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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Psychiatrie oder Allgemeinmedizin?



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at_the_drums
18.10.2015, 12:07
Hallo,

es gibt ja schon 1-2 ähnliche Themen, die sind allerdings nicht mehr sonderlich aktuell. Daher nun nochmal die Bitte um Meinungen und Erfahrungen.

Ich arbeite seit August in der Psychiatrie (erste Stelle), habe aber von Beginn an auch mit Allgemeinmedizin geliebäugelt. Ich glaube was mich primär davon abgehalten hat war die "Angst" vor der Arbeitsbelastung in der Inneren. Nun merke ich in der Psychiatrie dass mir das schon Freude macht, ich aber das Gefühl bekomme, das nicht ewig machen zu wollen. Unter anderem weil ich Sorge habe, dass ich einfach nicht jedem Patienten gegenüber unvoreingenommen gleich offen sein kann. Und weil mir die Somatik wirklich fehlt. Ich freu mich jedes Mal, wenn es ein neues RR-Med. anzusetzen gibt o.ä., das lässt mich meine Psychiatrie-Entscheidung doch überdenken. Außerdem möchte ich nicht ewig im klinischen Bereich arbeiten sondern im Verlauf in eine Praxis o.ä., das kann ich mir in der Psychiatrie für mich nicht so richtig vorstellen, da ich da eher der Akut-Mensch bin, also die Action der geschlossenen Station mag.

Gibt es vielleicht hier Leute, die vor einer ähnlichen Entscheidung standen und Vor- und Nachteile der jeweiligen Fächer aufzeigen können?

EKT
18.10.2015, 14:26
ich Sorge habe, dass ich einfach nicht jedem Patienten gegenüber unvoreingenommen gleich offen sein kann.

Kannst du das denn in der Allgemeinarztpraxis?


da ich da eher der Akut-Mensch bin, also die Action der geschlossenen Station mag.

Die "Action" einer Allgemeinpraxis kommt bei weitem nicht an die einer geschlossenen Psychiatrieakutstation heran.....


Und weil mir die Somatik wirklich fehlt.

Mehr Somatik als ein guter Psychiater macht ein durchschnittlicher Allgemeinmediziner auch nicht!

Pandora
19.10.2015, 08:02
Ich mache relativ viel Somatik in der Psychiatrie, da ich mit geriatrischen Patienten arbeite, aber in anderen Fachbereichen fehlte es mir auch. Somit kann ich Deine Überlegung gut nachvollziehen. Dauerhaft Psychotherapie bei jungen, somatisch gesunden Patienten wäre auch nichts für mich.

Einfach ausprobieren? Du bist ja am Anfang Deiner Karriere und es steht Dir alles offen. Und in die Psychiatrie zurückwechseln, wenn das andere doch nicht passt ist bei der Stellensituation in den meisten psychiatrischen Kliniken ohnehin nicht allzu schwer. Meist ist somatische Erfahrung ja sogar ein großer Bonus bei der Bewerbung. Und bei uns in der Klinik arbeiten auch Allgemeinmediziner (und Internisten), da umfassende Allgemeinmedizin eben doch nicht der Fachbereich eines "guten Psychiaters" ist.

WackenDoc
19.10.2015, 09:12
Mach doch mal ein Jahr Innere (ist eh die Basis einer guten Allgemeinmedizin) und schau dann, ob du wechseln willst.
Gibt übrigens noch unterschiedliche Wege: Mit dem internistischen Wissen zurück in die Psychiatrie, oder mit der Kombination in die Psychosomatik oder mit dem psychiatrischen Wissen in die Allgemeinmedizin. In der Allgemeinmedizin macht man übrigens sehr viel Psychosomatik.

at_the_drums
19.10.2015, 11:34
Ich danke euch für die Antworten bisher!

@EKT: Bei uns in der Klinik habe ich nicht den Eindruck, dass der Psychiater so viel Somatik macht wie der Allgemeinmediziner. Ich habe neulich eher die Erfahrung gemacht, dass ich aktuell noch sicherer in meinem Innere-Wissen bin als zB der OA (es ging um hohe Krea-Werte bei einer Patientin), auch ist es so, dass bei Kleinigkeiten schon empfohlen wird, ein Innere-Konsil zu stellen (ich komme mir also schon außergewöhnlich mutig vor, wenn ich Rampril erhöhe bei schlechten RR-Werten.. Das ist mir aktuell einfach zu wenig..

Auf der anderen Seite ist die Innere natürlich geballte Somatik, das muss man eben auch mögen. Ich bin leider jemand, der sich schwer damit tut, etwas zu ändern wenn er sich unsicher ist, ob die Änderung zum Besseren ist. Habe also Panik, dass ich nach 2 Monaten in der Inneren sitze und nur noch weg will.. Wie sind denn eure Erfahrungen mit der Arbeitsbelastung und den Anforderungen in den Diensten (davor habe ich eigentlich am meisten Sorge, dieses Gefühl, plötzlich selbst Entscheidungen treffen zu müssen die nicht nur auf PJ-Niveau sind. Aber es gibt ja auch immer einen OA...)

Ich wohne hier in einer Stadt, in der es eigentlich nur eine vernünftige Psychiatrie gibt sodass ich wenn ich kündige, vergessen kann, da nochmal eine Stelle zu bekommen. Mein Partner und ich wollen aber längerfristig sowieso nicht hier leben bleiben, insofern wäre das Risiko tragbar..

Vermutlich habt ihr Recht, wenn man es nicht probiert, weiß man eben nicht, obs besser wäre.. Wenn ich nur nicht so ein verdammter Kopf-Mensch wäre ;-)

Pandora
19.10.2015, 12:11
Ich wohne hier in einer Stadt, in der es eigentlich nur eine vernünftige Psychiatrie gibt sodass ich wenn ich kündige, vergessen kann, da nochmal eine Stelle zu bekommen. Mein Partner und ich wollen aber längerfristig sowieso nicht hier leben bleiben, insofern wäre das Risiko tragbar..




Man muss ja nicht komplett verbrannte Erde zurücklassen. Ich kenne Deine Klinik jetzt natürlich nicht, aber bei uns wären reuige Rückkehrer sehr willkommen. ;-) Kennen ja immerhin das Haus, sind rasch dienstfit und haben mal über den Tellerrand geschaut und bringen neue Kenntnisse und Erfahrungen mit.
Klar ist die Vorstellung sich wieder dort zu bewerben, wo man selbst gekündigt hat, seltsam. Aber solange man gute Gründe für die Kündigung und die Wiederbewerbung hat, wieso eigentlich nicht?

EKT
19.10.2015, 15:33
@EKT: Bei uns in der Klinik habe ich nicht den Eindruck, dass der Psychiater so viel Somatik macht wie der Allgemeinmediziner.

Dann hast du etwas überlesen, denn ich schrieb, daß der "gute Psychiater" dies tut.

Evil
19.10.2015, 17:35
Wo findet man den? :-))

DrSkywalker
19.10.2015, 17:55
Mehr Somatik als ein guter Psychiater macht ein durchschnittlicher Allgemeinmediziner auch nicht!

Mehr Psychiatrie als ein guter Hausarzt macht ein durchschnittlicher Psychiater auch nicht.

Colourful
19.10.2015, 18:17
Mehr Psychiatrie als ein guter Hausarzt macht ein durchschnittlicher Psychiater auch nicht.

Mit dem Argument in beide Richtungen will mir mein Hausarzt auch die Allgemeinmedizin schmackhaft machen. Aber der Hausarzt macht doch mehr Psychosomatik, Psychatrie ist das meiner Meinung nach weniger.

EKT
19.10.2015, 18:19
Wo findet man den? :-))

Hier. :jump:

EKT
19.10.2015, 18:21
Mit dem Argument in beide Richtungen will mir mein Hausarzt auch die Allgemeinmedizin schmackhaft machen. Aber der Hausarzt macht doch mehr Psychosomatik, Psychatrie ist das meiner Meinung nach weniger.

Exakt.

Peter_1
19.10.2015, 19:16
Mehr Somatik als ein guter Psychiater macht ein durchschnittlicher Allgemeinmediziner auch nicht!

Woher manche Teilbereichsärzte :) immer felsenfest meinen zu wissen was ein Allgemeinmediziner so alles tut, oder nicht tut... Erklärt uns doch bitte noch mehr von unserm Fach, vielleicht kann ich ja noch was lernen :-D

DrSkywalker
20.10.2015, 07:59
Mit dem Argument in beide Richtungen will mir mein Hausarzt auch die Allgemeinmedizin schmackhaft machen. Aber der Hausarzt macht doch mehr Psychosomatik, Psychatrie ist das meiner Meinung nach weniger.

Facharztterin beim Psychiater je nach Gebiet 4-12 Wochen... Psychiatrische Kliniken nehmen nichts auf und wenn muss jeder immer erst mal für Tage auf die geschlossene, damit schrecken sie Patienten ab und halten sich Arbeit fern. Es bleibt beim Hausarzt hängen!

Psychosomatik könnte man viel machen wenn man Zeit und Lust hätte, ich habe beides nicht, Psychiatrie MUSS man als Hausarzt machen, weil man der einzige kurzfristig verfügbare Ansprechpartner ist und die Dinge oft akut sind.

Und dass hier ein Psychiater rumläuft und behauptet er mache so viel Somatik wie ein Hausarzt zeugt von dessen Unkenntnis. Nur weil er mal Ramipril und MEtformin ansetzt und einen Verband wechselt ist er kein Allgemeinmediziner. Ich will Ihn sehen wenn er Palliativpatienten betreut, Kinder-U-Unterschungen durchführt, Schilddrüsen und Prostatae schallt, eine LuFu befundet, ein ACS notfallversorgt und dann noch eine Platzwunde näht. Sicher hat man als Psychiater viel Zeit sich noch andere Dinge anzueignen, ein Hausarzt ist man dann aber noch lange nicht!

Colourful
20.10.2015, 08:05
Na ja, ich glaube jetzt nicht, dass viele akut psychotische Patienten zum Hausarzt gehen, bei so richtig manischen kann ich mir das auch nicht so vorstellen. Aber klar, Erkrankungen des depressiven Formenkreises und auch Sucht- und Angststörungen sind vermutlich häufig.

WackenDoc
20.10.2015, 09:53
Wo kommt eigentlich das Märchen her, dass man in einer psychiatrischen Klinik erst einmal in der Geschlossenen aufgenommen wird? Das geht nicht einfach so. Erst recht nicht, wenn der Patient freiwillig da ist und kein Grund für einen Beschluss vorliegt.
Irgendwie wird hier auch munter Akutpsychiatrie und stationäre Psychotherapie durcheinander geworfen.

Ja, der Hausartz kann bis zu einem bestimmten Maß psychiatrische und psychosomatische Patienten behandeln- genauso wie er das bei internistischen, chirurgischen, dermatologischen und sonstigen Krankheiten kann.
Viele Patienten profitieren von der psychsosomatischen Grundversorgung und da kann man sich als Hausarzt auch durchaus austoben- aber man ist dann trotzdem kein Psychiater.

Kaas
20.10.2015, 09:56
Habe auch mal auf einer großen geschlossenen Psychiatrie gearbeitet. Da wurde kaum Somatik gemacht. Nichtmal der Blutdruck wurde da eingestellt wenn der zu hoch war ("nicht unsere Baustelle"). Und die Klinik hat eigentlich einen sehr guten Ruf, vor allem unter den ärztlichen Kollegen.

at_the_drums
20.10.2015, 12:22
DrSkywalker und Peter_1, ihr seid Allgemeinmediziner, richtig? Könntet ihr vielleicht ein wenig ausführlicher über einen "typischen Arbeitstag" berichten? Das klingt jetzt vielleicht ein wenig nach Kindergarten, ist für mich aber wirklich sehr interessant und hilfreich. Natürlich auch gerne per PN.

@WackenDoc: Das ist sicherlich richtig, bei uns ist es aber schon so, dass wir v.a. solche Patienten zugewiesen bekommen, die zB akut manisch oder akut suizidal sind und die kommen dann in der Regel immer erstmal auf eine unserer geschlossenen Stationen..

WackenDoc
20.10.2015, 12:39
Ja, dann hat das aber einen Grund warum sie auf die geschlossene sollen. Das ist aber auch nicht mehr das Klientel um das sich der Hausarzt kümmern kann (außer evtl. die Indikation zur dringlichen Aufnahme zu stellen und dem Patienten zu vermitteln, dass das erforderlich ist=

Peter_1
20.10.2015, 12:42
aber man ist dann trotzdem kein Psychiater.
Amb. Termine beim Psychiater hier bei uns egal wegen was in frühestens 6-8 Wochen. Zu einer stationären Akutbehandlung sind einige Patienten leider nicht zu bewegen (nicht wegen "geschlosssenen Abteilungen", sondern wegen den Vorbehalten gegen eine stationäre psychiatrische Behandlung an sich). Stationäre psychosomatische Behandlungen: aktuelle Wartezeit mind. 6 Monate. Ambulante Psychotherapien Wartezeit aktuell: 6-12 Monate.
Fazit:
die initiale Therape bis zur fachärztlichen Weiterversorgung (und auch dazwischen, ja selbst nach Akutaufenthalt in der Psych, da es oft keine sofortige amb. psychother./psychiatr. Weiterbehandlung gibt), bleibt zumindest in meinem Sprengel oft schon am Hausarzt hängen, da hat der Luke Skywalker schon Recht und das betrifft leider nicht nur "psychosomatische" Patienten.
Aussuchen kann man sich das als Hausarzt eben nicht immer und schöner wäre es, wenns anders wäre, isses aber nicht. Und nein Psychiater ist man dadurch als Hausarzt nicht, genauso wenig wie man zB Kardiologe ist, aber umgekehrt ist der Psychiater eben auch kein guter Hausarzt, auch wenn man manchmal meinen könnte da den totalen Durchblick zu haben und das so ein bisschen Allgemeinmed. doch jeder kann, stimmt ja auch,aber eben nur so ein ganz bisschen:). Eher ist man manchmal gezwungen eine Akutversorgung mit begrenzten hausärztlichen Mitteln zu machen, nicht weil man sich als Hausarzt so allwissend fühlt, sondern weil diese sonst gar keiner macht! Auch macht solch eine Akutversorgung von wirklich psychiatrischen (und nicht psychosomatisch kranken) Patienten nur einen kleinen Teil des Hausarztdaseins aus (worüber ich persönlich sehr dankbar bin).

P.S: ähnliche Probleme mit Wartezeiten und der Notwendigkeit eines initialen hausärztlichen Diagnostik/Therapieanschubes haben wir bei uns im Bereich mit der neurologischen und der rheumatologischen Versorgung, aber das nur am Rande.