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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Eigentlich gar nichts für´s NEF oder so...



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WackenDoc
08.10.2015, 12:13
Es morgens kurz vor Dienstübergabe, ihr seid gerade aufgestanden, wollt euch anziehen und euren Krempel zusammenpacken, da geht der Pieper.

Altersheim, Patientin mit Tachykardie und V.a. ACS.
Ihr fahrt also hin und findet folgende Situation vor:
Patientin gut 80 Jahre, liegt im Bett, ist aber wach orientiert und macht einen altersentsprechend, aber doch recht fitten Eindruck. Von ihr und der Pflege erfahrt ihr, dass sie seit dem Vortag an Erbrechen leiden würde (Gastroenteritis geht gerade um), sie sei seit der Nacht tachykard mit einer Frequenz von knapp über 100 und habe Schmerzen bzw. Druck auf der Brust- so genau kann sie das aber nicht differenzieren. Es strahle nirgendwo hin aus. Sie ist rosig und wirkt nicht atemnötig.

Was macht ihr?

Achso- ihr seid als NEF und RTW (könnt euch ja aussuchen wer ihr seid) zeitgleich eingetroffen.

Nessiemoo
08.10.2015, 15:15
Hm, na dann mache ich mal mit ^^

Ganz gerne würde ich erstmal haben:

12-Kanal EKG, BZ, Pulsoxy, BD
KU: Exsikkose-zeichen/ stehende Hautfalten?, auf die Lunge hören, Bauch abtasten, Ödeme/ Thrombosezeichen an Unterschenkeln?
Und eine Liste mit Medikamenten und vielleicht auch ein Arztbrief von 1-2 letzten Krankenhausaufenthalten um die Vorerkrankungen sicherer erfassen zu können. (Gleichzeitig nat. auch sie fragen etc)

pottmed
08.10.2015, 15:26
Nessie hat ja schon das Wichtigste geschrieben, ich würde noch Herztöne auskultieren und eine grobe neurologische Untersuchung anschließen.

Wie sieht das Erbrochene aus ? Medikamente in letzter Zeit umgestellt ? Dann frage ich mich kurz, wie meistens in den Seniorenresidenzen meines Vertrauens, was ich da jetzt eigentlich genau soll....

WackenDoc
08.10.2015, 17:43
Damit geht´s schon los- ihr werdet nicht alle Werte bekommen. Ich erklär euch gleich warum.
Also ihr als Notarzt schaut euch die Pflegedokumentation an: DM Typ II, chron. Rückenschmerzen, Depressionen. Vormedikation entsprechend: Novalgin, Tramal, Antidepressivum (weiss tatsächlich nicht mehr welches, nimmt sie auch schon ewig und ist nicht relevant für den weiteren Verlauf), Insulin, ASS 100. Die Erkrankungen sind soweit stabil, keine Veränderungen in letzter Zeit. Gerufen wurdet ihr wegen der Tachykardie und den linkthorakalen Beschweren- V.a. ACS. Also ERbrechen seit dem Vortag, die AP-Beschwerden und die Tachykardie seit der Nacht.

Patientin ist wach und kooperativ, antwortet auf alle Fragen, bewegt sich auf den ersten Blick ganz normal.
Ihr kommt erstmal als Notarzt so nicht an die Patientin dran, weil das Team erstmal arbeiten muss und der Platz begrenzt ist.

Pulsoxy: gutes Signal, SpO2 95% unter Raumluft, keine Luftnot.
Keine stehenden Hautfalten. Keine Thrombosezeichen, keine Ödeme.
BZ 125mg/dl. Kräftiger Radialispuls.
EKG sieht auf dem Monitor auf den ersten BLick unspektakulär aus 110er-SR.
Da euer Team noch an der Patientin arbeitet und euch das EKG interessiert, geht ihr zum Gerät und zieht den Ausdruck.
Ihr denkt schon dran, dass ihr direkt zum Regelversorger in der gleichen Stadt fahren könnt, wenn ihr keine dicken Hebungen seht und freut euch schon auf den nahenden Feierabend.

WackenDoc
08.10.2015, 17:44
Weiter kommt ihr nicht
Ihr habt gerade den EKG-Ausdruck in der Hand und rätselt etwas, weil reichlich Artefakte drin sind.
Euer Team ist gerade beim Viggolegen und wollte danach den Blutdruck messen.
Da hört ihr im Hintergrund die Patientin komisch atmen und seht auf dem Monitor ein Kammerflimmern.
Viggo ist noch keine drin, Blutdruck habt ihr auch noch keinen. Patientin liegt im Bett und fängt fast zeitgleich an zu krampfen.

Was nun?

SuperSonic
08.10.2015, 17:58
Gibt's eine Patientenverfügung? ;-)

Mondschein
08.10.2015, 18:05
Beobachtetes Kammerflimmern dürfte ich ja direkt blitzen, wenn ich den Defi schon da habe. Und dann in den Reanimationsalgorithmus übergehen.

pottmed
08.10.2015, 18:40
Fast-Patches drauf.... dann sich jetzt mal fragen, krampft die Patientin (CAVE: Artefakte auf dem Monitor) oder ist sie reanimationspflichtig. Falls letzteres der Fall sein sollte wird gegrillt.

Krampft Sie aber munter vor sich hin, Zugang etablieren + Lorazepam i.v. (alternativ Diazepam), falls Zugang primär nicht möglich gibt es von mir Diazepam rektal oder Dormicum nasal, je nachdem was vorgehalten wird.

Falls es ein reiner Krampfanfall war und wir den durchbrechen konnten, Patches drauf lassen, Atemweg sichern (kommt auf die Situation an).... Voranmeldung nächste internistische ITS (gerne Haus mit Neuro), V.a.Hyponatriämie (Patho: evtl. Diuretikaeinnahme + Erbrechen) DD neurologisches Geschehen.

Nessiemoo
08.10.2015, 19:27
Hm, ich würde auch sagen, erstmal Defi drauf (wie ich gerade gelernt hab, kann man bis 3x hintereinander), und sich in der Tat wie Pottmed gesagt hat wegen Patientenverfügung informieren. Die Krämpfe würde ich eeeerstmal eher als die hypoxichen Myoklonien abtun, nach Defi entsprechend dem Algorithmus 2 minuten lang drücken, in der Zeit Viggo legen lassen und eine kleine Infusion anhängen um es offen zu halten. Nach 2 Minuten entsprechend Neuevaluation.

Gedanke dahinter: Treat first what kills first... Wenn sie krampft und man die ersten drei Minuten reanimiert, passiert weniger als wenn sie flimmert und man sich überlegt ob man reanimieren soll oder nicht?

Ich würde irgendwie da mehr an Kaliumstörungen denken... Alt QT Verlängerung bei Antidepressivum?

pottmed
08.10.2015, 19:52
Die Krampfneigung besteht doch eher nach ROSC bei hypoxischem Hirnschaden.

Also ich würde erstmal evaluieren ob die gute Frau nicht wirklich nur krampft, nie den Monitor behandeln...

par
08.10.2015, 19:52
V.a.Hyponatriämie (Patho: evtl. Diuretikaeinnahme + Erbrechen) DD neurologisches Geschehen.Wäre auch meine Überlegung gewesen. Beim Erbrechen handelt es sich um eine Hypovolämische Hyponatriämie, sie hat aber keine stehenden Hautfalten, scheint also nicht allzu exsikkiert zu sein, dass es den Elektrolythaushalt durcheinander gebracht hätte, wobei das sicher habitus-abhängig ist (Darf man das so sagen?). Hat sie denn die Medis (v.a. Tramal, auch das AD) bei sich behalten seit gestern? Anfälle nach abruptem "Absetzen" von Tramadol sind aber wohl maximal selten?!

WackenDoc
08.10.2015, 20:09
Alles gute Überlegungen. Auf die Idee zu fragen, ob sie ihre Medis drin behalten hat, sind wir gar nicht gekommen.
Wir haben uns aber auch erstmal gedacht- Krampf wohl hypoxiebedingt und erst Reanimationsalgorithmus.

Ihr seid aber fast zu schnell-erst einmal haben wir die Patientin auf den Boden gelegt- mehr Platz und im Bett ist auch schlecht zu pumpen.
Defi-Pads dran- zum pumpen sind wir gar nicht gekommen, weil die Pads so schnell dran waren. Und das EKG zeigt.... eine Schmalkomplextachykardie mit einer fixen Frequenz von 200. Weiterhin kräftiger Radialispuls- in der ersten RR-Messung ein Druck von 200/100, Patient krampft weiter mit Herdblick nach rechts, Pupillen mittelweit, lichtreagibel.
Zugang ist in der Mache, einer eurer RAs vermeldet, dass er gute Venen gesehen hat und erst einmal nicht bohren will. Infusion ist vorbereitet.
Unter abwechselnd Spontanatmung und Masken-Beutelbeatmung bekommt ihr eine Sättigung von 95% mit O2 über Demandventil.

Was machen wir nun?

pottmed
08.10.2015, 20:13
Also erstmal sollten wir medikamentös gegen den Krampf vorgehen, wie oben schon geschrieben.

Mal schauen, was sich mit der Frequenz tut, wenn der Krampfanfall durchbrochen ist.

WackenDoc
08.10.2015, 20:21
Also aktuell haben wir eine saubere Ableitung, keine Artefakte. Die Frequenz ist real.
Jetzt ist die Frage, was die Ursache ist: Krampft sie wegen der zumindest vorrübergehenden Hypoxie oder ist sie tachykard wegen dem Krampf.
Und warum hat sie eine Frequenz von 200 fix?
Die Dame ist immerhin gut 80.
Achso- Zugang braucht noch ne Minute oder so und aufgezogen ist auch noch nix an Medis.

par
08.10.2015, 20:21
@ pottmed: die aktuelle Studienlage zusammenfassend sollte wohl als 1.Wahl bei einem Status Midazolam 10mg i.v. (deutlich der 2. Wahl Clonazepam 4mg i.v. vorgezogen), aber eher weniger (das gem. LL noch aktuelle) Lorazepam gewählt werden.

Edit:

Jetzt ist die Frage, was die Ursache ist: Krampft sie wegen der zumindest vorrübergehenden Hypoxie oder ist sie tachykard wegen dem Krampf.
Und warum hat sie eine Frequenz von 200 fix?
Die Dame ist immerhin gut 80.
In dem Alter kann es sich auch um einen symptomatischen Krampfanfall handeln (kann man die Semiologie näher beschreiben?) mit idR Tachykardie (warum fix 200 wüsste ich dann nicht) und iR einer Raumforderung Erbrechen. Hat sie die letzten Wochen über vermehrte Kopfschmerzen geklagt? Primäre Epilepsien (zB gerade bei Tachykardie aufgrund Ionenkanalerkr.) mit onset in dem Alter sind ja fast ausgeschlossen (^^).
Aber das meinst du sicher nicht. Geh mal wieder an den Anfang des Falls step-by-step

Ich sehe gerade: sie ist seit dem Abend Tachykard und das war der einzige beobachtete Krampfanfall? Hmm... dann eher keine Tachykardie aus diesem Grund.

ehem-user-11022019-1151
08.10.2015, 21:57
Ob sie tachycard wegen dem Krampf war, wird man dann sehen, wenn man es schafft den Krampf zu durchbrechen und wiederrum die Frequenz misst. Wäre jetzt meine Überlegung.

Meine Überlegung ist, dass sie vielleicht ein, noch nicht diagnostiziertes, Krampfgeschehen hat und nun wieder einen Anfall hatte (so einen ähnlichen Fall hatte ich mal).

weiteres Vorgehen?
ABCDE-Schema schön abarbeiten. Und dann weiter sehen.

smanpodg
08.10.2015, 22:03
Was nun?

Der Natur ihren Lauf lassen ;)

Sebastian1
08.10.2015, 22:12
Ob VF oder nicht VF und damit ob Defib/Rea oder nicht, vermag ich am Textbeispiel nicht zu erkennen, und auch "in Echt" kann das ja durchaus schwierig zu differenzieren sein. Ob dann konvulsive Synkope, sekundäres Krampfgeschehen oder einfach Krampf mit EKG-Artefakten - who knows? (Ich bin nach Monitorbild auch schon mal mit Defi ins Patientenzimmer geeilt... der Patient putzte sich gerade die Zähne und war quietschfidel...)
Von daher, wenn Genese eher Krampf, dann das, was ich an Bord dagegen habe (in der Regel Midazolam, wobei ich die o.g. Angabe von 10 mg i.v. schon sportlich finde für eine 80jährige Patientin (gut, du hast geschrieben "im Status", ob sie einen hat, wiessen wir ja nicht), wenn zusätzlich verfügbar lieber Lorazepam).
Wenn die Frequenz von 200 real und fix ist, die Dame dabei aber (noch) hyperton ist, dann ist's ja definitiv eine Vorhofgeschichte (mit 200er Kammerfrequenz hat die keinen palpablen Puls mehr), ich würde an erster Stelle an Vorhofflattern oder an Zweiter an eine AVNRT denken.
Wenn Krampf zu durchbrechen, dann würde ich bei noch vorhandender Kreislaufstabilität einen Versuch mit 12 mg Adenosin wagen - entweder danach ist gut oder ich weiss zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit, was die zugrundeliegende Rhythmusstörung ist. ISt es danach nicht gut, dann Kardioversion, denn die 80jährige Pumpe wird das nicht lange tolerieren.

Zur Genese würde ich auch aus eine KOmbination aus Exsikkose und Elektrolytstörung mit konsekutiver relativer Koronarinsuffizienz tippen nach der o.g. Anamnese.


Der Natur ihren Lauf lassen ;)

Nö, nicht bei der Anamnese. Beobachtetes und bis zum Beweis des Gegenteils reversibles Problem bei zuvor altersentsprechend fitter Patientin. Über Patientenverfügung und -wille wissen wir nix.
Ich bin ja durchaus Freund davon, nicht jedem die Freuden der Notfall- und INtensivmedizin aufzuzwingen, aber hier sehe ich keinen Grund für deinen Vorschlag...

Nessiemoo
08.10.2015, 22:20
Hm, mir kommen jetzt auch eig die ganzen neurologischen DD ins Kopf (evtl wegen akute IMPP-Zustand) - Schlaganfall, Blutung, Tumor/Metastase, die dann einen Krampfanfall machen und dann auch entsprechende autonome/vegetative/Elektrolytstörungen machen können? Würde auch den hohen BD erklären, den man ja in dem Fall (im Gegensatz zu einem ACS) ungern senken soll.

Also warten kurz bis der Zugang gelegt ist, und dann Lorazepam/Midazolam i.v. (Kann man es auch bei Erwachsenen rektal wie bei Kindern geben?) Oder i.m?

Also ich würd auf jedem Fall eine große Klinik mit sowohl Stroke als auch Chest Pain Unit anfahren wollen.

par
08.10.2015, 22:29
Zur Genese würde ich auch aus eine KOmbination aus Exsikkose und Elektrolytstörung mit konsekutiver relativer Koronarinsuffizienz tippen nach der o.g. Anamnese.
Würde man eine klinisch relevante Exsikkose mit konsekutiver Elektrolytverschiebung nicht ansehen? (Hautfalten) :-blush


Von daher, wenn Genese eher Krampf, dann das, was ich an Bord dagegen habe (in der Regel Midazolam, wobei ich die o.g. Angabe von 10 mg i.v. schon sportlich finde für eine 80jährige Patientin (gut, du hast geschrieben "im Status", ob sie einen hat, wiessen wir ja nicht), wenn zusätzlich verfügbar lieber Lorazepam).
Auf der DGN Fortbildung meinten sie (für den Status!), dass man praktisch eher unterdosiert und häufig nachgeben muss. Es wurde empfohlen, die Initialdosis höher als in LL vorgeschrieben anzusetzen. Kommentare zum Alter weiss ich gerade nicht (Gewicht etc kennen wir von ihr nicht).


Also warten kurz bis der Zugang gelegt ist, und dann Lorazepam/Midazolam i.v. (Kann man es auch bei Erwachsenen rektal wie bei Kindern geben?) Oder i.m?

In einem Status (!) muss rectal erstmal zugänglich sein^^. i.v. wenn man einen Zugang hat, sonst eher s.l.; i.m. braucht (relativ) zu lange. Praktische Erfahrung habe ich mit s.l./i.m. nicht.