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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Abschätzen von Suizidalität



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Fonknutschius
05.04.2014, 13:11
Hallo!

Stecke knietief im klinischen Studienabschnitt und habe nach tollem Praktikum und interessanter Vorlesung Feuer gefangen für die Psychiatrie. Dabei interessiere ich mich eher für die Akutpsychiatrie als für die psychotherapeutische Komponente. Allerdings habe ich ziemlichen Respekt vor dem Fach, vor allem was die Dienste angeht. Dabei geht es vor allem um das Einschätzen von Suizidalität. Einer der Jungassis (im ersten Jahr) an unserer Uni hatte das Thema mal kurz angeschnitten. Man hätte halt immer wieder Situationen, in denen man entscheiden muss ob man einen Patienten gehen lassen kann oder eine Suizidgefahr besteht. Laut seiner Aussage würde er da immer ziemlich "schwimmen". Teilweise wird man im Dienst ja auch auf psychiatrieferne Stationen gerufen und muss da innerhalb kurzer Zeit Patienten beurteilen. Meine Frage an die Psychiatrieassisten hier: wie geht ihr damit um? Mir ist schon klar, dass es da feste Kriterien gibt, aber gerade in der Psychiatrie fällt es mir schwer zu glauben, dass man diese festen Kriterien immer valide auf den Einzelfall anwenden kann. Und auf seine klinische Erfahrung kann man sich aus Mangel an eben dieser als Jungassi ja auch nicht verlassen. Wäre toll, wenn sich jemand melden würde!

WackenDoc
05.04.2014, 13:24
Ich bin zwar kein Psychiater, aber mit der Fragestellung bin ich auch regelmäßig konfrontiert (da geht es aber mehr um notfallmäßige Einweisungen in die Psychiatrie- also ein Schritt früher):
- Man sollte die Thematik offen ansprechen- dazu gibt es 2-3 Fragen, die eigentlich jeder Psychiater kennt. Hast du das dann auch noch gut dokumentiert, bist du schon einen sehr großen Schritt weiter.
- Man kann gerade als Jungassi immer noch seinen Oberarzt/Facharzt/Hintergrund etc. fragen.
- Mit der Zeit sammelt man Erfahrung, die einem weiter hilft.
Und zuletzt hilft die Erkenntnis, dass man nicht jedem helfen kann.

morgoth
05.04.2014, 18:12
Die Frage ist ja auch eine zweigeteilte: Suizidalität an sich gilt es gar nicht zu verhindern, sondern die Suizidalität aufgrund einer psychischen Erkrankung. Und eine akute psychische Erkrankung mit ihren Auffälligkeiten (Störung des Affektes, des Antriebs, des Denkens, ...) zu erkennen, das gelingt einem schon mit fortschreitender Weiterbildung immer besser.
Von der Vorgehensweise erhebt man im Zweifelsfall einen sauberen psychischen Befund und fragt insbesondere auch konkret nach Suizidalität (die genaue Formulierung muss man sich teilweise selbst erarbeiten - persönlich benutze ich oft zum Einstieg "Müssen wir uns Sorgen um Sie machen?" und greife dann die Antwort des Patienten auf: Bagatellisierung? Zukunftspläne? religiöse Ansichten/Rücksicht auf Umfeld? ...
Wichtig ist halt die saubere Dokumentation des Erhobenen, dann geht es eigentlich. Es ist immer noch ein medizinischer Akt mit der fehlenden 100%-Sicherheit, und kein Gedankenlesen! Kurzum, es sollte dich nicht von diesem tollen Fach abschrecken.

Lava
05.04.2014, 18:27
persönlich benutze ich oft zum Einstieg "Müssen wir uns Sorgen um Sie machen?" und greife dann die Antwort des Patienten auf: Bagatellisierung? Zukunftspläne? religiöse Ansichten/Rücksicht auf Umfeld? ...

Welche Formulierungen könnt ihr noch empfehlen? In der Unfallchirurgie hat man auch ab und zu mal mit Suizidversuchen zu tun. Manchmal sind es halt eher harmlose, aber dennoch offensichtlich selbst zugefügte Schnittwunden. Ich frage dann auch nach. Bisher war es oft so, dass die Leute zwar zugegeben hatten, dass sie das selbst waren, dann aber meinten, sie würden es nicht wieder versuchen und sie wollen jetzt nicht in die Psychiatrie... :-nix

Absolute Arrhythmie
05.04.2014, 18:54
Ist "sorgen machen" nicht ein bisschen zu locker formuliert? Auf meiner Station wurde eher direkt gefragt: "können wir und darauf verlassen, dass sie sich nichts antun?" oder "haben sie Selbstmordgedanken?"

WackenDoc
05.04.2014, 18:59
Ich finde es als Einstieg gut. Je nach Antwort kann man konkreter fragen.

Jedenfalls soll man aber keine Angst vor der konkreten Frage nach Suizidalität haben.

morgoth
05.04.2014, 19:06
Ich finde, das ist situationsabhängig. Gerade die Abklärung von Suizidalität muss auch zu einem "passen"; persönlich finde ich "Haben Sie Selbstmordgedanken?" zu hölzern (kann einem dem Einstieg bei unbekannten Patienten verbauen, wenn man direkt mit dem "Holzhammer" kommt) und zu wenig trenn-scharf (Selbstmordgedanken, oder zumindest, das was der Laie dann zu verstehen glaubt, nämlich lebensmüde/-überdrüssig sind extrem häufig und reichen in aller Regel nicht für bspw. eine Unterbringung aus). Wichtig ist aber auf jeden Fall, was nach dieser Frage kommt - egal was der Patient antwortet!
Die Frage nach Absprachefähigkeit finde ich aber sehr gut und benutze sie ganz ähnlich auch selbst.

McDübel
05.04.2014, 19:31
"Selbstmord" - ich dachte, man benutzt dieses Wort in der Psych. nicht mehr...?
"Mord" hat als Merkmal die "Heimtücke" inne und genau diese fehlt ja bei einer "Selbsttötung" - so habe ich es zumindest mal hier im Forum gelesen/gelernt...:-peng

Feuerblick
05.04.2014, 19:33
Naja... du wirst mit den Patienten in "ihrer" Sprache sprechen müssen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die für solche Feinheiten empfänglich sind ;-)

Fonknutschius
05.04.2014, 20:42
Vielen Dank für die Antworten!

kra-
05.04.2014, 21:13
"Haben Sie schon einmal daran gedacht, nicht mehr leben zu wollen? Haben sie auch Vorstellungen, wie Sie das tun würden? Haben Sie Vorbereitungen getroffen (Medikamente gesammelt, Seil gekauft, Hochhäuser/Bahnstrecken ausgesucht...)?"

Und das Wort "Selbstmord" benutzte ich sehr wohl. Wenn man vom Patienten eine ehrliche Antwort braucht, darf man nicht hinten rum drucksen. Die, die wirklich gefährdet sind, sind oft dankbar, dass es angesprochen wird. Andere lehnen diese Gedanken vehement ab, das glaube ich dann auch. Und dann gibt es die kleine Gruppe, bei der man einfach ein ungutes Gefühl hat. Diese Patienten kann man oft zum Bleiben bis zum nächsten morgen (OA!) überzeugen (indem man eben argumentiert, dass man eine Entlassung für bedenklich hält); falls nicht rufe ich immer den Hintergrund an.
Ein "Handshake" darauf, dass man sich nichts antut und sich bei Selbstmordgedanken sofort meldet, überzeugt mich auch oft.

Und ganz wichtig: dokumentieren, dokumentieren, dokumentieren!

Medi85
05.04.2014, 21:14
Ich möchte dich auch ermutigen, dich deswegen nicht vom Fach abschrecken zu lassen.
Auch als Jungassi bekommst du schnell ein Gefühl für die Situationen, einfach weil du recht oft damit zu tun hast. All die Fragen sind ja eingebettet in ein längeres Gespräch, wo du auch die Mimik, Affekt etc des Patienten beurteilst, ist er schwingungsfähig, ist er auslenkbar und lässt sich auch auf andere Themen ein oder ist er gedanklich sehr eingeengt, kann er Perspektivpläne formulieren... Wie schon beschrieben fragt man oft nach lebensmüden Gedanken, lässt die auch skalieren, fragt nach akuter Suizidalität, nach Ansprechpartnern und Unterstützern, danach, wie er den Resttag bei Nichtaufnahme verbringen würde... Und natürlich nach konkreten Suizidideen, -Plänen, Vorbereitungen.
Aber auch zb "Wofür lohnt es sich zu leben? In welchen Situationen treten keine lebensmüden Gedanken auf?" und mehr Fragen in diese Richtung. Dann kann man sowas wie Anti-Suizid-Verträge aufstellen, denen sich Patienten meist doch irgendwie verpflichtet fühlen. Und ich habe auch gelernt: Über Suizidalität darf man nicht diskutieren, dem Pat das ausreden oder bagatellisieren. wenn der Pat das so empfindet, selbst wenn es als eingesetzt erlebt wird, ist das halt der Weg, den der Pat gerade wählt und er sollte da immer ernst genommen werden.
Also immer wichtig: ruhige Atmosphäre schaffen, Zeit für ein Gespräch nehmen, Vertrauen aufbauen, Fragen offen ansprechen. Und dann bekommt man meist ein Gefühl dafür, was nun gerade sinnvoll erscheint. Immer aber kann man sich mit dem Facharzt im Hintergrund absprechen, alles schildern, sodass man die Verantwortung nicht alleine trägt. Also: Keine Sorge davor!

McDübel
05.04.2014, 21:58
Und das Wort "Selbstmord" benutzte ich sehr wohl. Wenn man vom Patienten eine ehrliche Antwort braucht, darf man nicht hinten rum drucksen. Die, die wirklich gefährdet sind, sind oft dankbar, dass es angesprochen wird.

Hääh?

Es ging auch gar nicht darum, "es" nicht anzusprechen, sondern lediglich darum, das Wort "Selbstmord" durch "Selbsttötung" zu ersetzen... Wird aber wohl nicht überall so kommuniziert... Auch gut. ;-)

Relaxometrie
05.04.2014, 22:35
Neben den vielen guten und richtigen Dingen, die hier genannt wurden, kann man als möglichen Grund für suizidale Gedanken auch noch nach Jahrestagen von Todesfällen/ Suiziden in der Familie fragen.

Das Wort "Selbstmord" zu vermeiden bedeutet ja nicht automatisch, daß man das Thema nicht anspricht (wie McDübel bereits geschrieben hat). Das Wort ist nunmal falsch, also benutze ich es nicht.

Bandwurm
06.04.2014, 00:54
Als Richtlinie: Suizidgedanken sind häufig. Sie kommen meist, wenn jmd. Verzweifelt ist und keinen Ausweg sieht. Wenn es den Anschein hat, dass so was vorliegt einfach direkt nachfragen. Mittlerweile frag ich eher, wenn jmd sehr angekratzt wirkt: "Wie häufig haben sie derzeit Selbstmordgedanken?" Wenn ne psychische Erkrankung als Grund der Verzweiflung vorliegt, darf man ruhig sehr konservativ vorgehen und lieber mal einmal zu viel die Polizei holen, bzw. Aufnehmen. Z.B. bei Depression mit Schuldwahn, oder Psychose mit akuten Verfolgungswahn. Bei Liebeskummer organisiere ich in der Regel ein paar Verwandte, die mal für ein paar Tage mitgucken. Lernt man aber recht flott dass einzuschätzen. Meist hast du auch zu recht ein ungutes Gefühl bei bestimmten Patienten und dann darf man ja den Hintergrund anrufen.

genau-der-da
06.04.2014, 11:29
Suizidalität an sich gilt es gar nicht zu verhindern, sondern die Suizidalität aufgrund einer psychischen Erkrankung.

So wie es den Selbstmord nicht gibt, gibt es auch keinen FreiTod. Jeder, der sich umbringen möchte, macht das nicht, weil es ihm so gut geht und er sich dafür frei entscheidet, sondern er keinen Ausweg sieht. Keinen Ausweg aus der Depression, keinen Ausweg bei untertherapierten Schmerzen (somatisch schwer Erkrankte - häufig!), die Realität verkennt (Psychose) usw. - es gibt immer eine oder mehrere Ursachen. Und die meisten davon kann man zumindest lindern.

morgoth
06.04.2014, 12:13
Wie nachfolgend gewünscht.

Relaxometrie
06.04.2014, 12:20
Jop, das ist deine Meinung. Aber sie ist halt auf mehreren Ebenen falsch.
Zu sagen, daß eine Meinung falsch ist, man jetzt aber leider nicht mehr weiterdiskutieren möchte, halte ich für unzureichend. Warum klinkst Du Dich überhaupt in die Diskussion ein, wenn Du dann doch merkst, daß Du eigentlich keine Lust hast, Dein Wissen weiterzugeben?

Absolute Arrhythmie
06.04.2014, 12:37
Wie nachfolgend gewünscht.
Was für eine diskutierfähigkeit! Großartig!

Solara
06.04.2014, 12:40
Möchtet ihr vielleicht wieder zum Thema zurückkehren, anstatt dieses Kindergartens?

Mich interessiert dieses Thema.