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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Assi Stelle in der Chirurgie = Kein Privatleben?



lilapple
12.09.2014, 18:38
Hallo,

Ich habe im April Examen und ab Mai nächsten Jahres PJ und bereits jetzt beschäftigt mich die Frage, was ich mit meiner Approbation anfangen möchte, sehr intensiv.
Schon seit Beginn des Studiums bin ich der Arbeit im OP sehr zugeneigt. Mit den Händen arbeiten, generell das "direkte" Tätigwerden (im Gegensatz zur Inneren), das sind einfach Dinge die mir echt Freude machen. Inzwischen hatte ich verschiedene Nebenjobs als OP Assistenz (Orthopädie, ein bisschen Gyn und Allgemeine, Thorax- und derzeit Handchirurgie), was meine Begeisterung für dieses Fach nicht geschmälert hat.

Auf der anderen Seite bin ich 26 und mache mir natürlich so meine Gedanken über die nächsten Jahre und darüber, wie ich mir mein weiteres Leben so vorstelle.
Während des Studiums habe ich außerdem festgestellt, dass mir mein Privatleben mit Hobbys (insbesondere Sport) und mein soziales Umfeld (Freunde treffen etc.) sehr wichtig sind und mir psychisch auch sehr gut tun.

Wenn man hier so im Forum schmökert, stechen einem die doch recht harten Arbeitsbedingungen speziell in der Chirurgie ja schon ins Auge. 60 h Wochen, Dienste ohne Ende, auch am Wochenende.
Versteht mich nicht falsch, ich träume nicht ilusionischerweise von einem easy-peasy Leben mit viel Kohle und wenig Arbeit. Aber der Gedanke, mit Anfang 30 nur noch für die Arbeit zu leben macht mir derzeit Bauchschmerzen und auch ein bisschen Angst. Ich meine, es kann schon sein und ich kann es mir generell auch vorstellen, das mir ein Job so viel gibt, dass ich gerne bereit bin übermäßig viel an Zeit und Kraft zu investieren. Aber derzeit erscheint das komplette Streichen meines Privatlebens noch etwas unverhältnismäßig, selbst wenn es sich um meinen Traumjob handelt. Von einem eventuellen Kinderwunsch mal ganz zu schweigen, wann das bei berufstätigem Partner möglich sein soll, ist mir derzeit noch ein Rätsel, aber darum soll es hier mal nicht gehen.

Ich wollte nun mal in die Runde fragen, und es wäre sehr nett wenn sich insbesondere die Forenmitglieder aus den chirurgischen Fachrichtungen dazu äußern könnten, wie hierzu eure Erfahrungen sind.
Ist es nun mal eine Entscheidung - Privatleben oder Chirurgie - oder hat sich hieran etwas geändert, bzw kommt es auch auf das Haus an?

Noch zur Ergänzung: Welche chirurgische Disziplin mich am ehesten reizt, weiß ich derzeit noch nicht sicher, habe jedoch im jetzt kommenden Blockpraktikum + PJ noch Gelegenheit, mir Eindrücke zu verschaffen.
Derzeit interessiere ich mich sehr für die Plastische Chirurgie, gerade mit dem rekonstruktiven Bereich, aber auch die Handchirurgie halte ich für ein sehr schönes Fach. Generell interessiere ich mich sehr für eine Fachrichtung, die mir den eventuellen Klinikausstieg und das Einsteigen in eine Praxis nach Erlangen des Facharztes offen halten würde.

Für eure Erfahrungen danke ich euch herzlich im Voraus!

Lava
12.09.2014, 20:40
Wie immer gilt auch für diese Frage:

1.) Ist das hier schon an anderer Stelle mehrfach diskutiert worden

2.) Gibt es keine Pauschalantwort, weil jede Klinik verschieden ist

3.) Musst du es wohl selbst herausfinden, wenn du es wirklich wissen willst.

Ich habe im PJ noch gedacht, dass mir 60 Stunden oder mehr völlig egal sind, solange ich nur meinen Traumjob - Unfallchirurgie - machen kann und dass ich nachts um 2 genauso gern in den OP gehe wie morgens um 10. Mittlerweile ist mir mein Privatleben doch sehr viel wichtiger geworden. Meine derzeitige Stelle ist eigentlich recht human: man kommt häufig pünktlich raus, macht eigentlich selten mehr als anderthalb Überstunden (die sind allerdings leider regelmäßig erforderlich weil die Chefvisite bei uns so spät anfängt) und hat im Schnitt 3 bis 5 Dienste im Monat. Trotzdem: man macht 24h Dienste, man arbeitet an Wochenenden und an Feiertagen. Das ist einfach so und auch wenns weniger ist als anderswo, schränkt einen das bei der Freizeitplanung ein. Sich mit Freunden abzusprechen kann schwierig sein. Umso mehr, wenn die Freunde ebenfalls an Feiertagen und Wochenenden arbeiten. Das gilt allerdings nicht nur in der Chirurgie sondern in den meisten Fachrichtungen.

Weiterbilder in plastischer Chirurgie sind natürlich sehr viel rarer als Unfall- oder Visceralchirurgie. Dementsprechend würde ich schätzen, dass dort der Druck und das Ellenbogenverhalten höher ist.
Handchirurgie ist eine 3 jährige Weiterbildung, die sich an den Facharzt anschließt. Ein Jahr kann man sich vom Facharzt anrechnen lassen. Bis du Handchirurg bist, vergehen also mindestens 8 Jahren. ;-)

lilapple
14.09.2014, 09:13
Danke für deine Antwort. Speziell diskutiert für die chirurgische Fachrichtung hab ich es eben noch nicht gefunden.
Und hab die Antwort schon erwartet, natürlich muss man letztendlich seine eigenen Erfahrungen machen, aber ich bin generell ein sehr planungswütiger und tendenziell ungeduldiger Mensch und informiere mich halt gerne im Rahmen der Möglichkeiten vorab.
Ich hab einfach Angst eine Entscheidung zu treffen / einen Weg einzuschlagen, mit dem ich letztendlich unglücklich werde. Vielleicht ist das etwas idealistisch, aber ich bin derzeit schon noch der Meinung, das man nach einer dermaßen langen Ausbildung doch die Möglichkeit haben sollte, mit seinem Beruf glücklich zu werden..
Wie die Weiterbildung zum Handchirurgen läuft, weiß ich bereits, bis das zur Debatte stünde, müsste ich ohnehin erst den FA Plastische oder Unfallchirurgie machen, ist also noch irre weit weg.
Über weitere Erfahrungsberichte würde ich mich dennoch sehr freuen, genial wäre natürlich, wenn ein Assistenzarzt aus Würzburg sich hier im Forum tümmeln würde, aber ich denke da ist die Wahrscheinlichkeit dann doch recht gering ;)

Feuerblick
14.09.2014, 09:25
Weil es bei Berufsanfängern und solchen, die es in naher Zukunft sein werden, gerne vergessen wird: Du bist mit deiner Entscheidung für eine Fachrichtung nicht auf Lebenszeit "verheiratet". Ich würde immer zuerst die Fachrichtung ausprobieren, die mir am besten gefällt. Wenn es dann nicht das ist, was ich mir vorgestellt habe... kein Problem: Fachrichtungswechsel. Das ist allemal besser als verzagt darauf zu warten, dass der perfekte Job im perfekten Fach vorbeikommt oder sich zu Tode zu planen. Und nein, potentielle Chefs haben in der Regel kein Problem damit, dass der/die Bewerber/in schon in einem anderen Fach Erfahrungen gesammelt hat. Da außerdem die Gehaltsstufe normalerweise in den meisten Tarifverträgen nicht über die Zeiten berechnet wird, die man im jeweiligen Fach verbracht hat (auch wenn die Verwaltungen das gerne mal so auslegen) sondern aufgrund der seit der Approbation insgesamt gearbeiteten Zeit festgelegt wird, macht es auch beim Gehalt nichts aus. :-)

anignu
14.09.2014, 21:37
Erstmal ein Plädoyer die Chirurgie zumindest auszuprobieren:

Ganz ehrlich: ein Alter von 26 ist doch super. Manche fangen erst mit 30 oder noch älter überhaupt erst an sich für eine Fachrichtung zu entscheiden.
Und Chirurgie kannst du auch immer brauchen. Was lernst du denn am Anfang? Egal ob Unfall oder Visci oder sonstwas. Du lernst am Anfang die Basics. Und wenn du mal Thoraxdrainagen gelegt hast, Fäden entfernt, Redons gezogen, Wunden beurteilt, Abszesse gespalten, kleinere Eingriffe selbst gemacht usw. Dann hilft dir das doch wenn alles schief läuft immer noch weiter.
Stell dir vor du wechselst die Seiten und wirst Anästhesist. Dann ist es sinnvoll zu wissen was die Chirurgen so treiben, damit wirst du auch als Anästhesist besser...
Oder als Internist, praktisch wenn du die kleineren chirurgischen Sachn selbst mahcen kannst. Als Hausarzt sowieso.

In der jetzigen Zeit der immer stärkeren Spezialisierung hilft einem so ein Zusatzwissen doch immer weiter.

Und auf der anderen Seite muss ich sagen: Chirurgie ist genial. Ich würde nie was anderes machen wollen.

Ich war bisher in 3 Häusern und kann berichten dass ich nie 60h pro Woche gearbeitet hab, außer wenn mal mehrere Dienste zusammenkommen. Die Regel sind 0-2 Stunden mehr pro Tag. Je nachdem. Überstunden durfte ich in allen Häusern abfeiern -> mehr freie Tage. Wochenenden sind halt 0-2, im ersten Haus eines, im zweiten Haus null bis 1, jetzt eigentlich immer eines selten zwei.
Ich hab natürlich auch Nachtdienste. Bei den Chirurgen heißt das an Tag 1 um 15:30 kommen und an Tag 2 um 8:45 gehen. Wiederkommen am Tag 3. Schlafen sind so 3-6h pro Nacht. Die Internisten hingegen haben ein Dreischicht-System und können nicht schlafen. Das würde ich nicht haben wollen. Da bin ich lieber Chirurg und hab die besseren Arbeitszeiten. Bei den Internisten müssen immer 2 von 3 Leuten in beschissenen Schichten arbeiten. Nachmittags von 2-11 oder nachts von 10 bis 8. Damit kann man die Freizeit doch auch knicken.
Mit unserem System hat man auch mal halbverlängerte Wochenenden. Also bis Montag 15:30 oder ab Donnerstag 8:45. Auch schön.

Rico
15.09.2014, 07:28
Die Internisten hingegen haben ein Dreischicht-System und können nicht schlafen. Das würde ich nicht haben wollen. Da bin ich lieber Chirurg und hab die besseren Arbeitszeiten. Bei den Internisten müssen immer 2 von 3 Leuten in beschissenen Schichten arbeiten.Vorsicht, da ist ein Denkfehler drin, die Schichten sind ja personell nicht gleich besetzt, Du hast ja nicht spät und nachts jeweils ein Drittel der Belegschaft im Haus (außer es ist eine winzige Abteilung mit drei Ärzten).
Bei uns sind beispielsweise 3-4 Leute im Frühdienst, zwei im Spätdienst, einer im Nachtdienst und 1-2 im frei.
Es ist also eher umgekehrt, dass 5 von 8 nicht in der Spät-/Nachtschicht sind.

lilapple
15.09.2014, 10:02
Vielen Dank, eure Beiträge machen Mut. Ich möchte auch nicht eine Fachrichtung, für die ich derzeit wirklich ein sehr großes Interesse habe, schon kategorisch ausschließen, weil die Rahmenbedingungen angeblich miserabel sind.

Und @Feuerblick: Danke dir, das ist tatsächlich ein Aspekt, den man als Student nicht so auf dem Schirm hat. Ich habe schon so das Gefühl, ich müsste mich direkt richtig entscheiden, um keine Zeit zu verlieren. Aber da hast du wahrscheinlich recht, die Angst ist hier vermutlich unbegründet.

Ich habe das Gefühl, das ich mir wirklich gut überlegen muss, wo ich mein PJ absolviere. Denn über die Arbeitsbedingungen (Überstunden, Schichtsysteme etc.) bekommt man vermutlich in der Zeit am ehesten einen tieferen Einblick. Ich denke wenn man auf Stellensuche mal ein paar Tage in einer Klinik hospitiert, ist es doch eher schwieriger die gesamte Bandbreite zu erfassen oder?
Außer vielleicht man kommt mit sehr ehrlichen dort beschäftigten Assistenten ins Gespräch..

LasseReinböng
15.09.2014, 10:50
Man ist erst hinterher schlauer....in Bezug auf die Fachrichtung, die Klinik, die Arbeitsbedingungen, einfach alles. Und als PJler kriegt man die Realität des Arbeitsalltags auch nur bedingt mit, also nicht verrückt machen lassen...man kann nicht alles perfekt vorausplanen.

Kackbratze
15.09.2014, 11:16
Das was ich als PJ gesehen habe und wie dann die eigentliche Arbeit als Arzt aussah hat sich gewaltig unterschieden.
Das PJ ist als Einblick in den Fachbereich geeignet, als Einblick in den Klinikalltag ist es IMHO ungenügend.

Pampelmuse
15.09.2014, 13:36
Ich finde den Thread auch interessant, da ich immer noch unentschlossen bin. Habe jetzt zu "allem Übel" auch noch eine Aufforderung eines OAs in meinem Nebenjob bekommen, mich doch bitte zu bewerben... Damit wäre das Thema Freizeit dann auf jeden Fall vorbei... :-blush

anignu
15.09.2014, 17:20
Vorsicht, da ist ein Denkfehler drin, die Schichten sind ja personell nicht gleich besetzt, Du hast ja nicht spät und nachts jeweils ein Drittel der Belegschaft im Haus (außer es ist eine winzige Abteilung mit drei Ärzten).
Bei uns sind beispielsweise 3-4 Leute im Frühdienst, zwei im Spätdienst, einer im Nachtdienst und 1-2 im frei.
Es ist also eher umgekehrt, dass 5 von 8 nicht in der Spät-/Nachtschicht sind.
Ich hab das schon so gemeint wie geschrieben. Mir ist schon bewusst, dass insgesamt viele Leute auch normale "Frühdienste" haben. Aber wenn ich schon was anderes hab, dann davon bitte möglichst wenig und möglichst gut. So wars gemeint.

Bei uns ist es so dass zu 7 Frühdienstler noch 2 Diensthabende kommen. Man hat damit so ungefähr ein Viertel des Monats Dienst. Aber 1 Woche Dienst heißt halt z.B. Sa Tag und dann So-Di-Do Nacht. Den Rest hat man halt getrost mal frei. Also von Mo 9 Uhr bis Dienstag 15:30 z.B... Und man kann sich auch andere Tage raussuchen, ich finds so halt ganz praktisch. Die Internisten machen richtig Dienstwochen. Also z.B. eine Woche lang Spätdienst oder Nachtdienst. Würd ich nicht haben wollen.

LasseReinböng
15.09.2014, 19:15
Die Internisten machen richtig Dienstwochen. Also z.B. eine Woche lang Spätdienst oder Nachtdienst. Würd ich nicht haben wollen.


Das ist aber nicht fachspezifisch / nicht an jeder Klinik so und insofern nicht wirklich relevant.

NETTL
16.09.2014, 14:30
Das wichtigste ist wirklich, Dich nicht schon vorher von einem Fach abschrecken zu lassen, ohne es probiert zu haben.

Ich kann Dir ja mal kurz meine "Geschichte" anreißen:
Ich habe nach der Approbation (auch mit 26) in der Inneren angefangen, obwohl ich Unfallchirurgie immer besser fand. Habe aber gedacht, ich schaffe das nicht. Nach einem dreiviertel Jahr habe ich mich dann entschlossen, die Fachrichtung zu wechseln und habe es dann doch gewagt. War überhaupt kein Problem, sogar im selben Haus. Und soll ich Dir was sagen: Ich bin glücklich damit. Bin jetzt seit insgesamt 5 Jahren dabei. Habe mittlerweile auch 2 Kinder bekommen und bin auch zwischen den Kindern wieder Vollzeit arbeiten gegangen - werde das auch nach der Elternzeit des zweiten weiter tun. Und das auch mit einem voll arbeitenden Partner. Und wenn es mir zu viel wird - dann gehe ich eben Teilzeit. :-nix
Es kommt auch immer aufs Haus an: Auf 60 h komme ich nicht, meist gehen wir relativ pünktlich nach Hause. Klar gibt es mal den ein oder anderen Tag, wo man auch mal 1,5 oder 2 h länger da ist, aber das ist nicht die Regel und das betrifft dann auch nicht alle Kollegen, sondern immer mal ein paar. Dienste haben wir auch so 4 - 5 im Monat (24 h), das gehört nun mal dazu. Und mit ein bißchen Organisationstalent und lieben Großeltern ist das auch kein Problem. :-)

Also, lass Dich nicht von vornherein abschrecken. Probiere die Fachrichtung, die Du gerne machen möchtest. Wechseln kannst Du immer noch. Und zumindest an unserem Haus arbeiten die Internisten, Neurologen oder Gynies... nicht weniger oder mehr wie die Chirurgen.

Fr.Pelz
16.09.2014, 16:13
Zu dem was hier schon gesagt wurde, möchte ich noch etwas Ketzerisches hinzufügen: Wenn man im richtigen Fach, im richtigen Haus ist, macht Arbeiten Spaß. Wenn einem dann noch etwas zugetraut wird und man gut gefördert wird, beklagt man sich auch nicht über die ein- oder andere Überstunde.
(Damit will ich nicht sagen, das man sich mit Überstunden Weiterbildung "verdienen" müsste!) Das war nur ein Aspekt, der mir z.B im Studium nicht klar war, ich hatte auch immer Angst vor der großen Arbeitsbelastung. Das hat sich dann verflüchtigt, als ich angefangen habe zu arbeiten (Chirurgie). Wie es nach der Elternzeit sein wird, kann ich noch nicht sagen.

lilapple
17.09.2014, 11:48
Vielen Dank für eure persönlichen Erfahrungen! :) Genau solche Berichte sind goldwert und geben mir die Motivation, nicht gleich alles in Bezug auf die Chirurgie über den Haufen zu werfen. Letztendlich wird es wohl wirklich auf das Haus im speziellen ankommen und auf meine eigenen Erfahrungen, und bis die eintreten muss ich mich nun mal noch etwas gedulden ;-) Hab auf jeden Fall jetzt etwas Hoffung getankt, denn ich hatte mir die Sache mit dem Wechsel auch etwas schwieriger vorgestellt, als sie dem Anschein nach ist.