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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Böses Blut - Kehrtwende in der Intensivmedizin



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Markus-HEX
27.11.2014, 15:48
http://www.ardmediathek.de/tv/Reportage-Dokumentation/B%C3%B6ses-Blut-Kehrtwende-in-der-Intensivm/Das-Erste/Video?documentId=24921128&bcastId=799280

Reportage vor einigen Tagen im öff-Rechtlichen.

Habe auch schon einige Diskussionen dazu bei Facebook gelesen.


Prinzipiell enthielt die Reportage nichts Neues.

Allerdings wurde meines Erachtens zu wenig dargestellt, dass es zwei Patientengruppen gibt.

Die Gruppe mit der akuten, lebensgefährlichen Blutung wird weiter Blut brauchen - da gibt es keine Alternativen. Allerdings sollte man hier auch nicht undifferenziert "kippen", sondern sorgfältig abwägen, wieviel man gibt. Trotzdem braucht ein akutes Trauma einen Hämatokrit von ~30, damit die Blutgerinnung adäquat funktioniert, im weiteren Verlauf (nach Stillung der Blutung) muss man für den konkreten Patienten, seinen Vorerkrankungsprofil und Laborparametern (z.B. Lactat) individuelle Transfusionstrigger finden - ein "schütten auf HB 10", wie es früher gemacht wurde, ist aufgrund der beschriebenen Folgen nicht sinnvoll.

Die andere Gruppe mit der Elektiv-OP ist häufig auch ohne Blutkonserven managebar, wenn alle Fachdisziplinen an einem Strang ziehen.
Die Omi, die mit einem 10er HB in die Klinik für das künstliche Hüftgelenk kommt, wird definitiv Blut benötigen, wenn sie so operiert wird. Schickt man sie jedoch mit Eisensubstitution nach Hause, lässt noch einen Internisten ect. zur Anämiediagnostik drüberschauen und operiert sie einen Monat später, sobald sie mit einem 13er HB wiederkommt, hat sie gute Chancen, ohne Transfusionen durch die OP zu kommen, wenn blutsparend gearbeitet wird (sorgfältige Blutstillung, kleine Zugangswege, Nutzung von maschineller Autotransfusion "Cellsaver", sonstige Ausrichtung der Behandlung/Diagnostik auf geringen Blutverlust - z.B. Nutzung von Kinder-Monovetten zur Blutentnahme...., entsprechend adaptierte Transfusionstrigger - z.B. auch HB von 9 tolerieren, wenn nichts wirklich dagegen spricht).

Da braucht man kein Genie sein, dass die Dame, die von 13 auf 9 runterblutet besser aus der Klinik rauskommt als die Mitpatientin, die von 10 auf 7 blutet und dann wieder auf 10 aufgefüllt wird...

Sebastian1
27.11.2014, 22:05
Selbst ohne Patient blood management liegen bei uns die Transfusionstrigger wesentlich tiefer. Über 8g/dl nur in ausnahmefällen, kaum Evidenz dafür. Zwischen 6 und 8 nur bei vorliegen von Risikofaktoren oder hypoxämischer Anämie. Sonst erst bei <6.

Miss_H
27.11.2014, 22:57
Ich fand die Reportage ganz ok. Mich hat es echt richtig genervt, dass die Paper für Paper mit Leukoplast ein die Scheibe geklebt haben... Ich hatte während meine Famulatur das Gefühl, dass selbst in der Peripherie jede Bluttransfusion kritisch abgewägt wird (auf der Intensivstation).

Skalpella
30.11.2014, 11:22
Die große Revolution ist das tatsächlich nicht(mehr), da gerade aufgrund der Studien die Transfusionstrigger immer höher wurden und werden. Wie Seb schreibt, auch ohne es PBM zu nennen hat sich in den letzten Jahren einiges getan.

Prinzipiell ist die Reportage gut gelungen. Allerdings handwerklich nicht in letzter Konsequenz gut umgesetzt. Man springe zu 43:30-43:45 in der Reportage: Angeblich hat der Patient perioperativ kein Blut erhalten. Es hängen aber Beutel am Bett und am zentralen Zugang steht noch das Blut im Schlauch. . . Schade!

Evil
30.11.2014, 12:48
War vielleicht ein Cellsaver?

Rico
30.11.2014, 13:09
Angeblich hat der Patient perioperativ kein Blut erhalten. Es hängen aber Beutel am Bett und am zentralen Zugang steht noch das Blut im Schlauch. . . Schade!Die sagen ja Fremdblut, vielleicht war es sein eigenes.

Ansonsten wären auch bei uns schon immer die Transfusionstrigger solange ich arbeite immer niedriger, als 9 - zuletzt jetzt bei <7. Und allein schon aus Kostengründen wurde wirklich immer geschaut, ob das sein muss. Wenn das Nicht-Transfundieren jetzt nicht nur kein Nachteil, sondern sogar noch ein Vorteil für den Patienten ist, dann umso besser.

Dr-Pizza
30.11.2014, 13:25
ich fand kritisch in der reportage, dass der eindruck erweckt wurde, transfusionen seien ein millionengeschäft und indirekt, dass ärzte, die transfundieren damit geld verdienen und daher großzügig die indikation dafür stellen...

Dr-Pizza
30.11.2014, 13:28
und dann wird die transfusionsbedingte reaktion also sehr häufig dargestellt, obwohl die TRALI bei ek-gabe bei 1:2,9 millionen liegt...

Brutus
30.11.2014, 13:54
Ich habe die Reportage nicht ganz gesehen, aber was mir schon ein bißchen komisch vorkam, waren so einige Schlußfolgerungen.
Z.B. mit der Patientin mit GIT-Blutung / Magenperforation. Da wird erzählt, dass sie gestern eine GIT-Blutung hatte mit OP und seitdem auf der ITS liegt. Noch intubiert und jetzt wird die Lunge schlecht. Also JETZT, weil sie gestern ein (mehrere?) EK bekommen hat. Das ist mir jetzt doch zu simple. Das hat was von "Mein Oppa ist damals aus der Narkose nicht wieder wach geworden. Deswegen will ich keine Vollnarkose"...

Ich selbst bin ziemlich zurückhaltend bzgl. EK. Das hat mir auch schon den ein oder anderen Ärger mit den Operateuren eingebracht. Aber diese^^ Argumentationskette würde ich so wie sie geschildert wurde, nicht unterschreiben.

Madame Bouvier
30.11.2014, 13:57
Wie stark und häufig sind die transfusionsassozierten NW eig. nach euren Erfahrungen? Wie differenziert man diese von den "normalen" NW der eh schon Immungeschwächten Patienten (Kausalität?).
Was ist eig. von dem "Gegenwind" von Seiten des Ministeriums bzw. anderer Institutionen (Krebsforschungsinstitut Heidelberf etc.) zu halten? Haben die sich noch nicht beschäftigt oder wieso kam da kein eindeutiges Statement?

Und was soll eig. das Klischee vom unreflexierten-veralteten-paradigmen-folgenden-Mediziner? ;-)

Skalpella
30.11.2014, 14:00
War vielleicht ein Cellsaver?
Es war ja angeblich "der Tag danach". Entweder stimmt also der Zeitpunkt nicht, oder die Tatsache "kein Fremdblut".

Rico
30.11.2014, 14:37
Vorher gespendetes Eigenblut?

@Brutus: Trali tritt doch typischerweise mit mehreren Stunden Verzögerung nach Gabe auf. Das ist natürlich noch kein Beweis, aber passen würde es zumindest mal. Natürlich gibt es auch noch andere DDs der pulmonalen Verschlechterung.
Ich würde aber umgekehrt eher sagen, dass bestimmt etliche Tralis gar nicht erkannt, sondern als irgendwie respiratorassiziierte Probleme, ARDS, etc. klassifiziert werden. Zumindest finden sich in quasi jeder Runde, in der das Wort Trali findet immer mindestens ein bis zwei Approbierte, die davon noch nie gehört haben...

Skalpella
30.11.2014, 14:53
Eigenblutspende findet im Rahmen des PBM wohl nicht mehr statt. Also sicher nicht bei den Vorreitern des PBM in Frankfurt.

LasseReinböng
30.11.2014, 16:24
Habe leider nicht alles angucken können wegen schlechtem Internetanschluss...bislang kommt mir das alles etwas reisserisch vor... die Erkenntnisse sind ja nicht wirklich neu.
Bei uns werden Blutprodukte sehr restriktiv gegeben, unter einem Hb von 9g/dl bekommt eigentlich niemand eine Konserve. Junge gesunde Patienten lassen wir auf ein Hb von 6 runterbluten, allerdings muß man da immer die Dynamik im Auge behalten... die meisten Operateure bei uns interessiert das Thema kaum, was ich etwas schade finde.

Brutus
30.11.2014, 17:56
@Brutus: Trali tritt doch typischerweise mit mehreren Stunden Verzögerung nach Gabe auf. Das ist natürlich noch kein Beweis, aber passen würde es zumindest mal. Natürlich gibt es auch noch andere DDs der pulmonalen Verschlechterung.
In DER Situation wären für mich erstmal die typischen DD in den Sinn gekommen. Aspiration? Sepsis?
Aber hier wurde ja quasi von vorne herein so argumentiert, dass alles vom bösen Blut kommt...


Ich würde aber umgekehrt eher sagen, dass bestimmt etliche Tralis gar nicht erkannt, sondern als irgendwie respiratorassiziierte Probleme, ARDS, etc. klassifiziert werden. Zumindest finden sich in quasi jeder Runde, in der das Wort Trali findet immer mindestens ein bis zwei Approbierte, die davon noch nie gehört haben...
Operateure? ;-)

Meuli
30.11.2014, 17:57
"Warum machen Sie sich überhaupt die Mühe mit dem Sammeln und Aufbereiten? Es ist doch viel einfacher, ein Fremd-EK zu geben!"

(durfte sich meine Kollegin während einer OP vom unfallchirurgischen Chefarzt anhören^^)

Moorhühnchen
30.11.2014, 21:59
"Warum machen Sie sich überhaupt die Mühe mit dem Sammeln und Aufbereiten? Es ist doch viel einfacher, ein Fremd-EK zu geben!"

(durfte sich meine Kollegin während einer OP vom unfallchirurgischen Chefarzt anhören^^)Bitte geben Sie Ihre Approbation HIER ab! :-))

Meuli
30.11.2014, 22:14
zum Glück lässt wenigstens er sich nicht auf der ITS blicken^^

(dafür macht sein jünster OA gern mal einen auf "großer Zampano" - v.a. auch was das Transfundieren angeht^^

Sebastian1
30.11.2014, 22:51
und dann wird die transfusionsbedingte reaktion also sehr häufig dargestellt, obwohl die TRALI bei ek-gabe bei 1:2,9 millionen liegt...

Hast du eine Quelle für die Zahl? Ich würde das für deutklich häufiger halten und hatte auch schon mehrere wahrscheinliche Verdachtsfälle.

Brutus
30.11.2014, 23:53
Guckst Du hier:
http://www.transfusionsmedizin.ukw.de/studenten/hauptvorlesung/blutgruppen-thrombozyten-granulozyten/granulozyten/trali.html


Wahrscheinlich kommt das TRALI sehr viel häufiger vor als vermutet. Man geht derzeit von einer Wahrscheinlichkeit von ca. 1 : 66.000 bezogen auf transfundierte Plasmen aus. Manche Autoren sprechen von einer Häufigkeit von 1:2000 bis 1:5000 bezogen auf transfundierte Plasmen. Bei ca. jedem 600ten Patienten, welcher Plasma erhält, muss man mit der Entwicklung eines TRALI rechnen. Die Häufigkeit bei Thrombozytenkonzentraten liegt bei ca. 1 : 420.000. Am seltensten tritt das TRALI bei der Transfusion von Erythrozytenkonzentraten auf ( ca. 1 : 2,9 Mio.). Die Letalität liegt bei ca. 9 %.


Oder hier:
https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/s-2007-1003590


Kernaussagen

Die TRALI ist die häufigste Nebenwirkung der Bluttransfusion mit Todesfolge.

Die TRALI-Inzidenz wird mit 1:95 000 für die Transfusion einer Einheit GFP oder Thrombozytenkonzentrat und mit 1:1500000 für die Transfusion eines Erythrozytenkonzentrates angegeben.

Die TRALI ist definiert als akute Atemnot mit Hypoxämie und bilateralen Lungeninfiltraten im p.a.-Röntgenbild des Thorax während oder innerhalb der ersten 6 Stunden nach einer Transfusion ohne andere erkennbare Ursache einer akuten Lungeninsuffizienz.

Eine TRALI wird u.a. durch Antikörper in plasmahaltigen Blutkomponenten gegen leukozytäre Antigene des Empfängers hervorgerufen („immunogenes TRALI”). Oft finden sich beim Patienten zusätzliche Risikofaktoren, die zu einer Voraktivierung (Priming) der Leukozyten führen.

Therapeutische Maßnahmen sind symptomatisch, eine spezifische Therapie ist nicht bekannt.

Die Letalität beträgt bis zu 20 %.

Der Verdacht auf eine TRALI ist über die im Qualitätssicherungssystem der Einrichtung vorgesehenen Wege zu melden, insbesondere damit der zuständige Blutspendedienst beim Nachweis von Antikörpern im Spenderplasma den implizierten Spender von weiteren Spenden ausschließen kann.

Die TRALI-Inzidenz kann durch bevorzugte Verwendung plasmahaltiger Blutkomponenten von männlichen Blutspendern und weiblichen Spendern ohne Schwangerschaftsanamnese verringert werden.