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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Delirtherapie auf der ITS



LasseReinböng
03.07.2015, 19:32
Ich bin auf der ITS in den Spät- und Nachtdiensten immer wieder mit motorisch unruhigen, vegetativ entgleisten und desorientierten Patienten konfrontiert. Nach Ausschluß von Schmerzen, Exsikkose, Infekt, Entzug usw. versuche ich es i.d.R. mit Midazolamgaben und dann als weitere Eskalationsstufe i.d.R. Haldol i.v.

Als Anästhesist relativ frisch aus dem OP kenne ich mich mit Antipsychotika/Neuroleptika nicht sehr gut aus und orientiere mich da gerade eher an den anderen Kollegen, die meistens zu Haldol tendieren.

Mich würde daher interessieren, was ihr so gebt. Haloperidol i.v. ist ja auch nicht so ganz unproblematisch. Auf der benachbarten ITS in meine Haus hat sich vor kurzem ein Patienten mit Torsade de Pointes Tachykardien nach Haldol i.v. ins Jenseits verabschiedet. Im Studium wurde auch immer wieder vor der unkritischen Haldolgabe gewarnt...

Da frage ich mich, wie denn die Alternativen aussehen ? Atosil ? Melperon ? Auf einer anästhesiologischen ITS betreibe ich natürlich keine ausgefeilte psychiatrische Diagnostik sondern bin froh, wenn die Patienten sich bis zum nächsten Morgen nicht sämtliche Zugänge gezogen haben, aus dem Bett gestürzt sind usw.

EKT
03.07.2015, 20:35
Auf einer anästhesiologischen ITS betreibe ich natürlich keine ausgefeilte psychiatrische Diagnostik

...wie auch immer die unter den Bedingungen aussehen sollte;-)

Dein Vorgehen ist schon richtig, Haloperidol ist Standard, i. v. eigentlich nicht mehr erlaubt, aber dort ja nicht anders möglich, somit sind TdP leider ein Risiko (ein unbehandeltes Delir hat eine höhere Mortalität). Mit Benzo eher vorsichtig (nur zum Schlafen), da oft paradoxe Wirkung bei Älteren. Niedrigpotente NL selbst delirogen.
Möglichkeit bei Pat. mit hohem Delirrisiko: prophylaktisch sehr niedrig dosiertes hochpotentes NL, z. B. Risperidon vor Op.

Hellequin
03.07.2015, 20:48
Das wichtigste an der Delirbehandlung ist vor allem frühzeitig anzufangen und nicht erst dann anzufangen wenn der Patient völlig durchgängig ist. Ist in meinen Augen eines der häufigsten Probleme überhaupt und steigert natürlich auch den Dosisbedarf. Midazolam ist gut wenn man akut was am Pat. machen will, ansonsten hat es halt eine kurze Haltwertszeit und kann insbesondere bei älteren Pat. auch paradox wirken. Möglichkeiten wie man behandelt gibt es natürlich viele, das hängt halt auch immer von den persönlichen Präferenzen und den Hausstandards ab.
Wir fangen bei uns möglichst frühzeitig an, dann gibt es Haldol 5 Tropfen 1-0-1 und Melperon in einer im Tagesverlauf ansteigenden Dosis z.B. 0-3-3-5 ml. Wenn die Verwirrtheit vor allem nachts auftritt kann man es anstelle von Haldol auch mit einer abendlichen Dosis von Quetiapin, bei älteren Pat. etwa 25-50 mg, bei jüngeren ggf. deutlcih mehr versuchen.
Regelmäßige EKG-Kontrollen wegen der Gefahr von QT-Zeitverlängerungen sollten dann halt regelmäßig bei Neuroleptikagabe gegeben werden.

Sebastian1
03.07.2015, 21:09
Ich kann diesbezüglich die Lektüre der entsprechenden Leitlinie (die genau für die Intensivmedizin gilt, siehe hier: http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/001-012.html ) nur dringend empfehlen, da ich es selbst erlebt habe, dass man sich halt an vermeintlich erfahreneren Kollegen orientiert um dann zu merken, dass deren Konzept nicht das Gelbe vom Ei sein muss.
Ich unterstreiche dabei nochmal die hier schon genannte Vorsicht vor den BEnzos (gerade bei geriatrischen Intensivpatientin, im Alkoholentzugsdelir ist das nochmal komplett anders) und den frühzeitigen Ansatz.
Und man kann nur dazu raten, ein gutes KOnzept aus Analgesie, Sedierung und Delirmonitoring auf Intensivstationen zu etablieren (CAM-ICU min 1x/Schicht, also alle 8h) und daraus frühzeitig Konsequenzen zu ziehen.
Als Anästhesist fixt man ja schnell mal ein paar mg Dormicum, kennt man halt und schafft halt, wenn nicht fulminant paradox reagiert wird, für einen Moment trügerische Ruhe.
Haloperidol als antipsychotisch wirksames Medikament hat einen wichtigen Platz in der Therapie des Delirs, und auch die eher sedierend wirkenden niederpotenten Neuroleptika wie Pipamperon oder Promethazin haben ihren Stellenwert, die Anwendungsindikation ist wieder enorm von Patient und Genese des Delirs abhängig.
Anticholinergika haben dagegen im Routineeinsatz eher keinen Stellenwert.
Ist aber definitiv ein Thema, bei dem es sich lohnt, sich frühzeitog damit auseinanderzusetzen, damit hilft man allen Beteiligten. Delir ist mit einer nicht zu vernachlässigenden Mortalität behaftet und die adäquate Delirprophylaxe und -therapie mit einem wesentlich verbesserten Outcome.

WackenDoc
04.07.2015, 08:44
Mit Promethazin hab ich auf Normalstationen sehr gute Erfahrung gemacht. Aber nicht mit den homöopathischen Dosen die die Psychiater empfohlen haben von wegen 10 Tropfen, sondern gleich die halbe Ampulle i.v.

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04.07.2015, 18:26
Die üblichen Verdächtigen:
Pipamperon frühzeitig, Atosil (gerne auch iv. wenn schon Action ist), Haldol - auch eher früh beginnen, im Notfall auch parenteral (iv./im. je nach Situation), Risperdal/Quetiapin, Propofol titriert (wenn sehr viel Action und andere Regime primär scheitern)...
@ NW: Torasaden sind gefährlich, Delir auch, Medizin im allgemeinen auch.

@ CAM-ICU:
Man liegt als alter, schlecht sehender Mensch in einem fremden Raum, ist verkabelt, es piept, fremde & verkleidete Menschen (Noro/MRSA whatever) Menschen kommen und gehen, reden schnell und unverständlich (Hörgerät ohne Batterie/zuhause). Nun kommt wieder jemand und redet mit einem/stellt folgen Fragen:
1) ABRAKADABRA - ANANASBAUM
2) Leben Elefanten im Meer?
Spätestens jetzt, ist der Patient sicher "durch" ;-) ;-)

Aber eigentlich ist der Test ganz schön.

Absolute Arrhythmie
04.07.2015, 18:30
Ich hab (als Pflegekraft auf einer Kardiochirurgischen ITS) gute Erfahrungen mit häufiger und frühzeitiger Mobilisation, dem Anbringen von gut lesbaren Uhren im Sichtfeld der Patienten und dem Abdunkeln der Zimmer während der Nacht gemacht. Ist vielleicht medizinisch zu "simpel", hilft aber oft.

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04.07.2015, 18:36
Ich hab (als Pflegekraft auf einer Kardiochirurgischen ITS) gute Erfahrungen mit häufiger und frühzeitiger Mobilisation, dem Anbringen von gut lesbaren Uhren im Sichtfeld der Patienten und dem Abdunkeln der Zimmer während der Nacht gemacht. Ist vielleicht medizinisch zu "simpel", hilft aber oft.

Ganz im Gegenteil, nix simpel. Das sind die wichtigen Sachen. Strukturen schaffen wie es nur geht (dazu gehört auch das man das Echo lieber morgens macht, wenn nicht akut dringlich, auch wenn man jetzt gerad eum 03:00h Valenzen dafür hat), möglichst gleiche Gesichter, bewusste Lärmreduktion (gibt so schöne optische Geräuschpegelwarner), private Bilder, eigene Armbanduhr usw.

][truba][
04.07.2015, 19:28
Es gibt ja auch Versuche und wohl einige Ergebnisse, mit Tageslichtlampen in den Zimmern und (wie bereits geschrieben) strenge Tag-Nacht Rhythmus (sprich, tagsüber die Lampen an, Nachts streng aus (wenn nicht grad akut)). Wird bei uns auch grade getestet. Und auch konsequent auf schlaf achten. Wer Nachts nicht schläft (und auch nix dafü bekommt) rutscht meiner Beobachtung häufiger ins Delir.

Ich hab zusätzlich ganz gute Erfahrung (für Pflegekräfte - bei mir ebenfalls kardiochirurgische ITS) mit biografischer "Pflege" gemacht. Tagsüber bei einem deliranten Patienten viel über frühe Kindheit/Jugend/Berufe sprechen hat manchmal geholfen (kann zusätzlich aber auch an den Medis gelegen haben und klappt bei weitem nicht immer).

Antracis
05.07.2015, 18:39
Quasi nur ein Erfahrungsbrainstorming aus dem Konsildienst ohne Anspruch auf Systematik:

So wichtig das Aufspüren der Äthiologie des Delirs und damit die Möglichkeit der kausalen Behandlung ist, hat man gerade auf der ITS schnell 10 mögliche Faktoren zusammen, von denen man die meisten eh nicht beeinflussen kann und es läuft oft doch auf eine rein symptomatische Behandlung hinaus. Aber: Essentiell ist eine Einschätzung der Wahrscheinlichkeit für ein Entzugsdelir ( Vor allem Alkohol und Benzos), weil dann auch im Verdachtsfalle Benzodiazepine die erste Wahl sind. Auch nicht so exotisch wie es klingt ist die Abgrenzung Delir vs Lewy-Body-Demenz. Wenn man da dann das Haldol erstmal drin hat, ist die Situation meist doppelt so schlimm wie vorher.

Haloperidol ja, aber wie bereits erwähnt sind Indikation und Doku bei i.v.-Gabe essentiell wegen der Zulassungslage. Und man braucht fast immer weniger Haloperidol als gegeben wird.

Von Promethazin/ Atosil würde ich abraten, da anticholinerg und deshalb mit delirogener Potenz. Es gibt meines Wissens keine aussagekräftige Studienlage, aber in der Literatur wird das Problem sehr häufig diskutiert.

Abschliessend: Fast immer hilft die zugewandte und ausdauernde Extrawache am meisten, aber wer hat die schon...

Gruss
Anti

Fr.Pelz
05.07.2015, 18:47
[truba][;1855497']Es gibt ja auch Versuche und wohl einige Ergebnisse, mit Tageslichtlampen in den Zimmern und (wie bereits geschrieben) strenge Tag-Nacht Rhythmus (sprich, tagsüber die Lampen an, Nachts streng aus (wenn nicht grad akut)). Wird bei uns auch grade getestet. Und auch konsequent auf schlaf achten. Wer Nachts nicht schläft (und auch nix dafü bekommt) rutscht meiner Beobachtung häufiger ins Delir.


Ich weiß jetzt nicht, wie die Studienlage dazu ist, aber in meiner IMC-Zeit haben wir den älteren, fraglich dementen Patienten abends Kaffee gekocht. Das soll die Hirndurchblutung beim evtl vaskulär nicht mehr fitten Hirn verbessern und somit, anders als bei Gesunden, Schlaf erst ermöglichen. Hat auch des öfteren geklappt, dass die geschlafen haben.

(Das nur meine 2 Cents - ansonsten war die Delirtherapie eine Katastrophe, ich war bei jedem einzelnen Dienst überfordert :-(

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05.07.2015, 19:59
....Ansonsten war die Delirtherapie eine Katastrophe, ich war bei jedem einzelnen Dienst überfordert :-(

Oft ist das Kind halt schon am Tag in den Brunnen gefallen... Melperon/Dipiperon muss rechtzeitig (tagsüber) antizipiert/angeordnet werden, sofern möglich. In der Akutsituation ist es rumgeeiere.
Wir telefonieren auch oft Angehörige herbei. Die müssen sich dann an das Bett setzen, wenn sie eine Weiterbehandlung ihres Angehörigen wünschen. Funktioniert ganz gut und erinnert die Leute daran, dass ein KH keine Werkstatt ist, wo die "kaputte Omi" hingebracht und familien-/alltagstauglich wieder abgeholt wird... Bei betrunkenen Teenies auch klasse; Freund bleibt gleich mal am Bett (im Liegesessel, ich bin fair ;-))

Sebastian1
05.07.2015, 20:05
Oft ist das Kind halt schon am Tag in den Brunnen gefallen... Melperon/Dipiperon muss rechtzeitig (tagsüber) antizipiert/angeordnet werden, sofern möglich.Ja. Ich bin da immer maximal angepisst, wenn eine Pflegekraft dann irgendwann (am besten, wenn der Patient durchgedreht ist) zu mir kommt und beiläufig sagt "xy hab ich nicht gegeben, der war ja klar heut nachmittag..." *halsumdreh*.... kommt leider immer wieder vor, geht gar nicht ohne Rückfrage.

*milkakuh*
07.07.2015, 08:01
Doppelpost

*milkakuh*
07.07.2015, 08:02
Gerade passend zum Thema gelesen: http://klinikum.uni-muenster.de/index.php?id=vollstaendiger_artikel&tx_ttnews%5Btt_news%5D=5259&cHash=2bd93ca58a5d6549ad43927379b9c645
(http://klinikum.uni-muenster.de/index.php?id=vollstaendiger_artikel&tx_ttnews%5Btt_news%5D=5259&cHash=2bd93ca58a5d6549ad43927379b9c645)

UKM neben Charité eine der ersten Kliniken mit „Adaptive Healing Room“ / Pilotprojekt soll Folgekomplikationen wie Delir verhindern

GOMER
08.07.2015, 03:36
So einen richtig schlimmen Fall hab ich jetzt schon ne Weile nicht mehr erlebt, aber wir machen für gewöhnlich Seroquel, auch beliebt ist dexmedetomidin. Benzos benutze ich grundsätzlich nicht.

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08.07.2015, 18:04
Dexdor würde ich gerne mal probieren. Haben wir leider nicht.

Sebastian1
08.07.2015, 18:59
ZUm probieren okay, keinesfalls durh die Bank für jeden Patienten geeignet (abgesehen vom Preis), als Therapie beim Delir allerdings habe ich es noch nicht gesehen. Meinem subjektiven Empfinden nach vermag es ggfs die prädelirante Exzitation etwas zu dämpfen. So als bahnbrechende Bereicherung empfinde ich Dexmedetomidin jedenfalls nicht.