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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : England oder Deutschland?



Altwander
23.03.2014, 14:47
Hallo!

Ich moechte ab naechstem Jahr Medizin zweitstudieren und bin mir nicht sicher, ob in England oder Deutschland. Daher ein paar Fragen an alle, die vielleicht Erfahrungen in beiden Laendern gemacht haben:

- Laut Forum dachten vor ein paar Jahren wohl noch viele, dass England sehr viel medizinerfreundlicher sei, aber wie ist das heute? (Arbeitszeiten / Freude an der Arbeit / Hierarchien / Familie / ...)

- Wie sieht es mit Forschungsmoeglichkeiten parallel zur Medizinerkarriere aus? Ich werkele gerade an meiner Promotion und moechte auch weiterhin ein bisschen forschen, aber dafuer keine 80-Stunden-Wochen mehr in Kauf nehmen. In England gibt es strukturierte Weiterbildungsprogramme fuer clinician-scientists, gibt es die in Deutschland auch? Waere es schwierig, mit 33 an solche Stellen zu kommen?

- Wie einfach ist es, von einem Land ins andere zu wechseln? Ich weiss natuerlich, dass die Abschluesse theoretisch anerkannt werden und so, aber wie wichtig sind Stallgeruch und Kontakte?

- Wenn Ihr die Wahl haettet, wohin wuerdet Ihr gehen und warum?

Fuer Meinungen und Ratschlaege jeder Art waere ich sehr dankbar.
Vielen Dank fuer Eure Antworten! :)

Altwander

Thomas24
24.03.2014, 21:50
Hi,

vielleicht kann ich dir ein bischen Input geben?
Das sind verschiedene Themenkomplexe, die du da ansprichst-
Die Frage in deiner Situation als angehender Zweitstudent (mit nat. wiss Background?) ist weniger, welches System derzeit "medizinerfreundlich" ist, sondern welches dir die bessere Ausbildung/ Studium ermöglicht.
Der Vorteil des englischen Systems könnte für dich darin bestehen, dass für Absolventen gewisser Studiengänge "fast Track" Studiengänge bestehen (z.B. Univ. of Oxford), die zum englischen MBBS innerhalb von vier Jahren führen. Damit würdest du gegenüber einem Studium in D noch einige Jahre einsparen können.

Was die Zeit nach dem Studium angeht: "Medizinerfreundlich" sind weder das (unterfinanzierte) NHS, noch das (ebenfalls mit begrenzten Ressourcen ausgestattete) dt. Gesundheitswesen. Beide Systeme haben ihre Fallstricke und Tücken, und letztlich ist das für dich noch Zukunftsmusik- die Situation kann sich innerhalb der nächsten 5-6 Jahre, die du studieren wirst nochmal deutlich verändern.

Hierarchie/Arbeitszeit/Familienfreundlichkeit: das ist in Deutschland schon je nach Haus und Fachgebiet schon unterschiedlich. Pauschal kann man da keine Angaben zu machen.

Was die Qualität der klinischen Weiterbildung besteht: in UK sehr strukturierte Vorgaben bezüglich der Ausbildung, zwei klinische Jahre Basisausbildung (Foundation years 1 und 2), dann erst die weitere Spezialisierung. Die meisten Royal Colleges haben eine mehrstufige Prüfung, die in mehreren Teilen nach bestimmten Abschnitten der Weiterbildung absolviert werden muss. Es kann zudem in begehrten Fächern und Städten schwierig sein, die gewünschte Weiterbildung im gewünschten Fach zu bekommen.

In Deutschland: meistens 5-6 Jahre Weiterbildung im Fach, keine klinische Basisausbildung erforderlich. Die "Prüfung" besteht am Ende aus einem halbstündigen Gespräch- that´s it. Man kann während der fünf Jahre richtiges Glück haben und eine umfassend fundierte und supervidierte klinische Weiterbildung erhalten, oder 5 Jahre lang zum Facharzt für Formular- und Bürokratiewesen "ausgebildet" werden, um dann eine klinische Null zu sein, der aber alle erforderlichen Zahlen für den FA vom CA bescheinigt worden sind. Da es nur ein Abschlussgespräch, aber keine gestufte FA- Prüfung nach bestimmten Weiterbildungsabschnitten gibt, gibt es keinen wirklichen Zwang, sich selbst zu motivieren und an sich zu arbeiten. Auch die Faulen und mittelmässigen werden mit durchgezogen- in UK hingegen kann es bei mehrfachem nicht- bestehen von Zwischenprüfungen sein, dass man aus der Weiterbildung gekegelt wird.

Karriereperspektiven: hüben, wie drüben spielen natürlich Dinge, wie: "wer kennt wen, wer kommt aus welchem Stall" auch eine Rolle- nicht unbedingt, was den Einstieg in die Weiterbildung angeht, aber in den höheren Ebenen (interessante Fellowships etc.), kann es nicht schaden, ein Netzwerk zu haben. Rein formell stehen einem sowohl mit einem dt. als auch einem englischen Abschluss alle Türen innerhalb der EU gleich offen.

Hoffe, ich konnte dir ein paar Anregungen geben!
VG

Altwander
27.03.2014, 22:14
Vielen Dank fuer Deine ausfuehrliche Antwort, Thomas!

Auch wenn es bei mir noch 5-8 Jahre dauern wird, bis ich tatsaechlich mal als Arzt arbeiten kann, interessieren mich aber schon die langfristigen Perspektiven. Ob sechs Jahre Studium oder vier Jahre Studium + zwei Jahre foundation training ist ja doch irgendwie egal.

Wenn also irgendjemand persoenliche Erfahrungen in England gemacht hat, wuerde ich mich ueber weitere Anregungen sehr freuen. Dankeschoen!