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DrSkywalker
07.11.2015, 20:32
Man wird im KV-Notdienst zu einer 91 jährigen Patientin gerufen. Pflegestufe 3, nur teilweise orientiert, lebt bei der sorgenden Tochter im Haus, Lebensqualität bis vor 2-3 Tagen noch durchaus vorhanden, Gespräche mit Kinder und Enkelkinder, Essen etc.

Seit Anfang des Jahres immer wieder HWIs, diverse Antibiose durch. Vorerkrankungen: alles was so eine betage Dame so haben kann, aber relativ gut eingestellt. Im letzten halben Jahr durchaus abgebaut laut Tochter.

Am Abend steht man da im Wohnzimmer, PAt. wirkt präfinal, reagiert kaum auf Ansprache, wenn man die Hand hält durchaus Reaktion. P: 95/min, RR: 80/60, so2: 94% Trinken geht nicht mehr, verschluckt sich massiv. Deutliche RGs basal bds. Keine Atemnot. Keine Schmerzen. PAt. wirkt nicht agitiert, eher leicht eingetrübt. Verdachtsdiagnose: Aspirationspneumonie.

Tochter möchte eine Klinikeinweisung (sinnvollerweise!?) unbedingt verhindern, will aber die Mutter "nicht einfach so sterben lassen".

Ihr habt zwar eine NaCl Infusion dabei, aber keine i.v. Antibiose. Die Tochter möchte der Mutter gerne"eine chance geben" aber ohne Klinik.

Ihr versucht bei der Notdienst-Apotheke Rocephin o.ä. zur I.v. Gabe zu erhalten, aber leider keine chance.

Möglichkeiten:

1. Zur Klinikeinweisung überreden für i.v. Antibiose?
2. Zugang legen, Volumen geben, iv. Antibiose nicht verfügbar, oral keinesfalls möglich.
3. Tochter überzeugen, dass Mutter jetzt sterben wird, Morphin s.c. und Tavoer exp. p.o.?
4. Andere Vorschläge?

Dürft ihr als Arzt bestimmen, dass genau JETZT der Zeitpunkt ist, dass die 91 jährige sterben wird? Wenn man ihr keine Antibiose zukommen lässt, wäre es unterlassene Hilfeleistung?

Ich habe diesen Fall abgewandelt, aber im Prinzip so erlebt und als junger Arzt (in diesem Fall ohne Hintergrund) wird man hier vor wirklich schwierige Entscheidungen gestellt. Ich kann gerne später erläutern, wie ich es gelöst habe (ob es gt war, lass ich schon mal dahingestellt)

SuperSonic
07.11.2015, 21:32
Wenn sich ein Patient nicht mehr äußern kann, gilt der mutmaßliche Patientenwille.

Diese Patientin ist hochbetagt, multimorbide, habe in den letzten Monaten immer weiter abgebaut, wirkt jetzt präfinal. Wenn die Tochter sagt, dass eine Krankenhauseinweisung nicht im Sinne der Pat. wäre, würde ich nicht lange versuchen, sie vom Gegenteil zu überzeugen - ich zweifle unter diesen Umständen nicht am Wahrheitsgehalt der Aussage. Ihr müsste aber ganz klar vermittelt werden, dass ihre Mutter ohne Krankenhauseinweisung und rasche i.v.-Antibiose in absehbarer Zeit versterben wird. Wenn sie das akzeptiert, ist das weitere Vorgehen klar und eine rein palliative Vorgehensweise sicher keine "unterlassene Hilfeleistung".

DrSkywalker
07.11.2015, 22:05
Wenn sich ein Patient nicht mehr äußern kann, gilt der mutmaßliche Patientenwille.

Diese Patientin ist hochbetagt, multimorbide, habe in den letzten Monaten immer weiter abgebaut, wirkt jetzt präfinal. Wenn die Tochter sagt, dass eine Krankenhauseinweisung nicht im Sinne der Pat. wäre, würde ich nicht lange versuchen, sie vom Gegenteil zu überzeugen - ich zweifle unter diesen Umständen nicht am Wahrheitsgehalt der Aussage. Ihr müsste aber ganz klar vermittelt werden, dass ihre Mutter ohne Krankenhauseinweisung und rasche i.v.-Antibiose in absehbarer Zeit versterben wird. Wenn sie das akzeptiert, ist das weitere Vorgehen klar und eine rein palliative Vorgehensweise sicher keine "unterlassene Hilfeleistung".

Völlig korrekt. Nur wollte die Tochter eben gerne die Antibiose zuhause am Krankenbett geben, um die mutter "nicht einfach sterben zu lassen" (es wäre logistisch sogar gegangen: Die Nachbarin war zufällig Ärztin und würde ein mal am Tag das Rocephin reinlaufen lassen)

Evil
07.11.2015, 22:19
Was soll eine i.v.-Antibiose im häuslichen Setting bringen? Willst Du jeden Tag dort vorbeifahren und eine Antibiose anhängen? Und wie soll die palliative Begleittherapie durchgeführt werden? Wenn Du jetzt Morphin zur Sedierung gibst, darfst du spätestens 12 Stunden später für die Folgegabe wieder dort vorbeischauen, möchtest Du das dem Dienstarzt des Folgetages aufbürden?
Und ist die pflegerische Situation gesichert?

Ich fürchte, daß in diesem Fall keine Alternative zur Klinikeinweisung besteht, selbst wenn keine Antibiose mehr durchgeführt wird.

Wenn man seinen Angehörigen "nicht einfach so sterben lassen" will, dann muß man das vorher organisieren, nicht erst wenn es soweit ist. Und da ist es die Aufgabe des behandelnden Hausarztes und der Angehörigen, sich VORHER drum zu kümmern. In der Situation ist das durch den Notdienst adhoc schlicht und ergreifend nicht machbar.

Ansonsten würde ich als Dienstarzt die Patientin in die Klinik einweisen, aber vorher dort als Palliativ anmelden, weil die häusliche Versorgung sonst nicht gesichert ist.

ehem-user-11022019-1151
07.11.2015, 23:50
Die Angehörigen wollen, dass sie sterben darf, aber sie haben Angst, dass nicht alles gemacht wird.
Oft ist es schwer zu verstehen, dass auch dieses Alles zu Ende gehen kann.

Hatte im Rettungsdienst ähnliche Problematik gehabt, Patient ist zwar auf den ersten Blick nicht präfinal, jedoch schon sehr kurz davor. Angehörige wollen ihn auf keinen Fall daheim lassen, Patient selber möchte lieber ins Krankenhaus. So mitgenommen, auf Palliativ angemeldet und 6 Stunden später dort verstorben.

Die Frage ist, will die Tochter, dass die Mutter daheim sterben kann?
Jetzt kann man nicht spontan ein Palliativ -Netzwerk organisieren, ich hätte jedoch eher dazu tendiert, die Dame daheim zu lassen, ggf mit Mo und/oder Tavor mit der Bitte, dies am nächsten Tag mit dem Hausarzt zu besprechen (falls noch möglich...).

Auf der anderen Seite steht jedoch das Problem, das Evil schilderte. Überforderte angehörige, ggf. Versorgungsproblem (war im obigen Beispiel ebenfalls der Fall).

MissGarfield83
08.11.2015, 11:48
Also rekaptiulieren wir mal - septische Patientin bei V.a. (!!) Aspirationspneumonie, mit zuvor gehabter Lebensqualität und ein paar "normalen" Grunderkrankungen. Warum sterben lassen? Weil die Patientin schon ein vorgerücktes Alter hat?

Meine Tendenz wäre hier den Angehörigen doch klar zu machen dass sie Ambulant keine Chance hätte und in die Klinik gehört. So wie ich gelesen habe, gibt es nur den Wunsch der Tochter - nicht den Wunsch der Patientin - dass sie nicht in die Klinik soll. Von daher -> Klinik, i.v. Antibiose + ggf. intensivierte Intensivtherapie. Wie sich das ganze eskalieren lässt, lässt sich ja dann immer noch im Gespräch mit den Angehörigen & ggf Patientin (sofern Einwilligungsfähig ) eroieren.

davo
08.11.2015, 12:10
Genau dasselbe habe ich mir auch gedacht - denn "Lebensqualität bis vor 2-3 Tagen noch durchaus vorhanden", und die Tochter hat zwar viel von ihren eigenen Wünschen erzählt, aber es gibt keinerlei Anhaltspunkte für den Patientenwillen. Deshalb ab in die Klinik, bisherige AB-Therapie prüfen, Mikrobiologie machen, bis zum Eintreffen der Ergebnisse empirische Therapie durchführen.

...sprach der Klinik-Ersti :-oopss:-))

Anne1970
08.11.2015, 12:21
..wenn die Familie nicht will, dass die alte Dame ins KKH kommt, darf sie nicht den Notarzt rufen....
Selbst, wenn es eine Patientenverfügung gäbe - in denen meistens die Bedingung: wenn meine Krankeit zum Tod führt"vorangestellt ist , (" ...dann möchte ich keine lebensverlängernden Maßnahmen usw.)
In der Notsituation ist nicht ersichtlich, ob die Patientin sich im unumkehrbaren Sterbeprozess befindet, eine Aspirationspneumonie /eine Urosepsis kann auch mit 91 überlebt werden. Daher glaub ich, gibt es keine wirkliche Wahl...

Solara
08.11.2015, 13:27
Sie haben doch den KV- Dienst und nicht den Notarzt gerufen. Zahlreiche VE und Pflegestufe 3. wie da Lebensqualität bisher zu verstehen ist?
Und bevor ich den Patient in die Klinik, auf ITS karre und mit Tubus versorge ist zu überlegen, wie lange sie denn noch leben müsste, um sich von einem Intensivaufenthalt zu erholen. Ist ja nicht so, als würde der spurlos an einem vorüber gehen und das in hochbetagtem Alter?

Anne1970
08.11.2015, 13:31
Achja, stimmt... man könnte sich jedoch auch in der Klinik auf konservatives Vorgehen beschränken und intensivmedizinische Maßnahmen ausschliessen...Sauerstoff, Antibiose, Infusionen und wenn alles nicht hilft, sie gehen lassen...

Solara
08.11.2015, 13:33
Will man in der Klinik sterben?

Anne1970
08.11.2015, 13:42
Wenn sie tatsächlich präfinal ist, ist klar... dann fänd ich es auch schöner, wenn die Oma in ihrem eigenen Bett sterben dürfte...
Schlimm, wenn die Herrschaften zum Sterben in die Klinik kommen...aber wenn noch nicht klar ist, dass man die Situation mit Therapie ( Absaugen, Infusion, Sauerstoff, i.v. -Medis) umkehren kann?

Evil
08.11.2015, 13:46
Andererseits muß man sich auch als Angehöriger schon entscheiden; wenn ich eine Antibiose beginne, dann ist das keine palliative sondern eine kurative Behandlung, und dann muß die Patientin auch ins Kh, damit sie eine Chance hat.
Oder es besteht eine reine Palliativsituation, und dann mache ich außer Analgesie und leichter Sedierung gar nichts.
Letzteres lässt sich aber eben nicht einfach so in der Notfallsituation entscheiden, geschweige denn organisieren.

Nur ein bisschen sterben lassen geht halt nicht.

@ Solara: lieber in der Klinik sterben unter suffizienter Analgesie als zuhaus mit situativ und pflegerisch völlig überforderten Angehörigen

Solara
08.11.2015, 13:55
Ambulante Palli? Kann man erstaunlich schnell organisieren, zumindest von der Klinik aus.

Ich weiß aktuell selbst nicht, was ich in genau diesem Fall gemacht hätte, mache aber auch keine KV-Dienste.
Allerdings gerät so ein Patient schnell in die Mühlen der Intensivmedizin.

Und da ist die Frage: sinnvoll oder nicht.
Denn dann kommen zu den eigentlichen Erkrankungen noch weitere hinzu, nicht zuletzt ein Delir.
Um nach einer Intensivtherapie wieder auf den Stand von vorher (wenn überhaupt) zu kommen bedarf viel Zeit.

Anne1970
08.11.2015, 13:55
Genau, Evil, da stimme ich dir zu. Man kann auch im KKH, je nach Situation und Diagnose z.B. bei Aspirationspneumonie bei großen/malignem Hirninfarkt oder Hirnblutung immer noch die Einstellung aller Maßnahmen besprechen und die Patientin palliativ behandeln. Und auch dann noch kann man eine Versorgung für zu Hause organisieren ( sofern die Zeit bleibt).

Solara
08.11.2015, 13:56
Ja, sofern die Zeit bleibt. Bleibt sie das bei euch häufig?

THawk
08.11.2015, 14:13
Erstmal sollten wir versuchen mit der Tochter herauszufinden was der mutmaßliche Patientenwille ist. Denn um den geht es doch hier, nicht ob die Tochter will oder nicht oder was ich will. Da ist sie im Moment die kompetenteste Ansprechpartnerin, die wir haben.
Und dann gibt es nur zwei praktikable Möglichkeiten: Krankenhaus mit iv-Antibiose (ggf. unter Ausschluss intensivmedizinischer Maßnahmen) oder zu Hause lassen ohne Antibiose. Dann würde ich aber auch keine iv-Flüssigkeit machen. Ist die Tochter überfordert? Wir wissen es nicht. Nur die Bitte, die sie Skywalker gegenüber äußert ist doch kein Beweis, dass sie überfordert ist?! Ich finde, es ist aus Laiensicht eine respektable Idee, die sie da äußert, aber eben so nicht umsetzbar. Das müssen wir ihr erklären. Und wenn die Entscheidung dann gegen die Antibiotika-Therapie lautet darf die Mutter gerne zu Hause in Anwesenheit ihrer Tochter versterben. Ich brauche doch nicht für jede sterbende alte Frau ein Krankenhausbett, eine Palliativstation oder eine ambulante Palliativversorgung.

Anne1970
08.11.2015, 14:23
Ja, sofern die Zeit bleibt. Bleibt sie das bei euch häufig?
Das kommt auf das Krankheitsbild an. Bei einer Hirnblutung in Progress sieht das anders aus als zum Beispiel bei einem Hirnstamminfarkt...

Solara
08.11.2015, 14:38
Haben wir hier vermutlich nicht (wobei, auszuschließen ist es nicht) - es ist schwierig, ja. Aber muss ich wirklich jeden Menschen in die Klinik bringen, nur weil ich es kann?

In diesem Fall hätte man notfalls noch die Nachbarin (die Ärztin) interviewen können, wie die die alte Dame so einschätzt. Selber äußern, zumindest in adäquatem Maße, scheint sie sich ja nicht mehr zu können.
Mutmaßlicher Patientenwillen ist eben oft nicht mehr einfach rauszubekommen.


Skywalker, wie ging das denn nun bei dir weiter?

DrSkywalker
08.11.2015, 15:52
Haben wir hier vermutlich nicht (wobei, auszuschließen ist es nicht) - es ist schwierig, ja. Aber muss ich wirklich jeden Menschen in die Klinik bringen, nur weil ich es kann?

In diesem Fall hätte man notfalls noch die Nachbarin (die Ärztin) interviewen können, wie die die alte Dame so einschätzt. Selber äußern, zumindest in adäquatem Maße, scheint sie sich ja nicht mehr zu können.
Mutmaßlicher Patientenwillen ist eben oft nicht mehr einfach rauszubekommen.


Skywalker, wie ging das denn nun bei dir weiter?

Also: kurz vorab: wenn man da nachts draußen bei den Patienten im Wohnzimmer steht ist es oft noch wesentlich schwieriger, gute Entscheidungen zu treffen als zuhause in der Theorie vorm PC oder auch in der Klinik (hier hat man in der Regel Labor, EKG, etc als Entshceidungsfindung + sofort Kollegenmeinungen (hintergrund)).

Ich habe an diesem Abend die i.v. Antibiose aus der nächste Klinik holen lassen, habe dem Diensthabenden mit einer Einweisung, also Arbeit für Ihn, ge"droht", falls ich keine Therapie zu hause durchführen könnte, darauf hin durften wir gerne die i.v. Antibiose abholen (durch den Schwiegersohn). Habe daraufhin Volumen gegeben und die Antibiose. Mir war klar, dass ich hier kein stringentes Konzept hatte, in diesem Moment erschien mir dieses Vorgehen als die beste Lösung. Ich habe dann am Folgetag die Tochter nochmals angerufen, der Zustand hat sich durch meine Maßnahmen nicht verändert.

Am nächsten Tag hat der Hausarzt die Tochter überzeugt, dass eine Behandlung in der Klinik das sinnvollste ist, es kam zur Einweisung. Den Verlauf kenne ich nicht.

Wahrscheinlich hätte ich die von Evil aufgezeigten zwei Möglichkeiten, welche für sich jeweils konsequent gewesen wäre, aufzeigen müssen und dann auf eine klare Entscheidung hinarbeiten sollen. Im Notdienst bei unbekannten Patienten sollte man wahrscheinlich alleine aus Eigenschutz tendenziell schneller Einweisen.

Ich danke für die gute Diskussion hier, war sehr lehrreich für mich!