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ycr83
15.09.2014, 21:26
So, ich versuche euch jetzt auch mal ein Fallbeispiel vorzustellen, das ich in einer Famulatur als NEF-Mitfahrer erlebt habe. Eins vorweg: Die genaue endgültige Diagnose kenne ich selbst nicht, weiß aber von einigen Sachen, die in der Klinik ausgeschlossen worden sind, sodass ich euch zumindest die erzählen kann.

Es ist später Nachmittag, kurz vor Ende der Schicht an einem schönen Frühlingstag in einer westdeutschen Großstadt. Ihr seid in einem großen Krankenhaus, an dem auch das NEF steht und werdet vom Rettungsdienst in eine Wohnung ca. 500m entfernt nachgefordert, Stichwort "Bewusstseinsstörung". Nach 2 Minuten habt ihr das Wohnhaus in einer Seitenstraße erreicht.

Dann mal los.

*milkakuh*
15.09.2014, 21:37
Na dann mal los! Wir verschaffen uns erstmal einen Überblick. Wo befindet sich unser Patient? Ist er aktuell bei Bewusstsein? Da schon ein RTW da ist lassen wir uns eine kurze Übergabe und die aktuellen Vitalwerte geben: Puls, RR, Sättigung. Welche Maßnahmen wurden bisher durchgeführt?

ycr83
15.09.2014, 21:47
Ihr erreicht die Wohnung im 1. OG über eine seltsame enge Treppe aus dem Garten. Die Patientin (ihr schätzt sie auf rund 70) ist etwas adipös und sitzt zurückgelehnt in einem Sessel im Wohnzimmer. Euch fällt sofort das "laute und deutliche" Atemgeräusch auf. Bei Bewusstsein scheint sie nicht zu sein, die Augen sind geschlossen. Im Raum anwesend ist ihre Tochter, die den RD gerufen hat und zwei weitere Personen in ca. ihrem Alter, die ihr nicht zuordnen könnt.
Die RTW-Besatzung sagt euch, dass sie die Frau exakt so vorgefunden haben und euch sofort nachgefordert haben. In der Zwischenzeit haben sie Monitoring drangebaut und Sauerstoff über Maske gegeben. RR und Puls sind unauffällig bei 110/70 und ca. 75, die Sättigung mit 4l O2 liegt bei 97%, wie sie vorher war kann euch der RetAss nicht sagen.

Sebastian1
16.09.2014, 00:40
Gut, in diesem Fall würde ich gerne die Umstände etwas genauer erfragen: Wann zuletzt normal gesehen (vorher gesund gewesen oder schon schwer pflegebedürftig oder irgendwas dazwischen?), wie genau "jetzt gefunden", also wie lang ist das her, hat sich seither was verändert, wann wurde die 112 dann gerufen (da hört man immer wieder komische Geschichten).

Was heisst hier "komisches Atemgeräusch"? Partielle Atemwegsverlegung oder pathologisches AG bzw pathologische Atemmechanik? Bitte etwas genauer beschreiben, was wir da sehen. Luft scheint ja genug anzukommen.
Fürs erste hätte ich gern noch einen Zugang nebst BZ-Messung, körperliche Untersuchung der Patientin, Pupillenstatus, Reaktion auf Ansprache und Schmerzreize?

ycr83
16.09.2014, 08:34
Ok: Die Tochter erzählt euch, dass das hier so eine Art "Demenz-WG" sei, deswegen sind die anderen beiden, die da sind, auch nicht so ganz auf der Höhe. Ihre Mutter sei zwar auch etwas dement, aber sonst noch sehr gut beieinander und versorge sich auch größtenteils selbst. Die Mitbewohner hätten die Tochter vor ca. einer Stunde angerufen, dass es der Mutter "nicht gut gehe". Sie sei daraufhin direkt gekommen, wohnt aber weiter weg und sei erst vor ca. 15 Minuten angekommen. Auffindesituation sei identisch mit der aktuellen gewesen, sie hat dann direkt die 112 angerufen.

Ja, das AG ist wirklich schwer zu beschreiben, passt nicht so recht zu einem der bekannten pathologischen Muster. Noch am ehesten ein Giemen, aber auch die Inspiration scheint erschwert, Atemhilfsmuskulatur scheint voll beschäftigt zu sein, sofern man es durch die Kleidung beurteilen kann. Eine Auskultation bringt euch da auch keine neuen Erkenntnisse.

Auf Ansprache null Reaktion, auf wirklich heftigen Schmerzreiz minimales Stöhnen. Pupillen mittelweit, reagieren prompt, seitengleich. Einen Zugang hat der RA leider verstochen, für einen BZ reicht es aber - rund 100 mg/dl. Herz klingt gut, als ihr auf die Lunge hören wollt und die Dame dafür nach vorne lehnt, fällt euch der Kopf unkontrolliert nach unten mit dem Kinn auf die Brust.

*milkakuh*
16.09.2014, 09:08
Atmet unsere Patientin noch nachdem wir den Kopf wieder aufgerichtet haben?
Können wir mal in den Mund schauen, ob vielleicht irgendetwas die Atemwege verlägt?

Dann befragen wir doch bitte nochmal die Tochter: Welche Vorerkrankungen hat unsere Patientin und welche Medikamente nimmt sie regelmäßig ein?

Gibt es Anzeichen auf einen Apoplex? Hat die Dame sich eingestuhlt/eingenässt? Facialesparese? Oder gibt es Hinweise auf einen vorausgegangenen Sturz? Irgendwelche Wunden oder sonstiger Auffälligkeiten? Wie ist denn der Hauttugor?

Wenn unsere Patientin weiter bei akzeptabler Sättigung unter Sauerstoff atmet würde ich vorschlagen, dass wir die Trage holen lassen, sie dort drauf legen und ihr nen Guedeltubus verpassen. Während RA und RS die Trage holen legen wir einen neuen großlumigen Zugang. Btw: Kommen wir mit Trage und Patientin überhaupt durchs Treppenhaus oder müssen wir die Feuerwehr nachalarmieren?

Edit: Hmm vielleicht doch nicht die beste Idee sie jetzt flacher hinzulegen. Aber irgendwie kommen wir ja gerade nicht weiter.

ycr83
16.09.2014, 09:41
Jo, Patientin atmet immer noch, hat auch nie aufgehört. Eine Atemwegsverlegung scheint keine schlechte Idee zu sein, aber sehen können wir nichts. An Vorerkrankungen sind Diabetes und ein Hypertonus bekannt, Medikamente (irgendwelche Antihypertensiva und OAD) werden vom Pflegedienst gerichtet, der auch die Einnahme überwacht.
Apoplex ist die nächste gute Idee: Eingenässt oder eingestuhlt hat sie sich nicht, gestürzt ist sie auch nicht. Facialisparese... tjoa, kaum zu beurteilen. Der abgestürzte Kopf spricht aber für eine generelle schlaffe Lähmung der Muskulatur. Hautturgor war unauffällig.

An dieser Stelle sind wir auch zu dem Schluss gekommen, dass wir sie jetzt am besten ins Auto verfrachten, bloß können wir die Trage bei der engen, mit Gerümpel zugestellten Treppe vergessen. Allerdings holt der RA ein Bergetuch und quittiert den skeptischen Blick des NA mit einem "klappt schon!" Auf einen Güdel und einen neuen Zugang haben wir bei unveränderten Atemverhältnissen und stabilem Kreislauf zunächst verzichtet.

Wollt ihr noch was in der Wohnung machen, oder Bergetuch ausbreiten, Patientin drauf und dann versuchen, aus der Wohnung rauszukommen?

Sebastian1
16.09.2014, 10:15
Keine wirkliche Reaktion auf SR, keine motorische Antwort, kein Augenöffnen - GCS 3. Ich bin ja ein Freund des Zuwartens, aber hier sollte man das Vorhandensein funktionierender Schutzreflexe ernsthaft anzweifeln. Bei dem beschriebenen Treppenhaus hat sie satt aspiriert, bis wir im Wagen sind, wenn sie auf dem Bergetuch das Kotzen anfängt, "klappt schon" finde ich da keinen guten Ansatz.
Langer Rede, kurzer Sinn würde ich diese Patientin mit den gegebenen Daten schutzintubieren - in der Wohnung, vor dem Transport. Ich hätte bei dem beschriebenen Atemmuster neben der Absaugung gern auch eine Magillzange bereitliegen.
Ein Versuch könnte noch sein, sehr, sehr vorsichtig mit dem Laryngoskop zu inspizieren (ohne Würgereize auszulösen), um ggfs einen tiefer liegenden FK zu sehen.
Eine relevante AW-Verlegung geht aber in der Regel nicht mit einer SpO2 >95% einher und das Atemmuster wäre dann auch als typisch paradoxe Atmung zu erwarten.

Im Hinterkopf - grade bei ITN - sollte man auch das vorliegen eines Pneus haben (den muss man ja nicht immer sicher auskultieren können), den man dann schön mit Überdruck zum Spannungspneu aufbläht.
Und wenn das Treppenhaus so eng ist und wir da gleich mit einer intubierten Patientin mit BErgetuch durchmüssen, dann kann die Leitstelle mal noch Tragehilfe vorbeischicken, wir brauchen ja eh noch ein wenig.

ycr83
16.09.2014, 10:59
Was Sebastian sagt, stand zur Debatte.
Nach kurzer Beratung haben wir uns allerdings dafür entschieden, die Frau so wie sie ist die Treppe runterzuhieven, um uns nicht auch noch mit dem Gerödel für eine ITN durch die Wohnung zu kämpfen und dann im RTW weiter zu versorgen. Während die beiden Mitbewohner den Weg etwas freiräumen, bereitet die RTW-Besatzung das Bergetuch vor. Zusätzliche Tragehilfe? Naja, 3 Leute vom RTW, auf dem NEF der NA, der Fahrer und ich - noch mehr könnte man bei den räumlichen Verhältnissen nicht sinnvoll einsetzen.

Okay, das Tuch liegt auf dem Boden, die Frau kommt drauf und wird festgeschnallt - dabei zeigt sich deutlich der völlige Tonusverlust in allen Extremitäten. Der Famulant hat das Pech, gerade am Kopf zu stehen und wird daher zum Kommandogeber ernannt. Na dann - eins, zwei, hoch! Uuuund Traaaage marsch! Mit ein paar Verrenkungen und kräftigen Armen bewältigen wir die Treppe relativ problemlos und sind jetzt schon im RTW. Patientin liegt vor euch, Monitor und Sauerstoff werden wieder im RTW eingebaut. Und nun?

gnuff
16.09.2014, 11:48
Patientin liegt vor euch, Monitor und Sauerstoff werden wieder im RTW eingebaut. Und nun?

Naja, ich schliesse mich Sebastian an und hätte sie schon oben intubiert... da das jetzt vermutlich immer noch nicht passiert gibt es ausser Anmeldung in einem KH mit mindestens CT, besser mit NCH nicht mehr so richtig viel zu tun...

ycr83
16.09.2014, 12:29
Achja, ein Nachtrag: Beim Umlagern rutscht der verstochene Zugang, der noch in der Hand hing, raus und es blutet. Ihr drückt drauf, aber es will irgendwie nicht recht aufhören, sodass ihr einen Druckverband bastelt. Da euch das komisch vorkommt, fragt ihr nochmal die Tochter, ob sie wirklich nur OAD und Antihypertensive nimmt. "Oh, jetzt wo sie fragen - Marcumar nimmt sie auch noch". Warum, kann euch die Tochter allerdings nicht sagen.

Okay, Anmeldung in unserem Heimatkrankenhaus (großes städtisches Haus mit internistischem Schockraum und Neurologie, alledrings ohne NCH) ist raus, Schockraum steht bereit. Zustand der Pat. ist immer noch unverändert. Möchte jemand etwas machen? Intubieren?

Sebastian1
16.09.2014, 12:36
Die Patientin liegt nicht zufällig grade noch bei uns, oder? :-)) Die Geschichte kommt mir bekannt vor.

Davon mal abgesehen: Das mit dem intubieren finde ich durchaus nochmal betrachtenswert. Klar kann das gutgehen, die Patientin so runterzutragen. Aber im worst case kotzt sie nach der Manipulation (so unwahrscheinlich ist das nicht), ihr steht mit allen verfühbaren Leuten im Treppenhaus mit dem Bergetuch in den Händen und kommt dann mächtig ins Schwitzen, weil die Patientin dann aspiriert, keine Intubatins vorbereitet ist und weder Material noch Raum da ist, um abzusaugen und zu beatmen. Wenn man richtig schnell ist, dann ist man innerhalb von 2 Minuten im RTW und soweit, dass man mit Atemwegssicherung anfangen kann, kann aber auch länger dauern. Bei der beschriebenen Patientin ist die bis dahin blitzeblau.

Wenn alles gut geht, ist das schön, wenn aber nicht, dann muss man sich zu Recht fragen lassen, warum man nicht anders gehandelt hat.

Und wenn ich die Patientin beatme, dann will ich auch Monitoring dranhaben und Absaugung betriebsbereit in der Nähe. Das h eisst, zur Patientin müssen wir auch noch das ganze Equipment patientennah schleppen. Und dafür hätte ich dann Tragehilfe angefordert.

Heerestorte
16.09.2014, 13:02
Doofe Frage:
Hätte man wahlweise auch einen Tragestuhl nehmen können um die Patientin zu transportieren?
Oder hätte da der Platz nicht gereicht im Treppenhaus?
Wir haben das bei uns auch schon ab und zu gemacht und dann halt die Patienten im RTW vom Tragestuhl auf die Trage umgelagert.

Sebastian1
16.09.2014, 13:33
Das ist bei bewusstlosen keine realistische Option.jemand sollte dann schon in der Lage sein, selbst zu sitzen.

gnuff
16.09.2014, 13:40
Die Frage ist doch, warum verzichtet man auf die Intubation? Zeitvorteil? Kaum, das Risiko des Erbrechens mit anschliessender Aspiration ist zu hoch, darüberhinaus profitiert ein Patient mit erhöhtem ICP (hier nicht unwahrscheinlich) von einer kontrollierten Beatmung. Wo genau man die Grenze für eine Intubation zieht ist sicherlich diskutabel, dass man diese Grenze bei GCS 3 schon eine Weile passiert hat, darüber dürften wir uns einig sein, oder?

Heerestorte
16.09.2014, 14:01
Das ist bei bewusstlosen keine realistische Option.jemand sollte dann schon in der Lage sein, selbst zu sitzen.

Stimmt, ohne Tonus wäre die Patientin ja einfach nach vorne zusammengesackt beim Tragen.

ycr83
16.09.2014, 14:08
Sebastian, ich sage mal so, es ist gut möglich, dass dir diese Geschichte schonmal von wem anders erzählt worden ist ;). Wenn sie immer noch bei euch läge, würde mich das arg wundern, der Fall war Ende März 2013...

Die Idee mit der Intubation in der Wohnung wurde wieder verworfen, da wir, wenn ich mich recht entsinne, davon ausgegangen sind, dass wir im RTW mit weiteren Maßnahmen die Atmung verbessern könnten und sie dann schon wieder aufklaren würde. Weiterhin wollten wir um den Schnorchel nach Möglichkeit ganz herumkommen, da wir in zwei Minuten im Schockraum sein könnten. Dass man das durchaus hätte anders entscheiden können, ist mir jetzt klargeworden.

Jetzt sind wir aber mit der komatösen Patientin mit stabilem Kreislauf und lautem giemend-pfeifendem AG im RTW, sie bekommt weiterhin Sauerstoff und liegt am Monitor. Welche Maßnahmen ergreifen wir jetzt?

Heerestorte
16.09.2014, 14:53
Tritt das AG bei Inspiration & Exspiration auf ?

Ganz doofe Idee, weil ich es nicht genau weiß:
Könnte auch ein Bienen/Wespenstich etc., welcher in den Hals erfolgte, die Ursache sein?
Oder würde sich das anders anhören? Quasi ein wenig in Richtung anaphylaktischer Schock?
Gibt es Anzeichen einer Schwellung am Hals? Stiche zu sehen? Oder überhaupt am Körper?
Was zeigt der body check?
Wobei....bei der Auskultation war ja nichts ungewöhnliches, was auf Bronchospasmus hindeuten
könnte, zu hören?

Evil
16.09.2014, 15:13
Und wenn ich die Patientin beatme, dann will ich auch Monitoring dranhaben und Absaugung betriebsbereit in der Nähe. Das h eisst, zur Patientin müssen wir auch noch das ganze Equipment patientennah schleppen. Und dafür hätte ich dann Tragehilfe angefordert.
Hmm, das halte ich für den Knackpunkt. Grundsätzlich ist eine ITN eindeutig indiziert, wenn das Treppenhaus aber wirklich so eng ist, bekommt man einen Patienten auf Trage und mit Medumat + Monitoring da nicht durch, das kannste vergessen. Noch mehr Träger stehen sich nur gegenseitig auf den Füßen.
D.h. wenn schon Tragehilfe anfordern, dann mit Drehleiter.

Oder eben doch mit Bergetuch, dann würde ich aber zumindest eine Atemwegsverlegung durch eine schlaffe Zunge mit einem Wendel verhindern wollen.

Letztendlich fürchte ich aber, daß in diesem Fall eine stammnahe Hirnblutung vorliegt, wahrscheinlich bei INR > 9 oder so. Das hatte ich schon mehrfach, die sahen alle so aus, nur daß sie sich noch die Seele aus dem Leib gekotzt haben... :-?

ycr83
16.09.2014, 15:47
Die AW-Verlegung durch eine schlaffe Zunge verhindert man doch eher mit einem Güdel als mit einem Wendel, oder?

Zu den Fragen von Heerestorte: Nein, direkt Anzeichen einer Anaphylaxie gibt es nicht. Bronchospasmus ist aber durchaus eine Überlegung wert - das Atemgeräusch ist zwar kein reines asthmatisches Giemen, hat aber definitiv eine solche Komponente dabei.

Zunächst wollen wir aber der möglichen Aspiration nachgehen, stecken den dicksten Schlauch an den Sauger, stellen diesen auf volles Rohr und halten ihn in den Rachen. Tatsächlich kommt viel zähes Sekret mit Krümeln und Brocken darin heraus, was euch hoffnungsvoll stimmt. Als ihr euch aber zurückzieht, weil im Rachen nichts mehr zu holen ist, stellt ihr fest, dass die Sättigung jetzt zwar stabil bei 100% ist - an der Atmung hat sich jedoch nichts getan.