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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Suizidgedanken / enorme Überforderung Alltag in Kliniken?



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Zenobia89
03.07.2014, 09:31
Hallo alle zusammen!

ich habe gestern Abend auf zdfzoom eine spannende Doku über die Missstände an Deutschen Kliniken gesehen. Da ich bereits eine Lehre zur Gesundheits- und Krankenpflegerin absolviert habe, waren mir der Wirtschaftliche Druck sowie die Nachteile der Fallpauschalen bewusst - als die Sendung dann fortschritt, hiess es, dass bereits 50% der angestellten Ärzte in Deutschen Kliniken mindestens bereits einmal Suizidgedanken hatten und über 70% tagtäglich überfordert sind.

Ich stecke noch mitten im Studium und bin keineswegs naiv an die Sache herangegangen - aber solche Zahlen schockieren mich enorm!
Ich frage mich auch in dem Moment, ob ich mit dem Studium die richtige Entscheidung getroffen habe - denn als Opfer möchte ich mich die nächsten Jahre nach dem Studium nicht sehen.

Ich wollte euch fragen, inwiefern ihr eure Klinik als ausbeutend, überfordernd oder sonstiges erlebt. Muss man da einfach Glück haben, um an weitestgehend faire Arbeitszeiten / Chefs mit ein wenig Verständnis zu geraten, oder ist das mittlerweile Alltag?

Mich würde auch interessieren inwiefern sich das ganze in der Praxis (z.B. Gemeinschaftspraxis ) ändert? Habe ich dort mehr Zeit, um mich um Familie zu kümmern oder ist das auch stark vom Chef abhängig?



Liebste Grüße,

Zenobia

Rico
03.07.2014, 13:02
ich habe gestern Abend auf zdfzoom eine spannende Doku über die Missstände an Deutschen Kliniken gesehen. Da ich bereits eine Lehre zur Gesundheits- und Krankenpflegerin absolviert habe, waren mir der Wirtschaftliche Druck sowie die Nachteile der Fallpauschalen bewusst - als die Sendung dann fortschritt, hiess es, dass bereits 50% der angestellten Ärzte in Deutschen Kliniken mindestens bereits einmal Suizidgedanken hatten und über 70% tagtäglich überfordert sind.Also die Studie hätte ich gerne gesehen.
Aus dem Bauch heraus kommen mir die Zahlen viel zu hoch vor.
Vor allem 70% der Klinikärzte jeden Tag überfordert? Also einschließlich aller Fach-, Ober- und Chefärzten? Kann man kaum glauben. So einen Prozentsatzz kann man sich höchstens bei allein gelassenen Berufsanfängern vorstellen.

Wahrscheinlich eine Frage wie man "überfordert" definiert: Fachlich? Arbeitspensum? Wenn man dann eine Überstunde als "Überforderung" (das Arbeitspensum war in der geforderten Zeit nicht zu schaffen, ergo überfordert ;-)) definiert, dann könnte man auf solche Zahlen kommen. Oder ist ein Assitenzarzt im 5. Jahr fachlich überfordert, weil er nicht in der Lage ist eine OP-Indikation zu stellen, weil es dafür eines fach- oder oberärztlichen Diktums bedarf?


Ich wollte euch fragen, inwiefern ihr eure Klinik als ausbeutend, überfordernd oder sonstiges erlebt. Muss man da einfach Glück haben, um an weitestgehend faire Arbeitszeiten / Chefs mit ein wenig Verständnis zu geraten, oder ist das mittlerweile Alltag?Hängt halt von der Abteilung ab. Ist aber eigentlich keine Glücksfrage, denn das Glück hat man ja selber in der Hand, es zwingt einen ja keiner ausgerechnet in einer Klinik anzufangen in der noch ein Chef ganz älter Schule haust. Merkt man ja schnell bei ner Hospitation ob da die Assistenten allesamt im Stress sind, oder ob die auch mal Zeit haben, sich auf ne Tasse Kaffee mit den Hospitanten hinzusetzen.
So als Faustregel: Wenn keiner Zeit hat, sich mal 10min mit einem potentiellen Kollegen hinzusetzen und zu plaudern, dann wird auch keiner Zeit für den tatsächlichen Kollegen haben - nicht nur zum plaudern, sondern auch bei Fragen oder Problemen.


Mich würde auch interessieren inwiefern sich das ganze in der Praxis (z.B. Gemeinschaftspraxis ) ändert? Habe ich dort mehr Zeit, um mich um Familie zu kümmern oder ist das auch stark vom Chef abhängig?Wenn Du angestellt bist, dann hängt es am Chef. Wenn Du selber Chef bist, dann kannst. Du Dich da auch frei entfalten - zumindest soweit es die monetären Zwänge zulassen.

Peter_1
03.07.2014, 14:29
Ich halte die Zahlen auch für sehr hoch gegriffen. Überforderung ist am Anfang sicher häufig (wobei auch da 70% eher hoch gegriffen sind), das wird aber (meist) rasch weniger. Die Ausbeutung hat meiner Beobachtung nach eher abgenommen, da aufgrund des Stellenmarktes sich eben nicht jeder Chef mehr alles rausnehmen kann. Früher gab es ja noch das AiP und solche Scherze, auch waren die Arbeitszeiten deutlich unangenehmer (30h Dienst am Stück und mehr waren bei mir in den Anfangszeiten durchaus noch drin, auch noch so Scherze wie jedes 2. Wochenende Visitendienst zusätzl. zum normalen Dienst). Die Spannbreite an Unanehmlichkeiten ist aber auch heute sicher noch groß, der relevante Unterschied ist: man kann viel leichter die Stelle wechseln wenn man die Schnauze voll hat. Alles in Allem ist es deswegen heutzutage besser, man kann es schon ganz gut hinbekommen ein ganz normales Leben zu führen, so wie jeder andere arbeitende Mensch in anderen verantwortungsvollen Positionen auch. Es hängt wie überall natürlich auch vieles von den eigenen Prioritäten und Vorstellungen ab. Wenn man das Ziel hat zu habilitieren und Chefarzt einer Uniabteilung zu werden, dann wird es Essig sein mit Freizeit, selbiges wenn man einfach auf einer miesen Stelle sitzen bleibt und sich ausbeuten lässt..
Zum Thema Praxis: ich arbeite deutlich weniger in meiner Praxis wie im Krankenhaus, aber auch das hängt vom Fach, von der Praxisform, vom Praxisstandort und von den eigenen Prioritäten ab. Ich kann von meinem Geld für meine Verhältnisse sehr komfortabel leben und meine Familie auch. Als Praxisteilhaber oder -inhaber hat man deutlich mehr Gestaltungsmöglichkeiten wie als angestellter Klinikarzt.
Also: keine Sorge, das wird schon und letztlich hast Du es selber in der Hand welche Prioritäten Du setzt.

morgoth
03.07.2014, 16:55
Aus psychiatrischer Sicht würde mich ja auch noch interessieren, was unter "Suizidgedanken" verstanden wird. Da gibts ja auch ne erhebliche Spannbreite von ... bis ...

test
03.07.2014, 19:05
Insgesamt war diese Doku für meinen Geschmack viel zu reißerisch und schlecht recherchiert. Z.B. sollen seit Jahrhunderten Mediziner den hippokratischen Eid schwören ;-) Ich habe das nie getan und praktiziere auch gut ohne das je getan zu haben ;-) :-D

Einzig der angesprochene Punkt, dass es zu viele Krankenhäuser in D gibt und diese abgebaut werden müssen ist meiner Meinung nach richtig ;-)

Die Zahlen von Überforderung und Suizidgedanken kommt mir ebenfalls extrem übertrieben vor ;-)

EVT
03.07.2014, 19:07
Was ist eigentlich Visitendienst? Kommt man da echt nur fuer die Visite?

WackenDoc
03.07.2014, 19:13
Ja, solche Dienste gibt es. Hatten wir in meinem zweiten Haus.
Der Internist vom Dienst hat die Notaufnahme und die Notaufnahmestation an der Backe gehabt und es gab einen Extra Visitendienst incl. Oberarzt, der Assistenzarzt blieb dann meist so 2-4 Stunden.

Kackbratze
03.07.2014, 19:48
Visitendienst bedeutet "Station aufräumen". Wir machen das, weil der eigentliche Vordergrund von einer anderen Abteilung gestellt wird und wir deswegen am Wochenende denen unsere Station vom Leib halten.

Rico
03.07.2014, 20:19
Was ist eigentlich Visitendienst? Kommt man da echt nur fuer die Visite?Naja, mehr passiert ja am Wochenende nicht wirklich. Die Übernahmen von Notaufnahme und Intensiv muss man noch verstoffwechseln - und dann kann man um die Mittagszeit wieder abziehen.
Hat den Vorteil, dass es recht überschaubare Dienste sind - dafür ist dann das ganze Wochende für insgesamt ca. 8h Arbeit ruiniert...

Hoppla-Daisy
03.07.2014, 22:38
Wer es nicht gesehen hat, kann sich die Sendung in der ZDF Mediathek nochmal anschauen: http://www.zdf.de/ZDFmediathek/hauptnavigation/startseite#/beitrag/video/2185484/ZDFzoom:-Patienten-im-Abseits

Ich hab übrigens die ganze Zeit gedacht: Hey, reden die von unserer Klinik?

Wir Assis haben heute noch festgestellt, dass uns derzeit jegliche Lust am Leben mehr und mehr verloren geht. Und nein, das ist KEIN Scherz! Wir gehen vor die Hunde, und das mit Anlauf! Aber wir sind ebenso in diesem Hamsterrad gefangen und sehen derzeit keine wirklichen Lösungen für uns. Der wirtschaftliche Druck hat nun mal enorm zugenommen, und wird vor allem ungepuffert ans Personal weiter gegeben. Das kann wirklich niemand bestreiten. Und dann erzählt die Verwaltung "ja, wir wissen, wieviel ihr arbeitet, wir wissen das auch echt zu schätzen. Aber hey, die Zahlen könnten NOCH besser sein!!!" Welch ein Hohn :-(

Heute hab ich noch gesagt, dass es irgendwie verkehrte Welt sei. Normalerweise würden Ratten das sinkende Schiff verlassen. Wir hingegen harren schön aus und warten, was passiert. Ob der Kapitän evtl. doch vor uns die Segel streicht - in der Hoffnung, dass es DANN vielleicht wieder besser wird.

Sebastian1
03.07.2014, 23:16
Ich hatte schon mal erwähnt, dass du aus der Nummer raus musst, Daisy. Völlig unabhängig von allen anderen Sachzwängen ist deine Stelle, wenn nur die Hälfte von dem objektiv so ist wie du es subjektiv empfindest, inakzeptabel... mach was....

Colourful
04.07.2014, 05:38
Ich hatte schon mal erwähnt, dass du aus der Nummer raus musst, Daisy. Völlig unabhängig von allen anderen Sachzwängen ist deine Stelle, wenn nur die Hälfte von dem objektiv so ist wie du es subjektiv empfindest, inakzeptabel... mach was....
Ja. In der Tat.

Salatsultan
04.07.2014, 15:21
Fand die Doku - wie soviele Reportagen - sehr einseitig und es werden halt kaum mal valide Zahlen geliefert. Ich erinnere mich an die Aussage "70% sehen ihre Gesundheit durch die Arbeitsbelastung bedroht". Das klingt dramatisch, aber ist es das wirklich?
Wie definiert sich Gesundheitsbedroht und was für ne Zahl kriegt man wenn man Industriearbeiter, die Pflege oder Leute die 60-70Std Wochen in Agenturen kloppen befragt?
Klar man arbeitet am Patienten, doch das ist mir als Rechtfertigung manchmal zu schnell daher gesagt. Medizin wird auf dem Niveau nie ein einfacher 9to5 Job werden. Was ich in den bisherigen Jahren im Krankenhaus gelernt und beobachtet habe - wirklich gute Organisation findet sich nur selten, was da an Geld verbrannt wird wegen Planungsfehlern ...

Feuerblick
04.07.2014, 15:34
Wenn es nicht mehr schlechter werden kann und man dennoch in dem besagten Hamsterrad ausharrt, weil es ja woanders noch schlechter sein könnte - dann macht man, mit Verlaub, einen Denkfehler. Ausharren freut nur die Verwaltung, weil sie dämliche Schafe gefunden hat, die alles mit sich machen lassen :-nix
Ansonsten halte ich die genannten Zahlen für zu hoch gegriffen... Aber macht nix - besser das als der ständige "Ärzte arbeiten nix und verdienen sich ne goldene Nase"-Sermon. Ist doch prima, wenn die Welt Mitleid mit den Ärzten hat ;-)

Lava
04.07.2014, 16:43
"70% sehen ihre Gesundheit durch die Arbeitsbelastung bedroht"

Dass stimmt insofern, als dass ich mich schlecht ernähre (keine geregelten Mahlzeiten, schnell und im Stress essen), zu wenig trinke und zu wenig schlafe.

Hoppla-Daisy
04.07.2014, 17:25
Dass stimmt insofern, als dass ich mich schlecht ernähre (keine geregelten Mahlzeiten, schnell und im Stress essen), zu wenig trinke und zu wenig schlafe.
Wow, du isst und trinkst auf der Arbeit? Mein Urin ist dermaßen konzentriert abends..... und gegessen wird zuhause irgendwas (meist nix Gesundes, weil nur noch zu müde und keine Lust mehr, mich in die Küche zu stellen) oder aber was von Mäcces (weil der direkt gegenüber der Klinik ist).

Schlaf? Wird völlig überbewertet. Der ist längst nicht mehr normal.

WackenDoc
04.07.2014, 17:44
Und wie lange willst du das noch mitmachen?
Es gibt wirklich! woanders bessere Arbeitsbedingungen!

Von wegen keine Zeit zum Essen und trinken- spinnen die bei euch?

Hoppla-Daisy
04.07.2014, 17:53
Wir spüren jeden Tag, dass der Druck ungefiltert nach unten weitergegeben wird. Und ich WEISS, dass wir da nicht die einzigen sind!

So, und wenn man familiär gebunden ist, nimmt man eben NICHT jede Stelle in Pusemuckel an, wo man evtl. zwar früher und geregelter Feierabend hat, dafür aber mind. 2 Stunden pro Tag im Auto verbringt. Und aus eben den familiären Gründen gibt es eben auch keine Alternative weiter weg.

Solange man keine Kinder hat, kann man wirklich sehr leicht reden!

Kackbratze
04.07.2014, 17:57
Ich habe den Fachbereich gewechselt. Okay, ich hatte da den FA in der Tasche, aber trotzdem die Angebote der weiter weg liegenden Kliniken weggelegt und bin im Haus geblieben.

Ansonsten kenne ich das auch. Zusammen mit dem Mittag/Abendessen um ca. 23:00 am McDrive, damit wenigstens was in den Magen kommt. Zu Hause in der Küche noch werkeln war zu der Nachtzeit keine Option mehr.

Sebastian1
04.07.2014, 18:02
Ich frage mich halt, wie lange du das gesundheitlich und emotional durchstehst, seit geraumer Zeit hört man von dir von der Arbeit nur noch Dinge, wo sich mir die Fußnägel hochklappen. Und da du ja nun nicht grade in Nordschweden wohnst, gibt's ja auch ohne 2 Stunden Pendelei andere Kliniken. Und im Zweifelsfall auch Stellen in anderen Fachgebieten. Ich mein, es ist natürlich deine Sache, aber ich hab einfach Sorge, dass du unter diesen Umständen schlicht und ergreifend krank werden wirst.