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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : DNR, Therapielimitierung



ffr27
13.07.2015, 11:57
Wie besprecht ihr mit Patienten und Angehörigen, wie weit die Therapie gehen soll? Also welche Formulierungen verwendet ihr?
Und wann besprecht ihr es?
Finde das ein Ultra schwieriges Thema...

Pandora
13.07.2015, 12:39
Kommt drauf an ob es quasi "prophylaktisch" oder aus akutem Anlass ist.

In der Gerontopsychiatrie frage ich meist im Aufnahmegespräch mit den Angehörigen (meine Patienten sind in der Regel schwerst dement), ob es so etwas wie eine Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht gibt. Und die gibt es überraschend oft. Gibt es keine oder ist sie sehr schwammig formuliert frage ich je nach Fall konkreter nach, etwa: "Ihre Mutter hat ja schon viele Erkrankungen, da kann immer mal was sein. Sollte es zu einem akuten Problem kommen, Herzinfarkt zum Beispiel, wo sie leblos aufgefunden wird, sollen wir dann Wiederbelebungsmaßnahmen ergreifen oder wäre das nicht im Sinne ihrer Mutter? Wie ist es mit künstlicher Beatmung und Verlegung auf eine Intensivstation?". Und dann bespricht man eben einzelne Punkte genauer.

Bei akuten Anlässen muss meiner Meinung nach mit allen Beteiligten Klartext gesprochen werden. In der Neurologie haben wir bei infausten Prognosen das auch so kommuniziert, alle palliativen Behandlungsoptionen und ihre Grenzen und dann eben auch Therapiedeeskalation bzw. Reanimationswunsch angesprochen. Da gibt es kein Schema F, außer, dass man als Arzt bei dem Thema nicht rumdrucksen sollte, sondern wirklich ehrlich sein und sich überwinden muss das Wort "Sterben" in den Mund zu nehmen. Sonst kann der Patient/der Angehörige vielleicht in falscher Hoffnung seine tatsächlichen Wünsche nicht klar äußern.

THawk
13.07.2015, 12:52
Bei chronisch kranken Kindern frage ich bei der Aufnahme auf die Intensivstation ob es eine DNR-Order gibt. Wie man das einleitet hängt ein bisschen davon ab wie kritisch die Situation gerade ausschaut und wie die Vorgeschichte ist.

Ansonsten im Verlauf suche ich das Gespräch mit den Eltern und beginne damit, sie nach ihrem Eindruck zu fragen wie es sich bei ihrem Kind entwickelt. Wenn die sehr positiv eingestellt sind sollte man das wissen bevor man über Therapie-Ausmaß spricht. Dann fasse ich meistens meinen Eindruck zusammen und sage, dass ich denke, wir sollten uns gemeinsam Gedanken machen wie weit wir mit der Intensivmedizin gehen möchten, damit es am Ende für's Kind nicht quälend wird. Ich finde es dabei wichtig zu betonen, dass eine DNR-Order (der Name ist ja irgendwie - zu recht - veraltet, aber mir fällt der neue Begriff nicht mehr ein) auch bedeuten kann, dass wir alle Maßnahmen ausschöpfen und weder Hoffnungslosigkeit noch Therapie-Rückzug bedeuten muss. Es ist eben eine Willensäußerung der Eltern, die dem Team einen gewissen Rahmen gibt.

Dann gibt es i.d.R. mehrere Gespräche mit den Eltern, die am Ende als Gesprächsprotokoll und 'Ankreuz-Blatt' festgehalten werden (mit Unterschrift aller Beteiligter).
Beim Therapie-Rückzug ist es wieder etwas anders, da dokumentieren wir die Gespräche im Computersystem und lassen nicht gegenzeichnen. Das fände ich unethisch ("mit dieser Unterschrift habe ich den Tod meines Kindes besiegelt", nein, das muss anders gehen).

Pandora
13.07.2015, 13:36
Nach dem Lesen von THawks Post ist mir noch was ganz Wichtiges eingefallen: Niemals sollte den Angehörigen das Gefühl gegeben werden, sie seien es, die über Tod und Leben zu entscheiden hätten, oder "den Stecker ziehen" und den Patienten sterben lassen müssten! Es ist immer die Krankheit die zum Tod führt und die Frage ist nur, ob man von ärztlicher Seite versuchen sollte wie auch immer geartet reinzugrätschen oder von vornhinein der Natur ihren Lauf lassen sollte, auch wenn es das Versterben bedeuten könnte.

THawk
13.07.2015, 14:03
Sehr guter Punkt, Pandora. Sehe ich genauso.

Solara
13.07.2015, 14:29
Stimme Pandora ebenfalls zu.

Sebastian1
13.07.2015, 15:46
Ich führe solche Gespräche auf der Intensivstation naturgemäß sehr oft. Am wichtigsten finde ich Offenheit. Man muss den Patienten und/oder Angehörigen klar sagen, wo man steht (und auch ein "wir wissen aktuell nicht, wo das ganze hingeht" darf und muss man ehrlich sagen). Und man muss klar aussprechen, dass man selbstverständlich den Willen des Patienten, solange es medizinisch Sinn ergibt, als wichtigste Maßgabe respektiert. Selbstverständlichkeiten, die ausgesprochen werden müssen. Habe da bisher meist ein sehr positives Feedback bekommen - selbst, wenn man die Botschaften, die man überbringt, schlecht sind. Drumrumreden, (falsche) Hoffnung machen oder unkonkret bleiben verunsichert nur noch mehr.

Eilika
13.07.2015, 19:05
Im Verlauf ist das ja immer ganz was anderes. Ich frage an sich bei jeder stationären Aufnahme. Bei den jüngeren gesünderen zum Teil nicht, das stimmt schon. Aber ab einem gewissen Alter oder bei Vorerkrankungen. Da betone ich dann auch, dass es eine Routine-Frage ist und frage, wie weit man im (nicht zu erwartenden) Fall gehen soll. Also ob man Wiederbeleben und an Maschinen anschliessen soll. Was ich auch immer noch betone, ist, dass wir vorher natürlich trotzdem alles tun würden, um das ganze zu verhindern. Dass es einfach nur um den Fall geht, dass das Herz wirklich aufhört zu schlagen. Das verstehen viele dann ziemlich gut.

Brutus
14.07.2015, 18:56
Schmerz- und Palliativstation: da gehört die Frage einfach dazu. Und man glaubt gar nicht, wieviele Menschen, die auf die PALLIATIV aufgenommen werden, sich so überhaupt keine Gedanken zum Thema gemacht haben. Mittlerweile haben wir auch die Patientenverfügungen auf Lager. ;-)
Wir haben bei der Palliativaufnahme in dem Aufnahmebogen alle Eventualitäten aufgelistet, sodass man sich einfach nur entlanghangeln muss. Danach ist aber auch wirklich ALLES geklärt. DNR, Beatmung, Intensiv, Ernährung (egal wie), Sedierung (bis zu welchem Grad), etc, etc, etc...
Bei den Schmerzis mach ich es nicht. Auf Intensiv wohl schon regelmäßig.
Bei den Narkoseaufklärungen zum Teil...

annekii
17.07.2015, 19:59
Ich habe das Gespräch noch nie von Arztseite aus sprechen müssen, weil ich nicht viele der Situationen erlebt habe und dann immer jemand von den Fachärzten da war. Aber ich habe das Gespräch schon mehrfach aus Elternposition führen müssen. Ich wünsche mir dafür, dass sich die Ärzte dafür Zeit nehmen und keine Störung mit "ich muss schnell zum Notfall" passiert. So wie THawk es schreibt, klingt es für mich gut. Beim ersten Mal hat nämlich der Arzt meiner Meinung nach überhaupt nicht vorher erforscht, wo wir stehen. Wir sind von der Frage völlig überrascht worden. Eine Einleitung gab es nicht.
Letztes Jahr im Sommer haben sich die Ärzte der ITS nicht getraut, die Frage zu stellen, sondern habe die behandelnde Neuropädiaterin geschickt. Das war irgendwie auch blöde, weil die dauernd vor Ort befindlichen Ärzte damit irgendwie an eine weit entfernte Position rutschten. Mein Vorschlag wäre, dass wirklich beteiligte das Gespräch führen, die auch vorher bei Gespräche involviert waren, und nicht jemand, der gar nicht schnell da wäre.

Wir haben übrigens keine DNR-Order für unsere Tochter und auch keine Patientenverfügung oder wie sie auch immer alle heißen. Und das nicht, weil wir sie in allem Leid für immer am Leben erhalten wollen. Sondern weil es unmöglich ist, schriftlich festzuhalten, in welchen Situationen wir es nicht mehr wollen und wann es sich lohnt. Denn verstehen kann das niemand außer uns.

Muriel
17.07.2015, 21:55
Ihr lebt ja nun auch schon elf Jahre mit Eurer schwerkranken Tochter, kennt all ihre Emotionen, Äußerungen, wisst, aus welchen Situationen heraus sie sich schon berappelt habt und habt zudem noch Dein Wissen nicht nur als Mutter sondern als Ärztin, so dass eine konkrete Einschätzung bestimmter Situationen dadurch sicher besser funktioniert als bei so manch anderem, der häufig abrupt da herein geworfen wird. Ich wünsche Euch allerdings, dass Ihr lange Zeit ein solches Gespräch nicht mehr führen müsst.

annekii
18.07.2015, 11:31
Klar, aber dieses Verständnis ist nicht immer da. Aber wir lassen uns dazu nicht bringen.