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Gesocks
25.04.2015, 23:15
Schneidiger Titel, nä? Ärztlicherseits bitte ich fürs Erste wieder um Zurückhaltung; Fehler sollen später natürlich gern korrigiert, Hinweise, Einwände usw. gegeben werden, grobe Schnitzer auch sofort. Vorkliniker und Frisch-Kliniker sind eingeladen, sich zu beteiligen!

Spielregeln: Kleinschrittig und möglichst exakt, was machen und warum, worauf soll geachtet werden.


Es ist Sommer; frühmorgens in der prallgefüllten Notaufnahme. Eigentlich kommt unser Patient per Notarzt, aber dessen Vorgehen unterschlage ich mal außer der mitgebrachten Fremdanamnese (weiß auch nicht mehr wirklich, was die schon gemacht haben :-))).
Die Nachbarin hat die offene Haustür bemerkt, dann mal in den Vorgarten gelugt und da liegt der Herr; weitgehend regungslos, ab und zu stöhnend, auf dem Bauch, Kopf und (Stein-) Boden sind blutig. Patient stöhnt auf Anfrage und bringt sowas wie "Tut weh..." hervor.
Die Gute kennt den Patienten seit einigen Jahren; man gießt sich gegenseitig die Blumen und macht dogsitting; 70 Jahre alter Herr, topfit, wenn nicht am Schreinern, dann mit den Neffen oder dem Hund zugange, frühberentet im Zusammenhang mit mehreren jeweils sehr langen Aufenthalten in der Psychiatrie, in andauernder psychiatrischer Behandlung, dahingehend auch Medikamenteneinnahme. Aus dem Hause kann die Telefonnummer der Tochter geborgen werden, sonst nichts wegweisendes - ... time lapse ... - es ist kurz nach 4.00 und der Patient kommt an.

ycr83
29.04.2015, 10:31
Das ist alles was wir wissen und NA/RD sind schon wieder über alle Berge, ja? Gut, als Anknüpfungspunkt für den Beginn würde ich hier von einem Trauma (Sturz?) ausgehen und den Pat. erstmal als solchen behandeln, also ABCDE abarbeiten.
Konkret: Ist er bei Bewusstsein? Wie ist die Atmung (suffizient, normofrequent, Thorax hebt und senkt sich gleichmäßig?) was sagt die Sättigung?
Wie sind Hautkolorit, Puls, RR? Sieht man auf den ersten Blick eine offensichtliche starke Blutungsquelle? Kurz an Thorax und Becken rütteln.
Dann relativ zügig zu D: Reaktion auf Ansprache, GCS? Pupillen?
Gerade bei dieser Geschichte wäre Wärmeerhalt und eine zügige Temperaturmessung wichtig.

Optimalerweise hat jemand parallel einen Zugang gelegt und den BZ gemessen. Wenn ABCDE soweit ok, würde ich jetzt einen etwas gründlicheren Bodycheck anschließen. Parallel versucht jemand die Tochter zu erreichen.

ehem-user-11022019-1151
30.04.2015, 13:53
Klar, erst mal ABCDE und Bodycheck. Was ist genau los?
Wenn er normal in deiner Notaufnahme liegt, gehe ich davon aus, dass dies kein Schockraum war, oder?
Dann würde mich auch noch etwaige Medikamenteneinnahme (Marcumar..) interessieren (außer den Medikamenten, die er im Rahmen seiner psych. Erkrankung benötigt.)

Gesocks
30.04.2015, 15:49
Nope, kein Schockraum; erstmal "normal" unfallchirurgisch.
Vom Rettungsdienst liegen zwei Zugänge und eine Ringer tröpfelt daher.

Atemwege frei
AF 22 / min, sPO2 94 %, blasses Hautkolorit, nicht zyanotisch. Seitengleiche Thoraxexkursionen.
RR 95 / 55, HF 120 / min.
Spaltweite Augenöffnung auf Schmerzreiz. Auf Ansprache Ächzen, Stöhnen und ein bisschen unverständliches Gemurmel. Arme werden auf Aufforderung etwas angehoben, Beine auf tibialen Schmerzreiz weggezogen. Bewegungen wirken anstrengend und schmerzhaft.
Mit etwas Hilfe beim Augenöffnen: Pupillen sind mittelweit und leidlich lichtreagibel. Zur Prüfung von Konvergenzreaktion und Folgebewegungen schließt der Patient die Augen.

Keine starke Blutung ersichtlich. Links frontal eine Beule mit Riss-Quetsch-Wunde von ca. 4 cm, die Blutung sieht gestillt aus. Keine Zeichen weiterer Verletzungen, Kalotte stabil und Palpation schmerzhaft, Nacken palpatorisch schmerzhaft. Thorax und Becken scheinen stabil.

Aurikulär 37,5 °C, BZ 141 mg / dl, Zugänge existieren wie gesagt.

Die Tochter geht nicht ran, über Medikamenteneinnahme wissen wir nichts genaueres, auch nicht über das psychiatrische Zeug.

bremer
30.04.2015, 16:29
...cct

ycr83
30.04.2015, 16:30
Ok, das ist ja schonmal was. Wenn wir die Tochter nicht erreichen und nichts über die Medikamente wissen, würde ich das jetzt erstmal zurückstellen.
Mit diesen Vitalparametern darf die Ringer gerne schnell laufen, Sauerstoff über Maske ist wohl auch nicht verkehrt. Insgesamt drängt sich mir hier ein SHT auf, deswegen kommt jetzt m.E. relativ zügig ein CCT mit Fragestellung Blutung. Vorher würde ich noch auf Herz (rein,rhytmisch?) und Lunge (seitengleich alveolär?) hören und auf den Bauch drücken (ist er weich? Irgendwo diskret druckschmerzhaft?). Außerdem hätte ich gerne ein FAST-Sono, falls es ohne größeren Aufwand verfügbar ist. Wenn es aus irgendwelchen Gründen nicht geht, wäre m.E. gleich eine Traumaspirale zu rechtfertigen.

Zudem nehmen wir Blut ab für ein Notfalllabor: BB, Elektrolyte, Hb (!), Krea würden mich hier vorrangig interessieren.

ehem-user-11022019-1151
30.04.2015, 17:06
Kommunikation mit dem Patienten: bekommen wir aus ihm etwas raus? Kann er vielleicht doch etwas sagen?
Ansonsten stimme ich ycr zu, Ringer laufen lassen, O2-Gabe, Vigilanzüberwachung (nicht dass er bewusstlos wird..), Blutentnahme für das Labor und am Besten schnell was interkranielles ausschließen.
Treat first what kills first...

PS: Hatte er eine StiffNeck vom RD erhalten?

Gesocks
30.04.2015, 17:59
Nein, Stifneck gab's zu keinem Zeitpunkt (... ist m.W.n. doch auch out, wegen intrakranialer Druckerhöhung).
Ringer machen wir doller, mit homöopathischem Sauerstoff per Brille SpO2 97 %
Der Patient reagiert zu jeder Zeit auf Ansprache, Informationen sind aber nicht zu bekommen.

Herz: 120 / min, rein, rhythmisch
Lunge: Überall vesikuläre Atemgeräusche
Bauch ist weich und nicht druckschmerzhaft

cCT kommt - HWS auch, nehme ich an?
cCT: Keine Mittellinienverlagerung, Mark und Rinde gut differenzierbar. Keine epidurale, subdurale, subarachnoidale oder intrazerebrale Blutung. Keine Frühzeichen einer frischen Ischämie. Basale Zisternen regelrecht abgrenzbar. Kleines Kopfschwartenhämatom links frontal. Regelrechte Belüftung der Nasennebenhöhlen und Mastoidzellen bds. In der Durchsicht des Knochenfensters kein Nachweis einer Fraktur.

CT HWS: Kein Nachweis einer frischen traumatischen Verletzung. Z.n. von ventral eingebrachter Spondylodese von HWK4 auf HWK5, mit 5 Schrauben fixiert. Keine Lockerung der Fremdmaterialien. Z.T. Verknöcherung des Bandscheibenfaches C 4/5. Kein Nachweis einer Segmentinstabilität. Am ehesten degenerativ bedingt nach links dezentrierter Dens axis.

FAST können wir auch: Kein Nachweis freier Flüssigkeit.

Labor ist angemeldet (kleines Blutbild, Elektrolyte, Krea - warum Krea?) und Blut verschickt (Nachmeldewünsche?). Lässt sich in der Zwischenzeit noch was machen?

ycr83
30.04.2015, 20:36
Ok.
Das Krea will ich wissen, um schnell und grob die Nierenfunktion abschätzen zu können, das kann auch mal einen nahe-komatösen Zustand erklären. Ansonsten würde mich jetzt brennend der Hb interessieren, vor allem ob er die Bewusstseinstörung erklären kann. Desweiteren wäre jetzt die Zeit, mal Leberwerte und Ammoniak nachzumelden, weitere sinnvolle Werte fallen mir nicht ein.

Haben wir den Kollegen eingentlich einmal nackig gemacht und wirklich komplett angeguckt? Eine Hafenrundfahrt hätte er bei mir auch gewonnen - in den Darm hinein kann man still und leise verbluten. Achso - der Mundraum sieht nicht zufällig aus, als hätte er erbrochen, oder?

grundewelle
30.04.2015, 21:41
A: Alkohol, Azidose?
E: Endokrin, Elyte?
I: Intox?
O: O2 - scheint ja gut.
U: Urämie

T: Trauma - vorhanden, aber scheint ja erstmal nichts zentrales beschädigt zu haben.
I: Infektion, Insulin?
P: Psychosomatisch/Psychiatrische Ursache - Tochter erreichen wäre optimal.. Ansonsten jemanden der ihn kennt.
S: Stroke - Eher nicht. Seizure? Synkope?


Nein, Stifneck gab's zu keinem Zeitpunkt (... ist m.W.n. doch auch out, wegen intrakranialer Druckerhöhung).
Stimmt, manche machens aber angeblich auch zur Drucksenkung - Um die venösen Gefäße im Hals "gerade" zu stellen... Ich denke bei ihm hier wäre eine normale Ohrläppchen-zu-Sternum Lagerung ohne Stifneck in Ordnung.

Als nächstes Normwerte herstellen - Spricht er auf den Flüssigkeitsbolus an? Gibts andere Erklärungen für den RR? Ausschlag, oder irgendwas, was an Anaphylaxie denken lässt? Der HB dürfte ja zu dem Zeitpunkt fast noch normal sein, selbst wenn er blutet. Damit würde ich ggf. noch etwas warten und den über BGA machen.

Interessant wäre jetzt das Labor!

Achja: Hat mal einer ein EKG geschrieben? Nicht, dass der kardial bedingt synkopiert und dann gestürzt ist...

Gesocks
01.05.2015, 21:22
Ok, ich habe ja selbst keine Rettungsdiensterfahrung; Stifneck wurde mir meistens pauschal als Teufelswerkzeug nahegelegt. Also wenn, dann gleich Spineboard oder Vakuummatratze.

Ja, eine vollständige unbekleidete Untersuchung fand statt. Nach Erbrechen sieht es bislang nicht aus. Zwecks Krampf: Kein Zungenbiss, nicht eingenässt. Ausschlag oder Ödeme sehen wir nicht.
Der Blutdruck ist mit Ringer bei 100 / 60. Nach Alkohol riecht er nicht, Ethanol nehmen wir aber in die Laboranforderung, Harnstoff auch. Endoskopie merken wir uns.
Die Tochter ist nach wie vor nicht erreichbar.

EKG gibt's im Anhang, Labor kommt danach! :-top

EDIT:
EKG nochmal ohne Downscaling:
http://www0.xup.in/exec/ximg.php?fid=52920408
http://www0.xup.in/exec/ximg.php?fid=19406695

grundewelle
01.05.2015, 22:03
D-Dimere und Trop wären glaube ich angebracht :-kaffee

ycr83
01.05.2015, 22:37
Hm, klare Ischämiezeichen sehe ich da jetzt nicht, allenfalls die diskreten Senkungen in V1. Einen RSB hat der Gute auch, macht erstmal nichts. Was mich jedoch stutzig macht, ist der Lagetyp. Je nach genauen Amplituden in den Extremitätenableitungen ist das ein Linkstyp/überdrehter Linkstyp oder aber eine sagittal stehende Herzachse... Mir tut sich hier gerade eine dekompensierte Herzinsuffizienz als DD auf. Wenn schnell verfügbar, würde ich mal einen Schallkopf an das Herz halten und schauen, wie die Pumpfunktion so grob aussieht.

grundewelle
02.05.2015, 06:58
Hätte als DD jetzt noch eine LAE aufgeführt... Aber schallen ist ja erstmal nicht verkehrt!

Gesocks
02.05.2015, 12:16
Ich würde noch um tiefes Q in III und aVF ergänzen - abgelaufener inferiorer Infarkt?

Echo habe damals direkt auf Station nur ich gemacht und fractional shortening habe ich erst später gelernt. Also "orientierendes TTE" - schlägt und kommt was raus... :-))

Erstmal Labor:
Leukos 21,9 Tsd / µl
Erys 4,6 Mio / µl
Hb 13,1 g / dl
Hk 38 %
MCV 84 fl
MCH 29 pg
Thrombos 86 Tsd / µl

Natrium 137 mMol
Kalium 4,3 mMol
Calcium 2,2 mMol
Krea 1,9 mg / dl
Harnstoff 72 mg / dl
Harnsäure 6 mg / dl

AST 60 U / l
ALT 108 U / l
AP 212 U / l

BZ 151 mg / dl

Weitere DD's, Untersuchungs- und Nachmeldevorschläge?

ycr83
02.05.2015, 13:26
Hmm.. Leukos, keine ganz fitte Niere (ich nehme an, das ist kein Muskelpaket, das 3 kg Fleisch pro Tag vertilgt?), bisschen Thrombopenie, die Leberwerte würde ich erstmal auf die chronische Medikamenteneinnahme schieben (SSRI und trizyklische machen sowas recht ausgeprägt und sind bei ihm recht wahrscheinlich). Wenn ich so darüber nachdenke, 37,5°C ist nicht die Temperatur, die ich bei jemandem erwarte, den ich nachts vom Steinboden aufgesammelt habe, evtl. wird hier ein Fieber maskiert. Ich würde noch CRP und evtl. auch PCT haben wollen. Blutkulturen schaden ebenfalls nicht.
Ich denke dann auch Richtung Sepsis und/oder Endokarditis/Myokarditis.

Gesocks
02.05.2015, 14:07
CRP 24,4 mg / dl
PCT 2 µg / l

Gerinnung, hinsichtlich DIC:
Quick 81 %
INR 1,1
aPTT 36 s
AT-3 85 %

Ein gewisses "DFIB" wurde auch noch bestimmt; Referenzbereich 150 - 400 mg / dl, bei uns > 400 mg / dl - das könnte Fibrinogen sein.

Anlass genug, Temperatur nachzumessen: Aurikulär wieder 37,5 °C. Sicherheitshalber nochmal rektal: 39 °C
Blutkulturen sind gezapft.

ycr83
02.05.2015, 14:50
Jetzt sollte es m.E. schleunigst Antibiose geben, noch in der Notaufnahme. Am besten entsprechend den hausinternen Leitlinien für kalkulierte AB bei Sepsis - z.B. Cefotaxim + Chinolon. Dann Aufnahme auf Intensiv oder IMC, jedenfalls am Monitor und zügig Fokussuche: Gibt es Anhalt für eine Meningitis (z.B. Meningismus)? Mit den Symptomen würde ich fast dazu neigen, einfach zu punktieren. Dann RöTho und DK. Wie sieht der Urin aus, was sagen U-Stix und Labor?

Gesocks
02.05.2015, 16:28
Nackensteif (kein Plan, ob und wie weit das auch mit der Spondylodese zu rechtfertigen ist) und knallhart Lasègue-positiv! :-))
Erys, Leukos, Bakterien in Urin und Sediment.

Nach Rücksprache mit den Neurologen aus dem Nachbarhause: Lumbalpunktion nicht abwarten, sondern sofort mit kalkulierter Antibiose (Ceftriaxon / Cefotaxim + Ampicillin) beginnen, zügig verlegen und dort LPieren.

Hat sich dann als Pneumokokkenmeningitis herausgestellt, im Urin E. coli.

ehem-user-11022019-1151
03.05.2015, 21:15
Danke für das Fallbeispiel :-top
Erst denkt man "wird schon etwas chirurgisches sein" und dann sieht es doch etwas anders aus :)