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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Zwangsbehandlung bei folgendem Beispiel möglich?



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Blaulichtgurke
08.12.2014, 18:04
Hallo miteinander.
Neben meinen RD-Schichten arbeite ich zusätzlich noch in unserer ZNA.
Wir sind ein Maximalversorger mit ca. 800 Betten.
Gestern früh, in meiner Schicht dort hatten wir eine junge Patientin (18), die anamnestisch seit ihrem 3. Lebensjahr einen Defi trägt aufgrund einer hypertrophen Kardiomyopathie.
Sie gab an, seit ca. 2 Wochen durchgehend Fieber, Kopfschmerzen Schüttelfrost und Nachtschwitzen zu haben, in den letzten Tagen kam dann immer wieder Atemnot unter geringster Belastung dazu.
Außerdem sei sie sehr schwach und fühle sich sehr krank.
Unser diensthabender Internist hatte eine Defi-Infektion mit Sepsis im Verdacht.
Bei der körperlichen Untersuchung der Patientin fiel ihre blasse Hautfarbe auf sowie eine Tachypnoe von etwa 22/min.
RR lag bei 100/55, Ruhepuls bei 120/min mit T-Negativierungen und deszendieren ST-Strecken, SpO2 bei 97%, Temperatur bei Aufnahme (im Ohr) lag bei 39,5°C.
Pathologische Herzgeräusche waren keine zu auskultieren.
Das Blutbild sah folgendermaßen aus:
Hb bei 7,5 g/dl, CRP bei 238 mg/l, PCT bei 5,62 ng/ml , Leukozyten bei 12,6.
Die Patientin wurde stationär auf unsere herzchirurgische Station aufgenommen.
Danach habe ich nur noch gehört, dass die Patientin heute ein UKG + TEE erhielt, welche endokarditische Läsionen im Bereich des Septums mit Vegetationen an den Defi-Elektroden.
Einer Explantation des Defis sei dringend indiziert gewesen, und soweit ich weiß, wird sie wohl noch heute Abend operiert, weil sie sehr schläfrig ist und das Fieber nicht sinkt.
Immerhin ist es noch gerade so glimpflich ausgegangen.

Meine Frage ist nun, was wäre wenn sie die OP abgelehnt hätte, z.B. aufgrund von Angst oder Angst vor neuen Rückfällen ohne Defi? Die infizierten Sonden waren nämlich der Entzündungsherd der Sepsis, von welchen aus kontinurlich Streptokokken in den Blutkreislauf gelangen.

Wie wären die Mediziner dann wohl weiter vorgegangen?
Würde es in diesem Fall denkbar, dass wenn die Patientin die OP strikt abgelehnt hätte, dass die Sepsis für sie tödlich enden würde sodass die Ärzte zwangsoperieren dürften?
Das interessiert mich sehr, und ich würde gerne eure Meinung dazu wissen.

Solara
08.12.2014, 18:11
Nein, wenn sich die Patientin des Risikos bewusst ist, dass sie daran sterben wird und sich trotzdem gegen eine OP entscheidet, darf nicht operiert werden. Natürlich muss intensiv aufgeklärt werden - aber der Patient entscheidet, und die Entscheidung muss der Operateur nicht unbedingt verstehen, gutheißen oder ähnliches, aber akzeptieren muss er eine Nicht-Einwilligung trotzdem.

Shizr
08.12.2014, 19:17
Würde es in diesem Fall denkbar, dass wenn die Patientin die OP strikt abgelehnt hätte, dass die Sepsis für sie tödlich enden würde sodass die Ärzte zwangsoperieren dürften?
Nein. Juristisch ist das vollkommen eindeutig. Keine Behandlung gegen den ausdrücklich erklärten Willen des Patienten.


Vergleiche Bluttransfusionen bei Zeugen Jehovas. Gleicher Hintergrund, gleiches Prozedere, gleich eindeutige Rechtslage.

Wenn der Patient im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte und in Kenntnis des Risikos, ohne Behandlung möglicherweise zu versterben, die Behandlung ablehnt, dann ist das hinzunehmen.

Rico
08.12.2014, 20:25
Meine Frage ist nun, was wäre wenn sie die OP abgelehnt hätte, z.B. aufgrund von Angst oder Angst vor neuen Rückfällen ohne Defi? Zum rechtlichen ist ja schon alles gesagt, deshalb noch ein Halbsatz zum medizinischen:
Jemand Defipflichtiges lässt man natürlich nicht ohne Defi nur weil man ihn ausbauen muss und (z.B. wegen der Florinen Infektion) nicht gleich einen neuen reinmachen kann. Das kann ganz banal sein, dass derjenige dann erstmal am Monitor bleibt (ist bei ner Sepsis ja eh sinnvoll) und bei Bedarf nach alter Väter Sitte von extern mit einem normalen Defi bearbeitet wird.
Oder - falls man eine längere Zeit überbrücken muss - man verpasst dem Patienten einen tragbaren externen Defi wie die LifeVest.

Blaulichtgurke
08.12.2014, 20:26
Nein. Juristisch ist das vollkommen eindeutig. Keine Behandlung gegen den ausdrücklich erklärten Willen des Patienten.


Vergleiche Bluttransfusionen bei Zeugen Jehovas. Gleicher Hintergrund, gleiches Prozedere, gleich eindeutige Rechtslage.

Wenn der Patient im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte und in Kenntnis des Risikos, ohne Behandlung möglicherweise zu versterben, die Behandlung ablehnt, dann ist das hinzunehmen.

Wie wäre denn die Lage wenn der Pat behauptet: "Ich brauch nicht operiert werden, ich werde auch so wieder gesund."
Ich meine damit dass der Patient nicht verstehen will/oder glauben will dass er daran sterben würde.
Würde man diese Entscheidung so hinnehmen?

Rico
08.12.2014, 20:42
Wenn der Patient nicht einsichtswillig ist, dann ist das sein Wille und zu respektieren. Man muss halt gut aufklären und festhalten, dass von medizinischer Seite her nicht mit einer spontanen Besserung zu rechnen ist und stattdessen der Tod sehr wahrscheinlich ist.

Ausnahme ist nur, wenn der Patient aufgrund kognitiver Einschränkungen (Demenz, Koma, Vollrausch, etc...) nicht einsichtsfähig ist. Da gilt dann der mutmaßliche Patientenwille und da geht man in der Regel davon aus, dass der Patient sich eine lebensrettende Behandlung wünscht.

Blaulichtgurke
08.12.2014, 20:48
Wenn der Patient nicht einsichtswillig ist, dann ist das sein Wille und zu respektieren. Man muss halt gut aufklären und festhalten, dass von medizinischer Seite her nicht mit einer spontanen Besserung zu rechnen ist und stattdessen der Tod sehr wahrscheinlich ist.

Ausnahme ist nur, wenn der Patient aufgrund kognitiver Einschränkungen (Demenz, Koma, Vollrausch, etc...) nicht einsichtsfähig ist. Da gilt dann der mutmaßliche Patientenwille und da geht man in der Regel davon aus, dass der Patient sich eine lebensrettende Behandlung wünscht.

Im Falle einer Sepsis könnte man doch auch von einer durch Temperaturanstieg bedingten Dehydrierung ausgehen die "Verwirrtheit" zurfolge hat, oder?

Coxy-Baby
08.12.2014, 20:53
Man kann doch nicht jeden mit Fieber für nicht zurechnungsfähig erklären lassen.....

Rico
08.12.2014, 20:56
Klaro, das kann bei einer Sepsis schon passieren, aber das läßt sich ja relativ einfach rausfinden ob der Patient orientiert ist oder nicht. Die Verwirrtheit betrifft ja nicht selektiv das für medizinische Entscheidungen zuständige Hirnareal...
Zur Not muss halt ein Psychiater kommen, falls es unklar ist, ob der Patient online ist.

EKT
08.12.2014, 21:25
Es geht dabei nicht lediglich um eine Orientiertheit, sondern um die Fähigkeit seinen Willen frei zu bilden und nach richtig gewonnenen Einsichten zu handeln, die durch ein Fieberdelir durchaus akut beeinträchtigt sein kann - allein durch eine Trübung bzw. Einengung des Bewußtseins die die Freiheit der Willensbildung (partiell) ausschließt. Somit würde ein Eilantrag ans Vormundschaftsgericht gestellt werden, um eine lebensrettende Op zu ermöglichen.

Stephan0815
09.12.2014, 06:49
[...]ans Vormundschaftsgericht gestellt werden[...]

Seit 2009 auch als Betreuungsgericht bekannt.

Rico
09.12.2014, 08:02
Da gibt es regionale Unterschiede, in manchen Bundesländern muss man auch das Ordnungsamt anrufen....

Gesocks
09.12.2014, 13:20
Ich übernehm' das mal flott als Vorlage für eine Altfrage aus der Psychiatrie. Passt zumindest ein bisschen...

Gibt es für anorektische Patienten einen BMI (definierte untere Grenzen oder an u.g. Beispiel intuitiv), ab dem die Unterbringung nach PsychKG auf jeden Fall veranlasst werden darf? Irgendwoher erinnere ich, unter 13 kg/m² bestehe dafür ausreichend Lebensgefahr; die Zahl finde ich aber sonst nirgends und würde von mir aus sagen, dass man zur Begründung der Unterbringung mindestens klinischen Zustand oder z.B. eine Hypokaliämie ins Boot holen müsste bzw. BMI allein reichte nicht.

Psychosomatische Ambulanz, 18. jährige Patientin, Anorexia nervosa seit vier Jahren bekannt, seitdem bereits zwei stat. Aufenthalte zur Gewichtsstabilisierung. Vorstellung heute (konkreter Anlass wird nicht genannt) mit BMI 12,2 kg/m², stat. Aufnahme wird abgelehnt. Was tun Sie?

Außer Unterbringung gibt's noch: Hausarzt um regelmäßige Gewichtskontrolle bitten, ambulante Psychotherapie empfehlen, Olanzapin weil appetitsteigernd, Eltern kontaktieren und Ernährungsplan besprechen.

EKT
09.12.2014, 16:13
Die Informationen sind sehr dürftig. Vermutlich wollen sie aber auf Unterbringung hinaus (Einrichtung einer Betreuung), weil die anderen Maßnahmen unsinnig sind: Olanzapin wird sie nicht nehmen, Eltern ist quatsch, da sie volljährig ist, an Ernährungsplan wird sie sich nicht halten, Hausarzt ist damit völlig überfordert und Gewichtskontrollen bringen auch keine Gewichtszunahme und Psychotherapie ist in diesem Zustand Blödsinn, weil das Hirn gar nicht mehr ausreichend funktioniert.

Sebastian1
09.12.2014, 17:20
@Gesocks: Ich bin da ja nicht vom Fach, aber das dürfte doch eine akute Selbstgefährdung bei psychiatrischer grunderkrankung mit mangelnder Einsichtsfähigkeit in das gefährdungspotential darstellen und damit eine Unterbringung nach PsychKG rechtfertigen, oder?

Allerdings würde mich mal interessieren, wie gut die allgemeinen therapiechancen in einem so ausgprägten Beispiel von Anorexie sind, wenn sie dazu noch gegen den Willen der Patientin begonnen wird?

EKT
09.12.2014, 17:53
Und was hat man dann davon, daß Mädel einzusperren - dadurch wird es auch nicht freiwillig essen. Eine Zwangsbehandlung ist bei öffentlich-rechtlicher Einweisung nicht möglich, nur über Sonderantrag des Betreuers bei zivilrechtlicher Einweisung.
Die Therapiechancen sind durchaus nicht schlecht, auch wenn anfangs zwangsbehandelt werden muß - es ist ja ein ständiger Abwägungs- und Verhandlungsprozeß mit der Patientin. Todesraten abhängig von der Dauer aus dem Ausmaß der Störung bis ca. 20%.

Stephan0815
09.12.2014, 18:01
Da gibt es regionale Unterschiede, in manchen Bundesländern muss man auch das Ordnungsamt anrufen....

Ist das so? Ich kenn das nur so, daß das Ordnungsamt bei öffentlich-rechtlichen Unterbringungen zuständig ist.
Für die "normale" Zwangseinweisung muss eigentlich ein richterlicher Beschluss vorliegen, also die Judikative entscheiden. Exekutivorgane dürfen das eigentlich nicht.

EKT
09.12.2014, 18:05
Es ist immer ein richterlicher Beschluß innerhalb von 24 h nach Ablauf des Einweisungstages. Jedoch kommt jemand vom Ordnungsamt oder von der Feuerwehr, um schonmal vorab zu schauen, ob alles mit rechten Dingen zugeht, oder ob der Patient direkt wieder laufen gelassen wird (dann auf Verantwortung des Ordnungsbeamten oder Feuerwehrmenschen).

Gesocks
09.12.2014, 18:05
Sorry schonmal, wenn jetzt Zwangsbehandlung (Thread-Startpost) und -Unterbringung durcheinander geraten! :-))

Danke euch beiden, EKT und Seb! :-)
EKT: Um eine Unterbringung zu begründen reicht der BMI allein also nicht aus, meinst du auch? Angesichts Alternativen wird es natürlich schon die gesuchte Richtigantwort sein.

EKT
09.12.2014, 18:07
Um eine Unterbringung zu begründen reicht der BMI allein also nicht aus, meinst du auch? Angesichts Alternativen wird es natürlich schon die gesuchte Richtigantwort sein.

Nein, eine derartiges "cut-off" ist nicht definiert.