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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Religiöse "Prüfungen"- psychiatrische Erkrankung oder freie Lebensführung



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WackenDoc
12.11.2014, 10:50
Ich hatte gerade eine Begegnung, die mich etwas ratlos zurück gelassen hat.

Also ich bin gerade einkaufen, da begegnet mir eine Dame, die barfuß, mit einem Rock und T-Shirt(das auch noch auf links getragen) bekleidet bei den aktuellen Temperaturen durch die Fussgängerzone spaziert.
Auf die Frage, ob alles in Ordnung ist, sagte sie dass Gott zu ihr gesprochen und ihr das aufgetragen hätte. Quasi als Prüfung und gegen die innere Kälte der Menschheit. Und im weiteren Gespräch dass Gott schon für sie sorgen und aufpassen würde, dass ihr nichts passiert.

Okeeee. Jetzt kann ja jeder seinen Glauben ausleben wie er lustig ist, aber so ganz gesund ist das ja alles nicht wirklich, nicht dass da eher ne Krankheit hinter steckt- zumal es in der Nähe eine psychiatrische Klinik gibt, kann ja sein, dass sie dort abgängig ist.

Also lieber einmal zu viel als zu wenig anrufen- Rettungsleitstelle ist nicht zuständig (ok, also irgendwie anders als da wo ich fahre, auch gut). Dann halt die Polizei- die kannten das Problem schon und Streifenwagen wäre unterwegs.
Da die Dame ja durchaus Aufmerksamkeit erregt hat und von einem in´s nächste Geschäft ging um sich etwas aufzuwärmen, hab ich mal gedacht, ich unterhalte mich weiter mit ihr, nicht dass jetzt jeder nen Notruf absetzt und nicht dass sie uns abhanden kommt.
Also selbst entlang religiöser Argumentationen war nicht wirklich ein Durchkommen. Davon abgesehen, fand sie es rührend, dass wir uns alle Sorgen machten, wusste das durchaus zu schätzen und war zum Glück friedlich.

Polizei kam dann auch. Denen war das Problem bekannt, die Dame war wohl auch schon psychiatrisch begutachtet worden mit dem Ergebnis, dass es ok ist, wenn sie ihren Glauben so auslebt wie sie es tut und dass keine psychiatrische Erkrankung vorliegt. Die waren aber auch der Meinung, dass das irgendwie kein Zustand ist und haben sich zumindest mal mit ihr unterhalten. Wie das letztendlich ausgegangen ist, weiss ich aber nicht, da ich dann weiter gegangen bin.

Jetzt ist meine Frage an euch wie ihr das so seht. Sowohl rein fachlich wie man starke Religiosität von Wahn im Krankheitssinne unterscheiden kann. Also irgendwie kann ja nicht die Unterscheidung sein, dass man sagt, wenn Gott zu mir spricht, ist es Religion und wenn das Spaghettimonster zu mir spricht ist es Krankheit. Als auch rein philosophisch wie weit so ein Verhalten freie Lebensgestaltung ist und die Gesellschaft einfach damit leben muss, dass es solche Menschen gibt, auch im Hinblick darauf, dass sie ja durch ihr Verhalten ernsthaft zu Schaden kommen kann.

EKT
12.11.2014, 11:06
Die von dir beschriebene Dame leidet mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an einer schizophrenen Psychose. Diese Diagnose würde ich aber weniger aufgrund von Wahnsymptomen stellen, als viel mehr wegen schwerer Denkstörungen (z. B. völlig alogischen Konstrukten), autistischem Bezogensein, Affektauffälligkeiten, ambivalenten und desorganisierten Verhaltens. Das heißt, es braucht eine sehr differenzierte Gesamteinschätzung (psychopath. Befund).
Trotzdem wäre sie natürlich auch in ihrer Erkrankung zu dem Leben, das sie führt, "frei" - die Grenze ist einfach da, wo sie sich offensichtlich selbst in Gefahr bringt, z. B. durch Unterkühlung zu Schaden zu kommen.
(Das würde man so unmittelbar bei jmdn., der einfach nur extrem religiös ist, nicht sehen - aber dann auch nicht die schizophreniedefinierenden o. g. Symptome).

lala
12.11.2014, 12:34
Trotzdem wäre sie natürlich auch in ihrer Erkrankung zu dem Leben, das sie führt, "frei" - die Grenze ist einfach da, wo sie sich offensichtlich selbst in Gefahr bringt, z. B. durch Unterkühlung zu Schaden zu kommen.
(Das würde man so unmittelbar bei jmdn., der einfach nur extrem religiös ist, nicht sehen - aber dann auch nicht die schizophreniedefinierenden o. g. Symptome).

Sehe ich genauso :-)
Bleibt zu hoffen, dass die Dame einen netten Betreuer hat, der sie dann ggf. bei Minus-Graden im Winter doch auch gegen ihren Willen unterbringt...aber vielleicht ändert sich ja dann auch die Weisung von "oben" und sie zieht sich freiwillig warm an ;-)

WackenDoc
12.11.2014, 12:50
So wie ich das verstanden hab, ist sie nicht betreut. Das Gericht hat wohl entschieden, dass sie geistig nicht beeinträchtigt ist und machen kann was sie will. Also auch bei der aktuellen Witterung barfuß und kurzärmlig durch die Stadt laufen.

Lava
12.11.2014, 12:57
Also auch bei der aktuellen Witterung barfuß und kurzärmlig durch die Stadt laufen.

Vielleicht stand dieses Verhalten bei der Begutachtung noch nicht zur Debatte. Wenn sie im Sommer so rumläuft und wer-weiß-was tut, was eben nicht selbstgefährdend ist, sieht die Sache halt anders aus :-nix

Aber die Frage, wann Religiosität krankhaft ist, ist sicher interessant. Man denke an die Leute, die sich freiwillig an ein Kreuz nageln lassen usw....

Relaxometrie
12.11.2014, 13:21
Interessantes Thema.
Ich halte ja schon die "normale" Gläubigkeit an eine höhere Macht für eine gesellschaftlich anerkannte Massenpsychose.

Aber davon mal abgesehen ist meine Meinung zu der hier vorgestellen Person, daß sie wirklich das machen kann, was ihr gefällt. Ein wenig geraten in einem solchen Fall für mich auch die drei Säulen der Einweisung nach PKG (akute Eigen- oder Fremdgefährdung, Vorliegen einer psychischen Erkrankung, die Situation kann akut nicht anders als durch Zwangseinweisung entschärft werden) ins Wanken. Denn wenn sie so gaaar keinen Leidensdruck bzgl. der Kälte hat :-nix
Dennoch sollte man schon nochmal die Einweisung nach PKG in Erwägung ziehen, da es ja, wie Lava schon sagte, bei der jetzt kälteren Witterung mit der Eigengefährdung anders aussieht, als im Sommer.

WackenDoc
12.11.2014, 13:38
Mit dem Leidensdruck ist das so ne Sache- kalt war ihr offensichtlich. Sie ist auch immer wieder in die Geschäfte gegangen und hat sich da ein paar Minuten aufgehalten(hat sie wohl auch früher schon gemacht).

Ich hoffe dass sich tatsächlich noch jemand zu einer Unterbringung nach PsychKG durchringen kann zumindest über den Winter. Vom Gesamteindruck hat das eher zu einer Psychose als zu einer tiefgründigen Religiosität gepasst. Aber da stoßen meine Psychiatriekenntnisse dann doch an ihre Grenzen.

Relaxometrie
12.11.2014, 13:41
Was sagt sie denn, wenn man sie direkt, freundlich fragt:" Ich habe die Vermutung, daß bei Ihnen eine psychiatrische Erkrankung vorliegen könnte. Sind Sie mit einer Untersuchung in der Klinik einverstanden?"

WackenDoc
12.11.2014, 13:44
Auf die Idee ist keiner der Beteiligten gekommen.

Relaxometrie
12.11.2014, 13:50
Sie könnte sich zu einer (wie mein einer Oberarzt zu Psychiatriezeiten es nannte) Systemsprengerin entwickeln, die haarscharf zu gesund für eine Einweisung ist, aber zu krank, um keine Aufmerksamkeit zu erregen.
Wahrscheinlich wird es jetzt im Winter dennoch in absehbarer Zeit zu einer Einweisung kommen, weil zu viele Personen, die die Dame sehen, unsicher sind. Irgendwann wird dann mal ein Notarzt gerufen, der sie dann einweist. Und es ist ja durchaus sinnvoll, die Krankheit jetzt im Winter nochmal abzuklären.

WackenDoc
12.11.2014, 14:10
Irgendwann wird es wahrscheinlich der Leitstelle zu blöd- dieses Mal hat es ja eine Welle von Notrufen auf beiden Nummern ausgelöst und das letzte Mal war wohl gerade erst vor ein paar Tagen im Nachbarortsteil.

Dummerweise ist hier die Polizei und nicht der Rettungsdienst für solche Fragestellungen zuständig, also kein Notarzt der eine Einweisung vornehmen kann.
Die waren wie gesagt sehr bemüht und mit der Situation nicht zufrieden, haben aber das Problem, dass es einen recht frischen Gerichtsentscheid gibt.

Systemsprengerin trifft es wahrscheinlich ganz gut. Wahrscheinlich wird man jeweils im Einzelfall entscheiden müssen, ob jetzt gerade eine Eigengefährdung vorliegt.

Christoph_A
12.11.2014, 14:39
Wo is das Problem? Wenn sie aus religiösen Gründen erfrieren will, ist das ihre Sache, nicht unsere. Sie ist psychiatrisch begutachtet worden und als nicht pathologisch geführt. Denkt mal an einige Begebenheiten aus der Geschichte, mir fällt da grad der Gang nach Canossa ein. Hättet Ihr etwa den guten Heinrich, als er halbnackt und barfuß im Schneesturm um Verzeihung gewinselt hat, auch eingewiesen? Oder die ganzen Helden, die sich am Karfreitag ans Kreuz nageln lassen?
Nene, jedem Tierchen sein Plaisierchen. Solange die Person nicht fremdgefährdend wird, seh ich da kein großes Problem, wenn die gute Dame ansonsten zu allen Entitäten orientiert ist. Und aufzuwärmen scheint sie sich ja auch zwischendurch.
Vlt sollte man ihr eher mal ab und zu ein Bußgeld wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses zukommen lassen, manchmal wirkt das Wunder......

Feuerblick
12.11.2014, 16:42
Genau so sehe ich das auch. :-nix

Mano
12.11.2014, 16:54
Habe vor einiger Zeit ein Buch zu dieser Frage von Lütz gelesen: Irre, wir behandeln die Falschen
Darin ging es eben genau um diese Fragestellung: Wann ist jemand krank und wann nicht. Und hatten die ganzen Heiligen von Früher nicht vielleicht einfach alle eine Psychose. Kein Fachbuch, aber wie ich - als nicht Psychiater finde - sehr interessant und unterhaltsam geschrieben.

EKT
12.11.2014, 19:23
Wo is das Problem? Wenn sie aus religiösen Gründen erfrieren will, ist das ihre Sache, nicht unsere.

Das stimmt so nicht. Wenn die Person krankheitsbedingt nicht zur freien Willensbildung in der Lage ist, wäre das unterlassene Hilfeleistung.


Hättet Ihr etwa den guten Heinrich, als er halbnackt und barfuß im Schneesturm um Verzeihung gewinselt hat, auch eingewiesen? Oder die ganzen Helden, die sich am Karfreitag ans Kreuz nageln lassen?

Ja, wenn krankheitsbedingt die freie Willensentscheidung aufgehoben gewesen wäre. Nein, wenn dies nicht der Fall gewesen wäre. Wie gesagt, das ist weniger eine Frage von möglichem Wahnerleben vs. religiösem Erleben, sondern von anderen krankheitstypischen Erscheinungen.


Vlt sollte man ihr eher mal ab und zu ein Bußgeld wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses zukommen lassen,

Weil unsere Gesellschaft so wenig "abnormes" Verhalten aushält? Wie jämmerlich.....

WackenDoc
12.11.2014, 19:32
Ich frag mich auch worin das Erregen öffentlichen Ärgernisses bestehen soll. Die Dame ist bisher immer friedlich gewesen, läuft nicht nackt rum und missioniert nicht.

Das Problem der unterlassenen Hilfeleistung vs. ihr freier Wille so rumzulaufen ist ja genau der Knackpunkt.
Gibt ja auch z.B. Mönche die barfuss unterwegs sind- die sind aber normalerweise sowohl von der Denkweise als auch vom Gesamteindruck sortierter.

Feuerblick
12.11.2014, 19:58
Aber warum sollte man Hilfe leisten, wenn Hilfe weder gewünscht noch notwendig ist? Ich meine, wenn wir nun heftige Minusgrade hätten, würde ichs ja noch verstehen, aber wenn die Lady doch meint, dass sie bei den momentanen Temperaturen barfuß durch die Stadt schlappen muss - warum nicht? Offensichtlich wurde sie begutachtet und für einigermaßen adäquat befunden. Sprich: Vielleicht hat sie halt wirklich nur nen pseudo-religiösen Spleen. Solange sie sich bis auf nen Schnupfen nicht ernsthaft gefährdet - so what? Lass sie doch?
Wir haben hier auch seit ich denken kann so nen Pseudojesus barfuß in entsprechenden Latschen, der tagein tagaus Schilder mit irgendwelchen abstrusen Sprüchen zu Gott, Jesus und Außerirdischen durch die City trägt. Ich wär im Leben noch nicht drauf gekommen, den davon abhalten zu wollen, weil er einen an der Waffel hat und barfuß in Jesuslatschen im Winter bei Minusgraden wenig bekömmlich ist. Soller doch... :-nix

Btw: Erregung öffentlichen Ärgernisses ist das allerdings in beiden Fällen für mich nicht. Sollen sie doch machen...Stört mich nicht, interessiert mich aber auch nicht weiter. Vielleicht bin ich auch einfach zu gleichgültig gegenüber meinen Mitmenschen... :-nix

Kandra
12.11.2014, 20:03
Wir haben bei uns ein Pärchen das sich immer in der Nähe vom Hauptbahnhof rumtreibt. Egal ob Sommer oder Winter, die haben nur ne Unterhose an, oben sind sie allerdings immer gut eingepackt. Am Anfang ists ein bisschen befremdlich, aber man gewöhnt sich dran ^^
Bekloppt sind die sicher, aber so lange sie niemandem was tun, who cares.

Lava
12.11.2014, 20:55
Und hatten die ganzen Heiligen von Früher nicht vielleicht einfach alle eine Psychose.

Aber mit 100%iger Sicherheit!!!

unstet
12.11.2014, 20:59
Pfu...wenn man alle Leute mit irrationalen Ideen einweisen müsste wär die Welt aber insgesamt institutionalisiert. Da gäbe es ja nicht nur die Religion, sondern auch noch die große Liebe, das ewige Glück, Teleshopping...:) Ne Wahnidee allein macht dich vielleicht per Definition krank, reicht aber nicht in jedem Fall für eine unbedingte Zwangseinweisung. Gibt auch Menschen, die jenseits des Wahnsystems ansonsten recht autonom funktionieren, zumindest unter gewissen Rahmenbedingungen. Wenn die Frau also vorher begutachtet wurde scheinen die Rahmenbedingungen ja gegeben zu sein.
Zur philosophischen Frage wo hört Religiosität auf und wo beginnt der Wahn: ja, wenn Gott ab und an zu dir spricht dann ist das ok, wenn Gott allerdings anfängt dir zu befehlen wann du deine Unterhosen wechselst ist es höchstwahrscheinlich eine psychiatrische Erkrankung. Das wäre z.B. so eine grobe Trennung.