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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Bewusstlosigkeit - echt oder simuliert?



Gummiente
02.11.2014, 22:30
Hallo miteinander!

Mich plagt seit geraumer Zeit die Frage, woran man eine simulierte Bewusstlosigkeit sicher erkennen kann.
Es heißt zwar, dass ein Simulant bei einem ordentlichen Schmerzreiz aufschreien oder sich sonst wie zu erkennen geben wird, aber ist dies tatsächlich der Fall?

Anlass ist, dass ich im Sanitätsdienst tätig bin und wir so einen Fall Samstagabend auf einer Kirmes hatten.

Wir wurden von einigen Kirmesbesuchern zu einem "ohnmächtigen Mann" (31) gerufen, seine Freunde hatten gesehen wie er urplötzlich in sich zusammengebrochen ist und an einer Budenwand zu Boden gerutscht ist und liegen blieb. Vorerkrankungen oder Alkohol zu sich genommen hatte er nicht. Es waren keine Verletzungszeichen zu sehen.

Auf Ansprache und Rütteln unsererseits kam keine Reaktion, auch mehrere kräftige Schmerzreize in Form von Sternumrubbeln, Kneifen ins Nasenseptum und Haut blieben ohne Reaktion.
Wir funkten den RTW vor Ort an und die Besatzung stellte normale Vitalzeichen fest, normalweite Pupillen die auf Lichteinfall reagierten. Was allerdings der RTW-Besatzung merkwürdig erschien war, dass die Pupillen die Lampe fixierten, sprich die Augen sich minimal bewegten.
GCS war summa summarum bei 3.
Die Kollegen vom RTW riefen sich dann noch das NEF zur Hilfe.
Auch der NA versuchte es mit kräftigen Schmerzreizen und Ansprache, weiterhin erfolglos.
Daraufhin wurden zwei grüne Braunülen gelegt und eine Infusion gegeben.
Der Notarzt wusste auch nicht, was die Bewusstlosigkeit herbeiführte, sodass er sich kurzerhand mit der lauten Ansage: "So jetzt kriegt der aber nen Schlauch in die Luftröhre" zur endotrachealen Intubation entschloss.
Nachdem die Medikamente verabreicht wurden, wurde problemlos intubiert und der Patient unter Inanspruchnahme von Sonderrechten mit der Verdachtsdiagnose "Bewusstlosigkeit unklarer Genese" ins Kh gebracht.

Was jetzt tatsächlich mit dem jungen Mann los war, konnte ich nicht herausfinden.

Was denkt ihr, wäre in diesem Fallbeispiel eine Simulation auch denkbar?
Oder glaubt ihr, dass ein Simulant sich spätestens nach den Worten "Schlauch in die Luftröhre" zu erkennen geben würde?

Vielen Dank schonmal!

LG Gummiente

P.S: verzeiht mir meine mangelnde Fachkompetenz, ich bin nur SAN ;)

WackenDoc
02.11.2014, 22:46
Simuliert oder nicht ist bei einer Bewusstlosigkeit zu einfach gedacht.
So sollte man zwischen echtem Simulieren (eher selten) und Dissoziation (kommt schon mal vor) unterscheiden. Letzteres ist so gut wie gar nicht von einer ich nenn´s jetzt mal somatischen Bewusstlosigkeit zu unterscheiden.

Bei Simulanten kommt es durchaus auf die Motive an. Manche bekommt man mit der Ansage "Schlauch in die Luftröhre" aber nicht alle.

Was ganz gut funktioniert ist Lidschlussreflex.

Gummiente
02.11.2014, 22:55
Der Lidschlußreflex war vorhanden, aber heißt das automatisch, dass die Bewusstlosigkeit nicht somatischer Ursache ist bzw. gefaked?

WackenDoc
02.11.2014, 23:17
Nein, kann man nicht automatisch sagen. Umgekehrt wird ein Schuh draus- wenn keine Reaktion kommt, kannste dir aber ziemlich sicher sein, dass da keiner simuliert.
Kneift der richtig heftig die Augen zu, ist eine tiefe Bewusstlosigkeit nicht so ganz wahrscheinlich.

Im Zweifel muss man davon ausgehen, dass es irgendeine somatische Ursache hat.

Edit: Bei Knöchel gegen Sternum nicht zu zimperlich sein und Geduld haben- mit 2-3 Mal reiben isses in der Regel nicht getan.

Wie sagte unser Ausbilder "Es heisst nicht umsonst Reaktion auf SCHMERZreiz"

tortet
03.11.2014, 03:16
Ich hatte gestern eine Simulantin/Dissoziation... Schmerzreiz inkl. BE brachte nix, habs dann daran erkannt, dass die Dame bei der Pupillenkontrolle die Augen zusammenkniff ;-)

nie
03.11.2014, 07:28
Hatte in letzter Zeit auch zwei Patienten mit völlig unklarer Bewusstlosigkeit, bei denen unklar war ob Simulation oder nicht. Bei auch auf starken Schmerzreiz nicht erweckbar.
Die eine Person hat sich beim umlagern verraten. Hatte schon beim Umlagern in die Seitenlage den Eindruck, dass die Person irgendwie mitgeholfen hat und als wir sie dann auf die Trage gelegt haben, lag sie kurz aus Platzgründen in einer äußerst unbequemen Position und man konnte sehen, wie die Person ihren Arm selbst wieder in einen bequemeren Winkel gebracht hat.
Die Person wurde aber auch im RTW zunehmen "wacher" als klar war, dass sie aus der Situation raus ist aufgrund derer sie sich bewusstlos gestellt hat.
Die zweite Person hatte auch gegen unbequeme Lagerung nichts einzuwenden. Der haben wir dann ihre eigene Hand ins Gesicht fallen lassen. Einem wirklich bewusstlosen würde die Hand einfach ungebremst auf die Nase patschen, unsere Person hat die immer gezielt direkt neben ihr Gesicht fallen lassen.
Haben sie dann letzten Endes in eine Klinik mit Neurologie und Psychiatrie gefahren. 2 neurologische Tests später hat der Psychiater sie aufgenommen. Was der Neurologe da letzten Endes getestet hat, weiß ich aber nicht.

WackenDoc
03.11.2014, 08:13
Güdeltubus funktioniert auch ganz gut. Gibt allerdings einige Menschen die ihn auch im wachen Zustand tolerieren. Manchmal ziehen die Patienten ihn aber in einem unbeobachteten Moment raus.

Sebastian1
03.11.2014, 08:20
Das ist ärztlicherseits aber auch ein Lernprozess, sowas zu erkennen (vielleicht sind da die Psychiater im Vorteil). Ich bin zu einigen dissiziativen Anfällen dazugekommen, prä- wie innerklinisch. Anfangs habe ich mich zur klassischen Therapie mit Benzos als Firstline-Therapie verleiten lassen. Wenn man das dann ein paarmal als gesicherte Diagnose gesehen hat, dann kommen einem Zweifel. Und vor einigen Monaten hatte ich tatsächlich den Fall eines dissoziatioven Anfalls in einer Arztpraxis, ich hatte dann auch nix gegeben und bei der Suche nach der Krankenkassenkarte fiel dem RA dann ein Notfallausweis in die Hände, wo dann "dissoziative Anfälle bekannt, bitte keine Benzos" draufstand - im Übrigen von der Patientin selbst verfasst.
Aber bitte Vorsicht: Dissoziativ ist nicht gleich simuliert!

WackenDoc
03.11.2014, 08:33
Erfahrung ist im Rettungsdienst eh das A und O.

Da wo ich meine Praktikumsschichten gefahren bin, gibt es einen Patienten, der immer wieder auf Volksfesten simuliert- also keine Dissoziation, sondern echte Simulation. Hintergrund ist irgendeine psychische Störung.
Der ist aber richtig gut- kneift die Augen beim Reinleuchten nicht zu und toleriert die üblichen Tests. Und das dumme ist, dass er nicht nur die Bewusstlosigkeit im "Angebot" hat, sondern auch noch eine EKG-Veränderung.

Viele RTW-Besatzungen kennen den zum Glück. War recht interessant, als ich ihn erleben durfte. Mit dem Fest-Retter erstmal vom Gelände gebracht- dabei gut am Rödeln gewesen, wir kommen am RTW an. Da sagt der RA "Hey- soundso, ist vorbei, kannst wieder aufhören und zack, war der Patient wieder fit"

Muss man halt mit leben.

Dissoziative Anfälle sind aber tatsächlich wieder ein anderes Krankheitsbild.