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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Zukunft der Strahlentherapie



InfiniteChest
24.02.2014, 09:57
Hallo,

Ich bin jetzt im achten Semester und tendiere im Moment stark in Richtung Strahlentherapie was meinen späteren Berufswunsch angeht. Mir gefällt das breite Patientenspektum, die nicht-Organbezogenheit des Fachs, der enge Patientenkontakt und vor allem der technische Aspekt. Einige Zweifel habe ich jedoch was die Zukunft des Faches betrifft. Ich weiss, niemand von euch hat eine Kristallkugel, aber ich will meine Zweifel trotzdem mal darstellen.

Ich habe Bedenken, dass die Strahlentherapie immer mehr von den anderen Therapiemodalitäten abgelöst werde könnte. Es gibt heutzutage eine Anzahl von Tumorleiden, die mit Strahlung behandelt werden. Bei der Masse an Forschungsaktivität vor allem auf dem Gebiet der molekularen Krebstherapeutika ist es doch aber durchaus denkbar, dass es in einiger Zeit pharmakologische Behandlungsmöglichkeiten geben wird, die die Strahlentherapie, jedenfalls für einen Teil der Tumoren, obsolet machen.

Ein Beispiel: die akute lympahtische Leukämie wurde vor 20 Jahre bestrahlt, und das mit damals guten Ergebnissen. Betroffene Kinder hatten durch die Bestrahlung eine um viele Jahre verlängerte Lebenserwartung. Heutzutage wird die ALL mit Chemotherapie behandelt, die Bestrahlung spielt meines Wissens keine Rolle mehr.
Ist Ähnliches nicht für viele andere Krebserkrankungen ebenfalls zu erwarten? Ein Gedankenspiel: Irgendjemand entwickelt ein neues molekulares Agens für z.B. Prostatakrebs. Dieses Agens muss ja den Krebs nicht heilen, es würde reichen wenn in großen klinischen Trials rauskommt, dass die Bestrahlung keinen Zusatznutzen mehr bringt. Und schon würde ein nicht unerheblicher Teil der strahlentherapeutisch behandelten Patienten wegfallen.

Ich denke eben, dass, falls es überhaupt dazu kommt, große Durchbrüche auf dem Gebiet der Krebstherapie eher auf dem Gebiet der Pharmakologie zu erwarten sind. Bei der Strahlentherapie scheint es mir eher darum zu gehen, bestehende Behandlungsmethoden zu optimieren (Bestrahlungsdauer, -dosen, -achsen, usw.).

Bei meiner letzten Famulatur auf der Derma meinte einer der da arbeitenden Ärzte sogar, dass die Strahlentherapie ein bisschen "letztes Jahrhundert" sei. So richtig helfen könne man damit nicht, aber wenigstens würde man auch niemanden umbringen. Jedenfalls befände sich die Strahlentherapie ganz klar "auf dem absteigenden Ast". Der gute Herr war generell sehr zynisch unterwegs, deshalb habe ich darauf nicht so viel gegeben, aber vielleicht haben ja ein paar von euch ein paar Gedanke zur Zukunft der Strahlentherapie.

anignu
24.02.2014, 12:26
Mit deinen Argumenten müsste man auch das Ende der Chirurgie voraussagen. Was diese Kardiologen heutzutage alles stenten und damit den Herzchirurgen ihre Bypässe wegnehmen... Oder wenn sich mal die medikamentöse Tumortherapie soweit etabliert hat, dass man sich das operative entfernen spart...

Die Zukunft kann man nicht voraussagen. Es gibt ein paar Fachrichtungen die grad gehypt werden und andere nicht, aber man wiß es nicht.
Zu einer multimodalen Tumortherapie gehört aktuell die Strahlentherapie auf jeden Fall noch ganz klar dazu. Bei mir in der Verwandtschaft gibts zwei Leute die schon bestrahlt wurden: einer mit einer Knochenmetastase und eine nach Mamma-Ca. Das ist das übliche medizinische Vorgehen. Und was willst denn bei einer extrem schmerzhaften Knochenmetastase im LWS-Bereich grad sonst tun? Schneiden? Medis geben? Die Medis haben ja schon vorher versagt, sonst hätte er die Knochenmetastase nicht bekommen.

Wenn dich interessiert würd ichs an deiner Stelle machen.

Aber eines sollte dir schon klar sein: Strahlentherapeuten gibts nicht an jedem Feld-, Wald- und Wiesenkrankenhaus. Das ist aus meiner Sicht definitiv eine Einschränkung.

Rico
24.02.2014, 14:00
Die Leute werden immer älter, kriegen mehr Krebs (weil älter) und brauchen deshalb öfter Bestrahlungen. So würde ich das mal grob prognostizieren.
Vielleicht fällt tatsächlich mal die ein oder andere Indikation raus weil es irgendwo was besseres gibt, aber arbeitslos wird der Strahlentherapeut sicher nicht, denn die absolute Zahl der malignen Tumore wird ja stetig steigen.

Flemingulus
24.02.2014, 14:56
Weitere Fortschritte in Bildgebung und Bestrahlungsplanung, die Entwicklung kompakterer Beschleuniger für die Partikeltherapie und evtl. (hier ist am ehesten ein dickes Fragezeichen zu setzen) innovative Ansätze im "targeted radiodelivery" (Tumorzellspezifische Radiosensitizer, Neutroneneinfang-Therapie) sollten dafür sorgen, dass die Radiotherapie noch ein ganzes Berufsleben lang mit interventionellen, molekularbiologisch-pharmakologischen, immunologischen und operativen Ansätzen mithalten kann.

Und wenn alles zu spät ist, bleibt später immer noch der Wechsel in Teilchenphysik, Waffentechnologie und Materialforschung :-))

Schubbe
24.02.2014, 17:04
Ja, die absolute Anzahl der malignen Tumore wird steigen und die Strahlentherapie ist essentieller Bestandteil der Tumorkontrolle. Sie ist ja gerade deshalb so effektiv, weil Tumorgewebe in der Regel die entstandenen Schäden nicht so gut komensieren kann, wie Normalgewebe und eine Einstrahlung aus mehreren Richtungen minimiert zusätzlich den Schaden für übriges Gewebe. Das ist die grundlegende Technik des "letzten Jahrhunderts".

Es gibt aber tatsächlich neue Forschungen zu Nano-Clustern, die sich an Tumorzellen anlagern und die deponierte Dosis erhöhen - dabei sprechen wir hier von Faktoren von 3-10! Ansonsten kann man z.B. auch die Brachytherapie nennen, die gerade bei oberflächlichen Tumoren (ästhetisch-)hervorragende Ergebnisse erzielen kann, ohne dass mal das halbe Gesicht weggeschnitten werden muss ;)

In der Physik wird schon immer an besseren Detektoren gearbeitet, die eine bessere Energieauflösung, eine Zeitauflösung, eine räumliche Auflösung, [...] ermöglichen. Dadurch wird die Frühdiagnostik von kleinsten Tumoren verbessert und ich bin mir sicher, dass gerade hier das "Kosten/Nutzen"-Verhältnis sich stark in Richtung der Strahlentherapie entwickelt.

Und wenn wir schon bei der Physik sind: Auch hier werden neue Strahlungsquellen entwickelt, die brilliante (http://de.wikipedia.org/wiki/Brillanz_%28Strahlung%29) Eigenschaften haben, in eine Klinik passen und dadurch signifikant die Belastung des Normalgewebes verringern würden. Natürlich bekommt man aber von solchen Entwicklungen als Medizinstudent nur denkbar wenig mit, da so etwas physikalische Grundlagenforschung ist.

Du solltest dir nur im Klaren sein, dass die Strahlentherapie alles andere als ein sterbender Zweig der Forschung/Klinik ist.

InfiniteChest
25.02.2014, 17:55
Danke für die ausführlichen und durchdachten Antworten! Das hört sich doch gut an. Ich werde einfach mal da famulieren und mir einen eigenen Eindruck machen.

alex1
25.02.2014, 21:00
Was die ALL angeht:
Die Prognose der ALL ist besser, wenn man zu deren Behandlung eine Ganzkröperbestrahlung anstatt nur eine Chemotherapie einsetzt. Dazu gibt es (auch bei anderen Leukämien) randomisierte Studien.
Darüber hinaus rezidivieren viele nicht-transplantierte Patienten mit ALL im ZNS, so dass die prophylaktische ZNS-Bestrahlung immer noch Standard ist.


Und was die Zukunft der Strahlentherapie angeht:

3 Wörter...

Dielectric Wall Accelerator

Das ist vielleicht unsere Zukunft in einigen Jahren.

Flemingulus
26.02.2014, 09:56
Und was die Zukunft der Strahlentherapie angeht:

3 Wörter...

Dielectric Wall Accelerator

Das ist vielleicht unsere Zukunft in einigen Jahren.

Bei kompakten Beschleunigersystemen für die Partikeltherapie wird sich in den nächsten 30 Jahren sicher einiges tun. DWAs sind eine von mehreren Möglichkeiten und stellen ein schon recht weit entwickeltes System dar. Wenn ich das als Außenstehender richtig kapiere sind konkurrierende Technologien unterwegs mit noch steileren Beschleunigungs-Gradienten (und entsprechend noch kompakter gebauten Anlagen). In Kombination mit funktioneller (Tumor)-Bildgebung sollte die Partikeltherapie noch auf viele Jahrzehnte ein konkurrenzfähiges Verfahren zur (multi-)lokalen Tumorkontrolle sein. :-)

Eine m. E. ganz schöne Übersicht zur Technologie bietet:
Owen et al. Technology for delivery of proton and ion beams for radiotherapy. Int J Mod Phys A, October 2, 2013.

Schubbe
26.02.2014, 10:19
Zum Thema Kompaktheit, muss man aber immer etwas vorsichtig sein. Es gibt Beschleuniger, die effektiv auf nur 1cm beschleunigen, aber dafür 10m "Vorbau" und "Nachbau" haben. Außerdem wird gerne mal unterschlagen, was man so an Energie reinstecken muss, um die Dinger auf "Dauerbetrieb" laufen zu lassen. Da können schon ein paar Atomkraftwerke zusammen kommen.