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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Wie geht ihr mit eurer Stammkundschaft um?



Blaulichtgurke
06.02.2014, 00:09
Hi, ich habe in meinen bisherigen Einsätzen als RS sehr oft ein junges Mädchen (~18a) gefahren, die an Bradykardie und AV-Block II° leidet und öfters mal umkippt, begleitet von hypertensiver Entgleisung, ab und an parallel dazu Nasenbluten.
Letztens erst wieder: Einsatzstichwort: Bewusstlose Person an Schule XYZ
Wir hin mit SoSi, NEF mitalarmiert.
Nach 7 Minuten sind wir da, der Einweiser führt uns zur Patienten.
Vor uns liegt (mal wieder) ein junges Mädchen, es sei anamnestisch plötzlich vom Stuhl gefallen, mit dem Kopf auf den Boden.
Unser Basis-Check ergibt:
Patientin ansprechbar, verlangsamt
Puls: 33/min
EKG: Bradykardie, stabiler Sinusrhythmus, kein AV-Block
AF: 15/min
RR: 180/110 mmHg
SpO2: 99%

Zudem KoPlaWu an der Stirn, ca. 2cm, blutet kaum noch.

Das Mädchen macht einen sehr schlappen Eindruck, klagt über Schwindel, Schummerigkeit und Übelkeit.
Pupillen sind okay, Kopf weist kein Hinweis auf Frakturzeichen auf.
Unser NA beschließt, nur ne NaCl anzuhängen, kein Atropin.
Wir packen das Mädchen ein und fahren mit SoSi ins Krankenhaus wo sie behandelt wird.
Laut Lehrer und Mitschüler soll es bald einen Zwei-Kammer-Herzschrittmacher bekommen.

Im KH angekommen, entschließt sich die Kollegin aus dem NEF-Dienst, die heute für in der Ambulanz tätig ist, das Mädchen auf Intensiv aufzunehmen.


Mich als doch eher unerfahrenen RS wundert im Nachhinein so ein bisschen das Verhalten des NAs, der wollte kein Atropin geben, wobei es doch bei dem Puls von um die 30 indiziert ist, oder sehe ich da was falsch?
Mein RA wollte auch schon eine Ampulle aufziehen....
Der NA meinte auch, wir bräuchten nicht auf Intensiv.

Was sagt ihr dazu, bzw. wie hättet ihr es gehandhabt? Wärt ihr auf Intensiv gefahren?

Und um zum eigentlichen Thema zurückzukehren, ich habe dieses Mädchen bestimmt schon in den 1,5 Jahren über 7 Mal bei selbigen Beschwerden ins KH gefahren, es waren natürlich mehrere Male (glaub über 15), aber 7 mal war ich dabei :-D
Wie reagiert ihr, wenn ihr zu solchen "Stammpatienten" fahrt?
Eher so:" Ach die schon wieder?" oder ist es jedes Mal ein Notfall, bzw. eine Herausforderung für euch?

Ich hab natürlich auch schon mehrere andere Stammkunden kennengelernt, vom Dauersäufer bei ständigem C2-Intox bis hin zum klapprigen Rentner der jedes Mal behauptet er hat einen Herzinfarkt (praktiziert wohl hobbymäßig Selbstdiagnostik ;-) ) und jedes Mal ist das EKG unauffällig, bzw. im KH wird natürlich auch kein kardiales Geschehen festgestellt.

Brutus
06.02.2014, 06:17
Im KH angekommen, entschließt sich die Kollegin aus dem NEF-Dienst, die heute für in der Ambulanz tätig ist, das Mädchen auf Intensiv aufzunehmen.
Naja, ist ihre Entscheidung. Wenn sie der Ansicht ist, dass das Mädchen auf der Normalstation nicht adäquat überwacht werden kann, dann muss man das so akzeptieren. Sie hat eben die Verantwortung im KH.


Mich als doch eher unerfahrenen RS wundert im Nachhinein so ein bisschen das Verhalten des NAs, der wollte kein Atropin geben, wobei es doch bei dem Puls von um die 30 indiziert ist, oder sehe ich da was falsch?
Mein RA wollte auch schon eine Ampulle aufziehen....
Der NA meinte auch, wir bräuchten nicht auf Intensiv.
Hmm, Du willst jedem Menschen, der eine Frequenz von 30 hat, Atropin spritzen? Da werden sich einige Leute aber bedanken, die damit wunderbar (über-) leben! Das Problem ist doch folgendes: weißt Du, welche Frequenz das Mädchen normalerweise hat? Wenn sie i.d.R. mit 30/min durchs Leben läuft, und der AVB jetzt kurzfristig mal die Frequenz auf <30/min gedrückt hat, dann ist ja die Synkope erklärbar. Zu dem Zeitpunkt, an dem ihr teilnehmen durftet, war sie ja stabil. Von daher unter EKG-Überwachung ins KH und gut ist. Das Atropin nicht ganz so weit wegstellen und ab gehts.
BTW: was denkst Du, was der RR macht, wenn Du bei 30/min und 180/110mmHg eine Atropin gibst? Solange, wie ich doch relativ stabile Verhältnisse vor Ort habe, bringe ich doch das System nicht durcheinander. :-nix
Zu der ITS: Ich sehe kein Problem darin, dass es verschiedene Meinungen zu dem Fall gibt. Wie oben schon gesagt, für die Kollegin im KH muss man ja auch die Gegebenheiten im Haus sehen. Und die kennt wohl keiner besser, als diejenige, die an dem Tag den Dienst dort versieht. Wieviele Schwestern auf der Station? Wieviele Patienten? Überwachungsmöglichkeiten auf Station, etc...


Was sagt ihr dazu, bzw. wie hättet ihr es gehandhabt? Wärt ihr auf Intensiv gefahren?
Ohne Kenntnis der Möglichkeiten im KH nicht zu beantworten. :-nix


Und um zum eigentlichen Thema zurückzukehren, ich habe dieses Mädchen bestimmt schon in den 1,5 Jahren über 7 Mal bei selbigen Beschwerden ins KH gefahren, es waren natürlich mehrere Male (glaub über 15), aber 7 mal war ich dabei :-D
Wie reagiert ihr, wenn ihr zu solchen "Stammpatienten" fahrt?
Eher so:" Ach die schon wieder?" oder ist es jedes Mal ein Notfall, bzw. eine Herausforderung für euch?
Stammkundschaft ist ja relativ! Jeder kennt den stadtbekannten Alloholiker oder den IDDM-Patienten, der unter Alkohol 30IE Alt spritzt. Und auch die Patienten haben ein Recht auf adäquate Behandlung.
Bei der jungen Dame sehe ich dazu ja noch ein gesundheitliches Problem, wo sie nun mal wirklich nix zu kann. Und dass eine junge Frau unter Umständen ein Problem damit haben dürfte, einen Herzschrittmacher zu bekommen, kann man ja auch nachvollziehen...

Blaulichtgurke
06.02.2014, 10:36
Nein, natürlich würde ich dem Hochleistungssportler, der einen Ruhepuls von 25/min aufweist, kein Atropin geben.
Aber wenn das Mädchen doch diese Beschwerden aufweist, Schwindel u. Übelkeit, anamnestisch schon vor der Synkope, dann sollte man sie doch auch nicht vor sich hinleiden lassen, oder?

Ein LRA meinte zu mir, bei der Hypertonie könnte es sich um eine reflektorische Handeln, wenn der Puls absackt dass der RR dann hochschießt, um den Körper noch einigermaßen mit Blut zu versorgen. So gesehen würde eine Erhöhung des Pulses eine Stabilisierung des Blutdrucks herbeiführen...

Andere Sache: Dir ist bekannt, dass das Kind nicht an Hypertonie leidet, und ihr normaler Ruhepuls liegt bei etwa 70/min, würdest du trotzdem kein Atropin geben?

Ich hatte das Mädchen wie gesagt schon mehrfach gehabt, die Meinungen der tätigen Notärzte allerdings streiten sich.

Nimm mir meine unerfahrenen Ansichten bezüglich dieser Thematik nicht übel, ich bin frisch im RD ;-)

mainzer
06.02.2014, 13:48
ich gebe kein atropin solang es der blutdruck nicht erfordert!

Brutus
06.02.2014, 13:50
Also ich bin da pragmatisch. Wenn die soweit stabil ist, wenn ich komme, dann kriegt sie erstmal nix weiter. Überwachung und Zugang mit RL zum freihalten und gut ist. Wenn sie instabil werden sollte, dann habe ich einen Zugang und Medis sind schnell aufgezogen.
Nimm mal einen anderen Fall: nur weil jemand sagt, dass er gerade einen Menschen "reanimiert" habe, dieser Mensch aber wach vor Dir liegt, würdest Du doch da jetzt auch nicht Supra geben. :-nix
Bzgl. des RR und der Atropingabe: wenn es tatsächlich eine Autoregulation gewesen wäre, dann würde die ja zumindest noch eine Weile andauern. Zumindest auch noch nach dem Wirkeintritt des Atropins. Und ob ich eine jetzt "stabile" Patientin hypertensiv entgleisen lassen wollte, weiß ich nicht. :-nix
Wie gesagt, wenn sie unter der Bradykardie dekompensiert, dann ist es keine Frage, dass sie Atropin bekommt, wenn das nichts bringt den externen Schrittmacher in Ermangelung von Alupent, dem man ja leider die Zulassung für die kardiale Indikation entzogen hat. :-nix
Und da wir ja gelernt haben, dass Off-Label-Use bööööööse ist, würde ich es trotzdem geben, wenn ich es hätte! :-))
Leider haben aber die meisten das Alupent vom Auto genommen, weil es eben im Rettungsdienst keine wirkliche Indikation mehr dafür gibt. :-nix

mainzer
06.02.2014, 16:46
ich bin böse....ich würde nach atropin auch alupent geben, wenn der patient weiter instabil bradykard bliebe...dann supra und dann pacen :-)

Blaulichtgurke
06.02.2014, 20:39
@ mainzer
Also würdest dem Mädchen das Leid ersparen, vor sich hin zu dämmern? ;)
Ich als RS hab da ja nix zu sagen, v.a. wenn der Doc da ist, bin ich "nur" Krankenwagenfahrer :D

WackenDoc
06.02.2014, 20:55
Ich bin als Notarzt auch eher Pragmatiker: Gut, das Mädel ist was platt, aber das ist ja nicht schlimm. Sie ist unter qualifizierter Aufsicht und wir sind gleich im Krankenhaus.
Das Mädel und der Rettungsdienst kennen die Rhythmusstörung- also gibt es Erfahrungswerte, wie sich das entwickelt.

Ob man sie auf Intensiv aufnimmt, darüber kann man streiten. Hängt von den örtlichen Gegenbenheiten und vom jeweiligen Diensthabenden ab.
Direkt auf Intensiv fahren wir in meinen Landkreisen nur nach Absprache mit dem jeweiligen Diensthabenden, sonst in die Notaufnahme.

Brutus
06.02.2014, 20:57
@ mainzer
Also würdest dem Mädchen das Leid ersparen, vor sich hin zu dämmern? ;)
Ich als RS hab da ja nix zu sagen, v.a. wenn der Doc da ist, bin ich "nur" Krankenwagenfahrer :D

ich gebe kein atropin solang es der blutdruck nicht erfordert!

Was für ein Leid denn?
Dann dröseln wir das doch noch einmal einzeln auf:

Vor uns liegt (mal wieder) ein junges Mädchen, es sei anamnestisch plötzlich vom Stuhl gefallen, mit dem Kopf auf den Boden.
Unser Basis-Check ergibt:
Patientin ansprechbar, verlangsamt
So, wir haben hier ein Mädchen (das wir zufällig aus vorangegangenen Einsätzen kennen), das nach Sturz mit dem Kopf auf dem Boden aufgeschlagen ist und jetzt ein bißchen verlangsamt ist. Soweit so gut. Verlangsamt kann ja durchaus erstmal auch mit dem Aufschlagen auf dem Boden zusammenhängen. Da sie jetzt wieder wach ist, können wir ja ganz in Ruhe die weitere Anamnese erheben:


Puls: 33/min
EKG: Bradykardie, stabiler Sinusrhythmus, kein AV-Block
AF: 15/min
RR: 180/110 mmHg
SpO2: 99%

Wir haben also eine Bradykardie OHNE AVB im EKG mit einer Hypertonie und normwertiger Sättigung und Atemfrequenz.
Du schriebst oben, dass bei ihr ein AVB bekannt wäre. Nur im aktuellen EKG ist er ja nicht zu sehen, oder? Was ist jetzt Ursache und was ist Wirkung? Ist sie gestürzt weil sie langsam wurde oder ist sie langsam, weil sie gestürzt ist?


Zudem KoPlaWu an der Stirn, ca. 2cm, blutet kaum noch.
Nun ja, das sagt leider nix zu dem Zustand IM Kopf aus. Die Verlangsamung kann ja durchaus Zeichen einer Commotio oder, schlimmer, einer ICB sein. :-nix


Das Mädchen macht einen sehr schlappen Eindruck, klagt über Schwindel, Schummerigkeit und Übelkeit.
Pupillen sind okay, Kopf weist kein Hinweis auf Frakturzeichen auf.
Auch hier sehe ich keinen Ausschluß intracranieller Verletzungen. Frakturzeichen würdest Du ja vor Ort eh nur sehen, wenn da ordentlich was kaputt gegangen wäre à la Impression oder so. Ansonsten kannst Du ohne CT / MRT ja nicht wirklich irgendwas ausschließen. Wie gesagt, die neurologischen Symptome können Zeichen des Sturzes ODER der Kreislaufsituation sein. Da sie aber jetzt stabil ist / erscheint, warum willst Du denn unbedingt pharmakologisch tätig werden? Zumal Du ja eine gute Chance hast, den Zustand auch zu verschlimmbessern. Denn wenn Du wirklich eine ICB vor Dir haben solltest, ist eine Frequenzsteigerung und damit ein weiterer RR-Anstieg sicherlich kontraproduktiv... :-nix

Shizr
06.02.2014, 21:32
Hi, ich habe in meinen bisherigen Einsätzen als RS sehr oft ein junges Mädchen (~18a) gefahren, die an Bradykardie und AV-Block II° leidet und öfters mal umkippt, begleitet von hypertensiver Entgleisung, ab und an parallel dazu Nasenbluten.
Weißt du, was für ein AV-Block Grad II es ist?

Ich hab nämlich im Kopf, dass tendenziell eher der Mobitz-Typ ne Indikation für Schrittmachereinbau ist, und den kann Atropin doch auch mal in einen totalen AV-Block überführen, oder?

Ansonsten hat Brutus einfach recht, solange die Patientin so klinisch stabil ist, gibt's keinen Grund, da an der Frequenz rumzuspielen.


Das ist, finde ich, nebenbei auch das wirklich brandgefährliche an der Stammkundschaft. 999mal fährst du den komatösen Junkie vom Bahnhof, und beim 1000. Mal hat er ne ICB und keiner merkts, weil man seine Verdachtsdiagnose Heroinintox nicht mehr überprüft hat, weils bisher IMMER so war. Oder du verzichtest auf den BZ, und der wäre LOW gewesen.

mainzer
07.02.2014, 06:09
volle zustimmung mit brutus

Peter_1
07.02.2014, 12:50
In den allermeisten Fällen sollten man bei Rhythmusstörungen nicht das EKG behandeln sondern den Patienten. Für die Behandlung des EKGs gibt es im Krankenhaus gut personell ausgestattete Stationen mit deutlich besserer Überwachungsmöglichkeit und deutlich mehr Erfahrung. Den Patienten behandeln wir wenn er/sie ein wirkliches Kreislaufproblem hat, bereiten uns aber entsprechend vor (lassen aufziehen und legen ein Nädelchen). Ich hätte da auch nix gefixt und finde das ist absolut kein "Fehler", sicher gibt es andere Kollegen die die Spritze schneller im Anschlag haben, so sie wissen was sie da tun ist das auch ok.

Zur Stammkundschaft fällt mir nur der Witz ein: Schwester: "Herr Doktor der Hypochonder aus der 12 ist gestern gestorben!" Doktor: "jetzt übertreibt er aber!". Will sagen: gerade da muss man aufpassen, dass man nichts übersieht!

Rumpelstilzchen
09.02.2014, 07:10
Aus der Diskussion lese ich heraus, daß mein Therapieansatz der richtige gewesen wäre: nix machen, einpacken und los. Stabiler Kreislauf, Sinusrhythmus? Ab dafür. Nichts reparieren, was nicht kaputt ist.