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Hirnwurm
18.11.2015, 20:56
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich liebe mein Fach, die Orthopädie und Unfallchirurgie. Ich operiere gerne hab' aber auch nichts gegen die konservativen Aspekte des Faches. Wenn jemand Wirbelsäulenbeschwerden hat mit entsprechender Symptomatik hat helfe ich dem jenigen gerne.
Leider hab' ich das Gefühl dass in den letzten Jahren immer mehr völlig unsinnig Diagnostik gemacht wird, weil Patienten und Hausärzte das fordern!
Die MRTs von HWS und LWS unserer Patienten der letzten Woche waren alle völlig unauffällig! Das ist auch kein Wunder, die Patientin hatte auch überhaupt keine Symptomatik die auf eine Neurologie hinweisen könnte. Aber der Chef will es halt so, weil die Hausärzte das wollen damit die Patienten zufrieden sind und nicht 6 Wochen auf ein MRT warten müssen :-??? Das ist wirklich verschwendetes Geld der GKV, deren Mitglied ich auch (noch) bin, kein Wunder dass die Beiträge steigen. Es ist müßig mich darüber aufzuregen, bringt ja sowieso nix, Arbeit hab ich mit den Patienten auch nicht, muss ja nur MRT anmelden... aber irgendwie nervts mich total. Ich will eigentlich gute Medizin machen, finde das hat nix mit Medizin mehr zu tun. Schreibt mal so eure Meinungen

DrSkywalker
18.11.2015, 21:17
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich liebe mein Fach, die Orthopädie und Unfallchirurgie. Ich operiere gerne hab' aber auch nichts gegen die konservativen Aspekte des Faches. Wenn jemand Wirbelsäulenbeschwerden hat mit entsprechender Symptomatik hat helfe ich dem jenigen gerne.
Leider hab' ich das Gefühl dass in den letzten Jahren immer mehr völlig unsinnig Diagnostik gemacht wird, weil Patienten und Hausärzte das fordern!
Die MRTs von HWS und LWS unserer Patienten der letzten Woche waren alle völlig unauffällig! Das ist auch kein Wunder, die Patientin hatte auch überhaupt keine Symptomatik die auf eine Neurologie hinweisen könnte. Aber der Chef will es halt so, weil die Hausärzte das wollen damit die Patienten zufrieden sind und nicht 6 Wochen auf ein MRT warten müssen :-??? Das ist wirklich verschwendetes Geld der GKV, deren Mitglied ich auch (noch) bin, kein Wunder dass die Beiträge steigen. Es ist müßig mich darüber aufzuregen, bringt ja sowieso nix, Arbeit hab ich mit den Patienten auch nicht, muss ja nur MRT anmelden... aber irgendwie nervts mich total. Ich will eigentlich gute Medizin machen, finde das hat nix mit Medizin mehr zu tun. Schreibt mal so eure Meinungen

Leider ein Beispiel von tausenden... gibt es in jedem Fachgebiet, leider. Systemimmanent, man kann dagegen kämpfen, wird den Kampf aber nie gewinnen können. Ich sehe zu, dass ich ganz krasse Fälle von "Bluusxxxt" nicht mittrage oder verhindere, wenn es geht. Dafür setze ich mich auch gerne mal länger mit einem PAtienten hin und erkläre, warum die Maßnahme XY keinen Sinn macht oder sogar schädlich ist. Wenn man es in Ruhe erklärt verstehen es viele Patienten auch.

Beispiel gerade heute: Ich hatte gerade heute einen PAtienten mit einer akuten, unkomplizierten Gastroenteritis, der unbedingt eine Erregersuche wollte. Nach dem ich ihm erklärt habe, warum dies nicht sinnvoll ist war er zufrieden.

anignu
18.11.2015, 22:43
Leider hab' ich das Gefühl dass in den letzten Jahren immer mehr völlig unsinnig Diagnostik gemacht wird, weil Patienten und Hausärzte das fordern!
Ich würd das nicht auf die Hausärzte schieben. Die allermeisten Hausärzte die ich kenne sind sehr sinnvoll. Extrem positiv überrascht hat mich der Hausarzt meiner Oma der eine extrem unschöne Wunde ambulant über Wochen auskuriert hat. Über Wochen deshalb weil die echt fies war und er hat meine Oma 2-3mal die Woche angeschaut. Ich hätte meine Oma sofort aufgenommen wenn die ins Krankenhaus gekommen wär ;-)

Was ich sagen wollte: die Hausärzte können mMn oft nicht viel für ihre fordernden Patienten die alles abgeklärt haben wollen. Alles. Und vor allem "Rücken". Kein Mensch sieht ein, dass z.B. wenn man ein Kind mit einem Jahr hat das noch nicht selbst laufen kann den Eltern der Rücken weh tut. Warum nur? Oder dass man mit einem BMI von >40 manchmal Knieprobleme bekommt. Das muss "abgeklärt" werden. Wie ich dieses Wort hasse. Wenn einer schon so beginnt, dann weiß ich es geht nicht um die tatsächliche Behebung der Symptome oder gar der Ursache, es geht nur um eine psychische Beruhigung. Dass man ja alles getan hat. Um sich dann Pillen einzuwerfen, zu wissen es ist nichts schlimmes und auf keinen Fall den eigenen Lebenswandel überdenken.

Ich reg mich auch gern auf über mehr als die Hälfte der Leute die in die chirurgische Notaufnahme kommen. Die Textbausteine über "Lumbago", "OSG-Distorsion", "V.a. Kniebinnenläsion", "HWS-Distorsion" oder "Rippenprellung" haben sich da wenigstens rentiert sie sauber niederzuschreiben. Und wenn Patienten kommen mit dem Argument "wenn ich nach der Arbeit zum Arzt will hat der ja immer schon zu, daher komm ich nun in die Notaufnahme"...

Jule-Aline
19.11.2015, 08:26
Under Chef ist bei MRT extrem zurückhaltend,zuerst wird konserv Ther (ISG infiltration,Schmerztherapie,Physio) .Trotzdem sind viele Pat sehr fordernd,bstehen auf ihr MRT und sind sauer wenn sie es nicht bekommen.Man versucht,ihnen das zu erklären und viele wollen e s acuh nicht verstehen.

tpa
19.11.2015, 09:41
Das ist wirklich verschwendetes Geld der GKV, deren Mitglied ich auch (noch) bin, kein Wunder dass die Beiträge steigen[...]

Genau, in den PKVen wird zum Glück kein Geld verschwendet und die Beiträge steigen niemals ;-)

Peter_1
19.11.2015, 13:51
Es ist Quatsch medizinisch eindeutig unsinnige Dinge zu machen, nur weil irgendwer darauf besteht. Allerdings kostet es Zeit und Nerven den Menschen zu erklären warum etwas nicht sinnvoll ist und da ist es oft schneller irgendeinen Bildgebungszettel auszufüllen, ausserdem braucht man dazu im Krankenhaus einen kompetenten Chef mit einem breiten Kreuz. Natürlich gibt es auch die Patienten die extrem aggressiv fordernd und beratungsresistent sind und quasi mit der Anzeige drohen wenn sie ihre Vorstellung nicht durchgestzt bekommen, aber das ist eher eine Minderheit (für die habe ich auch keinen Rat, die will ich auch immer schnell los haben :-oopss).
Eigentlich ist die Sache doch ganz einfach: auf die Leitlinie Kreuzschmerz verweisen und erklären: wir sehen momentan aufgund unserer Untersuchung keinerlei Hinweis auf einen abwendbar gefährlichen Verlauf, also ist eine Bildgebung erst mal nicht indiziert, kommen Sie wieder wenn: der Schmerz trotz adäquater Therapie über 6 Wochen anhält, zunimmt, oder Ausfälle auftreten.
Auch der Großteil der Hausärzte dürften zufrieden sein wenn genau dies so im Bericht steht, geht es doch den Hausärzten oft nur um eine fachärztliche Mitbeurteilung und zusätzliche Absicherung. Als Hausarzt erlebt man ausserdem recht häufig das Menschen alles möglich erzählen was man als Hausarzt dann alles so gesagt haben soll und was im Krankenhaus, oder beim Spezialisten, dann wieder gegeben wird. Oft wird aber eine angebliche Aussage des Hausarztes vorgeschoben um die eigenen Vorstellungen durchzusetzen (umgekehrt werden viele angebl.Aussagen des Spezialisten beim Hausarzt vorgebracht die dieser dann bei Nachfrage oft gar nicht so getätigt hat).

Nicht zuletzt rennen viele Patienten ohne Überweisung gleich zum Spezialisten, oder ins Krankenhaus, obwohl die da gar nicht auftauchen müssten. Manche andere verlassen ohne Überweisung nicht die hausärztliche Praxis weil sie sich mit ihrem unkompliziertem Kreuzschmerz nur vom Spezialisten behandeln lassen wollen (auch für die habe ich kein Rezept, ich versuche zu überzeugen und zu erklären, aber verstricke mich auch nicht gerne in ab einem gewissen Punkt dann fruchtlose Diskussionen).

Eine Lösung des Problemes:
Verpflichtendes Primärarztsystem ohne direkten Zugang zum Spezialisten, ausserdem kompentente und gut ausgebildete Hausärzte, aber das lässt sich politisch nicht durchsetzen (unter anderem auch in der Ärzteschaft). Andere entwickelte europäische Länder haben deutlich günstigere Krankenversicherungsbeiträge und die Morbidität ist auch nicht schlechter :)

gabe
19.11.2015, 15:27
So siehts mal aus; wie zb hier in Norwegen mit Filterung durch den Primaerdienst (Hausarzt/fastlege, Arztstation/legevakt). Gibt natuerlich dann immer mal wieder unschoene Geschichten mit wirklich kranken Patienten denen eine KH-Einlieferung verwehrt wird. Wird immer schøn von den Medien breitgetreten aber dass mus das System abkoennen.
Fuer den Einzelnen teilweise unschoen, fuer die Gesamtgesundheit jedoch extrem zutraeglich. Patienten verstehen einfach nicht dass es einen Haufen Nachteile gibt, nicht indizierte Untersuchungen durchzufuehren.

Miss_H
19.11.2015, 15:49
Wie war es eigentlich zu Zeiten der Praxisgebühr? Da hat man ja 10 Euro gezahlt, falls man keine Überweisung vom HA hatte. War es da besser?

Muriel
19.11.2015, 16:39
Nein, bei uns eindeutig nicht. Die Masse und auch die Vorstellungsgründe waren identisch, was aber vielleicht beim Orthopäden anders gewesen sein mag, weil da der Hausarzt sicherlich mehr machen kann als bei den Augen. Der Wegfall der Praxisgebühr war für unsere MFAs eine enorme Erleichterung, weil dieses elende Geldeinsammeln und Überweisungdrucken wegfielen.

Peter_1
19.11.2015, 16:59
Wie war es eigentlich zu Zeiten der Praxisgebühr? Da hat man ja 10 Euro gezahlt, falls man keine Überweisung vom HA hatte. War es da besser?
Nein, war es nicht wirklich, dann rannten die penetranten Menschen am Anfang vom Quartal zum Hausarzt und wollte schon mal "prophylaktisch" tausend Überweisungen haben, man hatte ja jetzt einmal bezahlt.

WackenDoc
19.11.2015, 19:11
Ich glaub, das ist teilweise das "Bandscheibenvorfalls-Damoklesschwert" was über den Menschen schwebt. Deswegen muss man ja auch unbedingt wissen, ob es das ist. Auch wenn es keinerlei therapeutische Konsequenz hat.

Muriel
19.11.2015, 19:27
Aber es hört sich so schön schlimm und ist ein weiteres Häkchen im Diagnosenstatussymbolsammelheft.

Feuerblick
19.11.2015, 19:28
Und es kommt beim Rentnerstammtisch total gut, wenn man erzählen kann, dass man genau das hat, worüber die Rentner-Bravo aka Apotheken-Umschau gerade berichtet hat :-))

WackenDoc
19.11.2015, 19:33
Gleiches bei "ich glaub, ich hab Lactoseintoleranz, ich will nen Test machen". Nach der Aufklärung, was die Sicherung der Diagnose für Auswirkungen auf die Tauglichkeit hat, haben es die meisten bei "trinken Sie mal nen halben Liter Milch auf ex- zerreisst es Ihnen danach nicht schier die Gedärme, dann haben Sie es wahrscheinlich nicht". Zumal Lactrase nur in bestimmten Fällen bezahlt wird (zumindest bei meiner ehemaligen Firma)

Oder auch "ich will mal nen Allergietest machen" - bei Pollinosis ohne Indikation zur Hyposensibilisierung.

klingelpütz
19.11.2015, 19:49
Das mit der Lactose habe ich jetzt nicht verstanden. Und ist man untauglich mit einer Intoleranz?

CYP21B
19.11.2015, 20:38
Über unsere Notaufnahme gibt es keine ambulanten MRTs, keine AUs (außer bei BG-Fällen) und keine Kassenrezepte (fürs Wochenende und Abend haben wir aber bestimmte Medis vorrätig zum Mitgeben). Das limitiert zum Glück einiges von diesem Klientel.
Bei den Rückenmenschen nehme ich nur die auf die quasi gehunfähig sind oder Neurologie haben, die anderen müssen sich wenn sie denn ihr MRT wollen sich das über den Hausarzt organisieren.

FirebirdUSA
19.11.2015, 22:04
Wer nachts oder am WE kommt und eine lokalisierbare radikuläre Symptomatik hat bekommt ein CT wenn es tatsächlich was zu gleich operieren ist... Notfallindikation für MR ist Querschnittsymtomatik.

John Silver
21.11.2015, 16:46
Bei uns in der ZNA gibt es ebenfalls kein MRT, es sei denn, man hat tatsächlich eine akute Indikation. Es gibt auch keine AUs, außer für BG.
Patienten mit Rückenschmerzen, die noch laufen können (und sie können, wenn sie in die Notaufnahme kommen), warten bei mir grundsätzlich mindestens 3 Stunden. Wer nach 3 Stunden noch da ist, wird angeschaut. Manchmal tut man den Menschen damit Unrecht, die allermeisten trifft es aber verdient. Fragen nach einem MRT wegen Rücken, Knie verdreht etc. beantworte ich freundlich, aber bestimmt, und empfehle eine Vorstellung bei einem niedergelassenen Kollegen, wenn die Beschwerden mit Analgetika und ggf. Physiotherapie nicht besser werden. Die meisten Menschen verstehen das, und alles ist gut. Meine Erfahrung sagt nämlich, dass die meisten Leute einfach aus Angst dieses und jenes haben wollen, und nach allem greifen, was sie mal irgendwo gehört haben; wenn man ihnen alles erklärt, sind die meisten wieder entspannt. Die wenigen Deppen, die dennoch irgendwelchen Kram fordern, werden mit dem Hinweis darauf, dass ich hier der Arzt sei und die Entscheidungen treffe, der Notaufnahme verwiesen.

Fr.Pelz
22.11.2015, 19:54
Hier gibts auch keine Notfall-MRTs über die Notaufnahme, und auch ebenfalls keine AU (nicht mal für BGs - ich dachte immer das geht eh nicht als Arzt, der in der Klinik arbeitet. Hier gibt es nur für stationäre Patienten Liegebescheinigungen, die als AU zählen für die Dauer des stationären Aufenthalts und für alles weitere müssen sie zum Hausarzt. BG-Fälle werden nach Erstversorgung am nächsten Tag zum D-Arzt geschickt, der dann AUs ausstellt)
3 Stunden warten lassen aus Prinzip wird hier auch von einigen praktiziert und ich wurde von den Schwestern auch schon dazu angehalten, wenn ihrer Meinung nach der Patient keine schnelle Behandlung verdient hat, aber ich kann das nicht. Nur eine leere Notaufnahme ist eine gute Notaufnahme.

Gallilei
22.11.2015, 21:03
Ich frage mich, welchen Effekt dieses "erzieherische" Warten haben soll. Kann mir kaum vorstellen, dass dadurch der nächste Dienst ruhiger wird.