - was hab ich denn vor Ort zur Verfügung ? Normales Schockraumteam ? Bildgebung? OP? Labor? ... also ich meine wie sind die Gegebenheiten vor Ort auf die wir Zugriff haben?

WackenDoc
02.01.2014, 17:57
Du hast ein Schockraumteam, OP, Röntgen, Notfalllabor incl. Blutkonserven. Kein CT, außer Anästhesisten und Chirurgen keine anderen Fachrichtungen.
Im Gegensatz zu anderen Beispielen, die wir hier hatten, hast du aber eh keine Wahl, wohin du fährst. ;-) Es gibt noch ein anderes Krankenhaus in der Gegend, aber das ist deutlich schlechter und da kannst du auch nicht hin fahren.

Achso- das Rettungszentrum befindet sich im gleichen Lager, reine Fahrtzeit ca. 3min.

Brutus
02.01.2014, 18:07
Also, der hat die Flug so überstanden, wie er ist, also einpacken und in 3 Minuten werden wir in gesicherter Umgebung und mit vernünftigen Mitteln arbeiten können! => Abfahrt!

WackenDoc
02.01.2014, 18:13
Naja- die Umgebung, in der wir uns befinden, ist schon sicher.

Ja, einfach einpacken und los ist eine Option.
Aber dann wäre das Beispiel jetzt zu Ende und ganz so minimalistisch war ich dann doch nicht. Aber die Begrenzung der Maßnahmen auf das absolut Notwendige ist schonmal ein guter Plan.
Flug überstanden ist so ne Sache- zumindest lebt er noch so halbwegs. Der wurde vor Ort quasi nur eingepackt und im Hubi versorgt so gut es ging. Mehr verrate ich aber noch nicht.

Edit: In dem aktuellen Zustand würde euch das Rettungszentrum den Patienten auch nicht ohne weiteres abnehmen. Bzw. es wäre dann noch eine entscheidende Maßnahme am RZ erforderlich.

Und ohne eine entscheidende Maßnahme würde ich ihn auch nicht bei mir im Fahrzeug haben wollen.
(Jaja- die Wacki wird wieder kryptisch)

wischmopp
02.01.2014, 18:20
Wie ist denn der RR?
Ist der Patient ansprechbar?
Dann sollten wir vielleicht noch die Blutung am Arm versorgen, da sie ja stark blutend ist....
Hat der denn schon einen Zugang? Ansonsten einen legen und Flüssigkeit geben.

Hätte noch eine Frage zum Fenta-Lolly (hab grad danach gegoogelt und gelesen, dass er im Krieg genutzt wird). Wieso nur im Krieg? Klingt für mich nach einer ziemlich einfachen Methode, jemanden schnell und ohne grossen Aufwand von seinen Schmerzen zu befreien...

WackenDoc
02.01.2014, 18:24
Zum Fenta-Lolly: Der ist für die Indikation Schmerz bei Trauma eigentlich gar nicht zugelassen- also das läuft bei uns unter Off-Label-Use. Die eigentliche Indikation sind Durchbruchschmerzen bei Tumorerkrankungen.

Ich warte noch etwas auf weitere Wortmeldungen, bis ich etwas sortiere.

Edit: Bevor wir evtl. die von dir genannten Maßnahmen durchführen, gibt es noch etwas ganz wichtiges, was als aller erstes erledigt werden muss.

Kackbratze
02.01.2014, 18:36
Zugang? FullBodyCheck und Stiffneck.

MissGarfield83
02.01.2014, 18:39
Wie kommt der PAtient überhaupt bei uns an ? Vitalparameter? Viggos? Infusionen ?Was hat der Kollege vor Ort gemacht - also wie schauts?

WackenDoc
02.01.2014, 18:45
Ah- da kommen wir der Sache schon näher. Also einer unserer Docs war mit im Heli, die hatten aber gut zu tun, den Patienten auszupacken und die Übergabe hatte der Medic gemacht.

Ich bin jetzt etwas gemein, hab aber einen Tip:
1. Also der Landeplatz an sich ist gesichert, aber was anderes nicht
2. Es ist noch außer den Sanis, denen vom Heli und die Träger noch eine wichtige Personengruppe vor Ort. Auf die zivile Version davon verlassen wir uns in gefährlichen Lagen auch im Inland.

MissGarfield83
02.01.2014, 18:46
Hat man den Patienten mal auf gefährliche Gegenstände durchsucht ?

Kackbratze
02.01.2014, 18:56
"Zivile Variante verlassen wir uns im Inland".
Hä? Der schwarze Block? Polizei?

WackenDoc
02.01.2014, 19:00
Bingo- DAS sollte als erstes getan werden. Die Amis kontrollieren zwar prinzipiell, aber sicher ist sicher.
Deswegen sind auch Feldjäger da- das ist nämlcih deren Aufgabe. Edit: Na, im Zivilen sehe ich auch zu, dass der Patient keine Gefahr für mich darstellt. Nach Rohheitsdelikten wüsste ich schon gerne, dass keine Waffen mehr im Spiel sind und in diesem Fall will ich zusätzlich noch wissen, dass der Patient keine Kampfmittel (z.B. Handgranaten) mehr am Mann hat.

Also wichtig auch für´s Zivile: Oberstes Gebot: Sicherheit.

Damit die aber nix am Patienten kaputt machen, verbinden wir das mit nem Body-Check.

Dabei finden wir noch folgendes heraus: Atemwege frei, Atmung unauffällig, Thorax hebt sich seitengleich- puh, das ist schonmal gut, war ja ne Blast- Injury.
Er hat ne Wunde am rechten Oberarm, die mit einem Druckverband versorgt ist, kleinere Weichteilverletzungen am linken Arm, Splitterverletzung am linken Unterschenkel, die aktuell nicht blutet und vom rechten Unterschenkel ist nicht mehr viel da. Die Blutung steht dank Tourniquet. Ein Verband ist nicht drum.
Rücken, Bauch und Thorax sind soweit erkennbar sauber.
Bewusstsein: Augen geschlossen, werden aber auf Schmerzreiz geöffnet, ein paar unverständliche Laute bekommt ihr darauf auch. Mit spontanen Bewegungen ist auch nix. Also kurz: der ist schon nicht wirklich fit, aber an sich passend zum Verletzungsmuster und erwarteten Blutverlust.
Pupillen sind auf den ersten Blick auch ok.

Ihr habt zwar noch ein paar Untersuchungen eingefordert- das ist jetzt der etwas spannendere Part. Ein paar Untersuchungen, die sonst Standard sind, haben wir da nicht gemacht (und auch sonst nicht in vergleichbaren Situationen). Wäre aber langweilig, wenn ich das direkt auflösen würde.

Achso- Viggo, ähm ja- da fällt eurem RA auf, dass der Patient noch keinen Zugang hat.
Die anderen Maßnahmen waren wichtiger, für nen Zugang hat die Zeit nicht gereicht.

Also gut merken: Erst die Löcher zu, dann Zugang.

Thunderstorm
02.01.2014, 19:02
1. Eigensicherung: Ist der Pat. bewaffnet? (liegt im Kriegsgebiet ja im Bereich des möglichen)
2. Sind Schutzhelm + Schutzkleidung weg (getreu dem Motto: keine Diagnose durch die Hose)
3. Atmung? O2-Gabe, bei Bedarf Intubation
4. Lebensbedrohliche Blutungen stoppen
5. Stiffneck
6. Vitalparameter überwachen
7. 2 großlumige Zugänge (1 i.v.-Zugang reicht auch bis zum Notfallzentrum)
8. Abtransport

Edit: Kackbratze und WackenDoc waren schneller - das Tippen auf dem Handy dauert aber auch immer so lange ;-)

WackenDoc
02.01.2014, 19:23
@Thunderstorm: Ja, da ist schomal einiges passendes dabei.
Aber ich hätte das schon etwas genauer differenziert, was ihr in welcher Reihenfolge macht. Und was nicht.

FirebirdUSA
02.01.2014, 20:51
Hm.. um mal Thunderbirds Vorschläge aufzugreifen, folgende Reihenfolge
1 -> schon erledigt
3 -> Im Rahmen des Body Check orientiert ja Atmung okay, er reagiert ja noch, Intubation nicht notfallmäßig notwendig
4 -> aktuell keine lebensbedrohliche Blutung, ansonsten aber als drittes nach Atmung, da sonst Kreislauf bald weg und dann sind wir wieder bei Intubation...
5 -> jetzt mal einen Stiff Neck, damit wir es nicht schlimmer machen. Die Frage ist halt ob das Trauma bzw. der Traumamechanismus überhaupt eine HWS Verletzung entsprechenden Ausmaßes wahrscheinlich machen, er ist aber ja sicherlich im Rahmen der Explosion gestürzt, deswegen nicht falsch.
7 -> Ein schöner Zugang und Flüssigkeit, dann ist er vielleicht auch wieder besser drauf
2 -> Jetzt sehen wir mal was wir noch so an Verletzungen finden die sich bisher unter der intakten Kleidung und einem orientierendem Body Check entzogen haben
6 und 8 -> wir fahren und kontrollieren die Vitalparameter

WackenDoc
02.01.2014, 21:17
Ok, dann mach ich mal weiter.
Also Schutzkleidung und Helm haben die Afghanen (leider) nicht und die Hubschrauberbesatzung bzw. die Ersthelfer hatten ihn schon weitestgehend entkleidet.

Blutdruck gibt es keinen- bzw. bekommt ihr später. In der aktuellen Situation haben wir keinen gemessen. Ich kann euch aber schon sagen, dass wir manuell eh keinen hätten messen können. Auskultatorisch geht das meist aufgrund des Geräuschpegels nicht und kostet in der Lage eigentlich nur Zeit ohne wesentliche neue Erkenntnis.
Auskultation kann man auch vergessen. Viel zu laut. Wenn man es noch nie gesehen hat, glaubt man es fast nicht- aber ich hab bei einem anderen Patienten den Pneu problemlos erkennen können. Ohne Auskultation.

Das Pulsoxy ist eines der wertvollsten Diagnostikgeräte und den legen wir in so einer Lage immer direkt auf die Trage, damit er griffbereit ist. Ab an den Finger- kein Signal.
Radialer Puls auf der Seite wo ich zuerst war, auch nicht tastbar.
Na toll- dann eben nicht. Immerhin schnauft er, Thorax hebt sich beidseits, wenigstens ist er nicht blau- ok, ist auch nicht mehr so viel da, was blau werden kann.

Viggo- ähm ja- erstmal ne Stelle finden und der Allgemeinzustand sieht schon so aus, als ob der ordentlich im Schock ist.
Rechter Arm und rechtes Bein fallen aus, da brauchen wir erst gar nicht suchen.
Bei der Manipulation an dem kaputten Bein wird der Patient unruhig und es sind deutliche Schmerzäußerungen hörbar.

StiffNeck haben wir tatsächlich noch gelegt. Ist bei so einer Verletzung/Ursache Standard, haben wir aber nicht gemäß C-ABC als erstes gemacht, sondern kurz vorm einladen, weil da noch kurz Zeit war.

Auf einen second survey- also genauere Untersuchung auf weitere Verletzungen haben wir verzichtet. Die Blutungen waren gestoppt, Atmung war ok und wir sind ja eh in ein paar Minuten im Rettungszentrum. Eine therapeutische Konsequenz hätte sich eh nicht daraus ergeben.

Was machen wir denn wegen dem Zugang? Drauf verzichten? Oder doch legen? Was spricht dafür, was dagegen? Was für Alternativen haben wir?

Absolute Arrhythmie
02.01.2014, 21:22
Wie wärs mit nem i.o.-zugang? Geht schneller als bei nem schockigen Patienten ne Viggo zu legen?

Ist denn irgendwo ein Puls tastbar? Wenn ja, kräftig und regelmäßig?

Die verlorenen Gliedmaßen sind wahrscheinlich nicht vor Ort, sonst sollte man die vllt adäquat kühlen.
Ich würd den Patienten so schnell wie möglich wo hinbringen, wo man ihn richtig versorgen kann.
Scheinbar kann man Landeplatz ja nicht viel machen.

FirebirdUSA
02.01.2014, 21:24
Pro Zugang: Der Patient ist im Schock, er wird eher schlechter und damit auch der periphere Venenstatus.
Kontra Zugang: Wenn ich keinen Zugang schnell gelegt bekomme bin ich in 3 Minuten in einem Zentrum wo man ggf. auch einen zentralen Zugang legen kann.
Alternative: Intraossär? Viggo in die Jugularis...

WackenDoc
02.01.2014, 21:53
So eine Explosion trennt nicht Gliedmaßen ab, wie man es von Unfällen mit schneidenden Werkzeugen kennt, sondern zerstört das Gewebe. Ist ne ziemlich eklige Angelegenheit. Ich wüsste auch nicht so wirklich, mit was man das vergleichen kann.
Zumindest gab es nichts, was man hätte replantieren können. Mal davon abgesehen, wäre das von den Möglichkeiten im Rettungszentrum nicht gegangen.

Den Zugang wollte ich auch und da mir schon klar war, dass das i.v. nicht so einfach werden würde, hab ich die Bohrmaschine holen lassen (lag griffbereit im Fahrzeug) und hab mir parallel mal den guten Arm angeschaut. Und siehe da- während mein netter Kollege, der mich unterstützt hatte, den i.o.-Zugang gelegt hat, zeigte sich doch tatsächlich in der Ellegenbeuge eine schöne Vene- Treffer, versenkt. Und schon hatten wir 2 Zugänge.

Mein Gedanke war, dass wir die Zeit nutzen können, um Flüssigkeit zu substituieren und wir hätten dann nen Zugang.

Machen wir noch was, bevor wir einladen?