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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Fallbeispiel Notfallmedizin - bewusstlose Person



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ehem-user-11022019-1151
21.04.2015, 08:43
Hallo alle zusammen,
ich würde euch gerne ein Fallbeispiel vorstellen und würde mich über rege Teilnahme freuen.

Ihr werdet als RTW bzw NEF zu einem Notfall alamiert, die Einsatzmeldung lautet "bewusstlose Person".
Über Funk erhält ihr die Information, dass es sich um einen CA-Patienten handelt, der bewustseinseingeschränkt ist.

Wie gehts weiter?

Liebe Grüße,
Liel.

Brutus
21.04.2015, 17:34
Entspannt zurücklehnen und die Fahrt an diesem herrlichen Sommertag genießen.
Bewusstlose Person - CA-Patient... Zu Hause? Pflegeheim?

ehem-user-11022019-1151
21.04.2015, 17:40
Genau so :)
CA-Patient, die Adresse führt zu einem Einfamilienhaus.
Vor der Haustür wartet schon die Frau und führt euch in das Schlafzimmer. Unterwegs sagt sie euch, dass ihr Mann gerade Chemotherapie hat.

Brutus
21.04.2015, 19:13
Was für ein CA? Metastasen? Chemo seit wann? OP? Strahlung?
Medikamente? AZ die letzten Tage? Hausarzt? Palliativnetzwerk?
;-)

Evil
21.04.2015, 20:32
Palliativnetzwerk ist unwahrscheinlich, dann hätten sie Dich nicht gerufen ;-)

Brutus
21.04.2015, 20:49
Naja, wie war das mit dem Pferd vor der Apotheke? :D ;-)

Sebastian1
21.04.2015, 21:05
Erinnert mich an einen unschönen Einsatz von letzter Woche, aber bisher seh ich es wie Brutus: Mal schauen, was da Sache ist, so schnell wie möglich in Erfahrung bringen: Tatsächliche Erkrankung (Ca ist ja nicht gleich Ca) und Patientenwille (Verfügung?).

ehem-user-11022019-1151
21.04.2015, 22:20
Guten Abend
also:
Patient, ca 50 Jahre mit Darm-CA; z.n. Darm-OP, d.h. Anus praeter (ich weiß leider nicht genau was bei der OP alles erntfernt worden ist), bereits Metastasen in der Lunge.
Im Moment läuft ein Chemozyklus, der bisher gut vertragen wurde.
Die Frau hat angerufen, weil ihr ihr Mann so müde erscheint und sie ihn eigentlich wecken wollte, er sich aber nicht richtig wecken ließ.
Bisher war er (im Rahmen der Erkrankung) mobil und fit. Also Verschlechterung seit ca 12 Stunden (morgens).
Eine Patientenverfügung liegt nicht vor und da es schon spät ist, ist kein HA mehr greifbar.

Ein Palliativnetzwerk ist übrigens in der Tat nicht vorhanden :)
Wie geht ihr vor? Was ist eure Struktur am Einsatzort.

ehem-user-11022019-1151
21.04.2015, 22:39
oh sorry Brutus, ich habe deine Frage unterschlagen.
Medikamente werden keine regelmäßig eingenommen, so die Aussage der Frau.

Sebastian1
21.04.2015, 23:05
Wie geht ihr vor? Was ist eure Struktur am Einsatzort.Kommt drauf an. Auf dem Melder steht viel, vor allem viel, was dann am Einsatzort ganz anders ist.
Was finde ich denn für einen Patienten vor? Mit den o.g. Erkrankungen kann man von mopsfidel bis reanimationspflichtig so ziemlich alle Zustände einnehmen.

ehem-user-11022019-1151
22.04.2015, 13:40
Okay, ihr seid am Einsatzort angekommen, die Frau hat euch obigige Informationen gesagt und führt euch nun in das Schlafzimmer ("er ist ja müde...").
Im Schlafzimmer findet ihr den Mann auf dem Bett liegend mit einer Decke zugedeckt.
Auf den ersten Blick scheint er nicht zu schlafen, die Augen sind weit geöffnet, er reagiert jedoch nicht, als ihr in das Zimmer eintritt. Der Brustkorb hebt und senkt sich.
Die Frau steht ziemlich aufgelöst daneben und wiederholt immer wieder, dass er die ganze Zeit nur schläft.
So, wie gehts weiter? Was wollt ihr zuerst abchecken?
Wie gesagt: Palliativbehandlung war bisher kein Thema für sie und die restlichen Chemotherapien wurden gut vertragen.

Absolute Arrhythmie
22.04.2015, 15:22
Ich versuch es mal und hätte gern: starken Schmerzreiz, Ekg, RR, BZ und O2 Sättigung.

erdbeertoertchen
22.04.2015, 16:29
Pupillenreaktion?

Brutus
22.04.2015, 17:24
Hmm. Wenn ich an "meine" Palliativpatienten denke, die haben fast alle die entscheidenden Arztbriefe zu Hause in Kopie. Also mal vorsichtig anfragen, ob es einen Arztbrief von der OP, dem letzten MRT/CT, der Chemo oder so in der Art gibt.
In der Zwischenzeit, wenn die Frau mit suchen beschäftigt ist, können wir ja mal die Überwachung dranbasteln und vor allem mal ein BZ machen. Wäre nicht der erste Patient mit einer konsumierenden Erkrankung, der einfach mal hypoglykäm wäre.
Aber bis jetzt ist jetzt noch nix, was mich in irgendeiner Art und Weise zu Kurzschlußreaktionen hinreißen lassen würde.
Bislang würde ich erstmal alles sehr zurückhaltend und mit jeder Menge Hinterfragen erledigen.

ehem-user-11022019-1151
22.04.2015, 18:56
Die Frau wird dann mal weggeschickt, nach Unterlagen bezüglich der Erkrankung und so weiter zu schauen.
Währenddessen erhebt ihr die ersten Werte:
Schmerzreiz/GCS: Augen sind ja schon geöffnet, auf Schmerzreiz reagiert er mit minimaler Augenbewegung bzw. Blinzeln.
Ab und zu stöhnt er vor sich hin, nicht konversationsfähig, zudem reagiert er ungezielt auf (starken) Schmerzreiz
GCS von 8 (2-2-4)
EKG leitete ich etwas später ab, es wies aber einen Sinusrhytmus auf,
HF von 90, Puls etwas schwach tastbar
Sättigung ergibt 97%
Blutdruck: Normaler Wert von 130/70
In Realität lief der Einsatz natürlich etwas anders ab als hier, entsprechend der Umstände haben wir erstmal versucht über Nachfragen (Anamnese...) rauszufinden, deshalb kam die Bestimmung des BZ erst etwas später im Rahmen der i.v.-Zugang-Anlage, da ihr ihn aber wissen müsst (um weitere Maßnahmen zu treffen) teile ich ihn euch natürlich gleich mit
BZ: 115 mgDL (für die "andern": 6,3mmol/l)
Pupillen bzw. Pupillenreaktion: Pupillen isokor, mittelweit, sehr verzögerte LR (LR mit "normaler" Pupillenleuchte durchgeführt), Patient fixiert nicht, als ihr ihn anschaut bzw. in die Pupillen leuchtet
Nochmal kurz:
keine Vorerkrankungen außer der CA-Geschichte, keine Dauermedikation

Das wären die geforderten Untersuchungsergebnisse, die Frau braucht noch einige Minuten, um sich zurechtzufinden, wollt ihr noch weitere (Untersuchungs-)maßnahmen treffen?

Brutus
22.04.2015, 19:10
Zusammenfassung: Colon-CA, Lungenmetastasen, unter Chemo AZ-Verschlechterung. Die klassische Aufnahme auf der Palliativstation. :-nix
Insofern würde ich mich jetzt nicht überschlagen. Die Ehefrau soll die Unterlagen suchen, iv-Zugang wäre nicht verkehrt, vielleicht hat der Patient ja einen Port? Es läuft ja IMHO auf eine Aufnahme hinaus, denn die Frau ist ja objektiv überfordert mit der Situation. Insofern würde ich mir schon mal Gedanken machen, wohin. Zum Beispiel dahin, wo die Chemo gemacht wird. Ist dort auch die Möglichkeit einer palliativen Versorgung?

Mondschein
22.04.2015, 23:28
Zur "klassischen Aufnahme auf die Palliativstation": Jein, ich denke so einfach ist es nicht...
Könnte auch ein Infekt in Neutropenie sein - natürlich trotzem riskant und unter Umständen lebensbedrohlich, aber insbesondere ein ColonCA hat unter Umständen keine soooo schlechte Prognose (falls die Chemo wirkt unter Umständen ja sogar sekundäre Resektabilität von singulären Metastasen, klar selten, aber möglich). Da hätte ich auch wie bereits von den Vorredner gewünscht gerne den Brief (Regression oder Progression, gabs schon Neutropenien?).
Und wenn die Ehefrau wieder zurück ist: Wann war die letzte Chemo, könnten wir uns im Nadir befinden? Hatte / hat er Fieber (in Neutropenie ja eh nicht immer) oder kann man das Grundproblem jenseits von "er wacht nicht auf" sonst irgendwie eingrenzen? Die Thrombos waren ok? (DD Hirnblutung?).
Grundsätzlich würde ich auch die behandelnde Klinik bevorzugen (außer es ist ganz klar vorher schon auf die absolute Palliativschiene gebahnt und das scheint es ja nicht zu sein).
Klar gibts auch verrückte Onkologen, aber aus der Erfahrung einer Klinik mit eher vernünftigeren Handlungsweise: Wir nehmen solche Pat. sehr gerne selbst auf, schauen, was das Problem ist, ob es behebbar ist oder nicht und entscheiden dann. Weiterverlegung auf die Pall. ist ja trotzdem jederzeit möglich und "notfalls" kann man auch in der Inneren friedlich sterben... Oder nach einer Woche Antibiose fit nach Hause entlassen werden und zum nächsten Zyklus wieder problemlos antreten wenn doch mal alles gut klappt :)

ehem-user-11022019-1151
23.04.2015, 08:31
Guten Morgen.
Die Frau kommt etwas später zurück, leider hält sie nur zwei Dinge in der Hand: eine Visitenkarte des betreuuenden Onkologen und ein Informationsblatt, wie zu handeln ist, wenn es ihm schlecht geht, er Fieber hat und so weiter. Die Befunde sind alle beim Hausarzt bzw. in der Klinik
Die betreuuende Klinik ist ca. 90 km entfernt, das nächste Krankenhaus ungefähr 5km. Das Klinikum beinhaltet sowohl Innere Medizin mit Palliativstation als auch eine Neurologie und Neurochirurgie; CT und MRT verfügbar.
Die Ehefrau hat nicht wirklich Ahnung, wie genau die Werte sind, aber bei der heutigen Chemotherpie kamen keine Bedenken bezüglich der Blutwerte.

Wirklich auf Palliativschiene scheint die Frau nicht zu sein, sie ist einfach nur überfordert und weiß nicht, warum ihr Mann die ganze Zeit schläft.
Mondschein erwähnte die Temperatur: 36,8°C
Zudem kommt eine DD auf:
1.) Hirnblutung

Während der Notarzt mit der Frau redet, klebt einer von den Kollegen das EKG (wie gesagt, das kam etwas später, deshalb kommt die nächste Information auch erst jetzt ;-) ). Nach dem Kleben macht er den NA darauf aufmerksam, dass der Patient am Bauch mehrere Hämatome hat.
Auf Nachfrage sagt seine Frau: "Ach, das kommt von den Thrombose-Spritzen..."



Brutus: ich kann es gerade nicht zu 100% sagen, ob sie einen Port hatte. Ist mir leider entfallen. Wir hatten jedoch einen i.v.-Zugang etabliert.

Und nu?

erdbeertoertchen
23.04.2015, 11:41
Wie ist der restliche neurologische Status? Babinski? Reflexe?
Wie hoert sich das Herz , die Lunge an?
Palpation, Auskultation Abdomen, reagiert der Patient auf Druck im Bauchraum?
hat der Patient sonst noch wo Haematome?
Was zeigt das EKG ausser Sinusrhythmus?

ehem-user-11022019-1151
23.04.2015, 17:53
EKG: normales 4-Pol-EKG mit Sinusrhythmus, keine Blockbilder, keine ERBS, keine Extrasystolen.
Herz und Lunge: auskultatorisch ohne pathologische Befunde
Abdomen: weiche Bauchdecke, beim Umlagern Stöhnen, sonst keine Reaktionen (kein Auskultieren)
keine weiteren Hämatome, nur am Bauch wegen den Clexanespritzen.

Der restliche Neurostatus (der NA war kein Neurologe und kann dann natürlich nicht die Feinheiten der Neurologie... ;-) )
Babinski rechts positiv. Patellasehnenreflex beidseits da. Rechts lässt sich an den Extremitäten jedoch eine schlaffe Hemiparese festellen. Mit der linken Hand nestelt er bisschen herum, rechts wird jedoch nicht bewegt.

Langsam könnte eine Entscheidung getroffen werden. Bleibt der Patient da, wird versucht, den HA zu verständigen? Oder kommt der Patient mit?
Welche Station? Innere Medizin/Palliativ?
Wollt ihr noch etwas bezüglich der Neurologie wissen? (Pupillen immer noch isokor!?...)
Verdachtsdiagnosen? DD?